Der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) lobt den gewalttätigen Einsatz der Polizei gegen die Blockupy-Demo am 1. Juni, die sich gegen die unsoziale europäische Krisenpolitik richtete, immer noch als vorbildhaft. Nach Salamitaktik rücke er nur scheibchenweise davon ab, gebe unter dem Druck der Kritik nur jeweils zu, was nicht mehr zu leugnen sei, konstatiert die Vorsitzende der Fraktion die Linke in Hessen, Janine Wissler. Über zunehmend abstruse Einlassungen Rheins im hessischen Landtag herrscht Ungläubigkeit und Empörung: Organisatoren und Teilnehmer der Demonstration mit mehr als 10000 Menschen – sogar Polizisten, die dabei waren – glauben ihren Ohren nicht mehr trauen zu können. Bei Veranstaltungen aller Art in Hessen meldeten sich mittlerweile Bürger zu Wort, um ihre völlig entgegengesetzte Wahrnehmung, nämlich Erfahrungen mit Pfefferspray-Attacken, Polizeiknüppeln und Einkesselung schildern zu können, so Ulrich Wilken, Landesvorsitzender Die Linke, am Samstag gegenüber junge Welt. Als »wahnwitzigen Versuch, Realität umzudeuten«, bezeichnen auch Organisatoren des Blockupy-Bündnisses die Äußerungen des Innenministers. Wie flexibel Rhein dabei mit Fakten umgehe, zeige dessen Einschätzung, wie viele gewaltbereite Demonstranten angeblich dabei gewesen sein sollen: Auf rund 900 beziffert er sie – also exakt die Anzahl derer, die die Polizei eingekesselt hatte. Für den Innenminister gelte offenbar die Devise: »Gewaltbereit ist, wer von der Polizei eingekesselt und mißhandelt wird«, schlußfolgert Blockupy-Sprecher Roland Süß. Folge man dieser »verdrehten, zutiefst autoritären Logik«, seien die Opfer von Polizeigewalt per Definition Gewalttäter.
Auch in Polizeikreisen gibt es Unruhe, die jetzt nach außen dringt: Am Einsatz beteiligte Beamte kritisieren gegenüber der Frankfurter Lokalpresse unverhohlen, auf welche Weise der Einsatz von der Landeshauptstadt Wiesbaden aus ferngesteuert wurde. Die Konfliktlinie verlaufe mitten durch die Polizei. Zwischen der Demoleitung, Werner Rätz von ATTAC, und dem hochrangigsten Einsatzleiter an Ort und Stelle sei man sich am 1. Juni dagegen einig gewesen, den Protestzug ohne maßgebliche Zwischenfälle an der Europäischen Zentralbank (EZB) vorbeiführen zu können, bestätigt Wilken.
Eine parlamentarische Aufklärung all dessen wird aber nicht stattfinden. Die Einrichtung eines von der Linken beantragten Untersuchungsausschusses im Landtag ist am Donnerstag letztlich nicht an der CDU/FDP-Regierung gescheitert – sondern an fehlenden Oppositionsstimmen der SPD. Wilken erklärt das so: Nancy Faeser, nach einem möglichen Sieg bei den Landtagswahlen am 22. September für den Innenministerposten vorgesehen, orientiere sich an einem möglichen Zukunftsszenario und baue vor: »Wenn die Antikapitalisten bei Blockupy 2014 wieder demonstrieren, würde sie sich wohl kaum anders verhalten als der derzeitige Innenminister«.
Viele sind entsetzt, daß die hessische SPD sich der dringend notwendigen Aufklärung in den Weg stellt, denn die Lügen werden dreister: Der Frankfurter Polizeipräsident Achim Thiel hat etwa in einem Interview in Bild am Freitag – vier Wochen nach der Demonstration – infrage gestellt, ob es Pfefferspray-Einsätze der Polizei bei der EZB-Blockade und der Großdemo überhaupt gegeben hat; unbeeindruckt davon, daß es zahlreiche Betroffene gibt – darunter Journalisten, Rechtsanwälte, Demobeobachter. Rhein bestreitet, daß Demonstranten im Polizeikessel gezwungen worden seien, durch ein Hundespalier zu laufen, obgleich Sanitäter und andere Augenzeugen dies berichten. »Ja, leben wir denn in Hessen in einer Bananenrepublik?«, fragt Wilken.
Die Linke Hessen hat bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Verhinderung einer Demonstration nach dem Versammlungsgesetz gestellt, damit »all die Lügen ihnen noch um die Ohren fliegen, wenn auch möglicherweise erst nach Jahren gerichtlicher Verhandlung«. Die bislang geringe Anzahl von 15 Strafanzeigen von Demonstranten gegen die Polizei erklärt Wilken damit, daß die meisten jegliches Vertrauen in den Rechtsstaat verloren hätten. Rechtsanwälte hätten der Linken gegenüber geäußert, daß mehrere Anzeigen in Vorbereitung seien.
« Unvollständig. Zur Anpassung der Renten zum 1. Juli erklärt der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Matthias Birkwald: – Strom könnte günstig sein. Greenpeace-Studie: Sinkende Preise am Markt. Betreiber geben Effekt nicht weiter. Verzerrungen bei EEG-Umlage treiben Kosten für Privatverbraucher und Kleinunternehmer. Von Wolfgang Pomrehn »
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