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Geld für Schrottreaktoren. Pannen-AKW Brunsbüttel und Krümmel: Stromkonzern Vattenfall verklagt BRD auf Schadenersatz wegen entgangener Einnahmen nach »Atomausstieg«. Von Wolfgang Pomrehn

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Vattenfall will es wissen. Der schwedische Staatskonzern hat vergangene Woche vor einem in der US-Hauptstadt Washington ansässigen internationalen Schiedsgericht, dem ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes, Internationales Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten), eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Das Unternehmen verlangt Entschädigung für angebliche entgangene Einnahmen aus seinen beiden Atomkraftwerken (AKW) Krümmel und Brunsbüttel, die vor rund einem Jahr per Beschluß des Bundestages endgültig stillgelegt worden waren. Weder Krümmel noch Brunsbüttel hatten allerdings in den vier Jahren zuvor Strom ins Netz eingespeist, sieht man einmal von einem einwöchigen Intermezzo im Juli 2009 ab. Kurzschlüsse und spektakuläre Transformatorenbrände hatten die beiden Meiler 2007 außer Betrieb gesetzt. Brunsbüttel war zuvor bereits bundesweit als Pannenreaktor verschrieen, und zeitweilig ermittelte die schleswig-holsteinisch Staatsanwaltschaft gegen Vattenfall wegen dessen laxen Umgangs mit den Meldepflichten, die bei Unfällen in AKW existieren. Ein Rechtsgutachten war zu dem Ergebnis gekommen, daß das Brunsbüttel seit 2010 keine gültige Betriebsgenehmigung mehr besitzt. Beide Meiler waren im Rahmen des »Atomausstiegs« stillgelegt worden und stehen in Schleswig-Holstein an der Elbe.

Das ICSID ist Teil der Weltbankgruppe, aber das spielt für das Verfahren eigentlich keine Rolle. Interessanter ist, daß Vattenfall sich auf den Energiecharta-Vertrag beruft, ein Abkommen, zu dessen Zustandekommen die Regierung Kohl Anfang der 1990er Jahre maßgeblich beigetragen hatte. Die Energie-Charta ist eines von weit über hundert sogenannten Investitionsschutzabkommen, die Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten abgeschlossen hat. Kein anderes Land ist beim Aushandeln derartiger Verträge so erfahren und engagiert. Sie dienen dazu, die Interessen der eifrig Kapital exportierenden deutschen Unternehmen im Ausland zu schützen. Dank Vattenfall bekommen nun die Bundesbürger zur Abwechslung einmal vorgeführt, um welch überaus kritikwürdige Deals es sich dabei handelt.

Die Verfahren vor Schiedsgerichten laufen hinter verschlossenen Türen, die Schiedssprüche sind nicht anfechtbar. Als besonderes Schmankerl in dem gegenwärtigen Verfahren kommt hinzu, daß auf seiten der Bundesregierung das Bundeswirtschaftsministerium zuständig ist – also jene Behörde, die in der Vergangenheit wiederholt demonstriert hat, wie sehr sie den Interessen der großen Energiekonzerne zugeneigt ist. Da aber in der Energie-Charta und in vergleichbaren Abkommen weitgehende Geheimhaltung vereinbart ist, hat die hiesige Öffentlichkeit kaum Möglichkeiten, das Verfahren zu verfolgen. Nicht einmal der Betrag, auf den die Bundesrepublik verklagt wurde, ist bekannt. Vermutlich wird es sich um eine knappe Milliarde Euro handeln.

Vattenfall ist im Besitz des schwedischen Staates. Hierzulande betreibt es einige Steinkohle- und vor allem Braunkohlekraftwerke. Je eines dieser Art befinden sich in Hamburg und in Boxberg (Lausitz) im Bau. Über 70 Prozent des in der BRD erzeugten Vattenfall-Stroms wird in besonders umweltschädlichen Braunkohlekraftwerken erzeugt. In Südbrandenburg strebt der Konzern die Erschließung neuer Tagebaue an. Außerdem besitzt das Unternehmen einen 20-Prozent-Anteil am AKW Brokdorf, ebenfalls in Schleswig-Holstein gelegen, das nach derzeitigem Stand der Dinge noch bis 2021 laufen wird.

Das Aktionsbündnis »Atomausstieg selber machen« fordert derweil Vattenfall-Kunden auf, zu Unternehmen zu wechseln, die Strom aus Wind- oder Solarkraftwerken anbieten. »Mit der Klage hebelt Vattenfall geltende deutsche Gesetze aus«, meint Bündnissprecherin Melanie Ball. »Besonders dreist an der Klage ist, eine Millionenentschädigung für Atomkraftwerke zu verlangen, die schon seit Jahren stillstanden, weil sie kaputt waren«, so Ball, und sie fragt rhetorisch: »Wollen Sie freiwillig jemandes Kunde sein, der Sie gleichzeitig vor Gericht auf Schadenersatz verklagt?« Letztlich seien es die Steuerzahler, die den Atomkonzern entschädigen müssen, wenn er das Verfahren gewinnt.

Ähnliche Ausstiegskampagnen sind in der Umweltbewegung beliebt, seit dem der Strommarkt liberalisiert wurde. Problematisch ist dabei, daß auf die privaten Verbraucher nur ein gutes Fünftel des bundesweiten Strombedarfs entfällt. Ihre Macht als Konsumenten ist also begrenzt. In Berlin, Hamburg und einer ganzen Reihe weiterer Städte und auch Landkreise haben sich daher in den vergangenen Jahren Initiativen gegründet, die die lokalen Stromnetze wieder unter öffentliche Kontrolle bekommen wollen. Ansatzpunkt sind dafür die vielerorts in den nächsten Jahren anstehenden Verhandlungen über neue Konzessionsverträge für die Netzbetreiber. Außerdem gibt es Bestrebungen, entweder neue Stadtwerke zu gründen, wie es der Berliner »Energietisch« fordert, oder die privatisierten alten Stadtwerke wieder in kommunales Eigentum zu überführen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 08.06.12

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 08. Juni 2012 um 01:30 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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