Wolfgang Huste Polit- Blog

Terrorjournalismus. Geheimdienst bangt um Ansehen. Von Sebastians Carlens

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Der Geheimdienstchef muß öffentlich aussagen, Abgeordnete besuchen den Verfassungsschutz, Ausschußobleute stöbern in Klarnamendateien: So nah wie dieser Tage ist man deutschen Inlandsspionen noch nie gekommen – und wird man vermutlich auch für lange Zeit nicht mehr. Mit dem Auftritt des einstigen Agentenführers Andreas Temme im ARD-Magazin »Panorama« am Donnerstag hat die Transparenzoffensive der Geheimen ihren bisherigen Höhepunkt erreicht: Der hessische Verfassungsschützer, als »kleiner Adolf« bekanntgeworden und nach dem neunten mutmaßlichen NSU-Mord im Jahr 2006 erster Verdächtiger, konnte seine Sicht der Dinge beim Kirschen pflücken im heimischen Garten darlegen. Eine Homestory im Abendprogramm.

Der Exspion als unschuldiges Opfer? Seine erwiesenen Lügen bei der polizeilichen Untersuchung des Mordes, bei dem er zugegen gewesen sein soll – in »Panorama« keine Erwähnung wert. Eine obskure Firma auf seinen Namen, von der Die Zeit berichtet; ein nicht gemeldetes Handy; illegale Munitionsvorräte in der Privatwohnung – für »Panorama« irrelevant. Und schließlich die beunruhigenden Aussagen des damals gegen Temme ermittelnden Polizeidirektors Gerald Hoffmann – bei »Panorama« ebenfalls unwichtig. Das Magazin erzählt die Geschichte eines Mannes, der nur mit einer erotischen Chatbekanntschaft flirten wollte und nun mit dem Stigma des falschen Verdachts zu kämpfen hat.

Man kann die Sache auch völlig anders sehen. Die Autoren Stefan Aust und Dirk Laabs trugen in der Zeit Ungereimtheiten zu Temmes Rolle beim Attentat in Kassel zusammen und stellen die Frage, ob nicht er selbst der Täter gewesen sein könnte. Beweise dafür liefern sie nicht, aber Indizien. Diese wiegen immerhin schwer genug, um auch Ermittler Hoffmann nach wie vor an der Rolle seines – 2007 freigesprochenen – einstigen Hauptverdächtigen zweifeln zu lassen. Wenn die Zeit-Autoren Recht haben, wenn nicht Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Mörder Halit Yozgats sind, sondern Andreas Temme, dann müßte die Geschichte des NSU ganz neu geschrieben werden: Wie gelangte dann die Tatwaffe aus Kassel in die Zwickauer Brandruine? Warum feiert das NSU-Bekennervideo eine Tat, die ein anderer begangen hat? Doch neben dieser ganz großen Verschwörung läßt der Verdacht der Zeit auch eine andere Variante zu: Temme und der NSU könnten zusammengearbeitet haben. Eine »Strategie der Spannung«, umgesetzt von Verfassungsschutz und Neonazis?

Vielleicht aber ist Andreas Temme tatsächlich unschuldig, vielleicht handelt es sich wirklich nur um einen dummen Zufall – genauer: um hunderte Zufälle. Verschwörungstheorien zumindest haben dieser Tage mitunter eine kurze Konjunktur. Allzuoft entpuppten sich Annahmen über Naziterroristen im Untergrund, staatliche Finanzierung von Faschisten und bizarre Praktiken in den Ämtern als schrecklich realistisch.

Quewlle: www.jungewelt.de vom 07.07.12

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 07. Juli 2012 um 13:11 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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