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Werbung für Dinosaurier. Lobbyarbeit für Kohlekraftwerke, oder warum die BRD kürzlich Strom aus Österreich kaufen mußte: Medienberichte suggerieren Versorgungskrise. Von Wolfgang Pomrehn

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Zur Zeit läuft in Teilen der Medien eine Kampagne gegen den weiteren Ausbau der Wind- und Solarenergie. Zum einen wettern Welt, Spiegel, Stern und andere im Chor mit christdemokratischen und liberalen Spitzenpolitikern gegen den Solarstrom. Zum anderen wird ein schon Wochen zurückliegender Vorfall herangezogen, um das Schreckgespenst eines Netzzusammenbruchs an die Wand zu malen.

Am 8. und 9. Dezember hatte der Netzbetreiber Tennet, der unter anderem in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern das zuvor zum Energiemulti E.on gehörende Höchstspannungsnetz verwaltet, kurzfristig Strom aus Österreich einkaufen müssen. Das besondere daran: Für diese Nachfrage mußten Kraftwerke aus der sogenannten Kaltreserve angeworfen werden. Das sind Anlagen, die nur an wenigen Tagen im Jahr oder gar noch seltener betrieben werden und lediglich bei außergewöhnlich hoher Nachfrage oder dem Ausfall anderer Kraftwerke arbeiten. Die deutsche Netzagentur hatte über die Nutzung der entsprechenden Kapazitäten im Nachbarstaat einen Vertrag abgeschlossen, um die 2011 beschlossene Stillegung von acht Atomkraftwerken (AKW) zu kompensieren. Nun waren sie zum ersten Mal in Anspruch genommen worden.

Das war kein besonders dramatischer Vorgang und bis vor einer Woche hat davon hierzulande kaum einer Notiz genommen. Dann griffen jedoch Spiegel und einige Springer-Zeitungen das Ereignis auf und konstruierten daraus einen fragwürdigen Beweis dafür, daß das BRD-Netz am Rande des Zusammenbruchs stehe. Für den vielen Windstrom aus dem Norden fehle es an Leitungen, um diesen zu den Verbrauchszentren im Süden transportieren zu können.

Was war passiert? Am 8. und 9. Dezember hatte es – wie Anfang Januar – reichlich geweht. Wind- und Sonnenstrom deckten zusammen fast zwei Tage lang ein Drittel des deutschen Bedarfs, zeitweise sogar mehr. Dabei war dieser nicht gerade niedrig, denn es handelte sich um zwei normale Werktage. Wegen des großen Angebots an Strom, das sich in den von den Netzbetreibern verwendeten meteorologischen Simulationen mindestens zwei Tage im Voraus abgezeichnet haben mußte, hatte Tennet sich im Ausland nach Abnehmern umgeschaut. Atom- und Braunkohlekraftwerke lassen sich nämlich nur schlecht drosseln, und daher kommt es in solchen Situationen vor, daß deutsche Stromkonzerne ihr Produkt wie Sauerbier anbieten, weil sie diese großen Grundlastkraftwerke weiterfahren lassen wollen. Manchmal, wie zuletzt in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar, wird den Kunden an der Strombörse in Leipzig sogar Geld angeboten, wenn sie die überschüssige Produktion abnehmen.

Tennet hatte also für den 8. und 9. Dezember einen Teil des Windstroms bereits im Voraus nach Österreich und Italien verkauft. Nun fiel in dieser Situation unerwartet das bayerische AKW Gundremmingen C wegen eines Defekts an einem Brennstab aus. Knapp 1,3 Gigawatt elektrischer Leistung mußten ersetzt werden. Das ist etwa so viel, wie rund 1000 etwas ältere Windräder in Spitzenzeiten liefern. Sollte Tennet also in dieser Situation den Windstrom, der den südlichen Nachbarn zugesagt war, in die bayerischen Verteilernetze einspeisen? Das hätte – verständlicherweise – empfindliche Konventionalstrafen nach sich gezogen.

Der Netzbetreiber entschied sich also, die für den deutschen Sonderbedarf in Österreich bereitstehenden Kraftwerke anwerfen zu lassen. Soweit ist alles nachvollziehbar und nicht ganz ungewöhnlich. In den jüngsten Medienberichten wird jedoch Wochen später eine andere Geschichte daraus gemacht. Die unerwartete AKW-Panne, die der Auslöser war, wird nur am Rande erwähnt.

Stattdessen liest sich das Ganze, als sei das eigentliche Problem das unzureichende Netz gewesen. Der plötzliche Zusatzbedarf in Bayern habe nicht mit Windstrom aus dem Norden abgedeckt werden können, weil dafür die Netze nicht gereicht hätten. Ergo: Das Land brauche dringend neue Höchstspannungsleitungen, und zwar 4500 Kilometer, wie Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am vergangenen Freitag auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen meinte, die äußerst zweifelhafte Höchstschätzung der Netz­agentur zitierend.

Dabei ließen sich aus den Ereignissen auch ganz andere Schlüsse ziehen. Zum Beispiel, daß es Blödsinn ist, die notwendigerweise sehr variabel Strom liefernden Solar- und Windkraftanlagen mit schwerfälligen Großkraftwerken zu kombinieren, die aus technischen und wirtschaftlichen Gründen möglichst rund um die Uhr laufen müssen. Doch keiner der Journalisten kam auf die Idee, auf den Unfug hinzuweisen, in der jetzigen Situation noch neue Dinosaurier dieser Art in die Landschaft stellen zu wollen, wie es etwa die rot-rote Landesregierung in Brandenburg, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder auch der FDP-Vorsitzende fordern. Genauso wenig gab es in einem der erwähnten Medienberichte den Hinweis, daß in Bayern wie auch in dessen Nachbarländern Baden-Württemberg und Hessen, der Ausbau der Windenergie wegen massiver Behinderung durch Unionsregierungen bisher so gut wie unterblieben ist.

Quelle: www.jungewelt.de vom 11.01.12

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 11. Januar 2012 um 16:48 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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