Wolfgang Huste Polit- Blog

Im Sachsensumpf. In Dresden beginnt heute ein Prozeß gegen zwei ehemalige Kinderzwangsprostituierte wegen Verleumdung. Sie hatten hochrangige Juristen als Freier benannt. Von Markus Bernhardt

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In die Ermittlungen bezüglich der unter dem Stichwort »Sachsensumpf« bekannt gewordenen Aktivitäten krimineller Netzwerke im Freistaat scheint wieder Bewegung zu kommen. Seit 2007 versuchen die Mitglieder eines damals eigens eingesetzten Untersuchungsausschusses im sächsischen Landtag, Licht ins Dunkel des mafiösen Treibens zu bringen, welches mehr an einen schlechten Mafiafilm denn an Zustände in einem deutschen Bundesland erinnert. So sollen Politiker sowie Bedienstete von Polizei und Justiz Teil eines kriminellen Netzwerkes in Sachsen gewesen sein, dem unter anderem Verrat von Dienstgeheimnissen, Korruption, Verstrickung in Kinderprostitution und dubiose Mordanschläge bzw. angebliche Selbstmorde sowie zweifelhafte Immobiliengeschäfte vorgeworfen werden.

Der Skandal hatte 2007 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt; in den vergangenen Monaten war es deutlich ruhiger darum geworden. Eine Reportage im Magazin der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit könnte nun Bewegung in den »Sachsensumpf« bringen. Erstmals geht eine frühere Kinderzwangsprostituierte an die Öffentlichkeit. Mandy Kopp, heute 35, war vor knapp 20 Jahren im Leipziger Bordell »Jasmin« verprügelt und zum Sex gezwungen worden.
Belastende Aussagen
Das Geschehen rund um die damaligen Ereignisse im »Jasmin«, welches 1993 von der Polizei geschlossen worden war, ist einer der Hauptpunkte des bis dato nahezu unaufgeklärten »Sachsensumpfes«. Sollen sich doch dort auch hochrangige Vertreter der Justiz an Minderjährigen vergangen haben. Bereits im Jahr 2008 hatten Kopp und eine weitere frühere Kinderprostituierte bei der Dresdner Staatsanwaltschaft ausgesagt, den ehemaligen Vizepräsidenten des Landgerichtes Leipzig, Jürgen Niemeyer, sowie den jetzigen Präsidenten des Chemnitzer Landgerichtes, Norbert Röger, wiedererkannt zu haben. Beide wurden bezichtigt, in den sogenannten Wendejahren minderjährige Mädchen mißbraucht zu haben. Da die beiden Juristen dies bestreiten, soll Kopp und der anderen Betroffenen ab heute wegen Verleumdung in Dresden der Prozeß gemacht werden. Den beiden Zeuginnen wird vorgeworfen, vorsätzlich falsche Angaben gemacht zu haben. Sie könnten mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.

Während sich der Chemnitzer Landgerichtspräsident Norbert Röger gegenüber dem Zeit-Magazin nicht äußern wollte, da die Geschichte für ihn abgehakt sei, zeigt sich Jürgen Niemeyer, der sich als Opfer einer Kampagne sieht, gesprächsbereit. Tatsächlich kommt dem Juristen, der 1992 von Stuttgart nach Leipzig gezogen war, um dort beim Aufbau des Justizsystems behilflich zu sein, die gewichtigere Rolle in besagtem Skandal zu. So war Niemeyer in seiner Funktion als Richter an der Verhandlung gegen den Besitzer des »Jasmin«, beteiligt. Er hatte den Zuhälter wegen schweren Menschenhandels und sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu vier Jahren Haft verurteilt, was, so sagt er gegenüber dem Zeit-Magazin selbst, »ein großes Entgegenkommen, aber gerade noch vertretbar« gewesen sei.

Niemeyer meint zudem – so steht es ebenfalls in der Reportage – daß die Frauen (sic!) gar nicht zur Prostitution gezwungen worden seien und das »Jasmin« jederzeit hätten verlassen können. Ähnlich scheint dies die Staatsanwaltschaft Dresden zu sehen, die – wie auch Niemeyer – von »Prostituierten« spricht, anstatt das Martyrium, welches die minderjährigen Mädchen erdulden mußten, auch nur in Ansätzen verbal realitätsgetreu zu würdigen. Mit der Bezeichnung der Mädchen als Prostituierte wird indes zumindest suggeriert, daß die sexuell, physisch wie psychisch mißhandelten Frauen in ihren Jahren als Kinder bzw. Jugendliche aus Jux und Dollerei – und frei von Zwängen – der Prostitution nachgegangen seien.
Alltägliche Gewaltexzesse
Dies liest sich indes in Akten der Polizeidirektion Leipzig, in denen frühere Zeugenvernehmungen aus dem Jahr 1993 dokumentiert sind und die junge Welt vorliegen, gänzlich anders. So sagt eine Betroffene darin aus, daß im »Jasmin« insgesamt fünf Mädchen anwesend gewesen seien. »Hierbei mit mir und meiner Freundin vier Minderjährige im Alter von 14 bis 16 Jahren.« In einem weiteren Protokoll über eine Vernehmung in nichtöffentlicher Sitzung berichtet die gleiche Zeugin im Januar 1993, daß ihr angedroht worden sei, erschossen zu werden, »wenn wir auf die Idee kommen würden, aus der Wohnung abzuhauen«. Auch andere Zeuginnen berichteten, geschlagen und bedroht worden zu sein. In einer weiteren Vernehmung einer anderen Betroffenen durch die Polizeidirektion Leipzig im April 1993 wird das tatsächliche Ausmaß der in besagtem Kinderbordell offenbar alltäglichen Gewaltexzesse deutlich. So antwortet eines der damals dort mißbrauchten Mädchen auf die Frage, ob sie von einem der Bordellbetreiber zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden sei: »Ja, er hatte mich mit einer Lederpeitsche und einem Gummiknüppel auf den Rücken und den Bauch geschlagen. Aufgrund dessen konnte ich auch keinerlei weitere Gegenwehr entgegenhalten. Ich versuchte mich immer wegzudrehen, aber es war ohne Erfolg. Ich mußte auch immer leicht bekleidet gehen. Dabei hatte er mir dann die Sachen vom Leib gerissen und mich geschlagen. Er hatte auch Morddrohungen gegen mich und die anderen ausgesprochen. (…) Weiterhin sagte er noch, sollte ich jemals einem etwas erzählen, dann bekomme ich eine Kugel durch den Kopf.«

Die von zwei Betroffenen unabhängig voneinander gegen seine Person erhobenen Vorwürfe erklärt sich Jürgen Niemeyer unterdessen damit, daß diese zu den Aussagen gedrängt worden seien. »Wir waren in Leipzig die Repräsentanten der Westjustiz, haben manche Polizisten nicht gut behandelt«, sagt der Jurist, der sich als »Kinderficker diffamiert« sieht.

Dies legt die Vermutung nahe, daß auch Niemeyer damit sagen will, es seien alte DDR-Netzwerke gewesen, die sich an der westdeutschen Siegerjustiz hätten rächen wollen. Ähnliche Bekundungen hatte es bereits in der Vergangenheit seitens konservativer Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gegeben, die sich bemühten, das kontinuierliche Aufklärungsinteresse der beiden engagierten sächsischen Linke-Abgeordneten Klaus Bartl und Volker Külow damit zu erklären, daß sie in der DDR Funktionsträger gewesen seien.

Quelle: www.jungewelt.de vom 06.03.12

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 06. März 2012 um 17:12 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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