Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37000 Menschen verhungern jeden Tag, und fast eine Milliarde, darunter allein in Somalia, Kenia und Äthiopien schätzungsweise 2,23 Millionen Kinder, sind permanent schwer unterernährt. Das sind Zahlen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, FAO. Zur Linderung der akuten Not am Horn von Afrika hat die Organisation für den heutigen Mittwoch zu einer internationalen Geberkonferenz nach Nairobi eingeladen.
Somalia, Kenia, Dschibuti, Äthiopien und Uganda leiden unter der schwersten Dürrekatastrophe der vergangenen 60 Jahre. Millionen Menschen hungern dort, Zehntausende sind bereits gestorben, Hunderttausenden droht das gleiche Schicksal. Den Bedarf an Hilfsgeldern für die Menschen in Ostafrika hat die FAO auf 1,1 Milliarden Euro beziffert. Dabei geht es um Soforthilfe, also die schnelle Verteilung von Nahrungsmitteln und Trinkwasser, aber auch darum, langfristig weiteren Hungersnöten vorzubeugen.
Knapp ein Drittel der benötigten Summe, 348 Millionen Euro, will die Weltbank bereitstellen. Das wurde bereits am Montag auf einer FAO-Dringlichkeitssitzung in Rom mitgeteilt. Die Bundesregierung ließ dort verlauten, daß sie ihre Hilfen »verdoppeln« werde. Klingt gut, ist aber viel Lärm um (fast) nichts. Denn es handelte sich ursprünglich um 15, jetzt sind es lächerliche 30 Millionen Euro. Der famose Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) erklärte dazu, es gehe darum, »so viele Menschenleben wie möglich zu retten«. Nicht etwa alle. Warum nicht?
Antwort auf diese Frage bekommt man im Zusammenhang mit einer Veranstaltung, die heute, weitab von Somalia, in Österreich beginnt – die Salzburger Festspiele. Als Redner für die Eröffnung war ursprünglich der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, 77, früher UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, heute Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates, eingeladen worden. Doch dann bekam er eine Absage wegen seiner angeblichen Nähe zum libyschen Oberst Ghaddafi. Ziegler bezeichnete diese Begründung als »absurd«, Ghaddafi gehöre zu den »schlimmsten Diktatoren«. Den wahren Grund seiner Ausladung erklärte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom Montag so: »Die Salzburger Festspiele sind eine heilige Handlung, die aber sündhaft teuer ist. Als die Hauptsponsoren Nestlé, UBS und Credit Suisse hörten, daß ihre Großkunden 30 Minuten lang mir zuhören müßten, ohne aus dem Saal rennen zu können, war das für die eine Horrorvorstellung.«
Inzwischen hat Ziegler seine Salzburger Rede, die er heute nicht halten kann, publiziert. »Ein Kind, das heute verhungert, wird ermordet«, heißt es darin. Denn die Weltlandwirtschaft könnte zwölf Milliarden Menschen normal ernähren, das Doppelte der Weltbevölkerung. »Wir tun es aber nicht. Denn es wird gebraucht, um die Banken zu retten. (…) Seit der Finanzkrise haben die europäischen und amerikanischen Großbanken mehr als acht Billionen Euro erhalten. Im gleichen Zeitraum hat das World Food Programme die Hälfte seines Budgets verloren, es schrumpfte von sechs auf 2,8 Milliarden«, so Ziegler gegenüber der Süddeutschen.
Zu starker Tobak für Dirk Niebel und die Salzburger Schönen und Reichen. Letztere lassen sich nun heute abend lieber von einem Pfaffen und verhinderten Bundespräsidenten aus Güstrow namens Joachim Gauck mit Nullaussagen besäuseln.
Quelle: www.jungewelt.de vom 27.07.11
« Deutsche Trittbrettfahrer. Von Arnold Schölzel – Wehret den Anfängen. Während Norwegens Ministerpräsident als Antwort auf die Terroranschläge »mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität« fordert, trumpfen hierzulande Sicherheitsfanatiker auf. Von Wolfgang Lie »
Sorry, the comment form is closed at this time.
Massaker des Hungers
Nach seiner Ausladung als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele veröffentlichte Jean Ziegler, langjähriger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und derzeit Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats, seine Rede über die dramatische Lage der Hungernden in der Welt:
Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37000 Menschen verhungern jeden Tag, und fast eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe Weltfood-Report der FAO (Welternährungsorganisation), der alljährlich diese Opferzahlen gibt, sagt, daß die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase ihrer Entwicklung problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte.
Schlußfolgerung: Es gibt keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich geht. (…)
Ein Beispiel: die Tragödie, die sich gegenwärtig in Ostafrika abspielt. In den Savannen, Wüsten, Bergen von Äthiopien, Djibouti, Somalia und Tarkana (Nordkenia) sind zwölf Millionen Menschen auf der Flucht. Seit fünf Jahren gibt es keine genügende Ernte mehr. Der Boden ist hart wie Beton. Neben den trockenen Wasserlöchern liegen die verdursteten Zebu-Rinder, Ziegen, Esel und Kamele. Wer von den Frauen, Kindern, Männern noch Kraft hat, macht sich auf den Weg, in eines der vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und vertriebene Personen eingerichteten Lager.
Zum Beispiel nach Dadaad, auf kenianischem Boden. Dort drängen sich seit drei Monaten über 400000 Hungerflüchtlinge. (…) Platz im Lager gibt es schon lange nicht mehr. Das Tor im Stacheldrahtzaun ist geschlossen. Vor dem Tor machen die UNO-Beamten die Selektion: Nur noch ganz wenige – die eine Lebenschance haben – kommen herein.
Das Geld für die intravenöse therapeutische Sondernahrung – die ein Kleinkind, wenn es nicht zu sehr beschädigt ist, in zwölf Tagen zum Leben zurückbringt – fehlt. Das Geld fehlt. Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, verlangte am 1. Juli für diesen Monat einen Sonderbeitrag seiner Mitgliedstaaten von 180 Millionen Euro. Nur 62 Millionen kamen herein. Das normale WFP (World-Food-Programm)-Budget lag im Jahr 2008 bei sechs Milliarden Dollar. 2011 ist das reguläre Jahresbudget noch 2,8 Milliarden. Warum? Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien – viele tausend Milliarden Euros und Dollars ihren einheimischen Bankhalunken bezahlen mußten: zur Wiederbelegung des Interbanken-Kredits, zur Rettung der Spekulationsbanditen. Für die humanitäre Soforthilfe (und die reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld. (…)
Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis war genau die Hälfte im Jahr zuvor. Reis ist um 110 Prozent gestiegen. Mais um 63 Prozent. (…)
Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika sind von ihren Auslandsschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld. In Afrika südlich der Sahara sind bloß 3,8 Prozent des bebaubaren Bodens künstlich bewässert. In Wollo, Tigray, Shoa auf dem äthiopischen Hochland, in Nordkenia und Somalia noch weniger. Die Dürre tötet ungestört. Diesmal wird sie viele Zehntausende töten.
Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzernmogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung.
Quelle: http://www.jungewelt.de vom 27.07.11
Comment: Wolfgang Huste – 27. Juli 2011 @ 12:41