Die Erkenntnisse werden an die Zentrale der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau weitergegeben, die dann wiederum die Reaktion der EU-Staaten koordiniert. So soll das bisher auftretende »Problem« vermieden werden, daß sich an einzelnen Abschnitten der EU-Außengrenzen die Grenzbeamten konzentrieren, während andere Abschnitte gänzlich unbewacht sind. Um einen effektiven Ressourceneinsatz zu gewährleisten, ordnet die Frontex den einzelnen Grenzabschnitten unterschiedliche »Risikostufen« zu. Die Abschottungsagentur erhält dadurch ein noch stärkeres Gewicht im Rahmen des europäischen Grenzschutzes – ohne daß diesem faktischen Machtzuwachs eine entsprechende öffentliche und parlamentarische Kontrolle gegenübersteht. Sie ist lediglich der EU-Kommission, nicht aber gewählten Abgeordneten rechenschaftspflichtig. Gänzlich außerhalb der öffentlichen Kontrolle steht die Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Mittelmeeranrainern. Sie sollen in die Lage versetzt werden, schon das Ablegen von Booten von ihren eigenen Küsten zu verhindern. Libyen, Tunesien und Ägypten machen das in Kooperation mit der italienischen Küstenwache schon heute. Diese Zusammenarbeit mit Drittstaaten soll mit Eurosur ausdrücklich ausgebaut werden.
Die verantwortlichen Politiker betonen vor allem das angeblich humanitäre Motiv: EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström behauptete am Montag, Eurosur solle helfen, »Migranten auf überfüllten und nicht seetüchtigen Booten zu retten und so weitere Flüchtlingstragödien im Mittelmeerraum zu vermeiden«. Allerdings wird die Seenotrettung einzig im Einleitungstext der Verordnung und dort erst an dritter Stelle erwähnt.
»Europa will quasi überhaupt nicht ermöglichen, daß Flüchtlinge Europa erreichen«, kritisierte der Geschäftsführer der Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, im Radiosender SWR2. Das sei humanitär nicht zu verantworten. Das ist leider eine fast harmlose Umschreibung solcher Katastrophen wie am 11. Oktober vor Lampedusa. Dort war ein Schiff mit ca. 480 Flüchtlingen gesunken, 250 ertranken. Mangelnde Seeraumüberwachung war damals nicht das Problem: Ein Passagier hatte bereits Stunden vor dem Untergang die italienische Küstenwache informiert. Die verwies auf die Zuständigkeit Maltas. Dessen Küstenwache wartete stundenlang ab und war erst zur Stelle, als das Boot schon gesunken war. Nach Recherchen von »Watch the Med«, einer Organisation, die Menschenrechtsverletzungen an den EU-Seegrenzen nachgeht, war ein italienisches Kriegsschiff die ganze Zeit nur 48 Kilometer entfernt, blieb aber untätig.