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Augen zu vor alltäglichem Rassismus. Ein Jahr nach dem NSU-Terror. Von Claudia van Laak, Deutschlandradio

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Heute vor einem Jahr flog sie auf, die Zwickauer Terrorzelle, die zehn Menschen auf dem Gewissen haben soll, neun Migranten und eine Deutsche. Am 4. November 2011 fand die Polizei zunächst zwei tote Bankräuber in einem Wohnmobil im thüringischen Eisenach, zwei Stunden später flog ein Haus im sächsischen Zwickau in die Luft.
Es brauchte einige Tage, bis sich die Erkenntnisse Bahn brachen und anschließend wie Schockwellen ausbreiteten. Mitglieder einer rechten Terrorzelle hatten 14 Banken überfallen, 2 Sprengstoffanschläge verübt, 10 Menschen getötet – bei all diesen Taten blieben sie fast 13 Jahre unentdeckt.

Und um es noch einmal klar zu sagen: Diese drei mutmaßlichen Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sie fielen nicht vom Himmel. Sie waren sowohl dem Verfassungsschutz als auch Polizei und Justiz einschlägig bekannt – als gefährliche rechtsextreme Gewalttäter, die im thüringischen Jena eine Bombenwerkstatt betrieben hatten, bis sie Anfang 1998 abtauchten. Mit internationalem Haftbefehl wurden sie bis 2003 gesucht, dann waren die ihnen vorgeworfenen Straftaten verjährt und niemand interessierte sich mehr für das Trio.

Soweit die Täter – und die Opfer? Es handelte sich um die größte unaufgeklärte Mordserie Deutschlands – ein griechischer und neun türkischstämmige Gewerbetreibende, am helllichten Tag in ihren Geschäften regelrecht exekutiert. Offensichtlich von Profikillern. Sie hinterließen keine DNA-Spuren, keine Bekennerschreiben. Allerdings war die Mordwaffe in allen Fällen dieselbe, eine Ceska 83.

Die Ermittler stellten alles Mögliche an: In erster Linie verdächtigten sie die Hinterbliebenen. Ihren Hinweisen, es könne sich vielleicht um ausländerfeindlich motivierte Taten handeln, gingen sie kaum nach. Stattdessen befragten sie eine Hellseherin. In Nürnberg betrieben Polizeibeamte ein halbes Jahr einen Dönerimbiss, um vermutete Verbindungen zur Organisierten Kriminalität aufzudecken. Nein, das ist kein Witz. Von 100 Morden in Deutschland werden 97 in absehbarer Zeit aufgeklärt – warum versagten die Ermittler in diesen Fällen?

Ein Grund ist die Herkunft der Opfer. Hätten die Mordopfer blonde Haare und blaue Augen gehabt, Namen getragen wie Müller oder Schmidt und nicht unaussprechliche wie Özüdogru oder Tasköprü, wären sie deutsche Unternehmer gewesen und nicht türkischstämmige, die Suche nach den Tätern wäre anders verlaufen. Türke gleich Drogenmafia gleich Organisierte Kriminalität, lautete die Gleichung, nach der die Polizeibeamten vorgingen.

Nicht deutsche, US-amerikanische Ermittler – zum Erfahrungsaustausch in Deutschland – gaben den Kollegen von der bayerischen Sonderkommission den Tipp, Ausschau zu halten nach Tätern, die Türken hassen. Das Gutachten wurde abgeheftet, der Ordner zugeschlagen. Jetzt fordert der Chef des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke: Wir brauchen mehr Migranten in der Polizei. Er hätte sie längst einstellen können.

Die Ausländerfeindlichkeit, der Rassismus, vielleicht auch die Angst vor dem Fremden zeigen sich bis heute, ein Jahr danach. Machen Sie einfach die Probe auf’s Exempel. Wie heißen die Täter? Klarer Fall: Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe. Und wen haben sie umgebracht? Natürlich Michele Kiesewetter, die deutsche Polizistin. Und die anderen? Mmmmhh. Türkische Namen mit vielen ös und üs. Und war da nicht auch ein Grieche dabei? Wie hieß der noch mal?

Ein Jahr danach wissen wir viel, sehr viel über die drei Mitglieder des NSU. Wir konnten Dokumentationen über sie im Fernsehen sehen, ihre Eltern kamen zu Wort. Wir können Bücher über sie lesen, fünf oder sechs sind bislang erschienen. Darin steht, welche Schuhe Beate Zschäpe trug, welche Fahrräder Böhnhardt und Mundlos fuhren. Warum wissen wir nichts über Familie Boulgarides, nichts darüber, wie es den Yozgats in Kassel geht oder den Kubasiks in Dortmund?

Weil es einfacher ist, sich drei böse Neonazis zu imaginieren, sich einen wohligen Horrorschauer über den Rücken laufen zu lassen und vermeintlich zu wissen: Damit haben wir nichts zu tun. Die Westdeutschen können sagen: Wäre bei uns nicht passiert, ist ein ostdeutsches Problem. Die Politiker können sagen: Die Polizei ist schuld. Die Polizei wiederum: Der Verfassungsschutz hat versagt. Dann macht man eine Reform, die zwar Strukturen und Zuständigkeiten verändert, aber nichts in den Köpfen. Das ist das Problem.

Warum reden wir nicht über das R-Wort, fragt der Opferanwalt Mehmet Daimagüler. Fangen wir an, reden wir über den alltäglichen Rassismus, der den Nährboden bildet für die drei Terroristen des NSU. Ohne Fremdenfeindlichkeit kein Rechtsextremismus, ohne Rechtsextremismus kein Rechtsterrorismus und kein Nationalsozialistischer Untergrund.

Fragen wir doch die Simseks, Kubasiks und Yozgats, wie es ihnen heute geht, lassen wir uns ihre Geschichte erzählen. Und Ali, bei dem wir immer den Döner kaufen, sollten wir auch fragen. Er hat schon damals gesagt: Warum schreibt ihr Dönermorde? Es wurden doch Menschen umgebracht.

Quelle: www.dradio.de , http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/1911820/ vom 04.11.2012

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 08. November 2012 um 16:17 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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