Wolfgang Huste Polit- Blog

Offener Brief an die Stadtbürgermeisterin von Bad Breisig und an den dortigen Stadtrat. Von Wolfgang Huste

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Bad Breisig tut sich schwer mit einem grausamen Geschehen in der jüngeren Geschichte. In der Nacht zum 1. August 1992 wurde Dieter Klaus Klein, ein Obdachloser, im Kurpark von Neonazis brutalst ermordet. Bis heute erinnert keine Gedenktafel an das schreckliche Verbrechen. Stattdessen wurde vom Stadtrat beschlossen, eine Stele für die Opfer des Naziregimes zu errichten. Bad Breisig sollte sich ebenfalls dazu entschließen, eine offen zugängliche Erinnerungstafel an die grausige Tat im Kurpark zu installieren. Nicht die Vergangenheit ist hier das Thema, sondern die Gegenwart! Wenn Neonazis Menschen ermorden, sollte man daran erinnern. Es ist das Wenigste, was man tun kann.

Statt für alle Opfer der damaligen und heutigen Faschisten jeweils einen Stolperstein zu erstellen, hat man sich nur für eine Gedenkstele für alle entschieden.

Mit einer Gedenkstele wird dabei aber keinem (!) der Opfer im einzelnen gedacht, und das ist der eigentliche Skandal! Damit nimmt man den Menschen, die damals und nach 1945 Opfer von Faschisten wurden  zum zweiten Mal ihre Würde, indem man sie zu namenlosen Menschen stilisiert, sie regelrecht „anonymisiert“. Eine Gedenkkultur muss anders, konkreter, aussehen! Und: Es darf niemals sein, dass die Vergessenheitskultur die Erinnerungskultur überlagert- nirgendwo!

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit nehme ich kritisch Stellung zu Ihrem Ansinnen, mit dem entpolitisierenden und auch ahistorischen Satz:

In Erinnerung an alle Opfer von nationalsozialistischem und extremistischem Gedankengut“ an die damaligen und heutigen Opfer von Faschisten mittels einer Gedenkstele im Kurpark von Bad Breisig zu erinnern.

Ich bitte Sie freundlichst, meinen Diskussionsbeitrag an die Bürgermeisterin der Stadt Bad Breisig und an den Stadtrat, respektive an den Verbundsgemeinderat, weiterzuleiten, vielen Dank.

Zu meiner Person: Ich bin Mitglied im Stadtrat Bad Neuenahr – Ahrweiler für die Partei DIE LINKE und habe unter anderem Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld studiert. Ein Schwerpunkt innerhalb meines Studiums war der historische und der Faschismus nach 1945.

Der Begriff „Nationalsozialismus“ ist eine politisch desorientierende, eigene Wortschöpfung der NSDAP. Ganz abgesehen davon, dass Sozialismus immer international zu verstehen ist, ist die Verwendung dieses Begriffes in mehrfacher Hinsicht sehr problematisch.

Die damaligen Faschisten versuchten mit dieser Wortschöpfung bei der Arbeiterschaft ideologisch „anzudocken“, sich dort anzubiedern, ganz im Sinne des Bildes: „Der Wolf im Schafspelz“. Bekanntlich (?) ist der Faschismus aber eine arbeiterfeindliche und gewerkschaftsfeindliche Bewegung. Das konnte man damals auch daran erkennen, dass am Montag, dem 2. Mai 1933, auf Befehl der NSDAP alle Gewerkschaftshäuser in Deutschland zwangsgeschlossen wurden. Viele Gewerkschaftsfunktionäre wurden in „Schutzhaft“ genommen, viele flohen zuvor ins Exil, andere wurden sogar gefoltert oder ermordet.

Fatal ist diese Begriffswahl auch dadurch, dass Gegner einer linken (sozialistischen, marxistischen, kommunistischen…) Bewegung – vorwiegend Strukturkonservative, Reaktionäre und Faschisten – den Gegenbegriff „Linksfaschismus“ oder „rot lackierte Faschisten“ in einer diffamierenden, ahistorischen Weise als Kampfbegriff verwendeten und bis heute verwenden! „Traditionell“ wird dieser Begriff, der übrigens zum ersten Mal 1973 in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt wurde (vormals hieß es dort immer „Links- und Rechtsradikalismus“ statt „Extremismus“) in erster Linie gegen Linke verwendet, in einem antikommunistischen und antisozialistischem Sinne. Der Extremismusbegriff ist also eine Erfindung, eine Wortschöpfung, des Verfassungsschutzes. Der Extremismusbegriff taucht in keinem Gesetz auf, demnach auch nicht im Grundgesetz. Es stellt sich die Frage: Wer hat da die Definitionshoheit über den Begriff „Extremismus“ und über das, was eine politische Mitte kennzeichnet? Das Grundgesetz oder die „Freiheitlich-demokratische-Grundordnung“ ist keineswegs mit der Gesellschaftsformation Kapitalismus gleichzusetzen. Die Verfassungsväter und Verfassungsmütter haben es damals offen gelassen, ob die Gesellschaft einen demokratischen Sozialismus oder die Gesellschaftsformation Kapitalismus anstrebt, oftmals euphemistisch und entpolitisierend verbrämt als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet. Einig war man sich nur in der Parole: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“. Obwohl: Eine konsequente, radikale Bekämpfung des Faschismus im Sinne des Potsdamer Abkommens gab und gibt es bis heute nicht! 

Tatsache ist, dass der Antikommunismus eine offizielle Staatsdoktrin in allen pro kapitalistischen Ländern ist, Antifaschismus und Antirassismus dagegen nicht. Das muss anders und besser werden!

Mir ist darüber hinaus auch kein einziger Fall bekannt, wo in Bad Breisig ein Mensch Opfer von linker Gewalt wurde. Mir ist aber sehr wohl bekannt, dass dort ein Obdachloser Opfer einer Gewalttat, eines feigen Mordes, wurde, ausgeübt von brutalen Neonazis. Bis heute weigert sich die Stadt, dort eine entsprechende Gedenktafel aufzustellen, um damit an diesen brutalen Mord zu erinnern.

Tatsache ist, dass der Sozialismus/Kommunismus unversöhnlich, demnach im offenen Gegensatz zum Faschismus, stand und steht. Nicht Sozialisten oder Kommunisten haben in den Gefängnissen, in den Konzentrationslagern, Juden und Andersdenkende gefoltert und ermordet oder ins Exil genötigt, einen Weltkrieg angezettelt und brutalst ausgeführt, sondern die damaligen Faschisten! Wir sollten da keineswegs Opfer und Täter entpolitisierend und ahistorisch in den selben Totalitarismus – Topf werfen, da eine nicht vorhandene Gleichwertigkeit konstruieren. Insbesondere Kommunisten und Sozialisten wurden von den damaligen Faschisten verfolgt, ins Exil gezwungen, gefoltert oder ermordet. Insbesondere Kommunisten und Sozialisten leisteten aktiven und passiven Widerstand gegenüber der Ideologie der NSDAP, des Hitlerismus. Das sollten wir niemals vergessen!

Eine deutlich bessere Alternative zu dem entpolitisierenden und politisch fehl orientierendem Begriff „Nationalsozialist“ ist der Begriff „Nationalfaschist“.

Statt „Nationalsozialismus“ kann man auch wahlweise „der deutsche, historische Faschismus vor 1945“ oder „der Hitlerismus“ sagen/schreiben. Der Faschismus nach 1945 ist in der Ideologie weitestgehend identisch mit der Ideologie des historischen Faschismus. Damals wie heute kennzeichnen folgende Kriterien den Faschismus, respektive einen Faschisten:

Ich habe an dieser Stelle nicht den Anspruch, alle Elemente zu benennen, die den Faschismus oder einen Faschisten kennzeichnet. Ob dieses oder jenes Element für den Faschismus „entscheident“ ist, ist eine Definitionssache. Es gibt sehr weitreichende Faschismustheorien (die von Dimitroff gehört dazu, ebenso die Monopolkapitalismus-Theorie von Abendroth, Grossweiler, Kühnl und Opitz), und „engere“, kürzer greifende, aufs Individuum abzielende (ich habe mich damit innerhalb meiner Staatsexamensarbeit im Studienfach Sozialwissenschaften wissenschaftlich auseinandergesetzt). Der Faschismus besteht aus diversen Elementen. Nicht das jeweilige „Einzelelement“ ist das eigentliche Problem, sondern die Summe (!) aller folgenden Einzelelementen in Form einer konstruierten, geschlossen auftretenden „Einheit“. Zum Faschismus gehört auch (!) definitiv und objektiv = nachweisbar: Konservatismus, reaktionäres Gedankengut, Antikommunismus/Antisozialismus, eine ausgeprägte Gewerkschaftsfeindlichkeit, Rassismus, das „Härteprinzip“ (Humanismus und Wertepluralismus wird als „Gutmenschentum“, als „Weicheierei“, abqualifiziert), ebenso die Ablehnung des Pluralismus. An Stelle des Wertepluralismus tritt eine platte, unwissenschaftliche, eher emotional angelegte Schwarz-Weiß-Dichotomie, das Leugnen eines Klassenantagonismus, zu Deutsch: eines Klassengegensatzes (demnach wird auch das Vorhandensein eines Klassenkampfes geleugnet, respektive abgelehnt); das Propagieren einer einheitlichen „Volksgemeinschaft“, die suggeriert, dass wir nicht nur im „selben Boot“ rudern, sondern „in Wirklichkeit“ die selben Ziele verfolgen (nebenbei: Es gibt keinen Konsens in einer Gesellschaft, zu keinem (!) Thema. Selbst Kriege werden von vielen gerechtfertigt, auch das Hinnehmen von Massenentlassungen, von Hartz IV usw.); eine ausgeprägte Autoritätshörigkeit, das Prinzip von autoritärer Führung und Kadavergehorsam, die Anbetung reaktionärer Machtpolitik und aufoktruierten, autoritären Hierarchien; eine feindliche Einstellung gegenüber emanzipatorischen Meinungen, gegenüber progressiven, „linkspolitisch“ eingestellten Intellektuellen; die Pflicht zur Einordnung in ein „umgreifendes Ganzes“; Ablehnung der bestehenden politischen Institutionen, Ablehnung der politischen Spielregeln der staatlichen Demokratie, Verfechtung eines extremen Antisemitismus, Nationalismus, Chauvinismus, Revanchismus und Militarismus; Diskriminierung von Fremdgruppen und Minoritäten, zum Beispiel von Homosexuellen, „Ausländern“; Förderung eines völkischen und biologistischen, insbesondere rassistischen Gedankenguts (Stichwort hier: Sozialdarwinismus). Der Faschismus an der Macht ist die brutalste, die terroristischste, die unterdrückerischste und die arbeiterfeindlichste Form des Kapitalismus (frei nach Dimitroff definiert)! Unter recht genau gesellschaftlichen Bedingungen ist der Faschismus eine Option innerhalb der Gesellschaftsformation Kapitalismus, wenn nicht nur die Arbeiterschaft, die Werktätigen, das bestehende Gesellschaftssystem „bürgerliche Demokratie“ ablehnen oder gar bekämpfen, sonden auch die Mittelschicht, das Bürgertum.

Auch der Extremismusbegriff ist nicht nur völlig unwissenschaftlich, da beliebig interpretierbar, sondern entpolitisierend, in dem dieser Begriff suggeriert, es gäbe eine negative Gleichwertigkeit zwischen sogenannten Rechts- und Linksextremisten. Der Begriff suggeriet gleichzeitig, es gäbe eine friedfertige ,“neutrale“, eher „unpolitische“ gesellschaftliche Mitte. Dem ist aber nicht so. Rund 15% der deutschen Erwachsenenbevölkerung hat ein geschlossen rechtsradikales Weltbild, rund 40% der deutschen Erwachsenenbevölkerung sind Antiziganisten, haben also massive Vorurteile gegenüber Sinti und Roma. Dieses „Klientel“ findet man also nicht nur an den äußersten Rändern der Gesellschaft, sondern mitten in ihr. Siehe auch bei Wikipedia unter dem Begriff „Extremismus der Mitte“.

Sehr gut hat der Historiker Prof. Wolfgang Wippermann, Universität Berlin, den Extremismusbegriff kritisch in einem kurzen Interview wissenschaftlich erläutert. Sehr sehens- und hörenswert:

https://www.youtube.com/watch?v=hzGn_TIR4ZI

Thomas Mann 1945 über die berüchtigte “Extremismusklausel” von heute:

Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es – Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Haß aber allein den Kommunismus bekämpfen.“ Quelle: Thomas Mann, in: Essays, hg. von H.Kurzke, Frankfurt 1986, Bd. 2, S. 311

Siehe auch hier: http://wolfgang-huste-ahrweiler.de/2012/01/05/kritik-an-der-entpolitisierenden-extremismusformel-von-wolfgang-huste/

http://wolfgang-huste-ahrweiler.de/2010/07/15/wem-dient-der-extremismusbegriff-fur-was/

http://wolfgang-huste-ahrweiler.de/2012/03/07/reflexion-uber-den-begriff-extremismus-der-mitte-von-wolfgang-huste/

Mein Formulierungsvorschlag für einen Satz, der an die Opfer des damaligen und heutigen Faschismus in einer wissenschaftlich korrekten und angemessenen Form erinnert:

In Erinnerung an alle Opfer des Hitlerismus und von heutigen Faschisten!“.

Oder: „In Erinnerung an alle Opfer des historischen Faschismus und der heutigen Faschisten!“.

Oder: „In Erinnerung an alle Opfer der damaligen und heutigen Faschisten!“. 

 

Mit freundlichen Grüßen,

Wolfgang Huste

Stadtrat Bad Neuenahr – Ahrweiler

Walporzheimer Str. 5

53474 Bad Neuenahr – Ahrweiler

Mobile: 0171 300 1864

email: whuste@aol.com

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 01. August 2018 um 12:33 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-morgenecho-interview/audio-pegida-demo–sachsen-ist-zu-einem-negativbeispiel-geworden-100.html

    Comment: Wolfgang Huste – 24. August 2018 @ 15:30

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