Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz gibt sich die Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch kämpferisch.
Der Auftritt von Gesine Lötzsch auf der diesjährigem Rosa-Luxemburg-Konferenz (1) in Berlin stand unter keinem günstigen Stern. Ihr Artikel über „Wege zum Kommunismus“ (2) in der Jungen Welt hat ihr nicht nur scharfen Gegenwind aus Medien und vom politischen Gegner eingebracht, auch in ihrer eigenen Partei werden kritische Stimmen laut (3). Und dann sorgten noch vor Beginn der Podiumsdiskussion die Reservierung der ersten Sitzreihe für Lötzschs Angehörige sowie die Ankündigung von Ulla Jelpke (Linke) (4), dass Lötzsch an der Diskussionsrunde nicht teilnehmen werde, für Unmut unter dem kommunistischen Ideen eigentlich aufgeschlossenen Publikum in der Berliner Urania.
Hintergrund von Lötzschs Fehlen bei der Diskussionsrunde sei, dass sie nicht nur von den Medien, sondern auch in ihrer eigenen Partei unter Druck gesetzt werde, so Jelpke. Dass der Artikel eine derartige Hysterie ausgelöst hat, kann sich Jelpke nur damit erklären, dass „den Herrschenden das Wasser bis zum Hals“ steht. Die Auslöserin dieses Rauschens im Blätterwald, die Parteivorsitzende, wollte der Veranstaltung jedoch auch nicht ganz fern bleiben, und erklärte in einem bissigen Vortrag ihre Position.
Trotz der Startschwierigkeiten schafft es Lötzsch, das Publikum sofort mitzureißen. „Wer bin ich?“, fragt sie in die Runde, um gleich darauf zu antworten: „Ich bin Gesine Lötzsch.“ Damit ist sofort klargestellt, dass sie ihre Position keinesfalls räumen will. Wenn jemand der Meinung sei, sie, Gesine Lötzsch, sei keine Demokratin, die auf dem Boden des Grundgesetzes stünde, dann sei das eine „Unverschämtheit“. Besonders von Politikern, die völkerrechtswidrige Angriffskriege gegen den Willen der Bevölkerung beschlossen hätten, wolle sie sich die Demokratie nicht erklären lassen.
Sie selbst sei entsetzt darüber, wie Union und FDP mit dem demokratisch gewählten Bundestag umgingen. Tatsächlich kritisierte jüngst selbst Bundestagspräsident Lammert (CDU), dass die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke im Eiltempo durch den Bundestag gebracht worden war (5).
Doch auch an ihrer eigenen Partei, namentlich an Gregor Gysi, übte Lötzsch Kritik. Dieser nannte Lötzschs Artikel missverständlich. Wenn man den Begriff Kommunismus verwende, müsse man auch auf die Verbrechen hinweisen, so Gysi. „Wenn die Menschen bei dem Begriff Kommunismus an Stalinismus und die Mauer denken“, dann müsse man Aufklärungsarbeit leisten, so Lötzsch. Trotzdem nutzte sie erneut die Gelegenheit klarzustellen, dass die Linke Terrorismus zur Erreichung ihrer Ziele ablehnt.
Die Forderungen, aufgrund des Artikels von Lötzsch die Linkspartei zu verbieten (6) oder zumindest die Opfer des Kommunismus zu erwähnen (7), sind freilich absurd. Zum Einen handelt es sich bei ihrem Beitrag lediglich um einen „Reformerbeitrag“, so Jelpke, in dem so unspektakuläre Dinge wie eine dezentrale Energieproduktion, Verlagerung von Transporten auf die Schiene sowie Mindestlöhne gefordert werden. Zum Anderen fordert niemand dazu auf, bei jeder Gelegenheit an die Opfer des Kapitalismus in den ersten Fabriken, in denen auch Kinder unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten, hinzuweisen.
Diese Zustände sind nicht etwa lediglich Auswüchse des Manchesterkapitalismus, vielmehr dauern sie bis heute an. Die schlimmsten Auswüchse dieser Verwertungslogik jedoch finden nicht mehr vor unserer Haustür statt, sondern für uns quasi unsichtbar in den Entwicklungsländern, an der Peripherie. Wer von der Linken fordert, bei jeder Gelegenheit die Opfer des Kommunismus zu benennen, der müsste ebenso im Zuge der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken auf die Bedingungen hinweisen, unter denen das Uran für die Brennstäbe abgebaut wird (Cool, sowie regelmäßig auf die Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen verweisen, von der die reichen Industrienationen profitieren.
Letztlich ist auch die soziale Marktwirtschaft nicht denkbar ohne Billigprodukte, die zu Dumpinglöhnen in den ärmsten Regionen der Erde hergestellt werden (9). Die Existenz von Billigangeboten zweifelhafter Herkunft ist jedoch mit eingepreist, wenn Hartz-IV-Sätze neu berechnet werden. Das klar auszusprechen, wurde aber bisher noch von keiner Bundesregierung verlangt.
Für Lötzsch steht daher fest, dass „der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist“, stattdessen werde der demokratische Sozialismus die Zukunft sein. Auch Jelpke gibt sich kämpferisch. „Ich hoffe, dass wir heute einen ersten Schritt auf den Weg des Kommunismus finden.“
Links
(1) http://www.rosa-luxemburg-konferenz.de/
(2) http://www.jungewelt.de/2011/01-03/001.php
(3) http://www.abendblatt.de/hamburg/article1751565/Gregor-Gysi-nennt-Umgang-mit-Gesine-Loetzsch-grob-unfair.html
(4) http://www.ulla-jelpke.de/
(5) http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~E67678645A02D485B9FA2E7B685413951~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(6) http://www.neues-deutschland.de/artikel/187981.dobrindt-regt-verbot-der-linkspartei-an.html
(7) http://www.sueddeutsche.de/politik/die-linke-richtungsstreit-das-loetzschsche-manifest-1.1043436
(Cool http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,686633,00.html
(9) http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/panoramadiereporter124.html
Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33986/1.html
Quelle: www.jungewelt.de vom 09.01.11
Hysterie kann man es eigentlich nicht mal nennen, was die Dobrindt, Gröhe, Westerwelle, Steinmeier et al da um einen von der Linken gewollten »Kommunismus« aufführen. Sie wissen ja selbst, daß Gesine Lötzsch und ihre Partei völlig unverdächtig sind, in vergangene Zeiten zurückzukehren. Die ganze Empörung ist gespielt, scheinheilig und ein beklemmender Ausdruck der Geistlosigkeit, die auf den Gipfeln der Politik nistet. Hierzulande nistet, muß man dabei anfügen – in Frankreich und anderswo würden Konservative sich zutiefst schämen, sich mit einer solchen Armseligkeit in einer »Debatte« zu prostituieren. Aber armselig ist leider auch, was man aus Teilen der Linken als Reflex hört. Der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow hätte sich »gewünscht, daß auch Gesine Lötzsch dieses Wort nicht gebraucht hätte, ohne der blutigen Spur des Kommunismus auch nur einen Viertelsatz zu widmen«. Stefan Liebich vom Forum Demokratischer Sozialismus innerhalb der Linken sagte Ähnliches. Das kann man vereinbaren – wenn fortan auch das Wort Christentum nie mehr gebraucht wird, ohne dessen blutige Spur der Brandmorde an Hexen und Ketzern, der Kreuzzüge und der Kumpanei des Vatikan mit dem Hitler-Faschismus »einen Viertelsatz zu widmen«. (…) Ja, sie wischen heute alle den Schwamm darüber, Union und Liberale auch darüber, daß es Abgeordnete ihrer Vorläuferparteien waren, darunter ein späterer Bundespräsident, ein Ministerpräsident, ein Bundesminister und ein Senator, die die Hand für Hitlers Ermächtigungsgesetz hoben. (…)
Quelle: www.jungewelt.de vom 08.01.11
Wenn man in Deutschland das Wort Kommunismus in den Mund nimmt, wirkt das wie ein Lackmustest: So schlagartig wie zuverlässig verfärben sich Gesichter ins Rot- bis Blauviolette. Auch Pawlowsche Reflexe werden vorgezeigt; Schaum und Geifer treten aus, Sputum wird abgesondert. Forderungen nach der Todesstrafe werden laut, es wird offen mit Mord gedroht und dabei nicht ohne Stolz auf historische Beispiele verwiesen: Was rechte Mörder mit Wissen, Duldung und sogar im Auftrag der deutschen Sozialdemokratie mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg machten, kann auch knapp hundert Jahre später nicht falsch gewesen sein. Das kann man auch wiederholen – oder zumindest damit kokettieren, daß man es wiederholen könnte… Und sich dabei feixend attestieren, man sei doch bloß politisch inkorrekt.
So wie der Antisemitismus keiner Juden bedarf, sondern mit beliebigen Projektionsflächen vorliebnimmt, kommt der Antikommunismus ohne Kommunisten aus. Das Bedürfnis nach Raserei entzündet und befriedigt sich an sich selbst. Hat in einem Land, in dem Bankiers mit staatlicher Unterstützung die Bevölkerung ausplündern, etwa jemand das Wort Verstaatlichung benutzt? Hat angesichts einer Lebensmittelindustrie, die mit Hilfe geltender Gesetze Menschen an Leib und Leben gefährdet, jemand laut über Kontrolle nachgedacht? Hat jemand daran erinnert, daß man die Spielregeln und die Geschäftsordnung ändern muß, wenn man etwas ändern will? War also jemand logisch? Das müssen nach landesüblicher, systemimmanenter Auffassung dann wohl Kommunisten gewesen sein.
Die Linkspartei ist eine sozialdemokratische Partei, die in Teilen noch nicht ganz so heruntergekommen ist wie die SPD. Wo sie aber – wie in Berlin – mitregiert, zeigt sie ähnlich asoziale Züge wie ihre ältere Schwester. Daß es in der Linkspartei auch eine Handvoll Köpfe gibt, die weiter denken können als von zwölf bis Mittag und deren Träger sich etwas anderes vorstellen können als die Freuden der Korruptheit und des Mitmischens, bringt die Linkspartei in Verruf bei den Phantomdemokraten, die in Deutschland bilden, was man »das demokratische Spektrum« nennt und das die Bandbreite vom begeisterten Abnicker bis zum kritischen Mitläufer umfaßt.
Es ist so absurd, wie es Gesetz ist: Wer von Veränderung nicht nur reden, sondern sie politisch herbeiführen will, gilt in Deutschland als politikunfähig. Über Veränderung der Verhältnisse darf nur sprechen, wer bewiesen hat, daß er tätig mithilft, sie zu zementieren. Man muß kein Kommunsist sein, um unter Kommunismusverdacht gestellt zu werden; es genügt, nicht auf das zu schwören, was als »freiheitlich-demokratische Grundordnung« durch die zwar leeren, aber stets blank geputzten Köpfe der politischen Hausmeisterklasse geistert.
Wer Gedichte von Peter Hacks liebt und das auch öffentlich unter Beweis stellt, hat, ehe er sich’s versieht, einen Stalinismus-Vorwurf am Hals von Leuten, die weder historisch noch literarisch im mindesten gebildet sind. Antikommunismus bedarf nicht der geringsten Voraussetzung, Antikommunismus genügt sich selbst. Bis 1989 war ein gegeifertes »Geh doch nach drüben!« der zwangsrepitative rhetorische Höhepunkt des Antikommunismus; allein um diese kopfmäßige Bankrotterklärung wieder erleben zu können, sollte es die DDR noch einmal geben.
Daß die Bewegung 2. Juni, in der große Volksaufklärer wie Fritz Teufel tätig waren, den legal kriminellen Führungskräften des Landes etwas Muffensausen eingab, war nützlich und gut und sorgte für eine immerhin minimale Zivilisierung dieses sich als Elite mißverstehenden Personenkreises aus Politik, Wirtschaft, Militär, Religion und Medien. Wenn auf einem Podium der Rosa-Luxemburg-Konferenz eine Handvoll Frauen darüber debattiert, wie menschenwürdige Lebens-, Arbeits- und Gesellschaftsverhältnisse aussehen könnten und wie sie möglicherweise herbeizuführen wären, verspricht das vielleicht nicht viel, aber doch immerhin Substantielles – also nicht den medienopportunen Simulations- und Selbstdarstellungsquark, der sich turnusmäßig aus beispielsweise Claudia Roth oder Alice Schwarzer herauswürgt.
Und wenn es nur des Schäferkötergeknurres wegen wäre, das Spiegel online, Bild, Junge Freiheit et cetera absondern und bei ihrer Kundschaft anstacheln, die Ankündigung einer Diskussion zwischen Gesine Lötzsch und Inge Viett über Strategien und Wege des Kommunismus hätte sich schon gelohnt.
Veranstaltungshinweis: jW-Autor Wiglaf Droste liest am Samstag, 8.Januar, ab 20 Uhr, in Bremen/Lagerhalle aus seinem soeben erschienenen neuen Buch »Auf sie mit Idyll« (Edition Tiamat 2010) und aus neuen Texten. Zum 50. Todestag von Dashiell Hammett am 10. Januar stellt Wiglaf Droste den Großmeister des hartgekochten Kriminalromans vor und liest aus dessen Klassikern »Das große Umlegen« und »Der Malteser Falke«: Sonntag, 9. Januar, in Leipzig, Schaubühne Lindenfels (18 Uhr), Montag, 10.Januar, Berlin, Eiszeit-Kino (20Uhr)
Quelle: www.jungewelt.de vom 08.01.11
Die Vokabel »Kommunismus« in einem jW-Artikel hat in den letzten Tagen einen medialen und politischen Krawall ausgelöst. Erstaunlich ist das nicht, Antikommunismus ist Staatsreligion der Bundesrepublik. Sie bestimmte die geistige Verfassung einer postfaschistischen Gesellschaft, in der der Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus tabu ist.
Bemerkenswert ist die Vehemenz, mit der ein Aufsatz, in dem im wesentlichen bekannte Positionen der Linkspartei geäußert wurden, bedacht wurde. Charakteristisch erscheint, daß Junge Freiheit und Spiegel bei der Inszenierung in einer Reihe standen. Die neue mediale Harzburger Front, seinerzeit ein Bündnis von Konservativen, Geldsack, Reichswehr und Faschisten, das der Vorbereitung der Machtübergabe an Hitler diente, steht, wenn nötig. Das Debattenniveau wird dadurch bezeichnet, daß »der« Kommunismus in einem Atemzug für mausetot erklärt und von den Schreibtischhelden der Lumpenbourgeoisie zum millionsten Mal siegreich niedergekämpft wird. Irgend etwas klappt nicht mit dem Kommunismus-Totsagen, dem die Prätorianergarde des deutschen Kapitals seinerzeit zuerst das Totschlagen von Kommunisten und Sozialdemokraten folgen ließ, bevor sie sich an die Verheerung Europas machte. Bei der Kommunistenverfolgung blieb es nach 1945 in alter und neuer Bundesrepublik. Mit Judenmördern und Kriegsverbrechern hatten deren Behörden nie Probleme bzw. nur eines: für eine auskömmliche Versorgung und Befreiung von juristischer Verfolgung zu sorgen.
Es genügt, das zeigen die letzten Tage, ein Kratzen an der Oberfläche dieses Landes, um Reflexe hervorzurufen, die im Vergleich zu anderen, nicht minder auf Kapitalismus gegründeten Gesellschaften Westeuropas etwas Atavistisches haben – vor jeder Zivilisation. Die Bundesrepublik steht mit KPD- und Berufsverbot, mit Anwendung eines terroristische Züge tragenden »Rechts« bei Abwicklung der DDR in Westeuropa einzigartig da. Das setzt sich fort. Als die Berliner Volksbühne im Sommer 2010 einen »Kommunismuskongreß« veranstaltete, reagierte das Bürgerfeuilleton übermäßig angesäuert. Die Veranstalter eines Musikfestes, die jüngst mitteilten, ihr alljährlicher »Ferienkommunismus« in Mecklenburg-Vorpommern sei ausverkauft, ernteten eine offizielle FAZ-Nörgelei.
Die Herrschaften, die sich derzeit lautstark regen, haben keinerlei Problem damit, ein anderes K-Wort, Krieg nämlich, positiv zu besetzen. Aber: Sie müssen über ihre Versuche, so Gewöhnung an Krieg in der Bundesrepublik zu etablieren, Fehlermeldungen abliefern. Dieser Staat wurde, so Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, gegründet, weil man eine Armee brauchte, Krieg ist ihm inhärent. Wer Wiederbewaffnung, Hochrüstung und seit 1990 deutsche Kriegseinsätze bekämpft, stellt diese Gesellschaft in Frage. Der Lärm um »Kommunismus« verdeckt deren Legitimationskrise.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi hält die Forderung der CSU nach einem Verbot seiner Partei für „Schwachsinn“. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Kommunismus, linke Flügelkämpfer und das Verhältnis zu SPD und Grünen.
Herr Gysi, sind Sie auch auf dem Weg zum Kommunismus?
Unter Kommunismus kann man Verschiedenes verstehen. Stalin, Mao und die Mauer etwa. Oder das, was Marx meinte: eine Gesellschaft ohne Klassenunterschiede, in der Eigentum sozial gerecht verteilt ist und alle weniger arbeiten müssen, die Vision einer in jeder Hinsicht gerechten menschlichen Gesellschaft. Das Problem ist: Ich kann nicht voraussetzen, dass die Leute den Begriff in letzterem Sinne verstehen. Und weil ich das weder voraussetzen noch organisieren kann, darf ich ihn nicht verwenden. Seit 1989 sage ich: Wir können mit dem Begriff Kommunismus unsere Ziele nicht erklären.
Ihre Parteivorsitzende Gesine Lötzsch denkt nur den „guten Kommunismus“?
Wenn ich mich zum Kommunismus äußere, muss ich mich auch zu dessen Geschichte äußern – und damit auch zu Verbrechen in seinem Namen. Aber auch wenn mal etwas verunglückt: Man muss Gesine Lötzsch nicht etwas unterstellen, was sie niemals wollte und niemals will.
Lötzsch und die Linkspartei wollen den Kommunismus nicht einführen?
Ich verspreche Ihnen: Weder in unserer politischen Praxis noch in unserem Programm wird der Begriff des Kommunismus auftauchen. Am Charakter unserer Partei hat sich nichts geändert. Wir sind keine kommunistische Partei, und wir werden auch keine sein.
Ist das jetzt ein Machtwort?
(lacht) Verstehen Sie es, wie Sie wollen.
Ihrem politischen Gegner haben Sie eine politische Steilvorlage geliefert. Die Generalsekretäre der Union sagen, die Linke zeige nun ihr wahres Gesicht.
Die Generalsekretäre sollen mich mal zufrieden lassen. Wenn ich mir die Geschichte der Union nach 1945 ansehe, erlebe ich im Umgang mit uns nur Verlogenheit. Ich werde ihnen nicht vergessen, dass sie Lothar Bisky nicht zum Bundestagsvizepräsidenten gewählt haben, weil er er mal in der SED war. Aber das frühere NSDAP-Mitglied Kurt Kiesinger zum Kanzler zu wählen: Da hatten sie keine Skrupel.
Die CSU fordert nun die lückenlose Überwachung und sogar ein Verbot der Linkspartei.
Das ist natürlich Schwachsinn. Wer in seinen Reaktionen so überzieht, erzeugt eher gegenteilige Stimmung. Gesine Lötzsch will wie wir alle einen demokratischen Sozialismus.
Warum sagt sie das dann nicht?
Doch sagt sie es, trotz vorheriger missverständlicher Formulierungen.
Auch das Umfeld des Textes ist bemerkenswert – eine linksradikale Zeitung, ein Kongress, bei dem Lötzsch mit der DKP-Vorsitzenden und einer früheren Terroristin diskutiert, diedem bewaffneten Kampf nicht abgeschworen hat. Ist das das neue Forum der Linkspartei?
Man kann mit vielen Leuten diskutieren. Dennoch wäre ich in diesem Fall vorsichtiger gewesen.
Liefert die Linke so nicht selbst die Argumente für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz?
Keiner muss für den haften, der neben ihm sitzt. Wichtig ist aber, dass man bei seinen eigenen Positionen bleibt.
Herr Gysi, werden Sie der linken Flügelkämpfer nicht Herr?
Ich bin ja nicht Gott. Wir müssen jedoch unsere personelle Wichtigtuerei überwinden.
Auch Ihre eigenen Mitglieder sind frustriert über die Parteiführung. Gegen Klaus Ernst revoltieren die Verbände im Osten.
Das stimmt nicht. Unser Problem ist die programmatische Angst. Statt sich inhaltlich zu streiten, führt man Personaldebatten. Es ist eben nicht glücklich, ausgerechnet in einem Jahr mit sieben Landtagswahlen die Programmdebatte zu führen. Das stört den Wahlkampf etwas.
Stören auch Leute wie Dietmar Bartsch oder Bodo Ramelow, die sich schon immer für die besseren Parteivorsitzenden gehalten haben?
Überhaupt nicht. Jeder darf sich für gut halten, kann von mir aus sogar denken, dass er Kaiser von China werden kann. Jetzt haben wir zwei Vorsitzende, sie sind bis 2012 gewählt, und das haben alle zu respektieren.
Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann beklagt, die beiden Parteichefs würden in die Bundestagsfraktion „hineinregieren“. Was ist da dran?
Die Vorsitzenden haben eine neue Zuständigkeit – für 16 Landesverbände, über 300 Kreisverbände.
Vorgezogene Neuwahlen der Führung gibt es nicht?
Ach, Quark. Für den Programmparteitag im Oktober müsste dann ja eine neue Tagesordnung beschlossen werden, es müsste Rücktritte geben. Gewählt wird 2012.
In der Parteienlandschaft spielt die Linke eine Sonderrolle. Eben erst wurden Sie an den Gesprächen des Vermittlungsausschusses zu Hartz IV nur beteiligt, nachdem sie in Karlsruhe geklagt haben.
Ein unverschämter Ausgrenzungsversuch war das.
An ihrer Partei liegt es gar nicht?
Die Ausgrenzung liegt nie an denjenigen, die ausgegrenzt werden. Mich kotzt an, dass SPD und Grüne das immer mitmachen.
Das Verhältnis zu SPD und Grünen ist im Bund verkorkst. Kann sich daran bald etwas ändern?
Beide Parteien sind uns gegenüber grundlos arrogant und viel zu unionshörig. Die SPD eiert bei allen ihren Themen herum, und geht jetzt irrtümlich davon aus, dass sie uns 2013 nicht braucht. Ich kann aber nicht einen möglichen Partner vier Jahre lang zurückweisen und nach der Bundestagswahl sagen, es war alles nicht so gemeint. Wichtige Initiativen im Bundestag könnten künftig auch gemeinsam getragen werden. Katastrophal aber wäre es, wenn wir uns anbiederten. Das einzige, was die SPD und auch die Grünen überzeugt, ist Stärke. Wenn wir bei den Wahlen zulegen, merken sie, dass sie an uns nicht vorbeikommen.
Die Wahlen im März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden für die Linke besonders schwierig. Könnte ein Scheitern an der Fünfprozenthürde ein heilsames Signal an die radikalen Kräfte im Westen der Partei sein?
Wir werden nicht Scheitern, aber selbst wenn glaubte ich nicht an heilsame Signale. Bei einem Scheitern würde jeder immer dem anderen Teil der Partei die Schuld gegeben. Dass jemand eine Niederlage erleidet und dann selbstkritisch wird, kommt äußerst selten vor.
Das Gespräch führten Matthias Meisner und Rainer Woratschka.
Quelle: „Der Tagesspiegel“ vom 07.01.11
Täglich hören wir von sozialen Auseinandersetzungen in Betrieben
und im Stadtteil aber auch an Schulen und Unis. Dort wo wir leben,
nehmen wir an ihnen teil. Auch wenn sich diese Kämpfe zunächst
nur gegen persönlich erfahrene Ausbeutung, Ausgrenzung und
Unterdrückung richten, sie gewinnen an Breite und es wächst darin
die Erkenntnis, dass Produktion, Verteilung und Reproduktion
anders als nach kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten organisiert
werden könnten. Damit setzt sich nach 20 Jahren des Scheiterns
der realsozialistischen Staaten der Kommunismus wieder auf die
Tagesordnung.
In vielen Teilkämpfen entwickelt sich derzeit der Wunsch nach
Vernetzung. Es entstehen Bündnisse. Sie reichen von der
Einpunkt-Aktion bis zu bundesweiten Kampagnen. Nun kommt es
darauf an, anstelle pragmatischer Bündnisse eine dauerhafte
Vernetzung für das Ziel der Aufhebung der kapitalistischen
Produktionsweise schaffen.
Wie müsste HEUTE so eine revolutionäre Organisation aussehen?
In welchem Verhältnis stünde sie zum Proletariat? Entsteht sie in
den Kämpfen der Klasse? Was wären ihre programmatischen
Grundlagen? Wie wären die Tageskämpfe mit dem Kampf für eine
menschwürdige Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu
verbinden? Welche Strukturen müsste diese Organisation haben?
Was gäbe es aus den Fehlern und Niederlagen der Vergangenheit
zu lernen? Was sollte sich nicht wiederholen? Was hieße HEUTE
Reform und was Revolution. Hieße die Antwort nach wie vor:
Diktatur des Proletariats?
Freitag, den 21. 1. 2011 – 19.30 Uhr Mehringhof, 10961 Berlin
Gneisenaustraße 2, Veranstaltungsetage
Braucht eine sozialemanzipatorische Bewegung eine Partei?
Eröffnungsveranstaltung
Inputreferat Harry Waibel
Notwendige Lehren aus dem Scheitern des Marxismus-Leninismus
für den Klassenkampf heute.
Es diskutieren mit Harry Waibel:
Anne Seeck, Peter Djordjevic, Peter Nowak, Robert Schlosser und
Bernard Schmid
Der Marxismus-Leninismus ist historisch und politisch gescheitert.
Da aber eine proletarische Organisierung unumgänglich ist,
müssen die marxistisch-leninistische Ideologie und ihr
Parteikonzept, wie es von Lenin und Trotzki entwickelt und
durchgesetzt wurde, entschieden kritisiert werden. Ihr Konstrukt
vom „Demokratischen Zentralismus“ entspringt der militärischen
Auffassung einer vertikaler Organisierung, deren wesentliches
Merkmal die allmächtige Dominanz der an der Spitze der Pyramide
stehenden Führer ist. Im Sinne von Rosa Luxemburg kann die
Rolle der Kommunisten im Klassenkampf nicht die von Chefs über
ihre Angestellten oder von Offizieren über ihre Soldaten sein.
Vielmehr gilt heute mehr denn je, dass die proletarische
Organisierung eine horizontale Struktur hat. Schließlich wird mit
einer horizontalen Organisierung bereits heute der Keim für eine
Ausbeutungs- und Unterdrückungsfreie Gesellschaft gelegt.
Sonnabend, den 22. 1. 2011 Uhr Mehringhof Veranstaltungsetage
11-13 Uhr Bernard Schmid (Paris)
Klassenkämpfe und revolutionäre Organisierung in Frankreich
Seit Mai 2003 wechselten in Frankreich breit geführte
Klassenkämpfe in schneller Reihenfolge ab. Zuletzt nahmen im
Herbst 2010 an zehn „Aktionstagen“ der Gewerkschaften und der
sozialen Opposition rund acht Millionen Lohnabhängige teil. Mit
Ausnahme der Auseinandersetzung um den Kündigungsschutz im
Frühjahr 2006 liefen diese Kämpfe allerdings auf Niederlagen
hinaus. Das Bewusstsein dafür, dass die Gewerkschaftsführungen
in ihrer Mehrheit eher am Selbsterhalt ihrer Apparate denn an der
Durchsetzung von Klasseninteressen der Lohnabhängigen
interessiert sind, wuchs. Aber die alternative Organisationsansätze
blieben in allen zurückliegenden Kämpfen zu schwach. Die
Parteigründung NPA 2009 als „Partei der sozialen Kämpfe“
stagnierte. Wie analysieren wir diese Bewegungen, wo liegen ihre
Stärken, wo ihre Schwächen? Wie steht es um politische
Bewusstseinsformen der Lohnabhängigenklasse, wie um
Organisierungsversuche außerhalb der etablierten Apparate?
13-15 Uhr Uhr Peter Nowak (Berlin)
Von den sozialen Kämpfen zur revolutionären Organisierung
Der Verlauf der Sozialproteste in den vergangenen Monaten hat
einmal mehr das Fehlen einer kommunistische Organisierung
deutlich vor Augen geführt. In dem Workshop soll über die Gründe
diskutiert werden, warum eine solche Organisierung oft in
Ansätzen stehen bleibt? Liegt es nur an Fehlern der
unterschiedlichen linken Gruppen oder sind die veränderten
Arbeitsbedingungen im Postfordismus dafür verantwortlich, dass
klassische Organisierungsmodelle nicht mehr greifen? Dabei soll
nicht der Eindruck erweckt werden, dass früher alles besser war.
Es sollen auch über aktuelle Organisierungsansätze diskutiert
werden.
15-17 Uhr Uhr Anne Seeck (Berlin), und Peter Djordjevic
(Oldenburg)
Kämpfe im Stadtteil und Betrieb – ein Erfahrungsaustausch
In der Erwerbslosenbewegung tritt die Forderung „Weg mit Hartz
IV“ zunehmend in den Hintergrund. Ausgehend von einer Kritik an
dieser Entwicklung wollen KollegInnen aus der Stadtteilgruppe
Schillerkiez und der FAU Berlin, ihre Erfahrungen aus Stadtteil-
und Betriebskämpfen diskutieren. Sie werden den Schwerpunkt auf
die Frage legen, wie durch Selbstorganisation der Subjekte sich
basisdemokratische Strukturen bilden. Dabei geht es nicht um die
Organisierung von Bittstellerei sondern um Widerstand. Hierbei gilt
es zu untersuchen, wem die Forderungen nicht nur kurzfristig,
sondern auch langfristig nützen.
17-19 Uhr Uhr Robert Schlosser (Bochum)
Kommunismus und Klassenkampf
Die bisher gestarteten Versuche, Kommunismus zu realisieren,
sind allesamt mit verheerenden Folgen gescheitert. Zentrale
Voraussetzung waren von der objektiven Seite revolutionäre
Situationen und von der subjektiven Seite die mehr oder weniger
gelungene und vollendete „Bildung des Proletariats zu Klasse in
Gestalt von Parteien, Gewerkschaften und anderen Organisationen.
Heute ist in den Kernländern des entwickelten Kapitalismus diese
subjektive Voraussetzung für den Beginn einer sozialen Revolution
nicht einmal in Ansätzen verwirklicht, das Klassenbewusstsein der
alten Arbeiterbewegung weithin zerstört, die kommunistischen
Kräfte bedeutungslos und zersplittert. Dieser aktuelle Zustand von
subjektiver Ohnmacht ist auch Produkt einer durch das Kapital
bewirkten objektiven Veränderung in der Zusammensetzung der
Klasse der LohnarbeiterInnen. Sind wir am Ende oder stehen wir
vor einem neuen Anfang? Wie können KommunistInnen den
notwendigen Prozess der „Bildung des Proletariats zur Klasse“ als
Bedingung für eine soziale Revolution heute unterstützen und
voranbringen?
Quelle: 15 Jahre TREND onlinezeitung
http://www.trend.infopartisan.net
1. Eine kleine Kaste von Bonzen hätte das ganze Geld.
2. Die Züge wären überfüllt, schmutzig, unpünktlich oder fielen aus.
3. Es würde sinnloser Quatsch produziert, den kein Mensch braucht (Rasierapparate mit 5 Klingen, Bücher, für die man Strom braucht usw.).
4. Die Arbeiter wären die Angeschmierten und müssten das Maul halten.
5. Schon die Kinder würden erbarmungslos indoktriniert, und wer aus dem falschen Elternhaus käme, hätte keine Chance.
6. Die Umwelt wäre im Eimer.
7. Das Fernsehen wäre sterbenslangweilig und hauptsächlich dazu da, die Leute ruhigzustellen.
8. Die akademische Freiheit stünde bloß auf dem Papier, auf den Unis würde nur gepaukt und nicht studiert.
9. An die Spitze des Staates gelangten zuverlässig die Machtgierigen, Anpasser und Unfähigen.
10. In den Zeitungen stünden nur Lügen und Unsinn („So wird bei Hartz IV abgezockt“, „Bühne frei für die Superhandys“).
Quelle: http://www.spiegel.de/spam/0,1518,738171,00.html
Im Rahmen der diesjährigen von jW veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz diskutiert Linskpartei-Vorsitzende Gesine Lötzsch am 8.Januar ab 18 Uhr im Urania-Haus mit Katrin Dornheim (Betriebsratsvorsitzende bei der DB Station &Service AG), Inge Viett (radikale Linke), Bettina Jürgensen (Vorsitzende der DKP) und Claudia Spatz (Antifa Berlin) zum Thema »Wo bitte geht’s zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie– Wege aus dem Kapitalismus«. Informationen unter: www.rosa-luxemburg-konferenz.de
Thomas Edison soll gesagt haben: »Ich bin nicht gescheitert. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.« Was für ein großartiges Selbstbewußtsein! Wie viele Wege haben die Linken gefunden, die nicht funktionierten? Waren es 100 oder 1000? Es waren bestimmt nicht 10000! Das ist genau das Problem! Wir sind zu oft mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs. Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Viel zu lange stehen wir zusammen an Weggabelungen und streiten über den richtigen Weg, anstatt die verschiedensten Wege auszuprobieren. Zu lange laufen wir auf Wegen, obwohl wir ahnen oder gar wissen, daß sie nicht zum Ziel führen. Doch wir kehren nicht um, weil wir Angst vor denen haben, die immer noch diskutierend an der Weggabelung stehen und uns mit höhnischem Gelächter empfangen könnten. Wir müssen lernen, Sackgassen zu verlassen und sie nicht ambitioniert als Wege zum Kommunismus zu preisen.
Fortschreitende Machteroberung
Egal, welcher Pfad zum Kommunismus führt, alle sind sich einig, daß es ein sehr langer und steiniger sein wird. Warum eigentlich? Angenommen, der Euro geht als Währung in den nächsten zwei Jahren unter, die Europäische Union zerbricht, die USA kommen nicht aus der Wirtschaftskrise und fallen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in die Hände von radikal-fundamentalistischen Christen. Das Klima verändert sich dramatisch, der Golfstrom kühlt ab, die Flüchtlingsströme überrennen die »Festung Europa«, und wir werden gefragt, ob wir für diesen verworrenen Problemhaufen eine Lösung haben. Wer behauptet, daß er für dieses Szenario eine Strategie in der Schublade hat, der ist ein Hochstapler. Was wir anbieten können sollten, ist eine Methode für den Umgang mit solchen Problemhaufen. Wir wissen gar nicht, ob die Mechanismen der Wohlstands- und Verteilungsdemokratie der Bundesrepublik geeignet sind, solche komplexen Aufgaben zu lösen und friedlich abzuarbeiten. Ich habe da meine Zweifel. Die Regierung verbreitet schon jetzt nur noch Kompetenzillusionen. Allerdings sehe ich auch die Linken noch nicht wirklich gut gerüstet, wenn es um die Bewältigung von Gesellschaftskrisen geht. Doch beim Schattenboxen sind wir in der Lage, unseren eigenen Freunden schwere Verletzungen zuzufügen. Manchmal – nicht immer – hilft ein Blick in die Geschichte, um sich selbst zu befragen: Wie hättest du unter den gegebenen Bedingungen reagiert? Sind wir heute eigentlich wirklich schlauer? Haben wir wirklich aus unseren Fehlern gelernt?
Die Novemberrevolution von 1918 wurde verraten und halbiert in den Absprachen zwischen Mehrheitssozialdemokratie und der kaiserlichen Armee, bevor sie überhaupt ihr ganzes Potential entfalten konnte. In jenen wenigen Wochen, den knappen drei Monaten zwischen Entlassung aus dem Gefängnis und Ermordung, hat Rosa Luxemburg all ihre Kraft und Leidenschaft, Erfahrung und Wissen in die Waagschale geworfen, um zu verhindern, daß sich das Fenster zu einer radikalen sozialen und demokratischen Umwälzung wieder völlig schloß. In dem Maße, wie klar wurde, daß ein sozialistisches Deutschland nicht unmittelbar durchsetzbar war, suchte sie nach Möglichkeiten, zumindest bestimmte Optionen linker Politik offenzuhalten. Gemeinsam mit Karl Liebknecht und der revolutionären Linken kämpfte sie gegen die unheilige Allianz der rechten sozialdemokratischen Führer mit den Stützen des Kaiserreichs, mit den Hauptschuldigen von Krieg und Völkermord. Und zugleich appellierte sie nahezu verzweifelt an jene, die sich dem Linksradikalismus – dieser »Kinderkrankheit des Kommunismus« (Lenin) – zuwandten, nicht die Chancen, die auch in der Defensive und der Niederlage noch gegeben waren, ungenutzt verstreichen zu lassen.
Luxemburg und Liebknecht forderten die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung und vor allem entwickelten sie in der programmatischen Erklärung »Was will der Spartakusbund« ein Sofortprogramm, das einen sechsstündigen Höchstarbeitstag genauso einschloß wie die Sozialisierung der Banken und der Großindustrie, Enteignung des Großgrundbesitzes und die Bildung von Genossenschaften, die Schaffung von Betriebsräten, die die Leitung der Betriebe übernehmen sollten. In ihrer Rede auf dem Gründungsparteitag der KPD zum Programm und zur politischen Situation, als schon klar war, daß an eine unmittelbare Machtübernahme nicht zu denken war, formulierte sie als Hauptweg sozialistischer Politik: »So soll die Machteroberung nicht eine einmalige, sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägeln verteidigen. Und der ökonomische Kampf, auch er soll nach meiner Auffassung und der Auffassung meiner nächsten Parteifreunde durch die Arbeiterräte geführt werden.«
Revolutionäre Realpolitik
Was hier durch Rosa Luxemburg in der konkreten Situation einer unvollendeten Revolution und der absehbaren Defensive formuliert wurde, ist eine Politik, die sie selbst »revolutionäre Realpolitik« nannte – ausgehend von den dringenden Nöten der Arbeiter und großer Teile der Bevölkerung soll an Lösungen gearbeitet werden, die deren Lage spürbar verbessern und zugleich zu einer strukturellen Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse führen. Es sollen Tagesfragen beantwortet und Kapitalismus und Militarismus zurückgedrängt werden mit dem Ziel, diese schließlich zu überwinden. Der Weg dahin sollte vor allem durch das eigene demokratische Handeln der Arbeiter, des Volkes geprägt sein, durch Lernprozesse in der praktischen Veränderung. Es sollte weniger eine Politik für die Arbeiter als durch sie sein. Für mich steht linke Politik insgesamt und die Politik der Partei Die Linke in dieser herausfordernden Tradition gesellschaftsverändernder, radikaler Realpolitik.
Ich weiß natürlich, daß eine solche radikale Realpolitik die Austragung von Widersprüchen und Konflikten einschließt, uns Veränderung und Selbstveränderung abverlangt. Das ist nicht einfach. Nicht ein Entweder-Oder von grundlegender Gesellschaftsentwicklung einerseits oder konkreten Reformschritten andererseits führt zum Erfolg. Die organische, lebendige Verknüpfung von eigenem Wirken der Bürgerinnen und Bürger, sozialen Bewegungen und Initiativen und dem Wirken linker Parteien in Parlamenten oder Regierungen, von Protest und Gestaltung, macht den Unterschied aus, auf den es ankommt.
Die Partei Die Linke ist entstanden aus dem Widerstand der damaligen PDS gegen einen marktradikalen Weg der Vereinigung, den Jugoslawien-Krieg der NATO und die Hartz-IV-Reformen, gegen die sich vor allem in den neuen Bundesländern eine Welle von Montagsdemonstrationen erhob. Und sie ging hervor aus dem Bruch vieler linker Gewerkschafter, linker akademischer Kräfte mit der Regierung von SPD und Grünen, der zur Gründung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) führte. Gemeinsam haben wir bei den Wahlen 2005 die soziale Frage und die Friedensfrage wieder in das Zentrum der Politik gerückt und 2009 parlamentarisch gestärkt als neue Partei konkrete Antworten auf die Krise des Finanzmarktkapitalismus formuliert.
Die Partei Die Linke war die einzige, die gemeinsam mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen von links die Eigentumsfrage gestellt hat. Während erst die CDU/CSU und SPD-Regierung und dann die schwarz-gelbe Regierung den Staat nur genutzt haben, um das Vermögen einer kleinen Minderheit zu vermehren, haben wir ein konkretes Programm für einen ganz neuen Finanzsektor vorgelegt. In dessen Zentrum stehen öffentliche Banken und Versicherungen, die nicht der Spekulation und Kapitalakkumulation, sondern realer Investition, sicheren Spareinlagen und langfristiger sozialer Sicherheit verpflichtet sind. Wir haben die Umwandlung aller staatlichen Finanzhilfen für die private Wirtschaft in Anteile der öffentlichen Hand bzw. der Belegschaften an diesen Unternehmen gefordert, um so die öffentlichen und Belegschaftsinteressen »hineinzupressen« in das bürgerliche Eigentum. Wir haben Überlegungen der Gewerkschaften aufgegriffen und eigene Vorstellungen entwickelt, wie in der Krise durch ein umfassendes Investitionsprogramm der anstehende sozialökologische Umbau eingeleitet werden kann. Gesellschaftliche Investitionsplanung gehört für uns dazu.
Wir wollen einerseits die sozialen Probleme lösen, indem wir die ökologischen Fragen angehen. Dazu gehören der Übergang zu einer dezentralen Energieproduktion und -versorgung, weitgehende Verlagerung der Transporte auf die Schiene und Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs bis hin zu entgeltfreien Angeboten. Wir wollen eine schnelle energetische Sanierung des Wohnungs- und Gebäudebestandes, um in den nächsten Jahrzehnten weitgehend CO2-neutrale Städte zu schaffen. Und wir wollen andererseits die ökologischen Fragen lösen, indem wir die sozialen Fragen angehen: Gute Arbeit und gutes Leben stehen dabei im Mittelpunkt, Mindestlöhne, soziale Sicherheit, Ausbau qualifizierter Dienstleistungen gerade auch im öffentlichen Bereich (Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur) – den wichtigsten Beschäftigungsmotoren der Zukunft und die Basis einer modernen Volkswirtschaft. Dazu müssen wir es erreichen, daß Umverteilung von oben nach unten und von privaten zu öffentlichen Haushalten mit diesem sozialökologischen Umbau verbunden wird und umgekehrt. Auf dieser Basis wird auch eine wirkliche Friedens- und solidarische Entwicklungspolitik möglich.
Für einen Richtungswechsel
Noch ist es uns nicht gelungen, diese Forderungen in reale Bundespolitik zu überführen. Noch immer dominieren die Interessen der Großkonzerne und der Superreichen. Aber ein Weiter-So-Wie-Bisher und die Vorherrschaft der Interessen weniger haben Konsequenzen. Eine neue und tiefere Finanz- und Wirtschaftskrise zeichnet sich jetzt schon ab. Die Europäische Union droht, an den ungelösten Widersprüchen und einem antisozialen Kurs zu zerbrechen. Der weltweite Hunger hat dramatisch zugenommen, die Erderwärmung beschleunigt sich immer weiter.
Auf der Ebene der Länder hat die Partei Die Linke angesichts dauerhafter Massenarbeitslosigkeit insbesondere in den strukturschwachen neuen Bundesländern schon seit langem das Projekt eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) entwickelt. Dieser Vorschlag verbindet zwei oft kontrovers diskutierte Ansätze – die Forderung nach einem Grundeinkommen und die nach der Einlösung des Rechts auf Erwerbsarbeit. Er zielt erstens darauf, soziale Sicherheit und die Möglichkeit einer hohen Selbstbestimmung zu vereinen. Wie viele Projekte im kulturellen und sozialen Bereich oder auch bei der Entwicklung von neuen Softwareangeboten beweisen, wählen junge und gebildete Menschen oft Tätigkeitsfelder, wo sie sehr eigenständig, solidarisch und in Formen der Selbstverwaltung mit anderen zusammenarbeiten. Nicht selten entstehen neue Vereine oder auch Genossenschaften. Damit wird zugleich zweitens ein breites gesellschaftliches Bedürfnis nach Leistungen befriedigt, die so einfach weder privat noch staatlich bereitgestellt werden können. Und drittens finden viele Menschen ohne einen solchen Sektor keinen Weg zu einem würdigen Leben. Heute gibt es in Berlin und Brandenburg, Ländern, in denen unsere Partei mitregiert, Tausende Stellen in diesem Bereich. Gerade weil viele überkommene Formen sozialer Integration so schwach sind, brauchen wir einen solidarischen Sektor, wo das Dasein für andere und die eigene Selbstverwirklichung besonders eng verbunden sind und zugleich Hilfe geleistet wird für jene, die nur schwer in den ersten Arbeitsmarkt finden. Gerade jetzt sind wir damit konfrontiert, daß die Bundesregierung durch neue restriktive Regeln diese weitreichenden Ansätze wieder zerstören will. Auch dies ist ein Grund, für einen Richtungswechsel der Bundespolitik zu kämpfen.
Im Zentrum unserer Politik steht auch weiterhin die Friedensfrage. Gerade wird die Bundeswehr endgültig aus einer Verteidigungsarmee auf der Basis der Wehrpflicht in eine Berufsarmee mit globaler Interventionsfähigkeit ausgebaut. Dies ordnet sich in die Veränderungen von NATO und europäischer Sicherheitspolitik ein. Die alte Kanonenbootpolitik, mit der sich schon Luxemburg und Liebknecht auseinandergesetzt haben, ist zurückgekehrt. Weil wir eine solche Politik ablehnen, wird der Linken immer wieder vorgeworfen, sie entziehe sich der Verantwortung. Ich sehe es genau umgekehrt: Die wichtigsten Probleme der Gegenwart lassen sich nicht mit militärischen Mitteln lösen. Deshalb wollen wir, daß die Bundesrepublik sich vor allem auf zivile Ansätze zur Konfliktlösung konzentriert und starke regionale Systeme von gemeinsamer Sicherheit und Entwicklung geschaffen werden.
»Neuland. Tausend Probleme«
Liest man die Schriften und Reden von Rosa Luxemburg aus den hektischen Monaten der Novemberrevolution, in denen es galt, möglichst wirksam sozialistisch einzugreifen, dann wird deutlich: Sie hatte keinen Masterplan und auch keine einfachen Antworten. Sie war auf der Suche, im Dialog mit anderen, zugleich außerordentlich ungeduldig und mahnend, sich nicht hinreißen zu lassen zu Terror und Sektierertum und doch entschieden zu wirken. Sozialismus war für sie kein fertiges Ideal, kein genial entworfener Bauplan, sondern etwas, das aus den realen Kämpfen wachsen würde. Sie schrieb in ihrer Auseinandersetzung mit Lenin und Trotzki: »Das Negative, den Abbau, kann man dekretieren, den Aufbau, das Positive, nicht. Neuland. Tausend Probleme. Nur Erfahrung [ist] imstande, zu korrigieren und neue Wege zu eröffnen. Nur ungehemmtes, schäumendes Leben verfällt auf tausend neue Formen…«
Wie kaum eine andere Sozialistin ihrer Zeit hat Rosa Luxemburg zwei Ziele miteinander zu vereinen versucht – erstens das Ziel der Herstellung der gemeinsamen Kontrolle der Arbeiter, des Volkes, über die gemeinsamen Bedingungen der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums, und zweitens das Ziel größtmöglicher Freiheit, Öffentlichkeit und Demokratie. Die zukünftige Gesellschaft war für sie wie die belebte Natur: die ungeheure Vielfalt und Selbstorganisation, die sie dort bei ihren Studien und Ausflügen immer wieder beobachtete. Die Menschen waren ihr niemals Schräubchen im Getriebe einer neuen perfekten Welt. Sie hatte Ehrfurcht vor dem Leben in seiner Besonderheit. Der »wahre Odem des Sozialismus« war für sie die Einheit von »rücksichtslosester revolutionärer Tatkraft und weitherzigster Menschlichkeit«.
Wenn Kommunismus das Gemeinschaftliche betont und der Liberalismus den einzelnen, dann wollte Rosa Luxemburg beides zugleich – höchstmögliche Gemeinschaftlichkeit bei der Kontrolle darüber, daß Eigentum und Macht im Interesse aller gebraucht werden, und größtmögliche Freiheit individueller Entfaltung, radikaler Kritik und Öffentlichkeit. Eine Gesellschaft ohne Freiheit wäre für sie nur ein neues Gefängnis gewesen, so wie ihr eine Gesellschaft ohne Gleichheit immer nur eine Ausbeutergesellschaft war. Sie forderte die Herrschaft des Volkes über Wirtschaft und Gesellschaft genauso ein wie die Freiheit des Andersdenkenden. Sie war radikale demokratische Sozialistin und konsequente sozialistische Demokratin. Deswegen konnte der sowjetische Parteikommunismus sich am Ende genausowenig mit ihr versöhnen wie der bürgerliche Liberalismus. Beide wurden durch sie provoziert und lehnten sie letztlich ab. Und genau deswegen ist sie für die Partei Die Linke eine der wichtigsten Bezugspersonen in der Geschichte der Arbeiterbewegung.
Freiheit und Sozialismus
Das zwanzigste Jahrhundert war durch Perioden der Entfesselung des Kapitalismus und seines Übergangs in offene Barbarei und durch Perioden seiner Zähmung und des Entstehens von – letztlich noch einmal scheiternden – Gegenentwürfen gekennzeichnet. Gerade jetzt vollendet sich die Ausdehnung des Kapitalismus. Er stößt damit an die Grenzen der irdischen Natur. Die Ressourcenökonomie muß über die Kapitalakkumulation siegen, wenn es nicht zur ökologischen Katastrophe kommen soll. Genauso müssen aber auch die sozialen Rechte von bald sieben bis acht Milliarden Menschen dominieren über die Verwertungsinteressen transnationaler Konzerne. Einer Welt, die privilegierte Zentren herausbildet, sich in Festungen einmauert und globale Unsicherheit verursacht, werden wir nur entkommen, wenn sich Zusammenarbeit und gemeinsame Entwicklung durchsetzen. Dafür sind im Entwurf des Parteiprogramms der Partei Die Linke viele Vorschläge erarbeitet worden. Weitere sind in der Diskussion. Es sind viele Bausteine, mit denen wir darum kämpfen, in der heutigen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft über sie hinaus zu wirken, die Profitdominanz über Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden, die Ansätze einer neuen Gesellschaft »hineinzupressen« in die alte, bis sich beweist, daß dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört.
* Gesine Lötzsch ist Mitglied des Bundestags und seit Mai 2010 eine der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke
Quelle: www.jungewelt.de vom 03.01.11
Björn Schmidt ist Vorsitzender der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.
Gemeinsam mit anderen Jugendverbänden veranstaltet die SDAJ auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin eine Diskussionsrunde zum Thema »Bildung und Ausbildung im Abschwung?«. Warum ist eine solche Debatte notwendig?
Es gibt einen krassen Gegensatz zwischen den regierungsoffiziellen Bekanntmachungen und der tatsächlichen Lage arbeitender und lernender Jugendlicher in Deutschland. Allerorten wird zwar das Ende der Krise gefeiert – die Lebenssituation von Schülern, Auszubildenden und Studierenden ist aber dramatischer denn je. Das zeigt sich an Budgetkürzungen für Schulen und Hochschulen, an steigenden Bildungskosten für die Lernenden sowie an fehlenden Ausbildungsplätzen und Vollzeitjobs. Der vermeintliche Aufschwung kommt bei den Jugendlichen nicht an. Gleichzeitig spannen die Regierenden weiter milliardenschwere Rettungsschirme für die Finanzbranche auf.
Und worüber soll auf der Konferenz im einzelnen debattiert werden?
Teilnehmen werden je ein Vertreter der IG-Metall-Jugend, der Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen, des Studentenverbands SDS und der SDAJ. Wir wollen darstellen, welche konkrete Form die Angriffe auf Schüler, Azubis und Studenten annehmen. Wir wollen auch Rückschau halten, beispielsweise auf den Bildungsstreik im vergangenen Jahr, um Anknüpfungspunkte für zukünftige Aktionen zu finden. Es geht darum, Widerstand gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf die Jugendlichen zu entwickeln.
Welches konkrete Ergebnis streben Sie mit der Diskussionsrunde an?
Ausgehend von den Auseinandersetzungen, die junge Gewerkschafter und die lernende Jugend führen, wollen wir Forderungen herausarbeiten, die allen Jugendlichen – nicht zuletzt auch den Arbeitslosen – gemeinsam sind. Es gilt also, die Kräfte im Kampf für Bildung und Ausbildung zu vereinen.
An welcher Stelle kann man solche übergreifenden Forderungen formulieren?
Seit Jahrzehnten setzt sich die Arbeiterjugend für ein Ausbildungsgesetz ein.
Wer nicht ausbildet, soll zahlen – und zwar deftig. Damit vertreten wir auch Schülerinteressen. Schließlich wollen viele nach ihrem Schulabschluß eine Lehre beginnen. Auch die konsequente Übernahme von Azubis in Vollzeitarbeitsverhältnisse ist überaus wichtig.
Bislang werden diese nach der Ausbildung meist erwerbslos und haben keine Chance auf ein geregeltes Arbeitsleben. Das gilt im gleichen Maß auch für die meisten Schüler.
Was tut die SDAJ, um gegen die Misere zu anzugehen?
Wir starten gerade eine Kampagne unter dem Motto »strike back«. Darunter verstehen wir Aktionen unserer Ortsgruppen gegen die Krisenprofiteure. Die Großkonzerne erhielten gestern noch staatliche Hilfen und sparen heute weiter an Ausbildungsvergütungen. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) liegen die Azubi-Gehälter im zweiten Lehrjahr durchschnittlich immer noch deutlich unter 500 Euro.
Allein wird die SDAJ nicht genug Druck erzeugen können. Wie will sie Massenwirkung erreichen?
Der Bildungsstreik hat gezeigt, daß spontane Proteste wichtig für die Mobilisierung sind. Wir müssen uns aber langfristig in allen Interessenvertretungen verankern, um noch näher an die Jugendlichen heranzukommen.
Am Samstag will die IG-Metall-Jugend ihre »Operation Übernahme« auswerten. Was ist Ihr persönlicher Eindruck von dieser Kampagne?
Bedeutsam ist, daß die Gewerkschaftsjugend betriebliche Aktionen organisiert hat. Nach ihren Angaben soll es insgesamt 250mal Proteste gegeben haben. Auch der offensive Charakter hat viel bewirkt. Mit der Forderung nach Übernahme wollte die IG-Metall-Jugend angreifen statt abwehren.
Erreicht hat die IGM-Jugend trotzdem nichts. Und der »heiße Herbst« war in der Tat nur »heiße Luft«. Warum kommt die Arbeiterbewegung nicht in Gang?
Auf mehreren Großdemonstrationen hat sich durchaus gezeigt, daß viel Unmut unter den Kollegen herrscht – beispielsweise gegen das sogenannte Sparpaket der Bundesregierung. Für eine kämpferischere Linie ist der Einfluß linker Kräfte in den Gewerkschaften aber zu schwach. Außerdem hat das Gerede vom Aufschwung in der BRD – im Gegensatz zur Krise im Rest der EU – geholfen, den Unmut zu kanalisieren.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.01.11