Wolfgang Huste Polit- Blog

EU ist nicht reformierbar. Saarländischer Taler oder Sozialismus. Anmerkungen zu Oskar Lafontaine und der Euro-Diskussion in der Partei Die Linke. Von Thies Gleiss

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Oskar Lafontaine hat eine Debatte in der Partei Die Linke losgetreten. Diesmal zum ­Euro. Ihm sollte dafür Dank gezollt werden. Im Jahr der Bundestagswahl und angesicht der anhaltenden großen Finanz- und EU-Krise sind »Europäische Union und Euro« das überragende Thema in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit. Gleichzeitig ist offenkundig, daß die etablierten deutschen Parteien – CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne – dieses Wahlkampfthema nicht für ihre jeweilige Kampagne ausnutzen können. Der Grund dafür ist einfach: Sie sind sich alle bis ins Detail einig und unterstützen den »Merkelismus« und seinen barbarischen Feldzug zur Sicherung der deutschen Dominanz in »Europa«.

Es wäre also ein Geschenk für die Partei Die Linke, dieses »Europa-Thema« in ihrer Wahlkampagne in den Mittelpunkt zu stellen. Leider kapieren das maßgebliche Kräfte und Wahlprogrammschreiber in der Linken nicht. Sie ersticken es mit Bekenntnissen »zu Europa« oder »zum Euro«. Die EU wäre zwar falsch und fehlerhaft konstruiert, im Ergebnis undemokratisch und prokapitalistisch, aber irgendwie sei sie doch toll und alles Schlechte zu reparieren.

Ein Wahlkampf der Linken müßte, will er dem Großthema »EU-Krise« gerecht werden, klipp und klar fordern, die EU-Verträge sofort zu kündigen. Diese EU des Kapitals ist nicht zu reformieren und mitzugestalten. Die deutsche Linke hat eine große Verantwortung gegenüber der europäischen Linken und den durch die Politik Merkels und des deutschen Kapitals gebeutelten Menschen im EU-Raum. Von ihr wird erwartet, daß sie den sogenannten Rettungspaketen, ESM, Finanzpakt und wie die verschiedenen Formen der Kapitalsanierungsoffensive alle heißen, Widerstand entgegensetzt. Das ist der heute erforderliche linke und solidarische Internationalismus. Das schließt die Unterstützung protektionistischer Maßnahmen – wie zum Beispiel Austritt aus dem Euro – der Linken in Südeuropa oder Irland ebenso ein, wie die praktische Solidarität mit dem Aufbau solidarischer Gegenmacht und Selbstverwaltungsstrukturen in diesen Ländern. Die Linke wird allerdings vor allem daran gemessen, was sie an der Durchsetzung der Kapitalinteressen hier in Deutschland konkret verhindert.

Große Pose

Oskar Lafontaine kommt nicht ohne seine Kaspereien aus. Man ist fast geneigt, die alte Kabarettnummer gegen Helmut Schmidt – »Nachdem ich und Henry Kissinger die Bauernkriege beendet hatten, mußten wir leider feststellen, daß die katholische Kirche nicht das gemacht hat, was wir wollten« – auf ihn anzuwenden: Nachdem ich in den neunziger Jahren erfolgreich den Euro eingeführt hatte, muß ich leider zur Kenntnis nehmen, daß die europäischen Regierungen nicht das machen, was ich wollte. Was für eine Pose! »Der makroökonomische Dialog« sei »von den Regierenden unterlaufen worden«. Und jetzt – nach dem Motto »Wer nicht hören will, muss fühlen« – müßen eben alle wieder zurück auf Los. Fakt ist jedoch: Der Euro sollte von den beteiligten Regierungen – die zwar damals mehrheitlich sozialdemokratisch, aber dennoch dem Kapital und seinen Interessen verpflichtet waren – zu keinem Zeitpunkt als Mittel des ökonomischen Ausgleichs eingesetzt werden. Im Gegenteil, es ging um eine effektivere Ausnutzung der Produktivitätsgefälle im EU-Raum, um gegenüber den USA und Japan konkurrenzfähig zu werden. Der massive Ausbau eines Niedriglohnsektors war deshalb ausdrücklich das gewünschte Zusatzmittel, ebenso wie die rabiate Schleifung aller Hindernisse, die dem freien Handel und Wandel des Kapitals noch im Wege standen. Linke Ökonomen haben dies in den neunziger Jahren vorhergesehen. Sie sind aus heutiger Sicht höchstens dafür zu kritisieren, daß sie die Euro-Krise schon viel früher erwartet und das Ausmaß der 15jährigen Erfolgsgeschichte des Euro unterschätzt haben. Der damalige Finanzminister Lafontaine war nicht der Oberbuhmann, er war zumindest zögerlich und ist rechtzeitig zurückgetreten, aber daß der Euro als Wohltat für die Menschen eingeführt wurde, ist nichts als Legende. Bis heute wird ja bilanziert, daß die politische und moralische Begründung der neuen Währung sträflich vernachlässigt wurde. Geld hat immer zwei Seiten: Vertrauen und Repression. Das Vertrauen in den Euro wurde so wenig erzeugt wie ein europäisches Nationalgefühl. Und die repressive Seite des Geldes hebt die Einkommens- und Produktivitätsgefälle nicht auf, sondern nutzt und verlängert deren Existenz.

Innerhalb eines kapitalistischen Marktsystems sind Ausgleichsmaßnahmen wie eigene Währungen und deren Ab- oder Aufwertung, Zölle oder politische Schutzmaßnahmen (Qualitätszertifikate, Normen, Markenrechte usw.) immer die Mittel, Produktivitätsgefälle auszugleichen. Geschieht dies nicht, werden Formen des permanenten ungleichen Tausches etabliert, in deren Folge ganze Regionen und Länder ausbluten und verarmen. Die Vorschläge, die Oskar Lafontaine jetzt macht, sind deshalb völlig richtig, wenn die Zielsetzung die Erhaltung eines europäischen kapitalistischen Marktsystems ist. Dann spricht viel dafür, die alten europäischen Währungsmechanismen wieder einzuführen, vielleicht sogar einen speziellen saarländischen Taler. Sicher ist dann aber, daß die Verarmungsprozesse in Südeuropa fortgesetzt werden, und sicher ist dann auch, daß diese Ökonomien völlig dem Weltmarkt ausgesetzt werden und der geringe Schutz, der die Mitgliedschaft in einer großen EU bringt, wegfällt. Wenn der Binnenmarkt mit 500 Millionen Menschen zusammenbricht, dann freut sich das konkurrierende Kapital. Profitieren würde von der Wiedereinführung der alten Währungen zusätzlich die nationale kapitalistische Klasse in den südeuropäischen Länder. Es ist aber zu fragen, ob diese Klassen wirklich noch als großer gesellschaftspolitischer Akteur vorhanden, oder ob sie nicht schon lange in den Eingeweiden der EU-Kapitalelite verschwunden sind. Und noch mehr ist zu fragen, ob eine deutsche oder europäische Linke sich zu deren Interessenswächterin machen sollte.

Schutzmaßnahmen

Die Vorschläge von Oskar Lafontaine kommen deshalb wie so viele sozialdemokratische Vorschläge in der Geschichte zu spät. Daher erfährt Oskar ja auch die bissige Resonanz aus dem bürgerlichen Lager. Aber völlig klar ist: Die Thesen von Oskar sind absolut andere als die der rechten »Alternative für Deutschland«. Das vor allem deshalb, weil er neben der Etablierung des nationalen Kapitalismus in den bedrängten EU-Ländern ja auch eine Reihe politischer Schutzmaßnahmen für die arbeitende Klasse (Lohn, soziale Rechte usw.) fordert. Warum es die letzteren nicht auch ohne die erste geben kann, bleibt Oskars Geheimnis, ebenso, warum er politische Forderungen zum Schutz der zweiten Springquelle allen Reichtums, der Natur, nicht mit einbindet.

Meine Zielsetzung ist die Sicherstellung eines kapitalistischen Europas nicht. Die Linke sollte die Krise der EU als eine tiefe Krise des Kapitalismus erklären und aus ihr die Notwendigkeit und Aktualität des Sozialismus ableiten.

Aktualität des Sozialismus heißt, dem grundlegenden Prinzip des Kapitalismus, alle Dinge, einschließlich der Arbeitskraft, erst in eine Ware zu verwandeln und sie dann auf einen anonymen Markt zu tragen, unser Prinzip einer solidarischen, demokratisch geplanten und vernunftgeleiteten Ökonomie der Mehrheit entgegenzustellen. Das ist die große Aufgabe, vor der SYRIZA in Griechenland, aber auch die Linke in Deutschland steht.

Es gibt drei Bestandteile dieser konkreten sozialistischen Utopie. Erstens der Aufbau von Gegenmacht gegen die Institutionen der herrschenden Klasse. Das sind alle Kämpfe der Verweigerung, des Boykotts, der Streiks und der Aufbau von Strukturen zum Führen solcher Kämpfe und der Kontrolle ihrer Ergebnisse. Zweitens politische Vorschläge an die Zentralmacht oder da, wo es bereits oder noch möglich ist, konkrete Regierungsmaßnahmen. Das ist die Politik der Umverteilung durch Steuern, des Ausbaus der Rechte der Arbeiterklasse und der Beschneidung der Rechte des Kapitals, einschließlich Kapitalverkehrskontrollen, politischer Marktbeschränkungen oder Währungsreformen. Und drittens der Aufbau von realen Alternativökonomien wie Tauschringen, Genossenschaften, Selbsthilfeorganisationen. Alle drei Sektoren sind die große Schule, in der neue gesellschaftliche Kräfte geschult und neue Theorien entwickelt werden, wie die Zukunft der Menschen konkret aussehen soll und wird.

Es ist unschwer zu erkennen, daß in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Italien heute der erste Bereich, die Bewegung der Verweigerung und der Streiks eine ungleich größere Bedeutung hat; ebenso, daß Selbsthilfe wichtiger ist als Maßnahmen eines kaputten, sterbenden und vom Konkurrenten niedergemachten bürgerlichen Staates.

Wenn in diesen Kämpfen die Abschaffung der europäischen Einheitswährung, in vielen Bereichen in Griechenland wird heute sogar das Geld abgeschafft, gefordert wird, dann sollte die deutsche Linke das massiv unterstützen. Die wichtigste Währung bleibt jedoch die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zugunsten der Arbeiterklasse.

Thies Gleiss ist Mitglied im Bundessprecherrat der Antikapitalistischen Linken, einer Bundesarbeitsgemeinschaft in der Partei Die Linke.

 

Quelle: www.jungewelt.de vom 08.05.2013

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 08. Mai 2013 um 16:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. http://wolfgang-huste-ahrweiler.de/2013/05/12/wir-haben-keine-eurokrise-wir-haben-eine-kapitalismusdauerkrise-von-wolfgang-huste/

    Comment: Wolfgang Huste – 12. Mai 2013 @ 23:06

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