Mit unbeirrter Beharrlichkeit bemüht sich ein Teil der bürgerlichen Wissenschaftler seit dem Aufkommen des Faschismus als politischer Erscheinung um das Auffinden von dessen antikapitalistischem Kern. Was dem Faschismus an der Macht niemals gelingen konnte und was er stets durch seine Politik praktisch eindrucksvoll widerlegte, genau das wollen sie – darunter auch Vertreter, die sich als progressiv verstehen – im Faschismus erkannt haben. Sie wollen zeigen, daß insbesondere dem deutschen Faschismus ein völkischer Antikapitalismus zugrunde gelegen habe. Begründet wird dies mit Verweis auf die soziale Demagogie der Nazis und vor allem mit dem angeblich rational nicht erklärbaren Völkermord an den europäischen Juden. Dieser wäre nicht aus dem Kapitalismus zu erklären, sondern sei im Gegenteil selbst Ergebnis eines im Antisemitismus enthaltenen Antikapitalismus.
Bereits 1931 veröffentlichte die Satirezeitschrift Der Wahre Jacob eine Karikatur zum »Firmenschild« des Nationalsozialismus, die auf den erlogenen Charakter des »Sozialismus« der »Arbeiter«partei hinwies. Doch die nicht oft genug zu wiederholende Binsenweisheit, wonach die deutsche faschistische Partei trotz ihres Etiketts weder national noch sozialistisch war, gilt den Adepten des »nationalsozialistischen Antikapitalismus« als ökonomistischer Reduktionismus. Dieser vorgeblichen Einschränkung der Ursachen und Bedingungen des Faschismus auf die Ökonomie mache sich die marxistische Faschismusforschung schuldig. Statt das imperialistische Wesen des modernen Antisemitismus offenzulegen, beschäftigt man sich lieber mit der angeblich verkürzten Kapitalismuskritik der historischen KPD und wirft dieser bisweilen auch noch Judenfeindschaft vor.
Die Europäische Union gibt hierbei die Marschrichtung vor: Der 2008 vom EU-Parlament beschlossene »Europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus« am 23. August, dem Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags im Jahr 1939, ist der großangelegte geschichtspolitische Versuch, die Erinnerung an folgende Tatsache endgültig zu tilgen: Die Hauptlast des Widerstandes gegen den Faschismus wurde von organisierten Kommunisten gemeinsam mit Sozialdemokraten, fortschrittlichen Demokraten und anderen getragen.
Für den westdeutschen Sozialwissenschaftler Reinhard Opitz (1934–1986) waren die Frontlinien klar: »Es gilt, mein Leben als den Versuch darzustellen, aus dem Kindheitserlebnis des Zweiten Weltkrieges politische Konsequenzen zu ziehen und damit die Trauer in eine Aufforderung zu antiimperialistischem Kampf zu verwandeln.«1 Diese Haltung führte ihn in die nach dem Verbot von 1956 in der BRD illegale KPD und machte ihn zu einem konsequenten Antimilitaristen.
Für Opitz hatte die Faschismusanalyse einen »praktisch-politischen Wert«. Er legte seiner Forschung einen theoretischen Ansatz zugrunde: Denn »nur, wenn erklärt ist, wie Faschismus entsteht, läßt sich auch die Frage beantworten, wie er am besten bekämpft bzw. verhindert werden kann«.2 Seine theoretische Grundlage war also von keinen kurzfristigen politischen Taktiken abhängig, sie ordnete sich vielmehr in eine Generallinie ein. Dementsprechend formulierte er sein Forschungsprogramm im Vorwort zu seiner 1973 veröffentlichten Dissertationsschrift, die er zuvor an der Universität Marburg verteidigt hatte: »Demokratische Politikwissenschaft – oder einfach, was dasselbe ist, exakte – unterscheidet sich von bürgerlich-apologetischer durch eben [das] inhaltliche Begreifen der politischen Erscheinungen, d.h. durch das Wahrnehmen der in ihnen sich zur Geltung bringenden Klasseninteressen, die entsprechend der vom ökonomisch-technischen Fortschritt jeweils bewirkten realen Gesellschaftsdifferenzierung geschichtsbewegende Kraft gewinnen und in Gestalt politischer Interessenrichtungen den Kampf um das Recht der Gesellschaftsgestaltung aufnehmen.«3 Marx’ und Engels’ Bestimmung der Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen wird hier gleichermaßen als Grundlage wissenschaftlicher Politik und politischer Wissenschaft genutzt.
Opitz’ Faschismusanalyse findet ihren Ausgangspunkt in der klassischen Definition der Kommunistischen Internationale: »Der Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.« Es ist dieser Kernsatz der marxistischen Faschismustheorie, seitens der politischen Kontrahenten in polemischer Form als »Dimitroff-Formel« bezeichnet, auf den sich der Bannstrahl des Reduktionismus und Ökonomismus konzentriert. Eine Definition soll aber – um Klarheit zu schaffen –, aus den Erscheinungen und bestimmten Teilaspekten der gesellschaftlichen Wirklichkeit das wesentliche Verhältnis, in dem sich Erscheinungen und Teilaspekte ausprägen, auf den Begriff bringen. Dieser grundlegende Charakter einer Definition wird von den Kritikern übersehen. Weiterhin sehen die Gegner nicht den zeitlichen Kontext und die Tatsache, daß die Komintern kein akademisches Forschungsinstitut einer Hochschule war, sondern eine internationale politische Organisation, die 1935 dringend angehalten war, ihren nationalen Sektionen eine den Zweckmäßigkeiten der Auseinandersetzung angemessene Leitlinie an die Hand zu geben. Diese sollte sie in die Lage versetzen, den Faschismus zu begreifen und dadurch bekämpfen und gegebenenfalls stürzen zu können.
Unter anderen Bedingungen und über vier Jahrzehnte später präzisierte Opitz in sozialwissenschaftlicher Weise den Gehalt der klassischen Wesensbestimmung: »Faschismus ist diejenige terroristische Form der politischen Herrschaft des Monopolkapitals, die alle politischen Organisationen, in denen sich objektive Interessen der nichtmonopolistischen Schichten artikulieren – also vor allem und in erster Linie die genuinen Organisationen der Arbeiterklasse – der Illegalisierung und Verfolgung aussetzt.«4 Dieses Verständnis liegt auch Opitz’ Hauptwerk »Faschismus und Neofaschismus« zurgrunde. Es erschien 1984 beim Frankfurter Verlag Marxistische Blätter.5 Weitere Ausgaben folgten als zweibändiges Taschenbuch 1988 und 1991 im Pahl-Rugenstein Verlag und 1996 wieder einbändig in dessen Nachfolgeunternehmen. Bereits im Jahr der Ersterscheinung brachte der Akademie-Verlag Berlin eine Lizenzausgabe für die DDR heraus, und 1988 wurde eine russische Übersetzung im Moskauer Progress-Verlag publiziert.
Der erste Teil dieser Publikation trägt nicht den Charakter eines Geschichtsbuches, sondern den einer sozialwissenschaftlichen Studie. Opitz greift die Fragen auf, die der marxistischen Faschismustheorie als ihre vermeintlich »blinden Flecke« vorgeworfen werden. Vorwürfe, die als Begründung herhalten, warum es eines anderen Ansatzes zum richtigen Verständnis des Faschismus bedürfe. Er antwortet darauf, indem er auf marxistischer Grundlage Erklärungen zu diesen Themen herleitet. Im Unterschied zu anderen seiner Texte arbeitet er sich dabei weder an den Vorhaltungen seiner Kritiker ab, noch weist er die Schwächen von deren divergierenden Ansätzen auf. Statt dessen belegt er am Beispiel des deutschen Faschismus die – von ihren Gegnern unterschätzte – Leistungsfähigkeit marxistischer Analyse.
Er zeigt, wie gerade das, was als Ideologie des (deutschen) Faschismus gilt, aus dem Kapitalismus zu verstehen ist. So begegnet er all jenen, die der Erklärung des Faschismus aus dem Kapitalismus entgegenhalten, es würde dabei die Bedeutung der Ideologie für die Entstehung, Wirksamkeit und spezifische Ausprägung des Faschismus vernachlässigt. Als Marxist erliegt Opitz dabei nicht dem bürgerlichen Mißverständnis, unter Kapitalismus sei die Herrschaft des Geldes zu verstehen. Er weiß, daß es sich dabei um das Verhältnis von Kapitalisten- und Arbeiterklasse handelt, welches diese Gesellschaftsform prägt, und diese in der jeweiligen Entwicklung und den jeweiligen Bedingungen zu analysieren ist.
Die konkreten Bedingungen, unter denen die vor dem Faschismus wirksamen Ideologien Sozialdarwinismus, Rassismus und Antisemitismus zur Weltanschauung der Nazis verschmolzen wurden, sind die von Lenin beschriebenen Bedingungen für das imperialistisch gewordene deutsche Großkapital: Das sich rasch entwickelnde deutsche Finanzkapital fand für seinen Expansionsdrang kein Feld mehr, das nicht bereits vom konkurrierenden Kapital anderer Nationen besetzt war. »So war es vom Ende des Jahrhunderts an zunehmend elementar an einer solchen Erdneuverteilung – und damit an der Vorbereitung auf einen dazu dienenden Erdumverteilungskrieg – interessiert« (S. 7). Um auch die eigene Bevölkerung auf einen derartigen Krieg einzuschwören, bedurfte es daher keines Nationalismus, der das Recht auf den je eigenen Staat verkündete – wie es der frühere liberale Begriff der Nation als Bereich der freien Entwicklung der am Markt handelnden Individuen leistete. Es wurde ein neuer, nun imperialistisch geformter Nationalismus benötigt, der das Recht der eigenen Nation auf Herrschaft über andere Nationen propagiert.
Opitz legt dar, wie für diesen, sich den neuen Bedingungen bürgerlicher Herrschaftsinteressen anpassenden Nationalismus, der Sozialdarwinismus und ein sich ebenso von früheren Erscheinungen unterschiedener Rassismus zu konstituierenden Grundlage wurden. Er untersucht konträr zum Vorwurf, die Bedeutung von Ideologie zu mißachten, die sonst oft übersehenen Differenzierungen ideologischer Erscheinungen. Dabei erklärt er die ideologischen Prozesse auf Grundlage der sozioökonomischen Entwicklung.
Für den Antisemitismus zeichnet er dessen erst im Imperialismus neugewonnene Funktion nach. Mit der um den Rassismus ergänzten Variante kann nun der innen- und außenpolitische Gegner des Imperialismus in einem geschlossenen Feindbild – dem »internationalen Judentum« – zusammengefaßt werden. Dies ist möglich, indem der eigenen, sozialdarwinistisch nach Durchsetzung strebenden, rassistisch verstandenen Nation die »jüdische Rasse« als ärgster und gefährlichster Feind gegenübergestellt wird. Denn die Juden würden ihren Kampf gegen die Germanen nicht nur von außen führen, sondern auch mit Hilfe des Internationalismus und des Klassenkampfgedankens von innen an der Zersetzung des deutschen Volks und seines Durchsetzungswillens arbeiten. Daß gerade Sozialdemokraten und Kommunisten Vertreter dieser vermeintlich »jüdischen« Ideen seien, zeige nur, daß der von ihnen angestrebte Sozialismus eben nicht der wahre, dem deutschen Volk angemessene, sondern ein jüdisch verfälschter und der Marxismus lediglich ein Zersetzungswerkzeug der Juden sei. Berechtigt sei am Sozialismus das Gefühl der Arbeiter, benachteiligt zu sein. Dies deswegen, weil es den Juden gelungen sei, auch in das deutsche Kapital vorzudringen und dort neben dem »guten«, dem schaffenden Kapital ein schädliches, lediglich vom Zins lebendes, raffendes Kapital gebildet zu haben.
Mit der Verknüpfung von Sozialdarwinismus, Nationalismus und Rassismus entstand ein ideologisches Konstrukt, das geeignet war, dem deutschen Imperialismus eine zur Durchsetzung seiner Herrschaftsinteressen brauchbare Unterstützung auf allen unter den konkreten Bedingungen entstehenden ideologischen Kampffeldern zu liefern. Es diente sowohl zur Rechtfertigung des imperialistischen Expansionsstrebens als auch zur Mobilisierung der eigenen Bevölkerung für einen Krieg als auch zum innenpolitischen Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung. Eben weil sie für diesen politischen Bedarf des deutschen Großkapitals geeignet war, wurde jene Ideologie nun propagiert und ihre Verbreitung organisiert. Zum Beleg bringt Opitz neben den Aktivitäten des Alldeutschen Verbandes zahlreiche Beispiele.
Eine andere Mär wird widerlegt: die der autonom vom Kapital entstandenen NSDAP, welche erst später vom Kapital als Hilfstruppe übernommen wurde bzw. von ihren Führern an dieses verraten wurde. Gestützt insbesondere auf die Forschung von DDR-Geschichtswissenschaftlern zeigt Opitz die von Beginn an engstens mit den Herrschaftsinteressen des Monopolkapitals verknüpfte faschistische Bewegung. Diese Verbindung reicht in die Zeit zurück, bevor Adolf Hitler als V-Mann der bayerischen Reichswehr in die neu gegründete Partei delegiert wurde.
Strukturell verwandt mit dem Versuch, eine vom Kapital unabhängige Frühphase der faschistischen Partei aufzuzeigen, sind Versuche, Aussagen von einzelnen Vertretern oder Strömungen der faschistischen Bewegung einen antikapitalistischen Gehalt zuzuschreiben. Opitz zeigt für typische Kandidaten eines »linken« Flügels, für die Brüder Gregor und Otto Strasser, für die SA als Organisation mit ihrem Führer Ernst Röhm und für den »Nationalrevolutionär« Ernst Niekisch, daß sie statt Repräsentanten eines Antikapitalismus stets Vertreter unterschiedlich ausgeprägter Varianten der völkischen Demagogie des »deutschen Sozialismus« waren. Ihre Kämpfe – bis hin zum »Röhm-Putsch« – mit der sich schließlich im deutschen Faschismus durchsetzenden Linie erklären sich nicht als Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern eines faschistischen »Antikapitalismus« und dessen Verrätern, sondern als Kampf unterschiedlicher Kapitalgruppierungen um die Durchsetzung ihrer jeweiligen spezifischen strategischen Konzeption.
Im letzten Kapitel des ersten Buchteils wendet sich Opitz schließlich der Behauptung zu, wonach der Antisemitismus der Nazis spätestens mit der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung in der Endphase des Zweiten Weltkrieges eine solche »Irrationalität« an den Tag gelegt hätte, daß dies wohl nicht mehr durch Interessen des doch stets rational agierenden Kapitals zu erklären sei. Die Verwendung der Transportkapazitäten für die Verschleppung in die Vernichtungslager statt für die Führung des Krieges beweise, daß sich hier die Naziideologie bzw. die von ihr bestimmte Politik der Naziführung gegen die Interessen des Kapitals verselbständigt habe. Ausgehend von der Darstellung der bereits vom Alldeutschen Verband vertretenen Forderung nach einem »feindfreien Herrschaftsraum« zeigt Opitz demgegenüber, wie sich auch dieser Teil der faschistischen Ausübung bürgerlicher Herrschaft aus den Interessen des imperialistischen Kapitals und den Bedingungen ihrer Durchsetzung erklären läßt. Die Massenvernichtungen bei Kriegsende dienten nicht mehr dem Wunsch der faschistischen Partei und seiner Führer nach Fortsetzung ihrer Regierungsmacht, sondern – wie es am Schluß des ersten Bandes heißt – sie entsprangen »der imperialistischen Rationalität – schon des nächsten Krieges« (237).
Mit dem Ziel, die von der marxistischen Theorie behauptete historische Funktion des Faschismus, namentlich die Sicherung der Errichtung einer terroristischen Diktatur in der monopolkapitalistischen Gesellschaft, für die Auseinandersetzung mit aktuellen faschistischen Bewegungen nutzbar zu machen, erarbeitet Opitz im zweiten Teil eine Funktionsbestimmung des nicht (mehr) an der Macht befindlichen Faschismus, des Neofaschismus. Dieser müsse weiterhin zur Macht streben, um das Problem der kapitalistischen Integration auf gewaltsame Art und Weise zu lösen: Der Neofaschismus dient mit der Ableitung und Umfunktionierung von Protestpotentialen letztendlich als Stoßtrupp gegen die originäre Artikulation von progressivem Widerstand. Er vermittelt zugleich durch seine Stärke (oder Schwäche) einen Eindruck darüber, welchen Zuspruch antidemokratische Positionen in der Bevölkerung haben. Er setzt zudem die regierenden bürgerlichen Parteien von rechts unter Druck, sorgt langfristig für ideologische Umorientierungen, dient aber auch zugleich als Alibi für rückwärtsgewandte Maßnahmen seitens der Regierung, wie der Zusammenhang von rechter Gewalt und dem »Asylkompromiß« 1992/1993 in brutaler Form verdeutlichte. Von ausschlaggebender Bedeutung sind schließlich die im Neofaschismus zur Anwendung gebrachten terroristischen Maßnahmen, mit denen er die demokratischen Kräfte bekämpft. Diese Mittel reichen von der Einschüchterung aktiver Gewerkschafter bis zur Aufstellung faschistischer Bürgerkriegstruppen wie zur Zeit in der Ukraine.
Vor diesem Hintergrund wird die zeitgeschichtliche Entwicklung des Neofaschismus durch Opitz skizziert, der von ihm nicht als ausschließlich an Parteien gebunden, sondern als Kräftefeld begriffen wird. Er zeigt, daß die internationalen und nationalen Verbindungen von Altnazis (z. B. SS-Netzwerke) keineswegs nur als Flucht-, Versorgungs- und Traditionspflegeeinrichtungen konzipiert waren. Von Beginn an verfolgten sie vielmehr die Interessen des deutschen Kapitals nach Sicherung von Optionen für den eigenen (Wieder-)Aufstieg. Deswegen nimmt er diese Netzwerke genauso unter die Lupe wie das Wirken von Faschisten in der westdeutschen FDP (»Naumann-Kreis«) und die Europa-Konzeptionen des Neofaschismus »als Vollendung der im Zweiten Weltkrieg mißratenen ›antikommunistischen Befreiung‹ Europas und seiner dann folgenden Vereinigung zu einem machtvollen Großraum aus dessen wieder aufzurichtender ›starker Mitte‹« (264).
Der Mißerfolg der Sammlungspartei NPD bei der Bundestagswahl 1969 markiert den Zeitpunkt einer ideologischen und organisatorischen Redynamisierung des Neofaschismus, die zur Geburt der neuen Rechten mit beitrug. Als ein Bestandteil dieses analysierten ideologischen Updates sticht bis heute der Ethnopluralismus hervor. Statt des klassischen Wertunterscheidungsrassismus mit seinen Stammbäumen und Schädelvermessungen wird nun die Vorstellung einer unveränderlichen nationalen bzw. kulturellen Identität verbreitet. Daß hierbei nichtsdestotrotz völkische Ganzheitsideale zum Zuge kommen, zeigt die im Konzept enthaltene Prämisse, die die Identität von Individuum, Volk, Kultur und Raum wechselseitig aufeinander bezieht. Die heute gängige Agitation gegen Muslime fußt auf ethnopluralistischen Vorstellungen, die – obschon angeblich die kulturelle Eigenart gerade auch »des Ausländers« oder »des Moslems« respektiert wird – realiter zur Abwertung der »Anderen« und zur ideologischen Formierung des »eigenen Volks« beitragen.
Obwohl inzwischen drei Jahrzehnte alt, bleibt Reinhard Opitz’ »Faschismus und Neofaschismus« ein nützliches Kompendium. Und zwar für diejenigen, die die sozialen Wurzeln von Antidemokratismus in der bürgerlichen Gesellschaft zum Zwecke seiner Bekämpfung verstehen wollen und sich deswegen nicht mit der Erklärung zufriedengeben, Ideologie lasse sich aus sich selbst heraus begreifen.
Die Aktualität des Buches ergibt sich aus der darin angewandten Forschungsmethode und seiner inhaltlichen Konzeption. Ein weiterer Vorteil ist die Verallgemeinerbarkeit der Analyse: Die Beispiele sind keine Einzelfälle, sondern Symptome des Versuchs, die Krise der bürgerlichen Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer sozioökonomischen Grundlagen auf extreme Weise zu lösen. Denn, so Bertolt Brecht: »Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern brauchen.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 12.04.14
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