Der seit 14 Monaten laufende zweite Prozeß um den Verbrennungstod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle steht an einem Wendepunkt. Am Dienstag stellte die Nebenklage einen Befangenheitsantrag gegen die verhandelnde Kammer des Magdeburger Landgerichts. Die Anwälte reagierten damit auf eine Ankündigung der Vorsitzenden Richterin Claudia Methling vom Montag. Methling hatte vorgeschlagen, den Prozeß gegen Zahlung einer Geldstrafe einzustellen. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung des angeklagten Polizeibeamten Andreas Schubert stehen noch aus. Methling begründete ihr Ansinnen mit der langen Dauer und damit, daß keine weiteren Beweise zu erwarten seien.
Zunächst müssen aber sogenannte Vertretungsrichter den Befangenheitsantrag prüfen. Anfang nächster Woche wird eine Entscheidung erwartet.
Massenhafte Polizeipräsenz und eine Vollsperrung der Straße vor dem Gericht sprachen am Dienstag für sich. Auch wenn der Einsatzleiter gegenüber junge Welt versicherte, es gehe nur um die Sicherheit der Teilnehmer der Mahnwache, war der Hauptgrund offenbar die Brisanz der gestrigen Verhandlung. Denn sollte das Gericht das Verfahren einstellen, gibt es weder einen Schuldspruch noch ein Schuldeingeständnis des Angeklagten, folglich auch keinen Täter.
Die Anwälte der Nebenklage, die Jallohs Familie vertreten, bezeichneten das Ansinnen der Richterin am Dienstag als »völlig unangemessen«. Rechtsanwältin Gabriele Heinecke sagte zu jW: »Laut Strafprozeßordnung kann nur bei einem Vergehen eingestellt werden, bei dem zudem kein öffentliches Interesse an einer Verfolgung besteht. Dies ist bei einem Verbrechenstatbestand mit Todesfolge nicht der Fall.« Es steht für sie außer Frage, daß es sich darum handelt. »Selbst wenn Jalloh sich selbst angezündet haben sollte, wissen wir, daß der Angeklagte willkürlich die Alarmanlagen ausgestellt hat.« Heinecke glaubt, das Gericht sei »gar nicht gewillt, die Vorgänge im Polizeirevier aufzuklären«. So habe es zum Beispiel erst am Montag die Anhörung der Ärztin eines in den Fall involvierten Polizisten abgelehnt, wie zuvor schon ein weiteres Brandgutachten.
Mit dem Befangenheitsantrag solle deutlich werden, »daß wir die zuständigen Richter nicht für unparteiisch halten«, so Heinecke. Allerdings erreichte die Nebenklage damit vorerst nur einen Aufschub. Falls dem Antrag zugestimmt wird, müßte der Prozeß neu aufgerollt werden. Daran glaubt Heineckes Kollege Philipp Napp, ebenfalls Nebenklagevertreter, allerdings nicht. Er hofft aber darauf, daß die Staatsanwaltschaft der Einstellung nicht zustimmt. Dann muß es ein Urteil geben.
Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh war am Morgen des 7. Januars 2005 in Dessau in Polizeigewahrsam genommen worden. Wenige Stunden später verbrannte er in seiner Zelle. Der Version der Polizei zufolge soll er sich trotz Fesselung an Händen und Füßen selbst angezündet haben. Im ersten Prozeß sprach das Landgericht Dessau-Roßlau Ende 2008 zwei Polizeibeamte frei. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte das Urteil später jedoch aufgehoben. Freunde von Jalloh machten anschließend dessen Familie ausfindig, um über die Nebenklage einen neuen Prozeß ins Rollen zu bringen. Seit Januar 2011 ermittelt das Landgericht Magdeburg gegen den ehemaligen Dienstgruppenleiter. Ihm wird vorgeworfen, den Feueralarm mißachtet und nicht schnell genug reagiert zu haben. Die genauen Umstände von Jallohs Tod sind bis heute ungeklärt.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.03.12
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