Wolfgang Huste Polit- Blog

Tongrube Leimersdorf: Betreiber zum Konzept zwingen! Zur Situation der Tongrube in Leimersdorf erklärt der Sprecher der LINKEN im Kreis Ahrweiler, Harald W. Jürgensonn:

Mittwoch, 05. Oktober 2011 von Huste

Die Salamitaktik des Tongrubenbetreibers ist zu durchsichtig. Es begann vor Jahren mit der bis heute nicht umgesetzten Zusage, die ausgebeutete Grube wieder zu renaturieren und endet jetzt vorläufig mit einer handfesten Erpressung. Schon jetzt, nach wenigen Jahren des Tonabbaus, zeigt sich das Gebiet zwischen Leimersdorf und Oeverich als Mondlandschaft. Jetzt das zusätzliche Abbaggern des Heckwegs mit dem Hinweis auf Arbeitsplatzabbau und bis 2018 verzögerter Rekultivierung zu erpressen, ist schon ein starkes Stück. Während die Anwohner zusehen müssen, wie ihre Immobilien und ihre Lebensqualität an Wert und Güte verlieren, will hier ein Unternehmen ungerührt Profit machen.

Hinzu kommt die spätere Nutzung der Grube als Endlager für giftigen Industriemüll. Bemerkenswert, dass die Betreibergesellschaft C. C. Umwelt dabei betont, einer ihrer Gesellschafter sei eine „konfessionell besetzte“ Stiftung, die sich Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung auf die Fahnen geschrieben habe. Nachhaltig werden hier allenfalls Umweltzerstörung, Wohnwertminderung und Personalabbau sein. Und dann zieht die Karawane weiter zur nächsten Grube – die Anwohner bleiben in der zerbaggerten und vergifteten Einöde zurück.

DIE LINKE im Kreis Ahrweiler steht an der Seite der betroffenen Anwohner und schlägt die Gründung einer Bürgerinitiative vor. Ziel ist, dass die Bevölkerung über das entscheidet, was sie unmittelbar betrifft. Und auch das Bergamt muss jetzt alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, den Betreiber zur schnellen Vorlage eines nachhaltigen Rekultivierungskonzepts zu zwingen. Bürgerbeteiligung im Schulterschluss mit Politik und Verwaltung sind ein Pfund, mit dem die Anwohner wuchern können.

Quelle: DIE LINKE Kreisverband Ahrweiler

Aufstand gegen Elend. Von Heike Schrader, Athen

Mittwoch, 05. Oktober 2011 von Huste

Mit einem allgemeinen Streik im öffentlichen Dienst und in den teilstaatlichen Großunternehmen Griechenlands wollen die Beschäftigten am heutigen Mittwoch erneut gegen die massiven Einschnitte protestieren, die ihnen die Regierung in Athen und die sogenannte Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) aufzwingen wollen. Bereits am Dienstag hatten Angestellte rund ein Dutzend Ministerien, zahlreiche Rathäuser und die Zentrale des Arbeitslosenamtes besetzt. Dies sei eine Antwort an die »Regierung und alle, die deren Politik der brutalen Einschnitte unterstützen«, hieß es dazu in der Presseerklärung des Gewerkschaftsdachverbandes im öffentlichen Dienst, ADEDY. Damit wehre man sich gegen eine Politik, »die Hunderttausende Erwerbstätige, Rentner und Arbeitslose in die Verelendung treibt«.

Mindestens 30000 Angestellte sollen bis Ende des Jahres entlassen oder in Rente geschickt werden. Zudem soll der gesetzliche Mindestlohn gesenkt werden, weil 750 Euro brutto im Monat zuviel seien. Auch Steuerfreibeträge für ärztliche Leistungen, Miete oder Nachhilfeunterricht für die Kinder sollen abgeschafft werden. Der allgemeine Steuerfreibetrag soll auf 5000 Euro Jahresverdienst festgelegt werden und läge damit 1500 Euro unter der Armutsgrenze. Steuern müssen demnach nun ab einem Monatseinkommen von 375 Euro bezahlt werden. Wie die Menschen vom Rest noch leben sollen, geht aus diesem von der Gläubigertroika und der griechischen Regierung vorgelegten Horrorkatalog nicht hervor. Es geht schließlich nicht um die Rettung der Menschen in Griechenland, sondern um die der Banken in Europa. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Gerade erst wurde die als einmalige Sondersteuer auf Immobilienbesitz eingeführte Abgabe auf das noch abzustotternde Eigenheim bis 2014 verlängert.

Regierung und Troika hätten sich die Abschaffung des Mindestlohns schon seit langem zum Ziel gesetzt, kommentierte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) die entsprechende Forderung der Gläubiger. »Dies ist das Bestreben der Großunternehmer, der EU und aller Parteien, die auf die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals schwören.« Die der Partei nahestehende Gewerkschaftsfront PAME rief ihre Mitglieder dazu auf, den heutigen Streik für den Kampf um grundlegende Veränderungen zu nutzen. »Für eine Bewegung, die den Maßnahmen der Regierung Hindernisse entgegenstellt und den Kampf für Maßnahmen zur Entlastung der Familien organisiert; die gleichzeitig den Weg für eine volksfreundliche Entwicklung mit zentraler Planung öffnet, mit gesellschaftlichem Eigentum an den zentralen Produk­tionsmitteln, mit einem Wirtschaftswachstum, das ausschließlich auf die Bedürfnisse des Volkes ausgerichtet ist.« Durch organisierten Kampf sei es möglich, dies durchzusetzen, heißt es in dem Aufruf von PAME. Die persönlichen »Kosten für Kampf und Streik« seien letztlich wesentlich geringer als das, was durch die Maßnahmen der Regierung auf die Beschäftigten zukomme.

Die bereits in der Vorwoche begonnenen Besetzungen von Ministerien und Rathäusern und der heutige Streik zeugen von der Zuspitzung des Widerstands der griechischen Bevölkerung gegen die brutale Umverteilungspolitik des gesellschaftlichen Reichtums. Für den übernächsten Mittwoch, 19. Oktober, ist bereits ein weiterer Generalstreik angekündigt – es wird der zwölfte seit Verabschiedung der ersten Sparmaßnahmen Anfang 2010 sein.

Quelle: www.jungewelt.de vom 05.10.11

Wall Street bleibt besetzt. Von Philipp Schläger, New York

Dienstag, 04. Oktober 2011 von Huste

Der Protest gegen die wachsende Kluft zwischen arm und reich, die hohe Arbeitslosigkeit und die Profiteure der Krise in den USA wächst. In New York solidarisierten sich am Wochenende mehrere Gewerkschaften der Stadt sowie Tausende Bürger mit den Aktivisten von »Occupy Wall Street« (Besetzt Wall Street), die seit mehr als zwei Wochen erfolgreich Regen und fallenden Temperaturen trotzen und einen Platz im Finanzdistrikt Manhattans, den Zuccotti-Park, besetzt halten.

Nach mehreren Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern Ende der vergangenen Woche kam es am Samstag erneut zu Massenverhaftungen. Bei einem Marsch auf der Brooklyn Bridge setzte die Polizei zeitweise bis zu 700 Menschen fest. Unter diesen war auch eine Reporterin der New York Times. Nachdem die Demonstranten im Süden vom Rathaus Richtung Brooklyn Bridge gelaufen seien, habe die Polizei einen Teil der Demonstranten anstatt auf den Fußweg regelrecht auf die Straße der Brücke dirigiert, berichtete Andrew Flinchbaugh, der bereits seit mehr als einer Woche an dem Protest im Zuccotti-Park teilnimmt.

Grundsätzlich müssen in New York Demonstrationsteilnehmer auf dem Bürgersteig bleiben, eine Regel, die die Polizei im Zusammenhang mit den Protesten von »Occupy Wall Street« bislang rigoros durchgesetzt hat. Mit Verweis auf die Behinderung des Verkehrs riskiert jeder, der auf die Straße ausweicht, eine Festnahme. Die Polizei habe den Zug von rund 1800 Menschen zunächst rund 30 Minuten lang etwa bis zur Mitte der Brücke laufen lassen, sagte Flinchbaugh. Erst dann habe sie begonnen, den Demonstranten den Weg zu versperren und orange Netze auszurollen, die sie auch bei Verhaftungen in der Vorwoche verwendet hatte, so der Arbeitslose aus New Jersey.

Die Polizisten hätten dann begonnen, einzelne ziehen zu lassen und andere festzunehmen, um am Ende insgesamt rund 700 Menschen zu verhaften. »Es war nach meiner Einschätzung eine Falle. Anders kann ich dieses Vorgehen nicht beschreiben«, erläutert Flinchbaugh.

Die Polizei begründete die Festnahmen mit der Behinderung des Verkehrs auf der Brücke. Demonstranten mußten mit auf den Rücken gefesselten Händen stundenlang entlang der Brücke sitzen, um am Ende zum Polizeirevier abtransportiert zu werden.

Alles deutet darauf hin, daß das aggressive Vorgehen der Polizei die Aufmerksamkeit und die Sympathien für die Besetzung nur weiter erhöht. Einen Tag nach den Verhaftungen kamen mehr als tausend Menschen zum Zuccotti-Park, wo normalerweise rund 100 bis 200 Aktivisten in Schlafsäcken und unter Planen übernachten. Außerdem kam es in mindestens 20 weiteren US-Städten, unter anderem in Chicago und Los Angeles, ebenfalls zu Protestaktionen. In Boston versammelten sich Demonstranten vor einer Niederlassung der Bank of America, um gegen Zwangsversteigerungen zu protestieren.

Inzwischen haben sich zudem zahlreiche Gewerkschaften mit den Demonstranten vom Zuccotti-Park zusammengeschlossen. Darunter ist etwa die United Federation of Teachers, die Transport Workers Union und die Communications Workers of America, die derzeit angespannte Verhandlungen für 45000 Beschäftigte des Telekommunikationskonzerns Verizon führt, deren Forderungen von »Occupy Wall Street« unterstützt werden. Ein Ende der Aktion ist damit weiterhin nicht absehbar. Für Mittwoch haben die Aktivisten zusammen mit den Gewerkschaften und linken Organisationen wie moveon.org zu einer gemeinsamen Demonstration in New York aufgerufen.

Quelle: www.jungewelt.de vomn 04.10.11

»Es handelt sich um Steuerkriminalität« Gesetzestreue Steuerfahnder wurden und werden in ihrer Arbeit systematisch behindert, um die Reichen zu schonen. Gespräch mit Hans See Interview: Gitta Düperthal

Samstag, 01. Oktober 2011 von Huste

Hans See ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft, Sozialpolitik und Wirtschaftskriminologie und ­Ehrenvorsitzender von Business Crime Control e.V. (BCC)

Auf einer Veranstaltung von Business-Crime-Control am 9. Oktober in Frankfurt am Main wird der ehemalige hessische Steuerfahnder Frank Wehrheim über sein Buch »Inside Steuerfahndung« berichten. Wie gesellschaftsfähig ist Steuerhinterziehung?
Bei den Ereignissen, die Wehrheim in seinem Buch schildert, handelt es sich um Steuerkriminalität. Auch andere ehemalige hessische Steuerfahnder wie Rudolph Schmenger, Marco Wehner und das Ehepaar Tina und Heiko Feser haben einfach ihre Arbeit getan und ebenfalls den Vermögenden bei der Steuerprüfung genau in die Bücher geschaut. Ihre gesetzestreue Berufsauffassung und ihren Gerechtigkeitssinn haben sie mit Mobbing, Strafversetzung und Psychiatrisierung bezahlt. In der Verantwortung standen der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch, der frühere Finanzminister Karlheinz Weimar und der jetzige Ministerpräsident Volker Bouffier (alle CDU). Wehrheim legt nahe, daß diese tief in Parteispendenskandale verstrickten Spitzenpolitiker in das den Steuerfahndern zugefügte Unrecht involviert sein mußten. Man hat sie für psychisch krank erklärt und mit Hilfe eines gefälschten Gutachtens aus dem Amt gejagt. Es paßt zusammen, daß ausgerechnet Politiker, die Steuersenkungen verlangen, Fahnder daran hindern, Steuerkriminellen das Handwerk zu legen. Motto: Klappt es nicht, die Reichen auf legalem Weg zu begünstigen, sorgen wir dafür, daß sie ungestraft andere Wege suchen können, ihre Steuern zu senken.

Sind diese Methoden nur in Hessen üblich?
Bei BCC hat sich vor Jahren der ehemalige Steuerfahnder Rudolf Borcharding aus Nordrhein-Westfalen gemeldet, der ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das Politikum ist: Die Steuersäckel sind leer, und statt für Einnahmen zu sorgen, decken Regierende, daß Gelder ins Ausland transferiert werden können. Die Steuerfluchtländer sind bekannt: die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, et cetera. Im übrigen auch die Bundesrepublik: Nach dem Sturz arabischer Diktatoren wurde schnell klar, daß unserer Regierung bekannt ist, bei wem diese ihre Konten haben. Denn alsbald wurde debattiert, ob man sie für die Rebellen freigibt. Dabei muß man den Zusammenhang sehen: Diese Diktatoren wurden auch deshalb gestürzt, weil sie als Wirtschaftskriminelle durchschaut worden waren.

In seinem Buch schildert Wehrheim Methoden und Geheimnisse der Behörde. Um welche Fälle geht es?
Die Betrugsformen und Reaktionsweisen der Erwischten sind vielfältig, darunter sind Anwälte, Ärzte, Gewerbetreibende, Gewerkschafter, Künstler, Kaufmänner und -frauen bis hin zu Konzernchefs wie Flick und Brauchitsch oder Partei- und Regierungschefs wie Koch. Der Fall der geschaßten Steuerfahnder zeigt: Vorgesetzte in den Behörden sind nicht bereit, millionenschwere Vermögende, wenn sie der Steuerhinterziehung überführt werden, genauso zu behandeln wie etwa Bezieher von Hartz IV, wenn sie falsche Angaben machen. Für Steuerkriminelle tut man alles, um die Anwendung der Gesetze zu verhindern. Auch die frühere Staatsanwältin Margrit Lichtenhagen, die den Steuerhinterzieher und Expostchef Klaus Zumwinckel zur Verantwortung gezogen hat, wurde aus dem Amt gemobbt.

Werden in Wehrheims Buch Roß und Reiter genannt?
Wenn es um die Namen von Wirtschaftskriminellen geht, hat Frank Wehrheim die gleichen Probleme wie Business Crime Control und Journalisten. Nennen wir sie, machen wir uns strafbar. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler hat mehr als sechs Millionen Franken Schulden, weil er Namen ranghoher Wirtschaftskrimineller veröffentlichte.

Inwieweit ist die Steuerhinterziehung der Reichen und deren Begünstigung durch die Regierenden für die Finanzkrise verantwortlich?
Unserer Schätzung nach verliert die Bundesrepublik ungefähr jährlich 200 bis 300 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug. Am Beispiel Griechenlands ist zu sehen, wie diese von Regierenden geduldeten Machenschaften ganze Staaten ruinieren können. Viele Wirtschaftsverbrechen sind durch wirtschaftsliberale Gesetzgebung legalisiert – auch hierzulande. Das jüngste Abkommen Wolfgang Schäubles mit der Schweiz bedeutet, daß Steuerhinterzieher sich nachträglich freikaufen können. Das ist aus meiner Sicht Verfassungsbruch. Zudem ist das Abkommen eine Einladung für künftige Steuerkriminelle: Ihr könnt für ein Taschengeld straffrei bleiben und eure windigen Geschäfte weitertreiben.

www.jungewelt.de vom 01.10.11

Rechtlos in der Kirche. Ver.di-Aktionswoche: Diakonie bestreitet weiterhin grundlegende Rechte ihrer Beschäftigten und hetzt gegen Streikende. Von Karl Neumann

Freitag, 30. September 2011 von Huste

Mit vorübergehenden Arbeitsniederlegungen, »aktiven Mittagspausen« und anderen Aktionen haben Beschäftigte diakonischer Einrichtungen in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in dieser Woche für Tarifverträge und die Anerkennung von Gewerkschaften demonstriert. Sie wehren sich dagegen, daß ihnen unter Berufung auf das sogenannte Selbstordnungsrecht der Kirchen grundlegende Rechte verweigert werden. Die sonst stets Verständnis für soziale Belange heuchelnden Kirchenoberen reagieren mit antigewerkschaftlicher Hetze.

»Nicht in die Falle tappen« sollen die Beschäftigten der Diakonie Stephansstift in Hannover. Das jedenfalls empfiehlt ihnen der Vorstand der kirchlichen Einrichtung in einem jW vorliegenden Rundschreiben. Die »Falle« gestellt hat demnach die Gewerkschaft ver.di, die die Mitarbeiter zum Warnstreik aufgerufen hat, um einen Tarifvertrag zu erreichen. Die Diakonie-Spitze hält das für illegal und macht Druck: »Wenn Sie das Stephansstift bestreiken und damit den Ihnen anvertrauten Menschen die Fürsorge und Zuwendung verweigern, ist und bleibt dies unrechtmäßig«, behaupten sie in dem Rundschreiben und drohen Streikteilnehmern mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen.

Die Gewerkschafter lassen sich davon nicht beirren. Sie sehen sich durch Urteile der Landesarbeitsgerichte in Hamm und Hamburg bestätigt, die Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen das Recht auf Arbeitsniederlegungen zugestanden haben. Die Diakonie Nordrhein-Westfalen hat dagegen Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Sie beruft sich auf den aus der Weimarer Verfassung stammenden Grundgesetzartikel 140, der Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Vereinigungen ein »Selbstordnungsrecht« gibt. Das sollte bewirken, daß der Staat keinen Einfluß darauf nehmen kann, wen die Kirchen zum Priester oder Bischof berufen. Beschäftigte kirchlicher Sozialeinrichtungen haben hingegen bereits in der Weimarer Republik ihr Streikrecht selbstverständlich wahrgenommen. Ver.di argumentiert, die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften finde bei den Grundrechten – und dazu gehört nach Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes die Vereinigungs- und damit die Streikfreiheit – ihre Schranke. Beim Bundeskongreß in der vergangenen Woche in Leipzig beschloß die Gewerkschaft eine Resolution, in der sie »die gleichen Arbeitnehmerrechte für kirchlich Beschäftigte wie bei Lidl, Karstadt, Lufthansa und anderswo« fordert.

Der sogenannte Dritte Weg soll nach dem Willen der Gewerkschafter endlich abgeschafft werden. Dieser sieht vor, daß die Arbeits- und Einkommensbedingungen der 1,3 Millionen Kirchenmitarbeiter nicht in von den Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträgen vereinbart werden. Statt dessen legt eine »arbeitsrechtliche Kommission« Lohnhöhe und Arbeitszeiten fest. Diese sei von »Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt«, behaupten die Kirchenjuristen. Wer auf Beschäftigtenseite die Verhandlungen führen darf, ist aber nicht frei bestimmbar. Im Falle der Nichteinigung entscheidet eine Zwangsschlichtung. Arbeitsniederlegungen, mit denen Belegschaften in normalen Tarifkonflikten für die Anerkennung ihrer Forderungen streiten können, sind nicht vorgesehen. Auch sonst haben die Beschäftigten kirchlicher Träger nicht annähernd die gleichen Rechte wie ihre Kollegen anderswo. Das Betriebsverfassungsgesetz gilt ebensowenig wie die überbetriebliche Mitbestimmung in Aufsichtsräten – selbst in Großeinrichtungen von Diakonie und Caritas, die als Aktiengesellschaften organisiert sind. Statt Betriebsräten gibt es dort »Mitarbeitervertretungen«, die noch schwächere Beteiligungs- und Durchsetzungsrechte haben als die sonst üblichen Interessenvertretungen.

Es geht bei den Aktionen in dieser Woche, denen weitere folgen sollen, also um weit mehr als die Lohnhöhe. »Die Ungleichbehandlung muß ein Ende haben«, forderte Ellen Paschke vom ver.di-Bundesvorstand zu Beginn der Proteste. Durch die niedrigere Entlohnung – die einem Konferenzbeschluß der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zufolge dauerhaft um fünf Prozent unter dem Flächentarif des öffentlichen Dienstes liegen soll – verschafften sich die diakonischen Einrichtungen Wettbewerbsvorteile gegenüber der privaten und staatlichen Konkurrenz. Das wiederum setzt die Belegschaften anderer Träger unter Druck. Laut einer im Auftrag von ver.di erstellten Studie summiert sich die Lohndifferenz zwischen Diakonie und öffentlichem Dienst zum Beispiel für eine Kranken- oder Altenpflegehelferin mit einjähriger Ausbildung in 30 Jahren auf rund 150000 Euro. Monatlich kann der Einkommensunterschied in diesem Fall bis zu 550 Euro betragen. Der auch bei kirchlichen Trägern verbreiteten Tendenz, selbst dieses Niveau mit Hilfe von Ausgründungen noch zu unterlaufen, tut das zudem keinen Abbruch.

Quelle: www.jungeelt.de vom 29.09.11

Castor stoppen- überall!

Donnerstag, 29. September 2011 von Huste

Du möchtest Widerstand leisten gegen den Castortransport von La Hague nach Gorleben?

Ausgerechnet zum 13. Castor kannst Du nicht genug Urlaub nehmen?

Du wohnst im Süden und schaffst es nicht bis ins Wendland zu fahren?

Die Südwestdeutschen Antiatominitiativen laden Dich ganz herzlich zur zweiten Südblockade ein!

Südblockade?
Genau – das war diese wunderschöne Aktion bei Karlsruhe, wo es in Berg 1276 Menschen gelang, die Gleise zu besetzen und den Gorleben-Castor 2010 auf eine Ausweichroute zu zwingen. Das war damals ein enormer Erfolg! Noch nie musste der Castor einer Massenblockad ausweichen.

Inzwischen ist viel passiert. Fukushima hat uns bitter Recht gegeben.
In der Folge gab es unglaublich viele Demonstrationen und dann war er da: der „Atomausstieg“.

Ein Erfolg?
Grund zur Freude und zum ‚Uns-auf-die-Schultern-klopfen‘ war die Abschaltung von acht Uraltmeilern schon.

Ein Atomausstieg?
Nein – leider mussten wir enttäuscht zusehen, wie die Merkelsche Befriedungskampagne voll angenommen wurde.
Die Atomkraftwerke sollen mindestens weitere 11 Jahre laufen. Die nächsten Bundestagswahlen sind 2013, 2017 und 2021.
Was nach Wahlen mit „unumkehrbaren Ausstiegs-Verträgen“ passieren kann haben wir schon einmal erlebt.

Darüber hinaus wird die bundesweite Nuklearforschung ausgebaut:
In Karlsruhe hat das ITU (Institut für Transurane) gerade einen Bauantrag gestellt und die Genehmigung angefordert zur Einlagerung von zusätzlichen, relativ großen Mengen verschiedener radioaktiver Materialien (z.B. Uran und Plutonium).

Sie forschen an der Illusion der Beherrschbarkeit des Automüllproblems.
Und gleichzeitig forschen Sie unbekümmert an der nächsten Atomreaktor-Generation.

Na, und da ist natürlich die Sache mit Gorleben.
Längst ist geklärt, dass die Entscheidung für den Standort eine rein politische Angelegenheit war.
Längst ist geklärt, dass der Salzstock zur Einlagerung von Atommüll technisch vollkommen ungeeignet ist.
Im September hat sich gezeigt, dass noch nicht einmal die gesetzlich festgesetzten Strahlungswerte eingehalten werden können.
Und das, obwohl die „Kartoffelscheune“ (wie die Wendländer das illegal gebaute Zwischenlager nennen) gerade mal viertel voll ist.

All dies ist für die Atommafia und ihren politischen Arm völlig uninteressant.
Der 13. Castor soll Ende November wieder aus dem französischen La Hague nach Gorleben rollen.

Und das ist der Punkt an dem wir ins Spiel kommen.
Wir, Du, Anna, Arthur, Fritz und Frieda.

Wir haben uns entschlossen, auch dieses Jahr eine Südblockade vorzubereiten. Bei der ersten Südblockade waren wir auf den unglaublichen Erfolg gar nicht vorbereitet gewesen. Dieses Jahr werden wir der ungewohnten Flexibilität der Transportdurchführenden mit einem ebenso flexiblen Konzept begegnen. Daher lautet unser Motto dieses Jahr: „Hase&Igel: Egal wo er lang fährt – wir sind schon da“.

Und wir laden Dich ganz herzlich ein, mit zu machen:

Hier kannst Du unseren Mobilisierungsflyer bestellen:
http://www.castor-suedblockade.de/2011/flyer-plakate-bestellen.html

Hier kannst Du unseren Newsletter abonnieren, sodass wir Dich jeweils aktuell per Mail informieren können:
http://www.castor-suedblockade.de/newsletter/1240-newsletter-bestellen.html

Hier kannst Du Deine Unterstützung der Südblockade signalisieren:
http://www.castor-suedblockade.de/2011/suedblockade-unterstuetzen.html

Mit widerständigen Grüßen
Marion Morassi
Sprecherin im KoRat der LAG Ökologische Plattform RLP

Constanze Lehr

AK gegen Atomlagen Frankfurt
http://www.atomausstieg-sofort.de/

Erklärung der Landesgruppe DIE LINKE NRW zur Abstimmung: Erweiterung Euro-Rettungsschirm

Donnerstag, 29. September 2011 von Huste

Die Landesgruppe NRW hat heute ebenso wie die gesamte Fraktion DIE LINKE den erweiterten Euro-Rettungsschirm abgelehnt und gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt.
Auch der erweiterte EU-Rettungsschirm ist kein geeignetes Mittel zur Überwindung der Krise, sondern setzt die gescheiterte neoliberale Finanzpolitik fort.
Während Banken und Finanzinvestoren geschützt werden, werden den Krisenländern Rettungsringe aus Blei zugeworfen. Dort sollen die Werktätigen mit Lohn- und Rentenkürzungen und dem größten Sozialabbau der europäischen Nachkriegsgeschichte für die Spekulationen der Privatbanken bezahlen. In Deutschland werden die Steuerzahler in Haftung für die Milliardenschweren Garantien genommen. Diese Politik beschleunigt die Umverteilung von unten nach oben und setzt so eine zentrale Krisenursache fort. Die Spardiktate verhindern eine ökonomische Belebung der Krisenländer, es sind keine effektiven Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Eurozone und EU vorgesehen. Rechtspopulistische und faschistische Parteien, die die Ängste und die Wut der Menschen gegen Spardiktate in nationalistische und europafeindliche
Propaganda kanalisieren, sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Das Argument er Koalition – auch von SPD und Grünen – es gehe mit dem Rettungsschirm darum, „Europa zu retten“ ist daher schlicht falsch.

DIE LINKE hat gegen den erweiterten Rettungsschirm gestimmt, weil man die Krise nur lösen kann, wenn man das Casino schließt und die Spekulanten an die Kette legt. Die Banken gehören unter öffentliche Kontrolle durch Verstaatlichung. Die Staaten müssen sich unabhängig von den Kapitalmärkten über eine Bank für öffentliche Anleihen finanzieren können. Die Finanzmärkte müssen endlich streng reguliert werden. Und die Verursacher und Profiteure der Krise müssen zur Kasse gebeten werden durch eine EU-weite Vermögensabgabe für Superreiche, durch eine Finanztransaktionssteuer und durch eine Beteiligung großer privater Gläubiger.

Quelle:
Ulla Jelpke, MdB
Innenpolitische Sprecherin
Fraktion DIE LINKE.

Platz der Republik, Berlin
29.09.11

Putsch des Finanzkapitals

Donnerstag, 29. September 2011 von Huste

Wenige Tage nachdem die Spitzenverbände der deutschen Unternehmen mittels teurer Zeitungsanzeigen zur Unterstützung des nächsten »Rettungsschirmes« EFSF durch den Bundestag aufriefen, ließen sich auch die Vorsitzenden des DGB und seiner acht Einzelgewerkschaften nicht lumpen. Für Zehntausende Euro aus Gewerkschaftsbeiträgen wurden Anzeigen in großen deutschen Zeitungen geschaltet, in denen »an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages« appelliert wird, dem EFSF zuzustimmen. Dazu erklärt der stellvertretende Sprecher der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen und IG-Metall-Gewerkschafter, Thies Gleiss:

Wenn Unternehmerverbände und Gewerkschaften für gleiche Ziele eintreten, sollte zweimal hingesehen und hingehört werden. Die richtigen Feststellungen der DGB-Spitzenleute, daß über Ausgabenkürzungen und soziale Einschnitte nicht die Haushalte konsolidiert, sondern der soziale Frieden aufgekündigt wird, passen leider gar nicht zu der Aufforderung, deshalb den EFSF zu unterstützen. Dieser neue Rettungsschirm ist nämlich ausdrücklich zu diesem Zweck aufgespannt worden. Nicht die Banken und Spekulanten werden zur Tilgung der Krisenkosten herangezogen, sondern die Millionen Kolleginnen und Kollegen, Erwerbslose und Studierende in den von Staatsschulden geplagten Ländern. Der EFSF und noch mehr die heute schon diskutierten weiteren Fortsetzungen sind ein Putsch des Finanzkapitals auf Kosten der Mehrheit in ganz Europa. Gewerkschaften können dazu nur nein sagen. Zwölf Billionen Euro privates Geldvermögen stehen knapp acht Billionen Euro Staatsschulden der Euro-Länder gegenüber. In Deutschland verfügen die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung über mehr als drei Billionen Euro Geldvermögen, , bei zwei Billionen Staatsschulden. Hinter dieser Ungleichverteilung steckt die wahre Ursache der angeblichen Eurokrise. Die Linke fordert deshalb ein Verbot der Bankenzockerei, Umverteilung von oben nach unten, Reichen- und Vermögenssteuer, eine gemeinsame europäische Sozial- und Lohnpolitik statt »Wirtschaftsdiktatur« sowie ein umfassendes Schulden-Audit, um der Öffentlichkeit die Wahrheit aufzuzeigen, wer die Staatsverschuldung ausgelöst und hat und gleichzeitig von ihr schamlos profitiert. So bitter es ist: Auch Gewerkschaftsvorstände können irren und ihre Anzeigenkampagne spricht mit Sicherheit nicht für die Mehrheit ihrer Mitglieder.

Quelle: www.jungewelt.de vom 29.09.11

Judenmörder und BND. Walter Rauff und andere: Aus der Schußlinie genommen, aber kein Verzicht auf ihre Dienste. Von Gotthold Schramm

Donnerstag, 29. September 2011 von Huste

Professor Dr. Jost Dülffer, Universität Köln, gehört der Unabhängigen Historikerkommission an, die Anfang 2011vom Bundesnachrichtendienst (BND) berufen wurde, um dessen Geschichte in den Jahren 1945 bis 1968 zu untersuchen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte er am Dienstag einen detaillierten biographischen Text über SS-Standartenführer Walter Rauff (1906–1984), den Erfinder der Vergasungswagen im deutschen Faschismus (siehe jW vom 28. September). Dabei unterzog er die 900 Seiten Vorgangsmaterial einer anerkennenswerten Analyse. Seiner Schlußfolgerung, »vorerst zeichnen sich nur Ansätze von Netzwerken aus der NS-Zeit in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft ab«, kann jedoch nicht gefolgt werden. Nicht Ansätze, sondern umfassende Netzwerke in bedeutenden gesellschaftlichen Bereichen sind erwiesen. Professor Dieter Schenk hat das mit seinem Buch »Die braunen Wurzeln des BKA« (2001) hinreichend für das Bundeskriminalamt bewiesen. Es sei nur auf die Rolle von dessen früherem Präsidenten Paul Dickopf (1910–1973) als SS-Untersturmführer im Nazi-Geheimdienstapparat und als CIA-Agent verwiesen.

Für die »Organisation Gehlen«, dem späteren BND, gilt das im besonderen Maße. Von 1946 an ist ein Netzwerk von Naziaktivisten und Kriegsverbrechern entstanden, das sich auch in Bundeswehr, Verfassungsschutz und Polizei ausbreitete.
Forschungsergebnisse
Historiker und Publizisten der DDR haben an dessen Aufdeckung hohen Anteil, auch wenn das auf westdeutscher Seite nicht immer zur Kenntnis genommen wird. Hier seien nur Autoren wie Julius Mader, Klaus Geßner (»Geheime Feldpolizei«, 1986 und 2010), Kurt Pätzold und Detlef Joseph. genannt. Allein in den Untersuchungen zur Gründergeneration deutscher Geheimdienste (siehe Klaus Eichner/Gotthold Schramm (Hg.): Angriff und Abwehr. Die deutschen Geheimdienste nach 1945, 2007) sind Hunderte Mitarbeiter von BRD-Behörden, vorrangig des BND, mit zum Teil ausführlichen Biographien und Beweisen bzw. Hinweisen auf Naziverbrechen aufgeführt.

Zur Zeit der DDR bestand die Möglichkeit, auf deren zentrale Archive und Karteien sowie auf solche befreundeter Staaten zurückzugreifen, vor allem in Polen und in der Sowjetunion. Dadurch war es möglich, entsprechendes Material zu sichern. Man kann nur hoffen, daß auf die damaligen Erkenntnisse beim Erforschen der Vergangenheit des BND zurückgegriffen wird – wenn es für erforderlich gehalten wird, möge man sie prüfen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Untersuchungsergebnisse des BND-Historikers Erich Schmidt-Eenboom verwiesen (Der BND, 1993. Am 26. September erscheint im Ch. Links Verlag: Matthias Ritzi/Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann)

Zur Vorgeschichte von Geheimdiensten und anderen Behörden der BRD gehört vor allem die Beteiligung vieler Mitarbeiter und führender Personen an der nazistischen Judenverfolgung. Spätestens mit dem Pogrom vom 9. November 1938 war eine neue Stufe erreicht, mit der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 die systematische, industriemäßige Vernichtung der europäischen Juden ratifiziert. Sie gehört zu den abscheulichsten Verbrechen des faschistischen Staates. Im Juli 1944 schrieb der britische Premier Winston Churchill dazu: »Es besteht kein Zweifel, daß dies wahrscheinlich das größte und schrecklichste Verbrechen darstellt, das jemals in der Weltgeschichte begangen wurde (…). Es ist völlig klar, daß alle an diesem Verbrechen Beteiligten, die uns in die Hände fallen, einschließlich jener Leute, die nur Befehlen gehorchten, indem sie das Gemetzel ausführten, hingerichtet werden müssen.«
Rattenlinien
Der Schreibtischmörder Hans Globke (1898–1973), Leiter des Bundeskanzleramtes unter Konrad Adenauer und zuständig für die »Organisation Gehlen«, sorgte dafür, daß genau dies nicht geschah. In der »Organisation Gehlen« und im BND wurde den an der Judenvernichtung aktiv Beteiligten Unterschlupf und Sicherheit gewährt, z. B. dem Leiter des federführend beteiligten »Wannsee-Instituts« (später Abteilung VII des Reichssicherheitshauptamtes – RSHA), Dr. Franz Alfred Six (1909–1975) sowie dessen Mitarbeitern Dr. Emil Augsburg (1904–1981) und Professor Dr. Michael Achmeteli (1895–1963). Gleiches galt für Angehörige von Einsatzgruppen der SS und der Wehrmacht, die unmittelbar an der Ermordung ungezählter Juden beteiligt waren.

Zu ihnen gehörte auch Rauff. Er geriet im April 1945 in Mailand in alliierte Gefangenschaft. Im Ergebnis der Vernehmung wurde eine »lebenslange Internierung« empfohlen, aber im Dezember l946 gelang ihm die Flucht. 1947/1948 versteckte er sich in verschiedenen Klöstern Italiens, unterstützt von Bischof Alois Hudal, einem der Akteure für die »Rattenlinien«, d. h. die Ausschleusung von Kriegsverbrechern nach Südamerika und Nordeuropa. Vom Juli 1948 bis August 1949 arbeitete Rauff in Syrien in verantwortlichen Geheimdienstfunktionen und baute u.a. das »Zweite Büro« nach Gestapo-Vorbild auf. Nach einem Zwischenaufenthalt in Italien reiste er l949 nach Ecuador und von dort im Oktober 1958 nach Chile. Hier begann, nach den nunmehr freigegebenen Unterlagen, die Zusammenarbeit mit dem BND, die bis 1962 dauerte. Obwohl 1961 durch das Amtsgericht Hannover ein Haftbefehl erwirkt wurde, reiste er im Auftrag des BND 1962 mit gefälschten Papieren zur Schulung in die BRD ein in Kenntnis und unter Mißachtung der Haftanordnung.

Besonders bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang eine Befragung Rauffs 1972 in Santiago de Chile, d.h. während der Regierungszeit Salvador Allendes. Damals lief die CIA-Aktion »Centauro« zum Sturz des chilenischen Präsidenten bereits auf Hochtouren. Zur Einvernahme Rauffs als Zeugen am 28. Juni 1972 in der BRD-Botschaft waren ein Untersuchungsrichter und ein Staatsanwalt des Landgerichts Hamburg angereist. Die 16seitige »Vernehmungsniederschrift« ist ein schlagendes Beispiel für den Unwillen und die Unfähigkeit der Untersuchung von Kriegsverbrechen durch westdeutsche Behörden. Auf 14 Seiten werden Auskünfte zu Mitarbeitern der RSHA eingeholt, auf ganzen zwei Seiten wird zaghaft nach dem Anteil Rauffs bei der Judenvernichtung gefragt. Seine Rolle war zu diesem Zeitpunkt in Einzelheiten bekannt.

Die Vernehmer gaben sich dabei laut Protokoll mit solchen Erklärungen Rauffs zufrieden wie: »Ich habe niemals offiziell erfahren, auf welchem Befehl die Tötung der Juden beruhte. Zwar ist mir nach dem Kriege bekanntgeworden, daß es einen sogenannten Führerbefehl gab, ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, daß mir schon während des Krieges jemals gesagt worden wäre, daß ein derartiger Befehl vorliege.« Oder: »Von den Liquidierungsmaßnahmen in Polen muß ich aus den Amtschefbesprechungen erfahren haben. Eine eigene Erinnerung an diese Dinge habe ich heut nicht mehr.« Oder: »Wenn es in dem Protokoll über die Besprechung vom 21. September 1939 heißt, das Judentum sei in den Städten im Ghetto zusammenzufassen, um eine bessere Kontrollmöglichkeit und später Abschubmöglichkeit zu haben, so kann ich heute nicht sagen, was damals unter Abschubmöglichkeit verstanden wurde.« Oder: »Hinsichtlich der Judenvernichtung in Rußland weiß ich, daß dafür Gaswagen eingesetzt wurden. Ich kann aber nicht sagen, von wann an in welchem Umfang dies geschehen ist. Ich war früher der festen Meinung, daß die Sache mit dem Gaswagen in der Zeit angelaufen ist, in der ich bei der Marine war. Heute habe ich daran Zweifel und halte es für möglich, daß diese Angelegenheit erst in Gang gekommen ist, nachdem ich von der Marine zurückgekommen war. Jedenfalls weiß ich, daß ich irgendwann nach meiner Rückkehr im Hof zwei dieser Gaswagen stehen gesehen habe. Irgendwie habe ich dann auch erfahren, daß man die Gaswagen zur Vollstreckung von Urteilen wie auch zur Tötung der Juden benutzt hat.«

Übrigens wurde die BRD-Botschaft in Santiago de Chile damals von Botschafter Kurt Luedde-Neurath (1911–1984) geleitet. Dieser lehnte nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 gegen Allende die Aufnahme von Asylsuchenden ab, hielt die Tore für in Lebensgefahr befindliche Chilenen geschlossen und wies leitende Funktionäre der Allende-Regierung zurück. Erst im November wurde auf internationalen Druck hin mit der Aufnahme ausgewählter Asylanten begonnen. So schließen sich Netzwerke in der BRD.

Unser Autor ist Oberst a. D. der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Er war verantwortlich für die Bearbeitung von Geheimdiensten.

Mit SS-Mörder gegen Kuba. Von Arnold Schölzel

Mittwoch, 28. September 2011 von Huste

Am Sonntag berichteten bild.de und Spiegel, der frühere SS-Standartenführer Walter Rauff (1906–1984) und Erfinder der Vergasungswagen, mit denen das faschistische Deutschland Zehntausende Juden seit 1941 ermordet hatte, sei von 1958 bis 1962 Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND) gewesen. Die Tatsache war seit langem bekannt. Jetzt hieß es, der BND habe bislang streng geheime Akten zu Rauff im Umfang von 900 Seiten freigegeben. Am Dienstag veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Faksimile ein BND-Dokument, das die Einbindung eines SS-Massenmörders in die Spionage des BND gegen lateinamerikanische Staaten, darunter Kuba, belegt (siehe Seite 8). Am selben Tag wurde die Weltpresse aufmerksam. Der britische Independent wies darauf hin, daß die jetzige Enthüllung der BND-Behauptung vom Juli folgt, er habe eine 500-Seiten-Akte zum Kriegsverbrecher und Rauff-Freund Alois Brunner »verloren«.

Das von der FAZ im Faksimile veröffentlichte Papier enthält einen Reiseplan für den »lieben Kollegen«, den der Historiker Jost Dülffer, Mitglied der Anfang 2011 eingesetzten Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte zwischen 1945 und 1968, im ganzseitigen Begleittext auf den 2. Juni 1960 datiert. Demnach sollte Rauff ein Spionagenetz in Südamerika aufbauen und zu diesem Zweck verschiedene Länder des Kontinents bereisen, u. a. von Venezuela nach Kuba. Dort gehe es um die »innerpolitische Lage« und »die zunehmende Sowjetisierung des Castro-Regimes«. Rauff erhielt allerdings kein Visum für Havanna. Er habe gemutmaßt, »daß dort die Vertreter der ›SBZ‹ zu sehr auf jeden neuen Deutschen aufpaßten«. Kuba müsse »am besten ein Lateinamerikaner machen«.

Dülffer schildert, wie Rauff von anderen früheren SS-Offizieren an den BND empfohlen wurde und zitiert eine Charakteristik des Geheimdienstes, wonach er »ohne Zweifel auch heute noch voller innerer und äußerer Einsatzbereitschaft« sei. Der mit Vatikan-Hilfe 1946 aus Italien entkommene Kriegsverbrecher war demnach in den 50er und 60er Jahren in Südamerika für Mercedes Benz, Opel, Bayer und weitere deutsche Firmen tätig. Der BND schulte ihn mindestens zweimal in der Bundesrepublik, obwohl gegen ihn seit dem 13. März 1961 ein Haftbefehl des Amtsgerichts Hannover wegen des Mordes an 97000 Juden vorlag, der in Pullach vorab bekannt war. Rauff äußerte sich freimütig über seine Verbrechen gegenüber der westdeutschen Justiz bei einer Zeugenaussage in der BRD-Botschaft in Santiago de Chile 1972: »Ob ich damals Bedenken gegen den Einsatz der Gaswagen hatte, kann ich nicht sagen. Für mich stand damals im Vordergrund, daß die Erschießungen für die Männer, die damit befaßt wurden, eine erhebliche Belastung darstellten und daß diese Belastung durch den Einsatz der Gaswagen entfiel.«

Der Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan Korte, hatte bereits am Sonntag das Verhalten des BND unter der Regierung Adenauer als »kriminell« bezeichnet. Bemerkenswert erscheint ein Schlagabtausch zwischen Außenminister Guido Westerwelle und der Vorsitzenden der Partei Die Linke, Gesine Lötzsch, am 7. September im Bundestag. Der FDP-Politiker hatte nach einer Rede über »Konstanten der deutschen Außenpolitik« in Richtung Linke erklärt: »Wer an Fidel Castro Liebesbriefe schreibt, soll uns in der Außenpolitik nichts, aber auch gar nichts erzählen.« Eine Konstante ist demnach: Wer 1960 SS-Massenmörder Richtung Havanna in Marsch setzte, hält 2011 an der dahinterstehenden Politik fest.

Quelle: www.jungewelt.de vom 28.09.11

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