Wolfgang Huste Polit- Blog

Gauck abgeblitzt. Am heutigen Montag empfängt Bundespräsident Joachim Gauck in Berlin Hinterbliebene von Opfern der Mordserie, die dem »NSU« zugeschrieben wird. Die Schwester des 2001 in Hamburg ermordeten Süleymann Tasköprü, Aysen Tasköprü, sagte Gauck in einem Brief ab:

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Sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck,

vielen Dank für die Einladung. Ich habe über meine Anwältin gehört, daß Sie nicht wünschen, daß die Rechtsbeistände der Nebenkläger bei dieser Einladung dabei sind. Sie möchten nur Ihre Empathie ausdrücken, aber keine Anwälte auf diesem Treffen sehen. Es wäre empathisch von Ihnen gewesen, nicht darauf zu bestehen, daß ich alleine ins Präsidialamt komme. Ich fühle mich dem nicht gewachsen und werde daher Ihre Einladung nicht annehmen können.

Da Sie ja aber so daran interessiert sind, wie es uns geht, werde ich Ihnen gerne schildern, wie es uns geht. Im Sommer 2001 töteten die Neonazis meinen Bruder. Im Spätsommer 2011 – zehn Jahre später – klingelte die Kripo bei mir. Sie brachten mir die persönlichen Gegenstände meines Bruders. Ich fragte die Beamtin, warum jetzt die Sachen kämen; ob es etwas Neues gibt. Sie sagte nur, man habe nur vergessen mir die Sachen zurückzugeben. Dann ging sie wieder. Ich habe stundenlang vor den Sachen meines toten Bruders gesessen; ich habe tagelang gebraucht, um mich zu überwinden meinen Eltern davon zu erzählen, daß seine Sachen wieder da sind. Ich war völlig am Ende. (…)

Ich wurde 1974 in der Türkei geboren; seit 1979 lebe ich in Deutschland. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe meine Ausbildung gemacht und gearbeitet. Mein Sohn wurde hier geboren und ich fühlte mich als Deutsche mit türkischen Wurzeln. Noch im März 2011 konnte ich darüber lachen, als eine Sachbearbeiterin im Rathaus zu meinem Sohn sagte, er sei kein Deutscher. Der Kleine war ganz erstaunt und erklärte ihr sehr ernsthaft, daß er sehr wohl Deutscher sei, er habe schließlich einen deutschen Paß. Wie gesagt, ich lachte und sagte meinem Sohn, ich würde ihm das zu Hause erklären. Heute kann ich darüber gar nicht mehr lachen. Ich hatte mal ein Leben und eine Heimat. Ich habe kein Leben mehr. Ich bin nur noch eine leere Hülle, die versucht, so gut wie möglich zu funktionieren. Ich bin nur noch unendlich traurig und fühle mich wie betäubt. Ich habe auch keine Heimat mehr, denn Heimat bedeutet Sicherheit. Seitdem wir wissen, daß mein Bruder ermordet wurde, nur weil er Türke war, haben wir Angst. Was ist das für eine Heimat, in der du erschossen wirst, weil deine Wurzeln woanders waren? (…)

Alles was ich noch möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter dem NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum? (…) Und auch Ihnen, Herr Bundespräsident Gauck, ist mein Bruder doch nur wichtig, weil die NSU ein politisches Thema in Deutschland ist. Was wollen Sie an unserem Leid ändern? Glauben Sie, es hilft mir, wenn Sie betroffen sind? Ich würde mir wünschen, daß Sie als erster Mann im Staat mir helfen könnten, meine Antworten zu finden. Da helfen aber keine empathischen Einladungen, da würden nur Taten helfen. Können Sie mir helfen? Wir werden sehen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 18.02.13

Dieser Beitrag wurde am Montag, 18. Februar 2013 um 15:34 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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