Wolfgang Huste Polit- Blog

Viele „einfache Menschen“ sind mitschuldig daran, dass Faschisten und Rassisten wieder Oberwasser bekommen. Von Wolfgang Huste

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Gerade sah ich im WDR den Film „Sarrazins Deutschland“. Erschreckend, wieviele Biedermänner und Biederfrauen sich eine Sarrazin-Partei herbeiwünschen. Ich bin davon tief überzeugt:
Die Etablierung eines faschistischen Systems ist in Deutschland durchaus noch immer möglich! Das liegt auch daran, dass Antifaschismus insbesondere in Deutschland keine Tradition hat, Fremdenfeindlichkeit und Antikommunismus dagegen schon. In der Tat ist die Demokratie weniger von ihren äußeren Rändern her gefährdet, sondern um vieles mehr – wiederum traditionell! – aus ihrer tiefen Mitte heraus. Es sind oftmals (aber nicht zwangsläufig!) die vielen unpolitisch agierenden Kleinbürgerinnen und Kleinbürger, die vielen biederen HandwerkerInnen, die Millionen Erwerbslosen, die kleinen Angestellten und Beamten, und alle, die sich „irgendwie“ deklassiert vorkommen- es vielleicht auch faktisch sind, die Sarrazins unwissenschaftliche „Thesen“ insgesamt „klasse“ finden, die bereit sind, für diesen Irrsinn noch Geld zu bezahlen und die mithelfen, ganze Säle zu füllen, sobald ihr neuer Messias, Sarrazin, zu ihnen spricht.
Sie alle projezieren, eher: phantasieren ihr „Schicksal“, das sie als ein rein individuelles, subjektives erleben, in Sarrazins Buch hinein. „Schuld“ daran sind aus ihrer Sicht wieder einmal die „anderen“, die Fremden, die AusländerInnen, insbesondere die angeblich (!) „dummen, kulturlosen“ Muslime. Sarrazin gibt ihren Gedanken nur eine Stimme, verstärkt ihre Vorurteile, ihre diffusen Bedrohungsängste. Demnach ist Sarrazins Buch auch – in einem äußerst negativen Sinne – ein „Wohlfühlbuch“ für Menschen mit Vorurteilen gegenüber AusländerInnen, insbesondere gegenüber „Südländern“, speziell gegen Muslime. In den Köpfen dieser wildgewordenden, desorientierten KleinbürgerInnen ist ein tolerantes, freies Europa mit seinen unterschiedlichen Kulturen noch längst nicht „angekommen“.

Damit da keine Missverständnisse aufkommen: Ein solch „neues“, faschistisch determiniertes System muß nicht unbedingt mit Henkerbeil und KZs daherkommen, oder im Sinne eines zweiten Hitlers, also nicht in Form einer Neuauflage des historischen Faschismus. Diese Wölfe in Schafspelzen könnten aber durchaus wiederum fähig werden, ein System an die Macht zu bringen, was genau das abschafft, was sie angeblich (!) retten wollen: Demokratie, Toleranz, Humanismus, Völkerverständigung und Freiheit! Aufgehetzt durch eine oder mehrere rechte, völkisch-rassistisch ausgerichtete Parteien, ideologisch flankiert durch konservative PolitikerInnen anderer Parteien, durch ebenso konservative bis reaktionäre, antikommunistische Printmedien und anderen Medien, die einen „gewissen Nährboden“ bereiten, auf dem Faschismus/Rassismus bestens gedeihen kann, des weiteren flankiert durch einen ebenso konservativen, traditionell antikommunistisch ausgerichteten Justizapparat, der in der Regel Naziaufmärschen zumindest in der nächst höheren Gerichtsinstanz eine „freie Bahn“ verschafft (alles heuchlerisch im Namen der Demokratie, einer abstrakten, nicht näher definierten Freiheit) und durch einen Schulunterricht, der den Faschismus primär auf den historischen, deutschen Faschismus reduziert, dabei nur seine Phänoebene betrachtet und weitaus seltener die Ursachen von Faschismus detailliert beschreibt und untersucht und erst recht nicht seine Funktion innerhalb des kapitalistischen Systems aufzeigt, ist die Etablierung eines autoritären und rassistischen Gesellschaftssystems durchaus eine sehr realistische Möglichkeit.

In diesem Film wurde auch eine Buchhandlung in Döbeln gezeigt, die sich „Erich Kästner Buchhandlung“ nennt. Erich Kästner (23.2.1899 – 29.7.1974) war engagierter Anti-Militarist, Antifaschist und Antirassist, der sich unter anderem sehr stark aktiv an der damaligen Ostermarschbewegung beteiligte. Erich Kästner ist bewußt nicht ins Exil geflohen, weil er als Zeitzeuge detailliert aufschreiben wollte (was er auch tat, ähnlich wie sein Zeitgenosse Kempowski!), wie sich der Alltag innerhalb des deutschen Faschismus gestaltete, und um seine kranke Mutter in seinem und ihrem Heimatort zu pflegen. Diese von mir genannte Buchhandlung verkaufte (oder verkauft immer noch) in großen Mengen das nicht nur aus meiner Sicht zutiefst rassistische und völkisch ausgerichtete Buch „Deutschland schafft sich ab!“ – wie viele andere Buchhandlungen leider auch. Erich Kästner hätte das als tiefste Beleidigung, als einen Affront gegenüber seiner humanistisch-freiheitlich geprägten Weltanschauung, angesehen. Er betrachtete eine Bücherverbrennung der Nazis in größter Nähe, quasi „inkognito“.
Er beobachtete also als Augenzeuge, wie seine eigenen Bücher verbrannt wurden. Erich Kästner hat sich immer für den Frieden zwischen den Völkern eingesetzt, Faschismus und Rassismus waren ihm zutiefst zuwider. Buchhandlungen, die mit Sarrazins Buch und mit breiter Unterstützung des dumpfen, bürgerlich geprägten Rassismus kurzfristig „Kasse machten“ und noch immer Kasse machen, sind mitschuldig daran, dass deutschtümelnde, völkisch ausgerichtete, insbesondere antiislamische Gruppen und Organsistionen wiederum Aufwind in Deutschland bekommen (und nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa!). Auch Richter, die im Namen von Recht und Freiheit (wieder einmal) den ausgemachten Feinden von Recht, Toleranz, Völkerverständigung, Antimilitarismus und Freiheit „freie Bahn“ schaffen für Aufmärsche des fleischgewordenen Bösen, machen sich hier ebenfalls mitschuldig. Auch der konservative Pfarrer, der sich nicht traut, von der Kanzel herab die Denke der Faschisten und Rassisten als das zu ächten, was sie ist: als ein ungeheures, gefährliches Verbrechen an der Menschlichkeit! Sie alle sollten auf Rosa Luxemburg hören, die sagte: „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!“, sie sollten auch auf Heinrich Böll hören, der wiederum sagte: „Wer dem Bösen gegenüber tolerant ist, ist selber böse!“. Mitschuldig machen sich alle Lehrer und Lehrerinnen, die den Hitlerfaschismus, die fabrikmäßig organisierte Massenermordung von Juden, von Sozialisten, Kommunisten, Freidenkern, Humanisten, Zeugen Jehovas, Anthroposophen, Sinti und Roma, dem sogenannten „unwerten Leben“, von Greisen, Kindern und „AusländerInnen“, nahezu reflexhaft mit dem Unrecht in der DDR oder mit den Verbrechen Stalins „relativieren“ wollen. Die weitestgehende Gleichsetzung des Faschismus mit deren Opfern, darunter auch SozialistInnen und KommunistInnen, ist selbst schon ein Verbrechen für sich und an sich. Jeder demokratisch gesinnte Mensch hat die Pflicht, engagiert und täglich gegen all das einzutreten, was Faschismus und Rassismus begünstigt, „gesellschaftsfähig“ macht. Das ist unsere gemeinsame Pflicht im Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges, und das sind wir auch unseren Kindern und Enkeln gegenüber schuldig! So sollte es sein, so muß es sein! „Wehret den Anfängen- nie wieder Faschismus!“. Das ist ein Auftrag der Opfer und Überlebenden des Hitlerfaschismus! Es sollte auch unser aller Auftrag sein, egal wo wir leben, wo wir arbeiten!

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 10. Januar 2012 um 00:30 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. Einer der besten Hintergrundberichte zum Thema „Die NSU-Terrorgruppe und die Rolle des Verfassungsschutzes“: http://www.sozialismus.info/?sid=4603&fb_source=message

    Comment: Wolfgang Huste – 12. Januar 2012 @ 11:36

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