Wolfgang Huste Polit- Blog

»Die Behörde ist heillos in die Neonaziszene verstrickt«. Über 100 Gruppen rufen für Samstag zu einer Demonstration vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln auf. Gespräch mit Rolf Gössner. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte Interview: Gitta Düperthal

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Über 100 Organisationen und Gruppen rufen angesichts des Skandals um die neofaschistische Terrorzelle NSU für Samstag zu einer Demonstration vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) in Köln-Chorweiler auf. Sie fordern, diese Behörde aufzulösen – mit welchen Argumenten?

Die langjährige Nichtaufklärung der Neonazimordserie und die Ausblendung ihres rassistischen Hintergrunds sind Belege dafür, daß dieser Inlandsgeheimdienst – »Verfassungsschutz« genannt –, grandios versagt hat, ebenso wie die Polizei. Unfähigkeit und Pannen haben dabei sicher eine Rolle gespielt – wir müssen aber in erster Linie von den ideologischen Scheuklappen der traditionell antikommunistisch geprägten Sicherheitsorgane ausgehen, von institutionellem Rassismus, von Ignoranz und systematischer Verharmlosung des Neonazispektrums. Aber nicht nur das: Der VS war und ist heillos in die Neonaziszene verstrickt. Er hat sie über seine bezahlten Spitzel letztlich mitfinanziert, gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt. Er hat sie gestärkt, statt zu schwächen.

In Deutschland gibt es 16 Landesämter und ein Bundesamt für Verfassungsschutz – was werfen Sie diesen Organen konkret vor?

Der VS wußte in Sachen NSU weit mehr als zunächst vermutet; er war hautnah dran an den mutmaßlichen Mördern, ihren Kontaktpersonen und Unterstützern. Die Mordserie hätte möglicherweise verhindert werden können, wenn diese angeblichen Verfassungsschützer schwerwiegende Erkenntnisse hinsichtlich verbrecherischer Straftaten und der Wohnorte der Untergetauchten und ihrer Unterstützer rechtzeitig an die Polizei weitergegeben hätten. Angesichts der Schwere des Verdachts wären sie dazu gesetzlich verpflichtet gewesen. Aber sie haben statt dessen aus Gründen des »Quellenschutzes« ihre V-Leute in der Szene geschützt und sie gegen Ermittlungen der Polizei abgeschirmt.

Ist die Forderung nach Auflösung dieser Inlandsgeheimdienste nicht unrealistisch? Aus der Politik heraus wird es dafür doch kaum Unterstützung geben.

Dieser »Verfassungsschutz« ist weder reformierbar noch kontrollierbar. Denn er trägt in Wirklichkeit einen Tarn­namen, hinter dem sich ein gemeiner Geheimdienst versteckt – mit gesetzeswidrigen Strukturen, Mitteln und Methoden und der Lizenz zu Gesinnungsschnüffelei, Infiltration und Desinformation. Gerade in seiner Ausprägung als Geheimdienst ist er ein Fremdkörper in der Demokratie: Er widerspricht demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit. Solchen letztlich demokratiewidrigen Institutionen sollten schleunigst alle nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden entzogen werden und damit auch die Lizenz zur Gesinnungskontrolle, zum Führen von V-Leuten und zum Infiltrieren. Solchen Überlegungen steht das Grundgesetz keineswegs entgegen, denn danach muß der VS nicht als Geheimdienst ausgestaltet sein.

Die offiziellen Reformvorschläge aus Bund und Ländern sind allenfalls Placebos, weil sie sich nicht an die Geheimstrukturen des VS wagen. Nur die Linkspartei ist dafür, ihn ein für alle mal aufzulösen – die Grünen hingegen plädieren für die Auflösung und einen anschließenden Neuaufbau.

Wen gilt es von ihrer Forderung zu überzeugen und mit ins Boot zu nehmen?

Wir müssen nicht nur die Öffentlichkeit von der Richtigkeit dieser Forderung überzeugen, sondern auch jene Parteien, die den VS nach den vielen Skandalen endlich kritischer einschätzen, ihn für überflüssig oder sogar schädlich halten. Es ist doch so, daß inzwischen immer weniger Menschen an das Märchen glauben, daß diese Behörden Verfassung und Demokratie schützen. Immer mehr erkennen, daß dieser ideologische Apparat durch sein reguläres Wirken der politischen Kultur in der Bundesrepublik wesentlich mehr geschadet hat, als er vorgeblich der Verfassung nützt.

Wer steht in der Mitverantwortung dafür, daß der Verfassungsschutz jahrelang auf diese Weise in neonazistische Szenen und Straftaten verwickelt war?

In letzter Konsequenz sind das die politisch verantwortlichen Innenminister und Regierungen, die es sehenden Auges über Jahrzehnte zugelassen haben, daß der VS über sein kriminelles V-Leute-Netz Teil des Neonaziproblems geworden ist.

Demo, Samstag, 14 Uhr, Pariser Platz, Köln-Chorweiler
vsaufloesen.noblogs.org
Rolf Gössner, Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates, München 2003; Akt. Neuauflage als e-book 2012 bei Knaur-Verlag, München. Download-Direktlink: bit.ly/J8XWNC

Quelle: www.jungwelt.de vom 09. November 2012

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 09. November 2012 um 16:08 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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