Zwei Euro zu hoch ist die Miete einer alleinerziehenden Mutter. Deshalb fordert das Bonner Jobcenter sie auf, sich eine neue Wohnung zu suchen. Hat dieser Irrsinn Methode?
Ja, täglich erreichen viele Menschen in Deutschland ähnliche Schreiben. Jobcentermitarbeiter hauen Textbausteine zusammen und verschicken den Quatsch an Betroffene. Sie sind in anmaßendem und unverschämtem Ton verfaßt, so daß die Adressaten denken müssen, sie hätten ein Verbrechen begangen. Was sich ein Jobcentermitarbeiter dabei denkt, vermag ich nicht zu sagen. Ob dort überhaupt noch einer nachdenkt, was dies bei Betroffenen auslöst? Im uns vorliegenden Schreiben heißt es: »Wie ich Ihnen mit meinem Informationsschreiben vom 14.05.2014 bereits mitteilte, orientiert sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten an einem Richtwert für die Bruttokaltmiete. Für einen Zwei-Personen-Haushalt im Stadtgebiet liegt dieser Richtwert bei 558,00 Euro. Die Bruttokaltmiete für die von Ihnen bewohnte Unterkunft (…) beträgt nach den vorliegenden Unterlagen 560,00 Euro und ist somit unangemessen in Sinne von Paragraph 22 Abs. 1 SGB II«.Wird ein Ausweg aufgezeigt?
Behauptet wird, der jungen schwerkranken Mutter Gelegenheit gegeben zu haben, ihre Mietkosten zu senken: Etwa indem sie Kosten des Wasserverbrauchs reduziert oder mit dem Vermieter verhandelt. Auf dem Wohnungsmarkt in Bonn wären angeblich angemessene Wohnungen verfügbar, heißt es. Das Ganze mündet in eine Drohung: Nachweise führen solle sie, wie sie die Unterkunftskosten senkt. Sollte sie dies nicht tun, könne das Jobcenter die Mietzahlung ab November absenken. Sollten Mietrückstände bestehen – droht das Amt, weiterhin mit Paragraphen-Angabe – könne eine Schuldenübernahme nicht mehr stattfinden. Wohlgemerkt: Es geht um eine Differenz von monatlich zwei Euro.Was löst das bei der Frau aus?
Versetzen Sie sich in ihre Lage. Die Frau weiß: Verhandlungen mit dem Vermieter werden sinnlos sein. Auf Kosten des Wasserverbrauchs hat niemand wirklich Einfluß. Sie ist ratlos, möchte die zwei Euro selber nicht zahlen. Den Betrag vom spärlichen Regelsatz des Existenzminimums von 391 Euro zu zahlen, davon ist abzuraten. Für zwei Euro könnte sie immerhin zwei Liter Milch kaufen.Haben Sie schon interveniert?
Das kann ich noch nicht. Es handelt sich um eine Ankündigung. Wenn wir den Bescheid erhalten, gehen wir in Widerspruch und klagen möglicherweise. Wir sind überzeugt: Kein Sozialgericht würde das dem Amt durchgehen lassen. Man könnte die Absurdität allerdings in andere Richtung weiterspinnen: Die Frau könnte sich eine neue Wohnung suchen. Sie ist schwer krank, könnte nicht allein umziehen, ein Umzugsunternehmen müßte engagiert werden. Für den Übergang würde eventuell doppelt Miete fällig, von der neuen und der alten Wohnung. Das könnte das Jobcenter mehrere tausend Euro kosten – also den Steuerzahler. Jobcentern scheint das egal, niemand haftet für so einen Unfug.Bundesweit planen Erwerbsloseninitiativen Aktionen zwischen dem 22. September und 2. Oktober, weil die Bundesregierung Verschärfungen der Hartz-IV-Gesetze plant…
Ja, leider plant sie nicht, das Gesetz zugunsten der Betroffenen zu verändern. Im Gegenteil: Würde der geschilderte Fall künftig eintreten, müßte die Frau noch 20 Euro hinlegen, um Widerspruch einlegen zu können. So heißt es in aus dem Bundesarbeitsministerium zu vernehmenden Vorschlägen. Diskutiert werden obendrein Gebühren für Verfahren vor Sozialgerichten. Das nennt sich »Rechtsvereinfachungen im Zweiten Sozialgesetzbuch«. Wir werden es nicht akzeptieren, daß Hartz-IV-Bezieher mit Sondergesetzen für Arme ausgegrenzt werden. Dagegen bereiten wir unsere Kampagne mit Aktionen vor, bei denen schon kleine Gruppen mitmachen können.Wie kommt es, daß es angesichts ständiger Skandale in Jobcentern bislang kaum Proteste dagegen gab?
Vieles liegt noch unter Verschluß: ein von der Bund-Länder-Kommission ausgearbeitetes Papier ebenso wie ein Referentenentwurf. Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat nett klingende Teile veröffentlicht, manches ist bisher unverständlich.
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