Die Erinnerung an die vom faschistischen Deutschland an den sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen steht im heutigen Deutschland allgemein nicht hoch im Kurs. Vorrang haben derzeit vielmehr tolldreiste Forderungen an die russische Regierung nach »endlicher Rückgabe der Beutekunst«, wie unlängst beim Besuch der Kanzlerin in St. Petersburg. Es paßt in dieses Bild, daß die Bundestagsmehrheit von CDU/CSU und FDP Ende Juni in der letzten Sitzung der abgelaufenen Legislaturperiode abgelehnt hat, ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen wenigstens eine symbolische Entschädigungszahlung zu gewähren (siehe jW vom 3. Juli, Seite 15).
Entscheidungen dieser Art gehören zu einer Verdrängungsleistung, die in der Tradition des Antikommunismus aus den Jahren des Kalten Krieges steht. Vergessen ist, daß die 3,3 Millionen im deutschen »Gewahrsam« ums Leben gekommenen Kriegsgefangenen nach den europäischen Juden die größte »Opfergruppe« auf dem Mordkonto der »Neuordner Europas« waren. So erklärt sich, daß auch die Forderung nach einer »Intensivierung der Erinnerungskultur« keine Resonanz bei den Koalitionären hat. SPD und Gründe hatten dies zusammen mit dem »Anerkennungsbeitrag« für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene beantragt.
Die alarmierende Meldung über das drohende Aus für die Gedenkstätte in Schloß Holte-Stukenbrock erschien, wie es der Zufall fügte, am ersten Tag der parlamentarischen Sommerpause, am 29. Juni, im Westfalen-Blatt, der in Bielefeld für Ostwestfalen-Lippe erscheinenden Regionalzeitung. »Wenn es keine dauerhafte Förderung gibt«, zitiert das Blatt den Historiker und Vorsitzenden des 1996 gegründeten Fördervereins Oliver Nickel, der die Dokumentation seit Jahren betreibt, »müssen wir die Gedenkstätte schließen.«
Seit 2006 arbeiten Nickel und seine Mitstreiter ehrenamtlich. Sie haben das ehemalige Arrestgebäude renoviert, das einstige Entlausungsgebäude zum Seminarraum hergerichtet, bieten ein Projekt für Schulklassen mit dem Titel »Mitmachen und Lernen« an, veranstalten Führungen, beantworten Suchanfragen und betreuen Angehörige von auf dem nahegelegenen Friedhof beerdigten Kriegsgefangenen. Entstanden ist ein Totenbuch, in dem 1000 Tote, die auf dem Sennefriedhof liegen, namentlich und mit Angabe ihres Grabes aufgeführt sind. Ehrenamtlich geht das nicht mehr. Schon jetzt mußte die Zahl von Führungen reduziert werden. Mit einem »kleinen fünfstelligen Betrag«, an dem sich Land, Bund und die EU beteiligen könnten, so Oliver Nickel, wären wenigstens eine Halbtagsstelle und die Fortführung der Arbeit möglich.
Der Ort Schloß Holte-Stukenbrock ist untrennbar verbunden mit einem der größten Lager für sowjetischen Kriegsgefangene auf deutschem Boden und dem nahe gelegenen Waldfriedhof, auf dem in 36 Massengräbern von je etwa 110 Meter Länge 65000 sowjetische Kriegsgefangenen beerdigt sind. Sie kamen in diesem Lager ums Leben. Stalag 326 (VI K) Senne war die offizielle Bezeichnung für das Gefangenenlager auf dem früheren Truppenübungsplatz in der Landschaft am Teutoburger Wald. Heute hat hier das Polizeiausbildungsinstituts Erich Klausner seinen Sitz. In der erhalten gebliebenen Arrestzelle hat seit 20 Jahren die Dokumentationsstätte ihren Sitz.
Im September 1942 wurde Stalag 326 zum »Aufnahme- und Musterungslager« für den Bergbau bestimmt. Von da an wurden hier Arbeitssklaven für die immer größeren Bedarf anmeldenden Bergwerke an der Ruhr aussortiert. Die Reichsvereinigung Kohle, ein Zusammenschluß der Kohleindustrie, hatte im Frühsommer 1942 in »segensreicher Freundschaft« mit dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Die nicht mehr arbeitsfähigen Gefangenen kamen, soweit sie nicht an Ort und Stelle starben, zurück in die Senne. Auf dem nahegelegenen Waldfriedhof haben sie und alle die, die an den Folgen der Ausbeutung in den Bergwerken umkamen, im Lager verhungerten oder an den Folgen der völlig unzureichenden medizinischen Versorgung ihr Leben verloren, eine letzte Ruhestätte gefunden.
Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte des Lagers, die hetzerischen Artikel der örtlichen Presse zur »Einstimmung« der Anwohner auf die Ankunft der Gefangenen (siehe unten). Zu lesen sind die Befehle der Wehrmacht zum Umgang mit den russischen »Untermenschen«. Zeitgenössische Bilder aus den Archiven des Lagers und aus privatem Besitz zeigen die grauenvolle Verhältnisse im Lager. Die Neue Westfälische, eine weitere Tageszeitung der Region, berichtete am 4. Juli unter der Überschrift: «Gedenkstätte droht Schließung«: «Müßte die Dokumentationsstätte geschlossen werden und wäre der Mietvertrag mit dem Land Nordrhein-Westfalen (!) abgelaufen, bliebe nur noch eins zu tun: Das gesamte historische Material müßte ausgeräumt und irgendwo – wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen – eingelagert werden«.
Erinnerung hätte dann auch hier keinen Ort mehr, er verschwände auf Nimmerwiedersehen.
Unbekannte Täter haben in der Nacht zum Freitag in einem Asylbewerberheim in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) Feuer gelegt. Sie hätten eine Matratze vor der verschlossenen Tür eines Unterkunftsraums in Brand gesteckt, teilt die Polizeidirektion Ost mit. Aufgrund der starken Rauchentwicklung erwachten zwei Bewohner. Sie retteten sich über ein Baugerüst an der Außenfassade. Ein Wachschutzmann erlitt beim Löschversuch eine Rauchgasvergiftung. (…) Einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Brandstiftung schließt die Kriminalpolizei derzeit aus …« meldet am Freitag die Berliner Regionalausgabe von bild.de.
Nach wie vor brennen in Deutschland regelmäßig Asylbewerberheime. Regelmäßig schließt die Polizei einen fremdenfeindlichen Hintergrund aus. Regelmäßig berichten – wenn überhaupt – nur noch die Lokalzeitungen darüber. Das war schon mal anders: Als in den ersten 90er Jahren Flüchtlingsunterkünfte wie in Rostock-Lichtenhagen brannten, berichteten Medien überregional, auch über die applaudierenden Anwohner. Kaum aber über die Polizeibeamten, die von ihren Vorgesetzten daran gehindert wurden, den bedrohten Flüchtlingen zu Hilfe zu kommen. Viele Medien suggerierten, daß solche faschistischen Umtriebe erst mit der Auflösung der DDR möglich gewesen seien. Dabei haben in der alten BRD Nazis schon in den ersten 80er Jahren Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt. Interessiert hat das damals, wenn überhaupt, gerade mal die Lokalpresse.
Wenn in Deutschland faschistisches Pack sein Unwesen treibt, darf es mit Milde von Richtern, Staatsanwälten, Politikern und Medien rechnen. Nachdem in Rostock-Lichtenhagen Asylbewerber nur knapp dem Feuertod entgangen sind, wurden die wenigen vor Gericht gestellten Täter weitgehend geschont. In Folge hat man nicht die Aktionsmöglichkeiten von Nazis eingeschränkt sondern das Asylrecht. Geheimdienste, Behörden, Politiker hatten und haben nicht nur beste Kenntnisse über solche und andere faschistische Umtriebe, sie befördern, steuern, finanzieren und decken sie auch des öfteren. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Nazis werden von ihnen gebraucht. Auch wenn sie den Herrschenden selbst gelegentlich – wegen Standortfragen und so – lästig sind.
Nazis finden auch unter den Normalbürgern immer wieder Dummbeitel, die deren menschenverachtende Gesinnung teilen. In der Berliner Zeitung vom Freitag liest sich das dann so: »Andererseits gibt es auch unter SPD-Wählern Abneigung gegen Fremde, was ein Wahlkreisabgeordneter (der SPD, dk) berücksichtigen muß.« Im Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf soll eine Schule, die wegen Schülermangel geschlossen wurde, zur Asylbewerberunterkunft umgebaut werden. Dagegen regt sich Protest, sichtbar befeuert von NPD- und anderen Nazis. Die Kritik an von CDU geführten Bezirken wie Zehlendorf oder Reinickendorf, die sich erfolgreicher gegen solche Unterkünfte wehren konnten, erbost den christdemokratischen Integrationspolitiker Burkard Dregger. »Nur drei von zehn Asylbewerber würden ja überhaupt nur anerkannt, ›und wenn wir die anderen nicht konsequent abschieben, werden wir bei den Menschen keine Akzeptanz für die Flüchtlingsproblematik gewinnen‹, sagt Dregger. Der Zorn der Bürger dürfe sich aber nicht gegen die Flüchtlinge richten, ›sondern gegen die Politiker, die ständig fordern, daß alle eingereisten Asylbewerber hierbleiben können.‹« (Berliner Zeitung, 12.07.13) Handgreiflicher Volkszorn ist also durchaus gewünscht, Nazis und andere, die sich unter deren Maulführung aus der Deckung trauen, sollen ihn aber weniger gegen anerkannte Asylanten, sondern mehr gegen linke Politiker und abgelehnte Asylbewerber richten. Dann hat alles seine christlich-soziale Ordnung.
Ansonsten könnten wieder, wie damals in Rostock-Lichtenhagen, Unterkünfte von Flüchtlingen brennen, wird in Medien gemutmaßt, von rechtslastigen Bürgern und Politikern unverhohlen gedroht. Faschistische Umtriebe lassen sich immer gut als Drohkulisse nutzen. Wobei diese dann in der Presse nicht einfach nur nationalistisch, sondern verfälschend als national-sozialistisch bezeichnet werden. Als ob das braune Pack die Interessen einfacher Menschen vertreten würde. Und als ob die Herrschenden Nazis an langen Leinen laufen lassen, damit sie ihnen schaden.
German Angst« gilt im Ausland als geflügeltes Wort, teilweise auch als fester Begriff für eine besonders unangenehme Eigenart vieler Deutscher: der Angst als konstituierender Lebenseinstellung. Dazu zählt auch die Angst vor dem Fremden. Am Dienstag konnte man in Berlin-Hellersdorf einen besonderen Eindruck von dieser Haltung empfangen. »Die sollen sich dahin verpissen, wo sie hergekommen sind!«, »die können wir bei mir in den Keller stecken!«, »die sollte man alle vergasen!« und ähnliche Aussagen waren an diesem Tag zu hören.
Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hatte zur Bürgerversammlung geladen – und zwei Hundertschaften Polizei zum Schutz der Besucher aufgeboten. Thema war eine Notunterkunft für rund 200 syrische Flüchtlinge, die im Juli im ehemaligen Max-Reinhardt-Gymnasium in der Carola-Neher-Straße in Wuhletal eröffnet und in den kommenden Monaten zu einer festen Gemeinschaftsunterkunft ausgebaut werden soll (jW berichtete). Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD), ein Vertreter vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) sowie Vertreter des lokalen Polizeiabschnitts versuchten, Verständnis für die Situation der Flüchtlinge zu schaffen und Sicherheitsbedenken zu zerstreuen. Rund 800 Menschen waren gekommen – zumeist allerdings nicht um zu diskutieren, sondern um niederzubrüllen. »Nein zum Heim!« schallte es immer wieder aus der Menge, unter ihnen, feixend und grinsend, Kader von »Pro Deutschland«, »Die Freiheit« und NPD. Die Kernbelegschaft des »Nationalen Widerstands Berlin« und NPDler aus den Berliner Bezirken waren zugegen, um die Stimmung für ihre Zwecke zu nutzen. Während das Mikrofon bei NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke noch rechtzeitig abgedreht werden konnte, durfte dessen Lebensgefährtin Maria Fank, Landesvorsitzende der NPD-Unterorganisation »Ring Nationaler Frauen«, ungehindert statistische Zahlenspiele zum Thema Zuwanderung zum besten geben.
Allerdings waren die Faschisten vor Ort gar nicht vonnöten, um eine derartige Haßstimmung zu verbreiten. Den Bürgern wäre das wohl auch ohne das Zutun der Rechten gelungen. So waren zwischen den Aussagen der Nazis und denen vieler ganz gewöhnlicher Deutscher während der Versammlung kaum Unterschiede zu spüren. Geeint zeigten sie sich in der irrationalen Angst vor den Fremden, die angeblich bald die Atmosphäre im Viertel prägten. Auf die Frage, was sie am meisten fürchte, wenn das Heim eröffne, entgegnet eine Mittvierzigerin: vergewaltigt zu werden, da ihr wasserstoffblondes Äußeres »Asylanten« besonders anspreche.
»Das ist doch kein Dialog. Das ist eine regelrechte Haßstimmung. Wir haben ehrlich gesagt mehr Angst vor diesen Schreihälsen, als vor denen die hierher kommen«, sagte eine Frau der örtlichen evangelischen Gemeinde im Gespräch mit jW. Im Gegensatz zu den anwesenden Antifas, die die rassistischen Äußerungen lautstark konterten, äußerten sich antirassistische Anwohner oft nur auf Nachfrage. »Man muß darüber nachdenken, wie die Flüchtlingsströme entstehen. Da spielen deutsche Großmachtinteressen in Syrien und in der islamischen Welt eine Rolle«, so Klaus-Jürgen Dahler. Dahler wohnt im Kiez und arbeitet für die Flüchtlingsberatungsstelle der Linkspartei. »Ich werde die Flüchtlinge hier unterstützen. Soviel steht fest.«
Die NPD-Tarnorganisation »Bürgerinitiative Marzahn/Hellersdorf« hatte zu der Veranstaltung mobilisiert. Vor dem Eingang wurden »Nein zum Heim!«-T-Shirts verkauft, die bereits via Facebook vorbestellt werden konnten. Andere wiederum hatten sich eigene Shirts mit der Aufschrift »22.–26.8.1992« bedrucken lassen. Gemeint ist der Zeitraum des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen.
Das Geschrei der Nazis haben die Stadtoberen möglicherweise als Dialogangebot mißdeutet: Laut eigener Aussage vom Dienstag wurde der »Bürgerinitiative« durch den Bezirksbürgermeister ein Runder Tisch zugesagt.
Monatelang eingesperrt, isoliert, gedemütigt, zur Unselbständigkeit dressiert, mit Psychopharmaka ruhiggestellt – und mißhandelt: Das ist es, was Kinder und Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen offenbar seit vielen Jahren in drei geschlossenen Heimen der Haasenburg GmbH in Brandenburg erleiden. Vorwürfe gegen den privaten Betreiber der Einrichtungen in Jessern, Neuendorf (Landkreis Dahme-Spreewald) und Müncheberg (Märkisch Oderland) gibt es – zumindest gegenüber der Aufsichtsbehörde – schon seit 2006. Dem Inhaber der GmbH, Christian Dietz, geborener Haase, gehören unter anderem noch Fitneßstudios und Flug- und Fuhrunternehmen. Die Heime werfen Millionenprofite ab (im ZDF-Magazin »frontal 21« vom 24.4.2012 wurden Gewinne in Höhe von »3,1 Millionen Euro nach Steuern« belegt).
Ein am 1. Juni vergangenen Jahres veröffentlichter Bericht derjungen Welt über die Erfahrungen von Betroffenen und Vorwürfe von Fachleuten schreckte noch niemanden auf. Erst, als die tageszeitung das Thema in ihrer Ausgabe vom 15./16. Juni 2013 auf die Titelseite hob, kam Bewegung in die Angelegenheit. Die Zeitung zitierte aus »Tausenden Seiten« interner Protokolle und belegte, daß nicht nur stundenlanges Festhalten und Auf-den-Boden-Drücken mittels schmerzhafter Griffe durch mehrere Personen oder das Fixieren auf einer Liege, sondern auch die Zwangsverabreichung von Psychopharmaka und Neuroleptika in den Heimen der GmbH an der Tagesordnung waren, bei denen es sich mitnichten um psychiatrische Einrichtungen handelt.
Obwohl nach Änderung der Betriebserlaubnis durch das Landesjugendamt infolge von Berichten ehemaliger Mitarbeiter im Jahr 2010 insbesondere das Fixieren mit Gurten verboten war, gehörte es nach Angaben von Betroffenen weiterhin zum Alltag. Und wie die brandenburgische Bildungsministerin Martina Münch (SPD) am 4. Juli einräumte, hat das Landesjugendamt die Einhaltung der Auflagen seither genau einmal unangemeldet kontrolliert. Ganze drei Mitarbeiter sind dort für die Überwachung von landesweit 400 Einrichtungen zuständig. Eine Beschäftigte der Kontrollbehörde erhielt laut taz vom Mittwoch bereits 2006 einen ausführlichen Bericht eines ehemaligen Mitarbeiters über katastrophale Zustände. Passiert ist daraufhin wenig. Ein weiterer Mitarbeiter wurde laut taz nach einer Meldung von Mißständen an das Amt fristlos entlassen, weil die Behörde sich außerstande sah, seine Anonymität zu wahren.
Die vielen seit Mitte Juni erschienenen Medienberichte haben Behörden und Politik in Zugzwang gebracht. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Cottbus, die zuvor nach jW-Informationen mindestens zwei jungen Frauen beschieden hatte, ihre Beschwerden hätten keine Aussicht auf Erfolg, in acht Fällen – wegen Körperverletzung, Mißhandlung Schutzbefohlener und Nötigung. Die Geschäftsführer der GmbH würden auf Grund von Medienberichten gar der Beihilfe zu Mord und Folterungen beschuldigt, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Neu untersucht werden auch zwei mutmaßliche Suizide von Insassen in den Jahren 2005 und 2008.
Am 28. Juni berief Ministerin Münch eine Expertenkommission zur Aufklärung der Vorwürfe gegen die GmbH ein. Am 4. Juli durchsuchten 50 Polizisten und vier Staatsanwälte die Haasenburg-Einrichtungen sowie ein Bürogebäude und stellten zahlreiche Akten sicher. Zeitgleich tagte im Potsdamer Landtag der Bildungsausschuß des Parlaments auf Antrag der Linksfraktion und der Grünen. Gleichwohl wirkt die in Brandenburg mitregierende Linkspartei etwas phlegmatisch, was ihr Agieren in der Angelegenheit betrifft. Der jugendpolitische Sprecher der Fraktion im Landtag, Torsten Krause, äußerte sich nach der taz-Veröffentlichung Mitte Juni »schockiert« und verlangte »zügige« und »vorurteilsfreie« Aufklärung. Dabei dürfte der Artikel für ihn so überraschend nicht gewesen sein. Der Märkischen Oderzeitung (Dienstagausgabe) sagte der Linke-Abgeordnete, bereits zu Jahresbeginn seien »Beschwerden ehemaliger Insassen« an ihn »herangetragen« worden. Auf jW-Nachfrage räumte Krause ein, die Hinweise seien von Genossen der Hamburger Linksfraktion gekommen (von dort stammen viele der internierten Kinder). Was seine Fraktion außer internen Gesprächen mit Experten seither unternommen hat, wollte der 31jährige nicht verraten. Er fordert aber die »unverzügliche« Entziehung der Betriebserlaubnis für den Betreiber und die Schließung der Heime, »sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 10.07.13
Vom umfassenden Datenklau durch »befreundete« Geheimdienste wußte die Bundesregierung nach den Enthüllungen von Edward Snowden zunächst nichts. Als er nachlegte, wußte sie ein bißchen. Nun teilte sie mit, daß es eine »sehr lange zurückreichende Zusammenarbeit« zwischen der National Security Agency (NSA) und dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) gibt. Aber, so Regierungssprecher Steffen Seibert bereits am Montag: Alles verläuft »ganz streng nach Recht und Gesetz«. Diese Zusammenarbeit sei unter anderem nötig, um Bürger vor Terroranschlägen zu schützen. Und weiter: Für die Arbeit dieser Dienste gelte, »daß jeder Eingriff in die Privatsphäre, auch in die Datenselbstbestimmung, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehorchen muß«. Es müsse »nach Recht und Gesetz« vorgegangen werden.
Am Dienstag gab es einige Hinweise darauf, worin die von Seibert behauptete Rechtsgrundlage bestehen könnte: vor allem im NATO-Vertrag. Der frühere Sonderberichterstatter des Europarates zum CIA-Entführungs- und Folterprogramm nach dem 11. September 2001, der Schweizer Dick Marty, verwies in einem Interview des Deutschlandfunks darauf, daß sich die USA Anfang Oktober 2001 auf Artikel fünf des NATO-Vertrages beriefen, der alle Mitglieder des Paktes zur Hilfe verpflichtet, wenn eines von ihnen militärisch angegriffen wird. Auf einer NATO-Geheimsitzung sei das Operative in ein »ganz enges Gremium« delegiert worden. Als Beispiel für die Konsequenzen nannte Marty den Fall des im Dezember 2003 von der CIA nach Afghanistan entführten und gefolterten deutschen Staatsbürgers Khaled el Masri. Die Bundesregierung habe dem Untersuchungsausschuß des Bundestages dazu einen Bericht geliefert, aber 80 Prozent des Inhalts zum Staatsgeheimnis erklärt. Diesen Teil durften selbst die Mitglieder des Ausschusses nicht lesen. Marty schloß daraus, daß die Bundesregierung sehr gut informiert war und ist.
Ebenfalls am Montag nutzte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einen Beitrag, den sie für die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfaßt hatte, um die anlaßlose Vorratsdatenspeicherung in Europa als »Irrweg« zu kritisieren. Sie erinnerte daran, daß der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nach dem 11. September 2001 ein »Grundrecht auf Sicherheit« proklamierte, das in der Verfassung Vorrang habe. Gäbe es das tatsächlich, so die FDP-Politikerin, »würden die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes ins Leere laufen und auch der Kernbereich privater Lebensgestaltung schutzlos werden«. Sie fügte hinzu: Vor nicht einmal einem Monat stellte »die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg auf der Justizministerkonferenz einen Antrag auf Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung«. Mit Ausnahme von Niedersachsen hätten ihn alle »rot-grünen« Landesregierungen mitgetragen.
Telekommunikationsunternehmen in der EU sind seit einigen Jahren verpflichtet, Verbindungsdaten ihrer Kunden zwei Jahre lang aufzubewahren. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg begann am Dienstag seine Verhandlungen über die Verhältnismäßigkeit dieser Regelung. Im konkreten Fall geht es um Klagen aus Irland und Österreich. In der Bundesrepublik gibt es derzeit wegen Uneinigkeit in der Koalition keine gesetzliche Vorgabe. Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutsche Regelung 2010 gekippt.
Düsseldorf. 41,5 Prozent der ausländischen Senioren in Deutschland sind von Altersarmut betroffen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von Eric Seils, Sozialexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Sie erscheint am 15.7. in einem Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen. »Armutsgefährdet« ist nach gängiger Definition, wer als Alleinstehender ein monatliches Einkommen unter 848 Euro hat. Unter allen Senioren in der Bundesrepublik betrug der Anteil 2011 laut Mikrozensus 13,3 Prozent. Im Vergleich zu den Vorjahren ist das Armutsrisiko unter den älteren Migranten um knapp drei Prozentpunkte angestiegen. »Nach einem Leben voller Arbeit droht den ehemaligen Gastarbeitern die Altersarmut«, resümiert Seils. (jW)
Quelle: www.jungewelt.de vom 09.07.13
Unbestritten ist die Energiewende die größte industriepolitische Herausforderung der letzten Jahrzehnte. Zugleich birgt sie auf vielen Ebenen immenses Potenzial: Einerseits beschleunigen Rekommunalisierung und Bürgerbeteiligung den Demokratisierungsprozess, und zum anderen bietet die Neustrukturierung des Energiemarkts ein beachtliches ökonomisches Potenzial für Kommunen und Bürger.
Wegen der rund 1 100 Gemeinde- und Stadtwerke in Deutschland verfügen viele Kommunen über weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Um alle Potenziale zu nutzen, muss die Rekommunalisierung der Energieversorgung vorangetrieben werden. In Thüringen habe ich den Vorschlag eingebracht, die Kommunalordnung zu ändern, damit die Kommunen in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge auch zunehmend wirtschaftlich tätig sein können.
Mehr Engagement ist aber nicht nur eine Frage von Mitbestimmung, sondern von wirtschaftlicher Vernunft und nicht selten auch von Autonomie. Denn ein generelles Problem der Kommunen ist doch, dass sie immer mehr Bundes- oder Landesaufgaben erfüllen müssen, ihnen aber dafür zunehmend das Geld fehlt.
Rekommunalisierung – notwendige Einnahmequelle
Beispiel Thüringen: Trotz eines konjunkturell guten Jahres 2012 und eines Anstiegs der Steuereinnahmen um 90 Millionen Euro im Vergleich zu 2011, sind die Einnahmen der Kommunen dennoch um insgesamt 127 Millionen Euro zurückgegangen. Die Lage ist teils dramatisch. Zum 31.12.2012 unterlagen 152 Gemeinden, zwei kreisfreie Städte und zwei Landkreise von insgesamt 878 Städten und Gemeinden in Thüringen einer erzwungenen Haushaltssicherungspflicht.
Im Klartext: Viele der Thüringer Kommunen konnten ihren Haushalt aus eigener Kraft nicht mehr decken. Der Grund liegt in den rückläufigen Finanzzuweisungen des Landes. Diese erklären sich wiederum mit dem sukzessiven Auslaufen des Solidarpakts II und dem Bevölkerungsrückgang. Die Kommunen müssen also zusätzliche Einnahmequellen erschließen, um wieder finanziellen Spielraum für freiwillige Leistungen wie Schwimmbäder, Bibliotheken oder günstigen Öffentlichen Nahverkehr zu erhalten. Alles Angebote, die die Anziehungskraft von Kommunen stärken und neue Einwohner anziehen.
Land und Bürger machen´s vor
Zusätzliche Einnahmequellen und einen höheren Einfluss auf die Gestaltung des Energiemarkts bietet eine Rekommunalisierung der Stromnetze. Viele Kommunen und ihre Bürger haben das bereits erkannt. Neben Hamburg, Berlin, Stuttgart, ist auch in vielen anderen Städten und Gemeinden die Debatte um die zukünftige Energieversorgung im vollen Gange. Bürgerinitiativen wollen per Volksentscheid – in Hamburg und Berlin sind diese zeitgleich zur Bundestagswahl angesetzt – den Weg zurück zu einer Rekommunalisierung der Stromnetze ebnen. Kommunen und Bürger fordern gemeinsam eine Entflechtung des Strommarkts.
Was woanders noch diskutiert wird, ist in Thüringen bereits umgesetzt. Der Kommunale Energiezweckverband Thüringen (KET) – ein Zusammenschluss von ca. 400 Kommunen – hat im Februar die Mehrheit der E.ON Thüringer Energie AG übernommen. Wichtige Entscheidungen werden nun nicht mehr in Düsseldorf, sondern in Erfurt getroffen.
Bisher teilten sich in Deutschland die vier großen Energieunternehmen über Tochterunternehmen die Stromnetze auf. Lediglich das Niederländische Staatsunternehmen Tennet ist ein fremder Akteur auf dem deutschen Energiemarkt. Eine Rekommunalisierung bietet nicht nur die Chance, den Markt zu entflechten, sondern schafft zum einen mehr Wettbewerb und zum anderen mehr Demokratisierung bei der Stromversorgung. Dezentralität wird beinahe zwangsläufig eine der Haupteigenschaften des neuen deutschen Energiesystems sein.
Dabei können Bürgerbeteiligungen für Kommunen und Stadtwerke zu einem Finanz-, Vertriebs- und Kundenbindungsinstrument werden. Denn längst wurde erkannt, welche Vorteile es bringt, Bürger von Anfang an in die Planung der Anlagen sowie in die Entwicklung eines lokalen Energiekonzepts einzubeziehen. Zudem engagieren sich Bürger auch aktiv und schließen sich dafür zu ganz verschiedenen Organisations- und Gesellschaftsformen zusammen: Als GbR, GmbH & Co.KG oder Genossenschaft.
Bürgerenergiegenossenschaften haben einen unschätzbaren Vorteil: Sie verkürzen die zeitliche Umsetzung eines Projektes, weil langwierige Anhörungs- und Schlichtungsprozesse gar nicht erst auftreten. Wenn die Bürgerinnen und Bürger am Windrad vor ihrer Haustür beteiligt sind, schafft das beinahe automatisch Akzeptanz. Bürgergenossenschaften sollten daher auch von der Politik massiv unterstützt werden.
In Thüringen haben wir das erkannt. Um die Aufgaben zu bündeln und eine Anlaufstation zu bieten, haben wir die Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur (ThEGA) gegründet. Sie begleitet maßgeblich die Gründung von Bürgerenergiegenossenschaften mit Beratung, Motivation oder der Initiierung von Pilotprojekten.
Eine echte Bürgerenergiewende
Die Zahlen sind beachtlich: 40 Prozent der installierten Leistung der Erneuerbaren Energien werden Privatpersonen zugeschrieben. Ein beeindruckendes Indiz dafür, dass der Ausbau dezentral und bürgernah stattfindet. Nicht von ungefähr spricht man daher auch von einer „Bottom-up-Energiewende“ oder auch einer „Bürgerenergiewende“.
Bürger werden zu Investoren in eigener Sache und gestalten die Energiewende aktiv mit. Erst weit hinter den Privatpersonen liegen in der Produktion von Erneuerbarer Energie die Projektierer mit 14 Prozent sowie Banken/Fonds (elf Prozent) und Landwirte (elf Prozent). Lediglich 6,5 Prozent wird von den vier großen Energieversorgern beigetragen.
Landwirte betreiben Windräder oder Biogasanlagen, Hausbesitzer versorgen über ihre privaten Solaranlagen häufig nicht nur sich selbst oder haben ihre Ölheizung gegen KWK-Anlagen, Wärmepumpen oder einen Pelletofen getauscht. Zudem sind viele Bürger auch über Klimaschutzbriefe oder Fonds an größeren Wind- oder Solarparks beteiligt. Bürger praktizieren mit ihrem Engagement aktiven Klimaschutz vor Ort.
Deutschlandweit helfen etwa 650 Bürgergenossenschaften, die Akzeptanz für die Energiewende in breiten Teilen der Gesellschaft zu steigern. Über 100 000 Menschen engagieren sich in genossenschaftlichen Energieprojekten, von der Energieproduktion, über den Netzbetrieb bis hin zur Vermarktung von Energie. Dabei produzieren sie bereits heute mehr Energie, als in den Haushalten ihrer Mitglieder verbraucht wird.
Für Kommunen und Bürger bieten sich im Zuge der Energiewende noch nie dagewesene Chancen auf mehr Einfluss- und Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der örtlichen Energieversorgung. Ein jeder von uns ist dazu aufgerufen, aktiv daran teilzuhaben.
Matthias Machnig
Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie in Thüringen, 24.06.2013
Berlin. Die Beschaffung des Kampfflugzeuges Eurofighter für die Luftwaffe wird sehr viel teurer als geplant. Der Spiegel berichtete, bis Ende des Jahres werde das Verteidigungsministerium 14,5 Milliarden der für die Beschaffung von 180 Jets vorgesehenen 14,7 Milliarden ausgegeben haben. Allerdings werde die Bundeswehr Ende des Jahres nur über 108 Eurofighter verfügen. Das Ministerium erklärte dazu am Sonntag: »Es ist richtig, daß die Kosten für den Eurofighter ansteigen.« Nach dem Bericht kalkuliert die Bundeswehr bis 2018 mit Kosten von 16,8 Milliarden Euro für die Beschaffung der Kampfflugzeuge. Mit dieser Summe wären demnach aber erst 143 Flugzeuge bezahlt. Für die fehlenden 37 Maschinen, wären weitere Milliarden Euro fällig. (Reuters/jW)
Quelle: www.jungewelt.de vom 08.07.13
Zur großen Versöhnung bedarf es freilich der Reintegration der von den Militärs tödlich beleidigten muslimischen Brüder. Militärischer Widerstand des islamistischen gegen das säkulare Ägypten ist keineswegs ausgeschlossen. Zumal die islamistische Aggression in Syrien auch die ägyptische Bruderschaft in erhöhte Kampfbereitschaft versetzt hat. Mursi und seine Brüder haben sich voll in die westlich-wahhabitische Aggressionsgemeinschaft gegen das säkulare Syrien eingegliedert und vehement einer ausländischen Militärintervention das Wort geredet.
Äußerungen aus Washington, in denen der Sturz des »demokratisch legitimierten Präsidenten« beklagt wird, lassen vermuten, daß die Obama-Administration vom Machtwechsel in Kairo eher auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Der von ihr vollzogene Strategiewechsel von der strikten Gegnerschaft zum politischen Islam zur Nutzung des sunnitischen Sektierertums im Kampf gegen die »Achse des Widerstandes« sieht sich von den Ereignissen in Ägypten konterkariert. Da Washington aber großen Einfluß auf das ägyptische Militär besitzt, wird es den Schaden in Grenzen zu halten versuchen. Doch könnte der jüngste Aufstand eine soziale Dynamik freigesetzt haben, der mit den bisherigen Mitteln des Machterhalts nicht mehr beizukommen sein wird.