Freitag, 29. Juli, 18 Uhr.Vor dem Büro von „Pro Köln“ (Markmannsgasse – Heumarkt)
Dem Rechten Terror seinen ideologischen Nährboden entziehen!
Der Mörder von Norwegen kam nicht aus dem Nichts, sondern aus der Szene europäischer Multikulti-Hasser und Islamfeinde. Er war aktiv in verschiedenen islamfeindlichen Blogs und bis 2006 Mitglied und Funktionär der rechtspopulistischen “Fortschrittspartei”, die das norwegische ideologische Pendant zu den „Pro”-Gruppierungen und anderen rechtspopulistischen Politiker/innen und Medien in Deutschland darstellen.
Sie alle vereint die Hetze gegen den Islam und seine Anhänger und die Wahnvorstellung, dass Moslems das christliche Abendland „überrennen“ wollen. Ferner wenden sie sich gegen Homosexuelle, eine mulitkulturelle Gesellschaft und alles was in ihren Augen Links ist. Ihre Politik ist nationalistisch, ausländerfeindlich und ultra-konservativ, manchmal auch christlich fundamental.
Sie versuchen ein Klima der Angst zu schaffen und sie haben Erfolg damit. Im benachbarten europäischen Ausland erzielen die Rechtspopulisten Wahlerfolge und haben Regierungsstatus. Auch in Köln zogen sie mit tausenden Stimmen in den Stadtrat ein. Anders Behring Breivik Taten enststanden auf diesem rassitischen Nährboden. Nicht umsonst erwähnte der Attentäter in seinem Manifest den Anti-Islam-Kongress von “Pro Köln” 2008 und wetterte in denselben Tönen wie die Rechtspopulisten gegen die multikulturellen Akteure, die sich gegen diesen gestellt und erfolgreich verhindert hatten.
Es ist kein Wunder, dass die jahrelangen Anstachelungen rechtspopulistischer Gruppierungen solche gewalttätigen Exzesse hervorbringen. Wer Hass schürt, darf sich nicht wundern, wenn er für die gewalttätige Umsetzung der Ideologie verantwortlich gemacht wird. Breivik erschoss über 60 jugendlichen TeilnehmerInnen eines sozialistischen Jugendcamps, die er als Anhänger der “multikulturellen Idee” verachtete und tötete weiteren Menschen mit einer Bombe in der Innenstadt von Oslo.
In den letzten Jahren gab es ebenfalls im Umfeld der vermeintlichen Saubermänner von “Pro Köln” zahlreiche Gewalttäter. Z. B. Thomas Adolf, der “Killer von Overath”, der 1994 zusammen mit Rouhs und Beisicht für die Deutsche Liga kandidierte und 2003 einen Anwalt, dessen Frau und Tochter erschoss, oder Ulrich Klöries, ebenfalls Kandidat der Deutschen Liga, der 2006 seine Mitbewohnerin ermordete.
„Pro NRW“ – in Leverkusen geistige Urheber eines Brandanschlags?
In Leverkusen wurde in der Nacht auf den 25. Juli das Haus einer Roma-Familie angezündet. Nur knapp entkamen die 9 Familienmitglieder, unter denen sich auch 6 Kinder befanden, den Flammen. Die Polizei schließt einen rechtsradikalen Hintergrund der Tat nicht aus. Die Diskriminierungen von “Pro NRW” gegenüber Sinti und Roma erreichten am 25. September 2010 ihren Höhepunkt in einer Demonstration gegen die betroffenen Familie. In einer Stellungnahme verharmlosen sie auch jetzt den Anschlag auf die Familie, in dem sie einen “Mangel an Brandschutz” in der Wohnung vermuten. Wir wollen nicht zusehen und abwarten, wie die ständige rassistische Hetze von Neonazis oder Rechtspopulisten wie „Pro Köln“ weitere Terrorakte anstachelt und vielleicht auch bald in Köln Moscheen brennen oder politische GegnerInnen ermordet werden.
Gegen rassistischen Terror und seine ideologischen Hintermänner!
Antifaschistische Koordination Köln und Umland & Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.
Quelle: Kreisvereinigung Köln (VVN-BdA Köln)
Wie beim Pawlowschen Hund läuft bei deutschen »Sicherheitspolitikern« der Speichel zusammen, wenn irgendwo auf der Welt ein schrecklicher Terroranschlag geschehen ist. Reflexartig wird die Verschärfung oder Einführung von Überwachungsgesetzen gefordert. So nahm der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl, das norwegische Gewaltverbrechen zum Anlaß, die Wiedereinführung der vom Bundesverfassungsgericht im März vorigen Jahres kassierten Vorratsdatenspeicherung (wieder einmal) zu fordern.
Es ist der typische Reizreaktionsmechanismus autoritären Denkens, das Verbrechens»prävention« mit Überwachung oder vorbeugender Repression gleichsetzt. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen sicherheitshalber schon mal unter Generalverdacht gestellt werden, bevor man auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, worauf sich ein Verdacht begründen könnte, der Menschen zu derart scheußlichen Verbrechen motiviert und schließlich auch veranlaßt. Man wird Wahnsinnsverbrechen gewiß nie verhindern können, aber die viel naheliegendere Möglichkeit als die Totalüberwachung, um solche Schreckenstaten zu verhüten, ist, Lehren daraus zu ziehen. Man braucht einen klaren Blick für die Gefahren, die drohen könnten, um sie zu verhüten. Doch dieser klare Blick fehlt leider nicht nur bei den Sicherheitsfanatikern.
Abwiegelnde Brandstifter
Ja, Herr Broder, es wäre nach dem Terroranschlag in Norwegen anständig und notwendig gewesen innezuhalten und nachzudenken. Nachdenken nicht etwa darüber, woher Sie die Ersatzteile für Ihren »Morris Traveller aus dem Jahre 1971« in England bekommen, was sie dem Tagesspiegel als Ihre einzige Sorge nannten, sondern ein Nachdenken über das Warum, über die Umstände, über die Motivation, die Menschen ohne jede Gewissenbisse und Schuldgefühle zu einer so unfaßbaren Tat treiben können. Nachdenken darüber, wie sich ein solches Weltbild aufbauen konnte, in dem sich der Haß auf den Islam, auf »Mulitkulti«, auf Einwanderer, auf die angebliche »Political Correctness«, auf alles Kritische – von den 68ern bis hin zur »Frankfurter Schule« – so tief eingefressen hat, daß Gewalt »als der letzte Ausweg« und der kaltblütige Massenmord hilf- und wehrloser junger Menschen als »grausam, aber gerecht« (so der Massenmörder Anders Breivik) empfunden werden kann.
Ja, Herr Broder, man muß aufklären und nach den »Ursachen« fragen. Allerdings nicht so dummdreist, wie Sie das unkommentiert in der Ihnen bereitwillig zu Ihrer Verteidigung als Plattform sich andienenden Welt tun. Ihr Beitrag in diesem weit rechts stehenden Blatt zeigt nur, auf welchem geradezu unterirdischen Niveau Sie argumentieren, wenn Sie eine »Ursachenforschung« für dieses Verbrechen mit folgenden Beispielen lächerlich zu machen versuchen: »Ja, hätte man Hitler damals an der Kunstakademie angenommen, wäre er nicht in die Politik gegangen, wäre der Zweite Weltkrieg ausgefallen, würde Wroclaw noch immer Breslau heißen. Und hätte der blonde und blauäugige Norweger nicht Broder und Sarrazin gelesen, sondern Patrick Bahners und Roger Willemsen, wäre er nicht zum Massenmörder geworden.«
Niemand will Ihnen die »Verantwortung für einen Massenmord« in die Schuhe schieben, aber kaum bestreitbar ist, daß der »blonde, blauäugige Norweger« beim Feuilletonchef der FAZ, Patrick Bahners, oder bei Roger Willemsen – wenn er sie denn überhaupt gelesen hätte – sicher keine Versatzstücke für sein krudes Weltbild gefunden hätte. Ganz im Gegensatz zu Ihren und Sarrazins angstfördernden Darstellungen der islamischen Gefahr und der bösartigen Abwertung von Menschen aus muslimischen Kulturen und Ethnien.
Das wirklich Schlimme ist, daß Sie sich mit Ihren Ansichten in den Medien auch tatsächlich noch verkaufen können. Und damit kommen wir zum eigentlichen Thema zurück: Die deutschen Sicherheitsbehörden sehen keine Verbindung der norwegischen Anschläge zu Deutschland, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums.
Aber das, was der norwegische Massenmörder in seinem Bekennerschreiben zusammengekleistert hat, kann man tausendfach täglich auf Deutsch im »Weltnetz« (wie die Neonazis sagen) oder in einschlägigen Schriften nachlesen. Unmittelbar nach dem Anschlag kann man da Sprüche lesen wie etwa diesen: Vielleicht wird einmal in den Geschichtsbüchern stehen, daß es am 22.Juli des Jahres 2011 war, als ein junger Wikinger namens Anders Behring Breivik in alter Berserkertradition den Anstoß zur entscheidenden Wende im Kampf um Europas Zukunft gab. Er hat in seinem Land getan, was er für nötig hielt, um ein unübersehbares Zeichen des Widerstandes zu setzen.
Es gibt eine weitverbreitete Neonazimusikszene, mit »Schulhof-CDs«, es gibt geradezu eine Neonaziindustrie mit einem weitverzweigten Onlineversandhandel, es gibt »No-Go-Areas« für Menschen mit anderer Hautfarbe, und es gibt Neonazihochburgen nicht nur im Osten, sondern auch im Aachener Land im äußersten Westen.
Ohne Zweifel hätte der Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel auch von einem Islamisten mit einem anderen verquasten Weltbild begangen worden sein können. Und zig wehrlose Menschen einzeln zu erschießen ist im Hinblick auf die Toten auch nichts anderes, als Hunderte von Menschen mit einem Flugzeug umzubringen. Aber man vergleiche einmal, welches Feindbild durch die (Sicherheits-)Politiker, geschürt von den Medien und gestützt auf die untergründige »Islamkritik« von Leuten wie Broder oder Sarrazin, gegen den Islamismus aufgebaut wurde, mit der verharmlosenden Betroffenheitsrhetorik, wenn es zu einem Totschlag durch rechte Schläger kommt. (Ein Brandanschlag auf ein Wohnhaus von Sinti und Roma wie am Montag in Leverkusen, bei dem sich die Bewohner glücklicherweise retten konnten, bleibt eine lokale Episode.) Kann man die Zahl der jeweils Getöteten aufrechnen, kann man relativieren, daß die einzelnen Todesfälle zeitlich auseinanderliegen? Ist es nicht noch schlimmer, daß wir es bei uns mit vielen Einzeltätern oder rechten Gangs zu tun haben, die brandstiften und totprügeln? In der EU gab es im vergangenen Jahr 249 Terroranschläge, davon hatten drei einen islamistischen Hintergrund.
Es gibt nach aller Wahrscheinlichkeit in unserem Land erheblich mehr haßbesessene und gewaltbereite Rechtsextremisten als sich im heiligen Krieg wähnende Islamisten. Wo sind denn die Broders und die Sarrazins, die vor solchen Zeitbomben warnen?
In der Mitte angekommen
»In der Mitte angekommen« heißt es in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über rechtsextreme Einstellungen und Einflußfaktoren in Deutschland. Und immer wieder gilt als »Einstiegsdroge« die Ausländerfeindlichkeit. Auch zahlreiche andere sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen, daß rechtsextremes »Gedankengut« tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Die Antiislambewegung reicht vom frustrierten Kleinbürger bis zum Neonazi. Jeder fünfte würde Sarrazin wählen. Kein Wunder, wenn man beobachten mußte, wie die Medien ihn bedienten und wie selbst die SPD nicht mehr den Mut fand, sich von ihm zu trennen, weil sie offenbar um Wähler bangte.
Da gibt es aus parteipolitischen Gründen eine Riesendebatte über einen angeblichen Antisemitismus in der Partei Die Linke. Aber die zunehmende Fremdenfeindlichkeit nicht nur in Deutschland, sondern – wie die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien zeigen – in ganz Europa, ja sogar in den USA wird klaglos hingenommen. Das gehört inzwischen sozusagen zur Tagesordnung.
»Wehre den Anfängen«, wird der römische Dichter Ovid gerne zitiert. Das ganze Zitat lautet allerdings: »Wehre den Anfängen! Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch langes Zögern erstarkt sind.« Statt in den Anfängen sind wir längst im fortgeschrittenen Stadium, und das Suchen nach einer Medizin hat noch nicht einmal begonnen.
Ein wenig Hoffnung macht die Solidarität in der Trauer der Norweger. Und ein Beispiel gibt der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg: »Wir sind weiter erschüttert von dem, was uns getroffen hat. Aber wir geben nie unsere Werte auf. Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität. Aber nie Naivität.« Statt der platten Kondolenzadressen hätte man sich einen solchen Satz auch von den politischen Repräsentanten in Deutschland gewünscht.
Wolfgang Lieb war von 1979 bis 1983 Mitarbeiter in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes, später Regierungssprecher und Leiter des Landespresse- und Informationsamtes Nordrhein-Westfalens unter Ministerpräsident Johannes Rau. Er ist Mitherausgeber der Website www.nachdenkseiten.de, wo sein Beitrag in einer längeren Fassung zuerst erschienen ist.
Quelle: www.jungewelt.de vom 27.07.11
Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37000 Menschen verhungern jeden Tag, und fast eine Milliarde, darunter allein in Somalia, Kenia und Äthiopien schätzungsweise 2,23 Millionen Kinder, sind permanent schwer unterernährt. Das sind Zahlen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, FAO. Zur Linderung der akuten Not am Horn von Afrika hat die Organisation für den heutigen Mittwoch zu einer internationalen Geberkonferenz nach Nairobi eingeladen.
Somalia, Kenia, Dschibuti, Äthiopien und Uganda leiden unter der schwersten Dürrekatastrophe der vergangenen 60 Jahre. Millionen Menschen hungern dort, Zehntausende sind bereits gestorben, Hunderttausenden droht das gleiche Schicksal. Den Bedarf an Hilfsgeldern für die Menschen in Ostafrika hat die FAO auf 1,1 Milliarden Euro beziffert. Dabei geht es um Soforthilfe, also die schnelle Verteilung von Nahrungsmitteln und Trinkwasser, aber auch darum, langfristig weiteren Hungersnöten vorzubeugen.
Knapp ein Drittel der benötigten Summe, 348 Millionen Euro, will die Weltbank bereitstellen. Das wurde bereits am Montag auf einer FAO-Dringlichkeitssitzung in Rom mitgeteilt. Die Bundesregierung ließ dort verlauten, daß sie ihre Hilfen »verdoppeln« werde. Klingt gut, ist aber viel Lärm um (fast) nichts. Denn es handelte sich ursprünglich um 15, jetzt sind es lächerliche 30 Millionen Euro. Der famose Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) erklärte dazu, es gehe darum, »so viele Menschenleben wie möglich zu retten«. Nicht etwa alle. Warum nicht?
Antwort auf diese Frage bekommt man im Zusammenhang mit einer Veranstaltung, die heute, weitab von Somalia, in Österreich beginnt – die Salzburger Festspiele. Als Redner für die Eröffnung war ursprünglich der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, 77, früher UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, heute Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates, eingeladen worden. Doch dann bekam er eine Absage wegen seiner angeblichen Nähe zum libyschen Oberst Ghaddafi. Ziegler bezeichnete diese Begründung als »absurd«, Ghaddafi gehöre zu den »schlimmsten Diktatoren«. Den wahren Grund seiner Ausladung erklärte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom Montag so: »Die Salzburger Festspiele sind eine heilige Handlung, die aber sündhaft teuer ist. Als die Hauptsponsoren Nestlé, UBS und Credit Suisse hörten, daß ihre Großkunden 30 Minuten lang mir zuhören müßten, ohne aus dem Saal rennen zu können, war das für die eine Horrorvorstellung.«
Inzwischen hat Ziegler seine Salzburger Rede, die er heute nicht halten kann, publiziert. »Ein Kind, das heute verhungert, wird ermordet«, heißt es darin. Denn die Weltlandwirtschaft könnte zwölf Milliarden Menschen normal ernähren, das Doppelte der Weltbevölkerung. »Wir tun es aber nicht. Denn es wird gebraucht, um die Banken zu retten. (…) Seit der Finanzkrise haben die europäischen und amerikanischen Großbanken mehr als acht Billionen Euro erhalten. Im gleichen Zeitraum hat das World Food Programme die Hälfte seines Budgets verloren, es schrumpfte von sechs auf 2,8 Milliarden«, so Ziegler gegenüber der Süddeutschen.
Zu starker Tobak für Dirk Niebel und die Salzburger Schönen und Reichen. Letztere lassen sich nun heute abend lieber von einem Pfaffen und verhinderten Bundespräsidenten aus Güstrow namens Joachim Gauck mit Nullaussagen besäuseln.
Quelle: www.jungewelt.de vom 27.07.11
Drei Tage nach dem Doppelanschlag in Norwegen, bei dem mindestens 93 Menschen getötet wurden, nutzten deutsche »Sicherheitsexperten« das Verbrechen, um schärfere Überwachungsgesetze zu fordern. Vor einer Haftrichterin in Oslo bekannte sich Attentäter Anders Behring Breivik am Montag nicht schuldig. Die islamophobe Szene Westeuropas und neofaschistische Organisationen distanzierten sich von dem Verbrechen Breiviks, nicht von seiner Ideologie. Am Mittag gedachten Norwegen und die Nachbarländer Dänemark und Schweden mit einer Schweigeminute der Opfer des Anschlags.
Breivik bleibt laut einer Entscheidung der zuständigen Richterin für acht Wochen in Untersuchungshaft, vier Wochen davon in Isolation. Die Richterin erklärte nach dem nicht-öffentlichen Haftprüfungstermin, der 32jährige habe angegeben, Europa retten und sein Land gegen den Islam und den Marxismus verteidigen zu wollen.
In der Bundesrepublik nutzten CSU-Politiker die Gelegenheit, um schärfere Überwachung zu fordern. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, plädierte sogar für eine Erfassung aller »auffälligen Personen« im Internet. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), sprach sich für die Vorratsdatenspeicherung aus und bezeichnete es als »irrwitzig«, den Sicherheitsbehörden »die Instrumente zu versagen, die sie zur Täterermittlung benötigen«. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) schloß sich ihm an: Es müsse »über mehrere Monate hinweg« nachvollziehbar sein, »wer mit wem telefoniert, wer wem eine E-Mail oder SMS geschickt hat«. Der Innenminister des Bundeslandes, Joachim Hermann (CSU), unterstützte Witthaut im Deutschlandfunk: »Es gehört offensichtlich dazu, daß wir auch im Internet präventiv unterwegs sind, daß wir beobachten, wo gibt es radikale Einträge.«
Die Bundesregierung riet von einer neuen Debatte über die Datenspeicherung ab. »Die Vorgänge in Norwegen geben in diesem Zusammenhang keine zusätzlichen Argumente«, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Die Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch nannte Uhls Äußerung »bedrückend«. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach sich für einen Neuanlauf im NPD-Verbotsverfahren aus, allerdings müßten die Länder ihre »V-Männer« aus der Neonazipartei »abziehen«.
Zahlreiche Vertreter westeuropäischer Rechtsparteien meldeten sich am Montag zu Wort. Sie erklärten – wie Geert Wilders, Vorsitzender der niederländischen PVV, es handele sich bei dem Norweger um einen »gewalttätigen und kranken Psychopathen«. Wissenschaftler und antirassistische Initiativen wiesen dagegen darauf hin, daß es sich bei Breivik nicht um ein Einzelphänomen handele. So erklärte der Wiener Historiker Gerhard Botz im österreichischen Standard: »Was Breivik getan hat, liegt im geistigen Umfeld vor.« Ihr Verhältnis zu dem Attentat illustrierte die deutsche NPD, deren Verbot das Bundesverfassungsgerich 2003 mit der Begründung »fehlende Staatsferne« verweigerte, am Montag so: »In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die politische Klasse der BRD erst vor wenigen Tagen den Bombenanschlag vom 20. Juli erneut als legitimes Mittel der Politik gefeiert hat. Auch bei diesem Anschlag kamen Unschuldige zu Tode.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 27.07.11
I am with pleasure and sincerely a “left radical”, for me is rather an “honourary concept” – among the rest, then this radicality distinguishes me very clearly from a “typical” SPDLer, from a soft “Reformer”. I strictly go up to the root of the evil, and the evil is really the existing capitalism in power – with all his effects on single people, on the society and on nature. I on no account want to “come” in the circle of the political mediocrities, the Half-hearted, the numerous social dismantlers. I fight daily and everywhere for the fact that it should become radically different and better, so that we need in future no help from donations!
On the other hand, I avoid the concept “extremism”, because this concept is used by the bourgeois-class, by the élites, primarily and traditionally as a fight concept against the left. An orientation in the direction of the “political middle” (who has here the definition what makes out a political middle?) I will strictly refuse. The “political middle” is liberal and by no means identicall with “– the democratic concept”, and this is certainly not capitalism. Just as you cannot be a little pregnant,you cannot be a little bit for exploitation and suppression, a little bit for wars. In this same manner you just cannot reject a little bit of fascism and a little bit of capitalism only “a little bit” (unless, it was not understood what makes out both in reality).
The internal self-censorship, the hurrying ahead obedience compared with the prevailing opinion – which is, as everybody knows, the opinion of the ruling – in terms of “Just do not fall out of the political frame and do not fall out to risk no professional disadvantages, or the general, social dear denial” – we should resist self-confidently and strictly. Only we are plausible towards ourselves and “others”.
Those who want to belong to the bourgoise, have – if maybe not consciously – a not historical and not scientifical view of Totalitarism and think that link extremism and right-wing extremism in many points (supposedly!) are the same and, therefore, also equally are to be rejected (the followers of this “theory” look, primarily, at the outward appearances of both systems opposite irreconcilable and diametrically different). Such a Thinking is – unfortunately! – not only in Germany very widespread. The squint totalitarianism theory, the acceptance of the “political bourgoise” and the practice linked with it in the class society, is found not only in Germany in all media, in all state institutions and organisations. The totalitarianism theory has mutated to a kind European State doctrine. The totalitarianism theory is a doctrine which turns – as already said – primarily, against our interests and aims; the radical left should be discriminated, only, secondly, the ruling élites criticise the fascism, radically right-wing organisations (if generally). Why this is in such a way, is slightly understandable: The fascism is a sharp opponent of the communism / socialism, generally of a left culture. Fascists attack capitalism “as such” only verbally, but not actually. In the historical fascism the ruling class has distinguished between (bad international Jewish Capitalism) and “creative” (German, good Capitalism) which is completely absurd.
As everybody knows, capitalism is based not only on accumulation of the capital, but primarily on a general exploitation of people and of nature – all the same whether it concerns home or foreign capitalists. Therefore, it makes no difference to a capitalist also which skin colour a working person has or from which country he comes. Central issue is that he or she work for dumping wages; if possible he or she are no member of a trade union or a left party organisation and shows no opposition if his rights are limited or diminished .
In the historical fascism communists were “also killed, tormented, thrown in the prison; some could save their lifes only in which they fled abroad. In 1956, in the year of the armed forces foundation in Germany – in the course of the cold war – the old German tradition of the communist hunt revived, in the outruling of the comunist party –a ban was introduced what, by the way, still till this day exists. Quite a lot of Comunist-party members, quite a lot of logical Antifaschist and pacifist landed again only because of his disposition and ideals in prison, at that time still called “Zuchthaus”. Quintessence: Suggesting and constructing a (negative) “equivalence” between Antifaschist and communist / socialist and also class-conscious trade unionists or also Mutualisten/anarchists on one side with their torturer on the other side (at that time the Nazis and the darkest reaction), is not only perverted History , it is also insults all that, at that time as well as today radically (up to the root of the evil, partially even with her life!) for peace, against social dismantling, against the curtailment of rights, against fascism and capitalism strictly started. We should communicate loudly and self-confidently in the public: “I am a left radical, no social democrat! And this feels well in such a way!”.
Der Vorsitzende der Norwegischen Kommunistischen Partei (NKP), Svend Haakon Jacobsen, und Jørgen Hovde, Vorsitzender der Jungen Kommunisten in Norwegen, veröffentlichten am Sonntag folgende Stellungnahme zum Terroranschlag von Oslo:
Die Kommunistische Partei (NKP) und die Jungen Kommunisten Norwegens sprechen den Opfern und ihren Familien, die von den Tragödien auf Utøya und in Oslo betroffen sind, ihr Mitgefühl aus und unterstützen alle, die an den Hilfsmaßnahmen beteiligt sind.
Es ist jetzt wichtig, daß das norwegische Volk zusammenarbeitet, um dieses Trauma durch mehr Transparenz und Demokratie zu bewältigen. Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat erklärt, daß jeder in der Lage sein müsse, am politischen Leben teilzunehmen und seine Ansichten nicht verstecken müsse. Wir Kommunisten werden den Ministerpräsidenten an diesen Worten messen und uns an der Politik und an der Debatte für eine offene Demokratie beteiligen. Wir haben Wissen und langjährige Erfahrung im Kampf gegen den Rechtsextremismus. In dieser Arbeit stehen wir zusammen mit allen fortschrittlichen Menschen im Land.
Große Terroranschläge gegen die Demokratie sind immer von rechts gekommen. Es ist jetzt an der Zeit für eine entschlossene Beendigung der Demagogie gegen Sozialisten und Kommunisten, die für Frieden und Zusammenarbeit zwischen allen Gruppen stehen – das ist dasselbe wie das, was der Ministerpräsident zum Ausdruck gebracht hat.
Terroristische Anschläge erzeugen Angst, und werden oft als Vorwand genutzt, um die Rechte und die persönliche Freiheit einzuschränken. Das norwegische Volk muß sich aktiv dafür einsetzen, daß dies nicht geschieht. Auch Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat erklärt, daß dies als Folge der Angriffe getan werden sollte.
Die NKP und die Jungen Kommunisten in Norwegen unterstützen Ministerpräsident Jens Stoltenberg dabei und hoffen, daß es eine entsprechende Erklärung der Regierung in diesen schweren Zeiten geben wird.
Quelle: www.jungewelt.de vom 25.07.11
Der Präsident der Kommunistischen Partei Luxemburgs, Ali Ruckert, richtete am Sonntag folgendes Schreiben an den Arbeiterjugendverband Arbeidaranes Ungdomsfylking (AUF) Norwegens:
Liebe Freunde, die Kommunistische Partei Luxemburgs hat mit Entsetzen von dem Massaker eines rechtsgerichteten Nationalisten in Eurem Jugendlager auf der Insel Utøya und von dem Bombenanschlag im Regierungsviertel von Oslo Kenntnis nehmen müssen. Wir möchten aus diesem Anlaß den Angehörigen der Opfer, den Überlebenden des Massakers und des Bombenanschlags, allen Mitgliedern der AUF und der Arbeiterpartei sowie allen Menschen in Norwegen unsere tiefe Anteilnahme und die Bekundung unserer Solidarität übermitteln.
Die luxemburgischen Kommunisten lehnen jede Form des individuellen Terrors ab. Wir sind der Überzeugung, daß Nationalismus, religiöser Fundamentalismus und Rassenhaß einem friedlichen Zusammenleben der Völker großen Schaden zufügen. Im Interesse des Überlebens der Menschheit ist es notwendig, jegliche Probleme unserer heutigen Welt auf friedliche Weise, ohne den Einsatz von Waffen zu lösen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 25.07.11
Thilo Sarrazin hat ein Buch geschrieben und darin die »Nutzlosigkeit« von »Arabern und Türken« angeblich faktenreich bewiesen. Damit verlieh er dem Empfinden vieler in diesem Land einen Ausdruck. Sarrazins Thesen erzeugten aber nicht nur Resonanz bei etlichen Deutschen. Er hat, gemeinsam mit anderen Rechten, bislang öffentlich tabuisierte Meinungen salonfähig gemacht.
Das ist nicht zum ersten Mal so in Deutschland. Der gesellschaftlich auferlegten Hemmung folgt die Enthemmung der Rassisten. Die nächsten Schritte sind Ausgrenzung und Verfolgung der Stigmatisierten. Darauf kann, eines Tages, dann wieder Reue und Wiedergutmachung folgen …
Rechtspopulisten und ihre Fürsprecher haben kein Interesse an einer Analyse der Gründe, die insbesondere die größten Minderheiten in diesem Land – Menschen mit türkischem, bzw. arabischem Migrationshintergrund – über Jahrzehnte hinweg in benachteiligte Positionen gedrängt haben. Warum auch? Über die Entstehung struktureller Benachteiligung nachzudenken, hieße eben auch, über die eigene, historisch gewachsene Herrenmenschenmentalität nachzudenken, die die als minderwertig Stigmatisierten kleinhalten soll. Das zu fordern hieße: diese Stimmungsmacher zu überfordern.
Wenn Menschen türkischer und arabischer Abstammung sich gegen unhaltbare Meinungen auflehnen, unterstellt Sarrazin ihnen ein »orientalisches Beleidigtsein« und schreibt auch damit nur den antimuslimischen Rassismus fort. Wenn die Argumente des Exfinanzsenators nicht bitterernst gemeint wären und ganz offensichtlich von vielen Deutschen Zustimmung erhielten, könnte man ihn als narzißtisch strukturierten Narren abtun, der sich zwanghaft öffentlich inszeniert. Sarrazin jedoch hat Gefolgschaft. Und das ist weit beunruhigender als die pseudowissenschaftliche Eugenik, die er in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« vertritt. Sarrazin und sein Anhang befürworten ein Menschenbild, das die Nazis am konsequentesten umgesetzt haben: der Mensch als reiner Kosten-Nutzen-Faktor. Ein seelenloser Mensch.
Zu einer Revolte migrantischer Jugendlicher kam es in Deutschland bisher nicht. Auch in Zukunft soll es ihnen nicht besser gehen, aber auch rebellisch werden dürfen sie nicht. Deshalb erfinden und befeuern ein rassistischer Politiker und seine Gefolgschaft, viele davon aus der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht, Konflikte zwischen migrantischen Unterschichten und deutschen Mehrheitsangehörigen. Einfacher und effektiver läßt sich die Gesellschaft nicht spalten.
Soziale Konflikte werden, wieder einmal, brutal ethnisiert. Die politische und soziale Atmosphäre ist in Deutschland nachhaltig vergiftet. Das Vertrauen vieler Migranten in die Politiker dieses Landes – einschließlich jener aus der SPD, die sich nicht klar von Sarrazin distanziert –, ist zerstört. Das Mißtrauen vieler Migranten gegenüber einem immer stärker ausgrenzenden gesellschaftlichen Klima zeigt sich insbesondere an der großen Zahl vieler türkisch-stämmiger Auswanderer.
www.jungewelt.de vom 25.07.11
Der Attentäter, der am Freitag in Oslo und auf der Insel Utøya mindesten 93 Menschen tötete, hatte sein Vorhaben seit langem geplant und war in der rechten islamophoben Szene Westeuropas aktiv. Sein Mandant Anders Behring Breivik habe sein Handeln als »grausam«, aber »notwendig« bezeichnet, erklärte sein Anwalt im norwegischen Fernsehen. Laut Polizei versicherte der Festgenommene am Sonntag, ein Einzeltäter zu sein. Norwegens Regierungschef Jens Stoltenberg sagte bei einem Trauergottesdienst in der Osloer Kathedrale, »jedes einzelne Opfer« sei eine Tragödie. Norwegen werde aber »seine Werte niemals aufgeben«. Die Norwegische Kommunistische Partei und ihr Jugendverband erklärten in einer Stellungnahme, sie unterstützten Stoltenberg darin, nach dem Terrorakt weder Rechte noch persönliche Freiheit einzuschränken.
Die Polizei teilte mit, der 32jährige habe die Fakten zugegeben, jedoch »keine kriminelle Verantwortung« übernommen. Weiterhin werde geprüft, ob bei dem Angriff auf ein Feriencamp der Arbeiterjugend »ein oder mehrere« Schützen beteiligt waren.
Bei einem Besuch des Camps am Donnerstag hatte sich Norwegens Außenminister Jonas Store für die Anerkennung eines palästinensischen Staates ausgesprochen. Im Internet veröffentlichte Fotos zeigten Teilnehmer des Lagers dabei mit Transparenten »Boykott Israel«.
Tatsächlich war Breivik, der angeblich »aus dem Nichts kam« (Bild am Sonntag), kein Unbekannter. So arbeitete er offenbar neun Jahre lang an einem 1500 Seiten langen, auf englisch geschriebenen Manifest mit dem Titel »Eine europäische Unabhängigkeitserklärung – 2083«, das er am Freitag kurz vor seinen beiden Anschlägen im Internet veröffentlichte – ein laut AFP »Pamphlet des Hasses gegen die multikulturelle Gesellschaft, den Islam und den Sozialismus«. Angekündigt hatte er den Text in rechten Internetforen mindestens seit 2009. Bekannt wurde, daß er 2002 zusammen mit acht namentlich nicht genannten Begleitern in London einen eigenen Orden gegründet hatte, um »einen präventiven Krieg zu führen gegen die marxistisch/multikulturellen Regime in Europa« und um »die derzeitige islamische Invasion/Kolonisation zurückzuschlagen, zu bekämpfen oder zu schwächen«. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen gegenüber AP vom Sonntag werden die »zunehmenden Internetaktivitäten« dieser Gruppe beobachtet. Laut einer Analyse von Spiegel online ist die Szene, in der Breivik aktiv war, »prowestlich und ausgesprochen proamerikanisch, Israel freundlich zugetan, dagegen aber deutlich antimuslimisch, aggressiv christlich und ›wehrhaft‹, ›monokultistisch‹ und offen feindlich gegen alles, das liberal, links, ›Multi-Kulti‹ und ›internationalistisch‹ ist«. U. a. soll sich Breivik auf den deutschen islamophoben Publizisten Henryk M. Broder berufen haben. Auch die New York Times verwies am Sonntag auf das »Haßklima im politischen Diskurs« der rechten Szene in Westeuropa und zitierte den Politologen Jörg Forbrig vom German Marshall Fund in Berlin mit den Worten, er sei »nicht überrascht«, wenn Dinge wie in Norwegen passierten.
Zehn Jahre nachdem die Terrorattacken in den USA den Vorwand zum weltweiten »Krieg gegen den Terror« lieferten, den der damalige US-Präsident George W. Bush als »Kreuzzug« proklamierte, bombardierte die NATO am Sonntag in einem der laufenden Kriege gegen überwiegend von Moslems bewohnte Länder zum wiederholten Mal die angebliche Kommandozentrale des libyschen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi in Tripolis. Norwegen beteiligt sich noch bis zum 1. August mit Kampfflugzeugen an der »Koalition der Willigen«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 25.07.11
Freitag nachmittag um 15.36 erreicht die erste Alarmmeldung der Nachrichtenagentur Reuters die Redaktion von »derstandard.at«: »Mehrere Verletzte bei Explosion in Oslos Zentrum«. Während der folgenden Minuten wird rasch klar: Der Abend wird arbeitsreich und stressig. Nach kurzer Recherche geht die erste Meldung um 15.43 auf »derstandard.at« online. Vier Minuten später hat schon ein User im allerersten Posting zu der Meldung, die zu dem Zeitpunkt nur aus einer Überschrift besteht, die Schuldigen parat: »Emigranten, Habn wohl was gegen die grenzen«. Selbiger User ist sich ein paar Minuten später sicher: »Das waren wieder Islamisten!!«, um sich weitere Augenblicke später zu beklagen, daß seine »Meinung« nicht veröffentlicht wurde: »Halo Wenn du das liest du standardarsch. Fuck you! Hier herrscht meinungsfreiheit du gekaufter arsch.« Nun mag es sich bei diesem User um ein besonders nerviges Exemplar handeln, aber er gab einen Vorgeschmack auf das, was bei Meldungen dieser Art immer kommt wie das Amen im Gebet: Schuldzuweisungen meist rassistischer Natur werden von anonymen Anklägern im Stakkato ins Forum abgefeuert, ohne auch nur einen Funken über die Hintergründe zu wissen.
Natürlich tauchen auch sofort die üblichen Verschwörungstheoretiker auf, die eine »False flag operation« eines Geheimdienstes als Hintergrund vermuten oder andere bizarre Hypothesen als Erklärung anbieten. Doch die überwiegende Anzahl der Postings hat Muslime als Schuldige im Fokus, sei es in Form von Islamisten oder einer libyschen Revancheaktion für Norwegens Engagement in der NATO. Wie jedesmal bei derartigen Gelegenheiten macht sich eine gewisse Pogromstimmung im Forum breit. Doch was will man den Usern vorwerfen, hat doch das von den Rechten seit Jahren getrommelte Feindbild »Islam« längst auch die meisten Medien durchdrungen.
Während sich Norwegens Behörden und Politiker in Ermangelung von Fakten über mehrere Stunden vorbildlich in Schweigen hüllen (man erinnere sich als Negativbeispiel nur an Aznars Schuldzuweisung an die ETA nach den Anschlägen von Madrid im Jahr 2004, eine Lüge, die den Konservativen in der Folge eine saftige Niederlage bei der Parlamentswahl einbrachte), graben die Medien weltweit diverse »Terrorismusexperten« aus. So interviewt die Nachrichtenagentur APA den »Brüsseler Terrorexperten« Claude Moniquet, der »höchstwahrscheinlich eine islamistische Gruppe mit Verbindungen zur Al-Qaida« als Urheber der Anschläge vermutet. »Die Terroristen schlagen zu, wenn sie bereit sind, den Anschlag auszuführen«, weiß Moniquet zu berichten, und damit sich die Bevölkerung auch wirklich fürchten darf, schickt er die Warnung hinterher: »Dieser Anschlag hätte in Brüssel stattfinden können oder in Wien, dieser Anschlag hätte überall in Europa stattfinden können.«
Während auch die Redaktion von »derstandard.at« über die Hintergründe der Anschläge, die so gar nicht in das übliche Schema islamistischer Terrorakte vergangener Jahre passen, rätselt, läßt die New York Times den »Terroranalysten« Will McCants des »Terrorforschungs«-Instituts C. N. A. zu Wort kommen. Dieser berichtet, die Gruppe »Helfer des Globalen Dschihad« hätte im Internet die Verantwortung für die Anschläge übernommen. Die Islamisten hätten sich auf den gescheiterten Anschlag in Stockholm im Jahr 2010 bezogen: »Wir haben seit Stockholm vor weiteren Aktionen gewarnt. Was Sie sehen, ist nur der Anfang, und es wird mehr kommen«, soll die Drohung der Dschihadisten lauten.
US-Präsident Barack Obama läßt jedoch in einer Stellungnahme zu den Anschlägen wissen, daß er über keine Hintergründe zu den Vorgängen verfügt. Die Internetseite des bunten Blattes Österreich ist jedoch besser informiert als der oberste Chef einer zweistelligen Anzahl von Geheimdiensten und titelt zu diesem Zeitpunkt längst mit »Al-Qaida unter Verdacht«. Sie ist damit nicht alleine, beim Zappen quer durch die Nachrichtenkanäle zeigt sich beinahe überall das gleiche Bild: Beschlipste Kommentatoren analysieren auf Grund nicht vorhandener Informationen, wieso für die Ereignisse in Norwegen nur Islamisten in Frage kommen.
Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: Alle melden, daß es so ist, also muß nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von »derstandard.at« entschließt sich zu warten: Die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.
Am späten Abend wird diese Haltung bestätigt: Die norwegische Polizei gibt bekannt, internationale Zusammenhänge als Hintergrund für die Anschläge auszuschließen und bestätigt die Verhaftung eines Verdächtigen: ein Norweger, der sich im rechtsextremen Milieu bewegt.
Eine Überraschung sollte das nicht sein: Von 249 Terroranschlägen in der EU im Jahr 2010 wurden lediglich drei von Islamisten begangen. Daß alle diejenigen, die bei jeder Gelegenheit Muslime als Schuldige für alles Schlechte in der Welt zur Hand haben, nun für einen Moment innehalten und ihre Vorurteile überdenken, das darf freilich bezweifelt werden.
Kommentar auf »derstandard.at«,
23. Juli 2011, 8.45 Uhr. jW dankt für die freundliche Abdruckgenehmigung
Quelle: www.jungewelt.de vom 25.07.11