Wolfgang Huste Polit- Blog

Wer gab den Schießbefehl? Abgehört und ins Internet gestellt: Telefongespräch zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton

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junge Welt dokumentiert das Telefongespräch zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und der Hohen Vertreterin der EU für Außenpolitik, Catherine Ashton. Das Gespräch fand am 26. Februar, einen Tag nach Paets Besuch in Kiew, statt, es wurde abgehört und am 5. März ins Internet gestellt. Seine Authentizität wurde von Minister Paet bestätigt, Ashton wollte sich nicht dazu äußern (siehe jW vom 6. März). Paets Informationen zufolge verstärkt sich der Verdacht, daß Demonstranten und Polizisten auf dem Maidan von ein- und denselben Scharfschützen erschossen wurden, hinter denen nicht, wie in den westlichen Medien berichtet, der inzwischen entmachtete Präsident Wiktor Janukowitsch stand, sondern Mitglieder der neuen prowestlichen Regierungskoalition, zu der auch Faschisten gehören. Das Internetportal weltnetz.tv veröffentlichte das Gespräch als Videodatei unterlegt mit deutschen Untertiteln (weltnetz.tv/video/532).

Ashton: Hallo, wie geht’s?

Paet: Gut, und Ihnen?

Ashton: Gut, gut, ich wollte nur hören, was Sie dort gesehen haben.

Paet: Ich bin schon gestern Nacht zurückgekommen, nach einem Tag.

Ashton: Welche Eindrücke?

Paet: Starke Eindrücke. Ich habe Vertreter der Partei der Regionen getroffen, auch der neuen Koalition und der Zivilgesellschaft. Da ist diese Dame mit Namen Olga, die Leiterin der Ärzte … Sie kennen sie?

Ashton: Ja, ich kenne sie.

Paet: Nun, mein Eindruck ist, daß es kein Vertrauen gibt, auch nicht in die Politiker, die jetzt in die Koalition zurückkehren. Die Leute vom Maidan und aus der Zivilgesellschaft sagen, sie kennen alle, die in der neuen Regierung sein werden. All diese Typen haben eine schmutzige Vergangenheit. Sie haben Angebote gemacht an Olga und einige andere aus der Zivilgesellschaft, in die neue Regierung einzutreten. Aber diese Olga zum Beispiel sagt, daß sie nur in die Regierung geht, wenn sie ihr Team, ausländische Experten, mitbringen kann, um wirkliche Gesundheitsreformen zu beginnen.

Es gibt also sehr wenig Vertrauen. Und auf der anderen Seite, all die Sicherheitsprobleme, die Integrationsprobleme, die Krim und all das Zeug. Die Partei der Regionen ist total entrüstet. Sie akzeptieren jetzt, daß es eine neue Regierung geben wird und außerordentliche Wahlen. Aber es gibt großen Druck auf die Abgeordneten des Parlaments. Ungebetene Gäste besuchen nachts Parteimitglieder. Einige Journalisten, die mich begleiteten, haben tagsüber gesehen, wie ein Abgeordneter vor dem Parlamentsgebäude zusammengeschlagen wurde von diesen Typen mit Gewehren auf der Straße.

Der ganze Schlamassel ist noch da. Leute wie diese Olga aus der Zivilgesellschaft sind sich absolut sicher, daß die Menschen die Straße nicht verlassen werden, bevor sie nicht sehen, daß wirkliche Reformen beginnen. Der Regierungswechsel ist nicht genug. Das ist der wichtigste Eindruck.

Aus der Sicht der EU und der estnischen Regierung sollten wir bereit sein, das Finanzpaket zu schnüren – auch zusammen mit anderen. Wir brauchen eine klare Botschaft, daß es nicht genügt, die Regierung zu wechseln, sondern wirkliche Reformen, echte Aktionen, um das Vertrauen zu stärken. Ansonsten wird es schlimm enden.

Die Partei der Regionen sagte auch, nun, Sie werden sehen, daß die Leute aus dem Osten der Ukraine aufwachen und ihre Rechte einfordern werden. Einige sagten, sie waren in Donezk, und Leute dort sagen, wir können nicht warten, wie lange die Okkupation der Ukraine noch anhalten soll in Donezk. Das ist wirklich eine russische Stadt, und wir möchten, daß Rußland übernimmt … Eindrücke in Kürze.

Ashton: Sehr, sehr interessant. Ich hatte gerade ein großes Treffen hier mit Olli Rehn und den anderen Kommissaren, um darüber zu sprechen, was wir tun können. Wir arbeiten an einem Finanzpaket, kurz-, mittel- und langfristig. Wie wir dort schnell Geld hineinschaffen können, wie wir den IWF unterstützen können und wie wir Investmentpakete und Wirtschaftsführer bekommen etc. Auf der politischen Ebene haben wir aussortiert, welche Mittel wir haben, und ich habe der Zivilgesellschaft ein Angebot gemacht und Jazenjuk und Klitschko und allen anderen, die ich gestern traf. »Wir können euch Leute anbieten, die wissen, wie man politische und wirtschaftliche Reformen durchführt. Die Länder, die der Ukraine am nächsten sind, haben dramatische politische und wirtschaftliche Reformen durchgemacht. Wir haben große Mengen an Erfahrungen, die wir euch gerne geben können.«

Ich habe den Leuten auf dem Maidan gesagt: »Ihr wollt echte Reformen, aber ihr müßt erst das Kurzfristige machen. Ihr müßt Wege finden, wie ihr einen Prozeß beginnen könnt, um Antikorruption ins Zentrum zu stellen, mit Leuten zusammenarbeiten bis zu den Wahlen und ihr auf den Prozeß vertrauen könnt.« Und ich habe Olga gesagt, »vielleicht werden Sie nicht gleich Gesundheitsministerin, aber Sie sollten sich überlegen, in der Zukunft Gesundheitsministerin zu werden. Denn Leute wie Sie werden gebraucht, um sicherzustellen, daß das alles passiert.« Aber ich habe ihnen auch gesagt, »wenn ihr jetzt nur die Gebäude verbarrikadiert und die Regierung funktioniert nicht, dann können wir kein Geld hineinschaffen. Wir brauchen einen Partner, mit dem wir handeln können.«

Paet: Absolut.

»Es gibt sehr wenig Vertrauen« Urmas Paet

»Es gibt sehr wenig Vertrauen« Urmas Paet
Foto: EPA/ – dpa – Bildfunk

Ashton: Und ich sagte zu den Oppositionsführern, die sicherlich die Regierung stellen werden: »Sie müssen auf den Maidan zugehen, Sie müssen sich mit ihm einlassen. Sie müssen wieder normale Polizisten auf die Straße bringen, mit einem neuen Gefühl ihrer Rolle, damit die Menschen sich sicher fühlen.« Ich habe zu den Leuten der Partei der Regionen gesagt: »Sie müssen Blumen dort hinlegen, wo Menschen gestorben sind. Sie müssen zeigen, daß Sie verstehen, was Sie – was hier passiert ist. Was Sie hier erfahren, ist die Wut der Leute, die gesehen haben, wie Janukowitsch lebte und die Korruption. Und sie denken, daß Sie alle gleich sind. Und das sind Leute, die Menschen verloren haben, und sie denken, daß er das befohlen hatte.« Es gibt viel Betroffenheit in der Stadt. Traurigkeit und Betroffenheit. Und das wird sich in seltsamer Weise äußern, wenn sie nicht vorsichtig sind. Ich denke, wir müssen an all dem arbeiten. Ich hatte ein großes Treffen hier heute, um das alles einzuleiten. Ja, Ihre Beobachtungen sind sehr interessant.

Paet: In der Tat der einzige Politiker, den die Leute der Zivilgesellschaft positiv erwähnen, ist Poroschenko.

Also er genießt so eine Art Vertrauen bei all diesen Maidan-Leuten. Und was in der Tat sehr beunruhigend war, diese gleiche Olga sagte, daß alle Indizien darauf hinweisen, daß Menschen, die von Scharfschützen auf beiden Seiten getötet wurden, Polizisten und Demonstrierende, daß es die gleichen Scharfschützen waren, die Leute auf beiden Seiten erschossen.

Sie zeigte mir dann auch ein paar Fotos und sagte, daß sie als Ärztin sagen kann, daß es die gleiche Handschrift ist, die gleiche Art von Munition, und es ist wirklich besorgniserregend, daß die neue Koalition nicht gewillt ist zu untersuchen, was genau passiert ist. Somit wird der Verdacht verstärkt, daß hinter den Scharfschützen nicht Janukowitsch stand, sondern jemand aus der neuen Koalition.

Ashton: Ich denke, wir wollen untersuchen. Ich meine, ich wußte das nicht, das ist interessant, meine Güte …

Paet: Es war sehr beunruhigend, daß wenn das jetzt beginnt, ein starkes Eigenleben anzunehmen, daß es schon von Anfang an diese neue Koalition in Mißkredit bringt.

Ashton: Ich denke, davor müssen sie sich auch hüten. Sie müssen große Änderungen fordern, aber sie müssen die Rada auch arbeiten lassen. Wenn die Rada nicht funktioniert, dann gibt es totales Chaos. Also, Aktivist und Arzt zu sein ist sehr wichtig, aber es bedeutet nicht, daß man Politiker ist. Sie müssen sich irgendwie damit arrangieren für die kommenden Wochen, wie das Land tatsächlich regiert werden kann. Und dann kommen wir zu den Wahlen, und Dinge können sich ändern. (…) Ich werde nächste Woche wieder dorthin gehen, wahrscheinlich am Montag.

Paet: Es ist wirklich sehr wichtig, daß sich nun Leute aus Europa und aus dem Westen dort zeigen, damit es absolut…

Ashton: Nun, Miroslaw wird mit der Visegrad-Gruppe am Freitag kommen, William Hague am Sonntag und ich am Montag.

Paet: Ich hörte, daß auch der kanadische Minister am Freitag kommt, und wir haben William Burns gestern in Kiew getroffen …

Ashton: Ich wußte nicht, daß er kommt … Okay, mein Freund. Gut, mit Ihnen zu sprechen.

Paet: Danke für Ihre Anmerkungen. Gute Reise nach Australien.

Ashton: Was?

Paet: Genießen Sie Australien.

Ashton: Ich habe die Reise aufgeschoben, denn ich gehe statt dessen in die Ukraine …

Übersetzung: Doris Pumphrey/weltnetz.tv

Quelle: www.jungewelt.de vom 07.03.14

 

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 07. März 2014 um 17:27 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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