Wolfgang Huste Polit- Blog

Nach unten treten. Gewalttaten gegen Obdachlose werden selten politisch eingeordnet, Täter und Ursachen meist im »Milieu« gesucht. In Leipzig hat Prozeß nach Mord in Oschatz begonnen. Von Anna Dumange

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Am 1. Juni dieses Jahres starb der Wohnungslose André K. in der Leipziger Uniklinik. Fünf Tage zuvor war der 50jährige am Südbahnhof der sächsischen Kleinstadt Oschatz von fünf Männern im Alter zwischen 16 und 27 Jahren zusammengeschlagen und mit schweren Kopfverletzungen am Tatort liegen gelassen worden. Erst am nächsten Morgen wurde er gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Am 6. Dezember hat der Prozeß gegen die Tatverdächtigen vor dem Leipziger Landgericht begonnen. Ein 36jähriger wird außerdem wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Der Prozeß wird im Februar fortgesetzt und ist bis zum April 2012 geplant.

»Mindestens 30mal« hätten die Männer auf den Obdachlosen eingetreten, bis dieser »blutüberströmt am Boden lag«, verlas Oberstaatsanwältin Claudia Laube die Anklage. Eine zufällige Tat sei der Angriff nicht gewesen, stellte Laube klar: Man habe sich verabredet, um K. zu suchen »und zu mißhandeln«. Nach dem Überfall seien die Täter weggelaufen »in der Annahme, ihn tödlich verletzt zu haben«. K. lebte aber noch, als er am Morgen in der Wartehalle des Südbahnhofs gefunden wurde. Er starb vier Tage später an einer Lungenentzündung, die er sich infolge der Verletzungen zuzog. Unklar ist bisher, warum es zu dem Gewaltausbruch kam und ob eine rechte Gesinnung für den Angriff auf K. mitverantwortlich war. Dafür spricht zumindest, daß der Tatverdächtige Ronny S. nachweislich Kontakte in die Neonaziszene unter anderem zur NPD-Jugendorganisation JN hat. Die Angeklagten hatten zum Prozeßauftakt die Aussage verweigert. Die wenigsten Fälle von Gewalt gegen Wohnungslose landen vor Gericht und anschließend in den Opferstatistiken der Polizei. Die Taten werden von den ermittelnden Behörden meist nicht mit einem ideologischen Motiv in Zusammenhang gebracht.

Über André K. ist wenig bekannt. Ursprünglich soll er aus Berlin gekommen sein und in Oschatz nur wenige Bekannte gehabt haben, sagte Andreas Fest vom Netzwerk »Mein Name ist Mensch«, das den Fall zusammen mit der Opferberatung RAA betreut. Ein aggressiver Typ sei K. nicht gewesen, heißt es aus seinem Umfeld. Eher einer, der immer eingesteckt habe. In der Öffentlichkeit wurde der Fall zunächst als »Milieutat« behandelt, bei der es um Drogen und Alkohol gegangen sei. Erst durch eine kurze Pressemeldung der Polizei sei das Netzwerk darauf aufmerksam geworden, schilderte Andreas Fest. Schnell sei klar gewesen, daß es sich um eine gezielte Gewalttat gehandelt habe und daß André K. zum Opfer gemacht wurde, weil er wohnungslos war.

Statistiken gibt es kaum über die Gewalt gegen Wohnungslose in Deutschland. Sie bilden die Opfergruppe mit der höchsten Dunkelziffer, erläuterte Marianne Thum von der RAA in Dresden. Die Beratungsstelle versucht zwar, Zugang zu den Opfern zu finden. Doch gerade bei Wohnungslosen sei dies wegen häufiger Ortswechsel schwer, so Thum. Jahrelange Alkoholabhängigkeit könne das Erinnerungsvermögen der Opfer an die Tat beeinträchtigen und erschwere die Erstattung von Anzeigen zusätzlich. Außerdem hätten viele Wohnungslose die Erfahrung gemacht, von der Polizei nicht ernst genommen zu werden. Und sie seien auch psychisch kaum in der Lage, einen Prozeß durchzustehen. Angehörige, die die Verfahren begleiten, gibt es selten. Im Fall von André K. konnten kurz vor Beginn seine Kinder ermittelt werden, die jetzt als Nebenkläger auftreten.

Existenzbedrohende Lebensumstände und Alkoholkonsum sind auch unter Menschen, die auf der Straße hausen, Hintergrund für Angriffe. Doch wenn die Gewalt von außen kommt, spielt ein neonazistisches Weltbild meist eine Rolle. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. recherchierte von 1989 bis 2010 insgesamt 167 Tötungsdelikte und 366 Körperverletzungen mit schweren Folgen. Dabei handelt es sich nur um Gewalttaten, bei denen die Täter außerhalb des »Wohnungslosenmilieus« leben. Sozialdarwinismus ist ein Wort, das oft fällt, wenn es um Tathintergründe geht. Eine Gesellschaft, in der, wer nichts leistet, auch nichts wert ist, macht diejenigen am Rand der Gesellschaft zum Sündenbock. Die Täter kommen, wie auch die Verdächtigen im Leipziger Prozeß, oft selbst aus sozial benachteiligten und bildungsfernen Schichten. Nach unten tritt, wer selbst getreten wird.

Da Wohnungslose über keinerlei gesellschaftliche Lobby verfügen, können sich die Täter durchaus Chancen errechnen, daß ihre Angriffe folgenlos bleiben. Auch in den Medien erhält das Thema kaum Aufmerksamkeit. Im Fall des ermordeten André K. habe es zwei Kurzmeldungen in der Lokalzeitung gegeben, erinnerte sich Andreas Fest. Die Oschatzer Stadtverwaltung will zu einem möglichen neonazistischen Tatmotiv keine Stellung beziehen. Hintergründe des Mordes zu ermitteln und den Fall zu bewerten sei Sache der Staatsanwaltschaft.

Quelle: www.jungewelt.de vom 14.12.11

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 14. Dezember 2011 um 15:14 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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