(…) Die jüngsten Ereignisse in unserem Land zeigen, daß die AKP entschlossen ist, keinen einzigen Bereich übrigzulassen, den der Schatten ihres Schreckensimperiums nicht erreichen kann. Jene, die die Türkei rasch in eine Ein-Mann-Diktatur führen wollen, um ihre Vorstellungen umsetzen zu können, zielen darauf, die oppositionellen-demokratischen Kreise in die Mangel zu nehmen und die gesamte Gesellschaft zu tiefstem Schweigen zu verurteilen. Deshalb haben sie keine Skrupel dabei, die Studenten, Anwälte, Gewerkschafter, Journalisten und alle, die ihre Stimme gegen ihr Schreckensimperium erheben, festzunehmen und sie mit rechtswidrigen Anschuldigungen zu verhaften. Kurz gesprochen, sie setzen alle auf ihre Abschußliste, die für ein menschenwürdiges Leben und ein demokratisches Land eintreten.
Es ist der Öffentlichkeit bekannt, daß die Repression gegenüber unserer Konföderation in diesem Rahmen ständig zunimmt und man in der ganzen Türkei versucht, uns durch willkürliche Festnahmen und Verhaftungen unserer Mitglieder und Vorsitzenden zu umzingeln. Als ob es nicht reichen würde, daß im vergangenen Jahr im Zuge von aufeinanderfolgenden Operationen 59 unserer Vorsitzenden und Mitglieder wegen unserer gewerkschaftlichen Aktivitäten verhaftet und hinter Gitter gebracht wurden, hat man am Dienstag am frühen Morgen neben dem Organisationssekretär unserer Konföderation, Akman Simsek, zahlreiche Vorsitzende und Mitglieder von KESK-zugehörenden Gewerkschaften festgenommen.
Wann immer wir als KESK unseren Kampf für Arbeit und Demokratie gegen die Gesetze, die unsere Rechte und Freiheiten zunichte machen und gegen die Angriffe verstärken, werden wir mit dem Architekten des Schreckensimperiums, der AKP konfrontiert. Es ist ganz sicher kein Zufall, daß sich die Operation mit dem ersten Tag der von der KESK landesweit begonnenen Organisierungskampagne überschneidet.
Mit dem Vorwand des Ermittlungsgeheimnisses wird uns keine Auskunft darüber erteilt, wieviele unserer Freunde festgenommen wurden. Soweit unsere Konföderation weiß und den Angaben in der Presse zufolge wurden mehr als 100 Personen festgenommen. (…)
Es sollte bewußt sein, daß wir, wie bereits in der Vergangenheit auch heute nicht zu den rechtswidrigen Maßnahmen schweigen werden, die darauf zielen, uns von unserem gerechten Kampf abzuhalten. Wir als KESK fordern, daß die Einschüchterungs- und Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber der gesamten demokratischen Opposition, gegenüber unserer Mitglieder und Vorsitzenden beendet und unsere festgenommenen Freunde sofort freigelassen werden. (…).
Quelle: www.jungewelt.de vom 21.02.13
Schwarze Zahlen schreiben, Profite erwirtschaften: Das war für das kreiseigene Altmark-Klinikum in Gardelegen so wichtig, daß Patienten dort ohne medizinische Indikation offenbar wie am Fließband an der Wirbelsäule operiert wurden (jW, 27. November 2012). Mittlerweile hat der Verband der Ersatzkassen etwa 100 Verdachtsfälle zusammengetragen und der Staatsanwaltschaft übergeben, wie deren Sprecher Volker Schmeichel am Freitag bekannt gab. Bisher war von 62 unnötigen OP die Rede. Ein Gutachter hat bereits 16 Vorwürfe geprüft und 15 davon bestätigt. Das räumte Aufsichtsratsvorsitzender und Landrat Michael Ziche vergangene Woche auf einer Pressekonferenz ein. Weil Klinik-Geschäftsführer Matthias Hahn die Vorgänge wissentlich geduldet haben soll, hat das Gremium ihn vom Dienst freigestellt. Operateur Michail T. hatte bereits im Dezember seine Kündigung erhalten. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Stendal wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung und Abrechnungsbetrug. Außerdem soll er seinen Lebenslauf manipuliert haben. Der Chefarzt der Chirurgie, der die Mißstände mit aufgedeckt hatte, kämpft derweil um seine Weiterbeschäftigung.
Neurochirurg T. hatte als Honorararzt im Juli 2011 die Leitung des neuen Wirbelsäulenzentrums übernommen. Nach neuen Erkenntnissen des Aufsichtsrates hat er die Einnahmen des Krankenhauses in nur einem Jahr um 1,5 Millionen von 4,12 auf 5,63 Millionen Euro gesteigert. Am Ende habe er den gesamten Ablauf aller Operationen bestimmt. Daß Patienten gefährdet wurden, nahm die Klinikleitung offenbar monatelang bewußt in Kauf. Bereits im September 2011 hatten der Chirurg Bernd Falkenberg und fünf seiner Kollegen auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Nachdem im März 2012 ein 64jähriger Patient an den Folgen eines offenbar unnötigen Eingriffs verstorben war, hatten sich die Mediziner schließlich mit einem Brief an Klinik-Geschäftsführer Matthias Hahn und den Aufsichtsrat gewandt. Darin hatten sie mehrere Fälle detailliert dokumentiert.
Doch anstatt die Ungereimtheiten aufzuklären, soll Hahn damals die Ärzte aufgefordert haben, den sogenannten Hippokratischen Eid, also das ärztliche Ethik-Gebot, Patienten nicht zu schaden, zu ignorieren. Die Unterzeichner des Briefes klagten über Mobbing und eine Abmahnung; Falkenberg bekam gleich vier Kündigungen, angeblich wegen eines unerwünschten Nebenjobs und unfreundlichen Umgangs mit Patienten. Er vermutet, man habe ihn damit mundtot machen wollen.
Der Chirurg wollte seine Entlassung jedoch nicht hinnehmen und klagte dagegen. Vor zwei Wochen erwirkte er vor dem Landesarbeitsgericht Halle eine einstweilige Verfügung. Danach muß ihn das Altmark-Klinikum weiter beschäftigen. Vorige Woche hat das Arbeitsgericht Stendal zudem die Kündigungen für unwirksam erklärt, wie Falkenbergs Rechtsanwalt Uwe Bitter auf jW-Nachfrage erläuterte. »Der Richter hat betont, daß meinem Mandanten kein einziger Fehler nachgewiesen werden konnte.«
Doch problemlos weiterarbeiten lassen will die Klinik den Chirurgen, der seit etwa zehn Jahren in Gardelegen praktiziert, offenbar nicht. Zum einen hat die Krankenhausleitung nach Angaben der Altmark-Zeitung bereits zum 1. April einen neuen Arzt mit gleichen Qualifikationen wie Falkenberg eingestellt. Andererseits »sind wir bisher mit allen Versuchen, das Gerichtsurteil durchzusetzen, gescheitert«, informierte Bitter. Er kündigte an, noch in dieser Woche »mit entsprechenden Maßnahmen« dagegen vorzugehen. Inzwischen vertritt der Anwalt auch noch weitere Mediziner des Krankenhauses, wie er mitteilte. Dabei gehe es um Mobbing durch die Geschäftsführung.
Quelle: www.jungewelt.de vom 19.02.13
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck,
vielen Dank für die Einladung. Ich habe über meine Anwältin gehört, daß Sie nicht wünschen, daß die Rechtsbeistände der Nebenkläger bei dieser Einladung dabei sind. Sie möchten nur Ihre Empathie ausdrücken, aber keine Anwälte auf diesem Treffen sehen. Es wäre empathisch von Ihnen gewesen, nicht darauf zu bestehen, daß ich alleine ins Präsidialamt komme. Ich fühle mich dem nicht gewachsen und werde daher Ihre Einladung nicht annehmen können.
Da Sie ja aber so daran interessiert sind, wie es uns geht, werde ich Ihnen gerne schildern, wie es uns geht. Im Sommer 2001 töteten die Neonazis meinen Bruder. Im Spätsommer 2011 – zehn Jahre später – klingelte die Kripo bei mir. Sie brachten mir die persönlichen Gegenstände meines Bruders. Ich fragte die Beamtin, warum jetzt die Sachen kämen; ob es etwas Neues gibt. Sie sagte nur, man habe nur vergessen mir die Sachen zurückzugeben. Dann ging sie wieder. Ich habe stundenlang vor den Sachen meines toten Bruders gesessen; ich habe tagelang gebraucht, um mich zu überwinden meinen Eltern davon zu erzählen, daß seine Sachen wieder da sind. Ich war völlig am Ende. (…)
Ich wurde 1974 in der Türkei geboren; seit 1979 lebe ich in Deutschland. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe meine Ausbildung gemacht und gearbeitet. Mein Sohn wurde hier geboren und ich fühlte mich als Deutsche mit türkischen Wurzeln. Noch im März 2011 konnte ich darüber lachen, als eine Sachbearbeiterin im Rathaus zu meinem Sohn sagte, er sei kein Deutscher. Der Kleine war ganz erstaunt und erklärte ihr sehr ernsthaft, daß er sehr wohl Deutscher sei, er habe schließlich einen deutschen Paß. Wie gesagt, ich lachte und sagte meinem Sohn, ich würde ihm das zu Hause erklären. Heute kann ich darüber gar nicht mehr lachen. Ich hatte mal ein Leben und eine Heimat. Ich habe kein Leben mehr. Ich bin nur noch eine leere Hülle, die versucht, so gut wie möglich zu funktionieren. Ich bin nur noch unendlich traurig und fühle mich wie betäubt. Ich habe auch keine Heimat mehr, denn Heimat bedeutet Sicherheit. Seitdem wir wissen, daß mein Bruder ermordet wurde, nur weil er Türke war, haben wir Angst. Was ist das für eine Heimat, in der du erschossen wirst, weil deine Wurzeln woanders waren? (…)
Alles was ich noch möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter dem NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum? (…) Und auch Ihnen, Herr Bundespräsident Gauck, ist mein Bruder doch nur wichtig, weil die NSU ein politisches Thema in Deutschland ist. Was wollen Sie an unserem Leid ändern? Glauben Sie, es hilft mir, wenn Sie betroffen sind? Ich würde mir wünschen, daß Sie als erster Mann im Staat mir helfen könnten, meine Antworten zu finden. Da helfen aber keine empathischen Einladungen, da würden nur Taten helfen. Können Sie mir helfen? Wir werden sehen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 18.02.13
Die Einwohner der südbrandenburgischen Stadt Cottbus haben am Freitag abend ein Zeichen gegen Rassismus und Neofaschismus gesetzt. Eine Demonstration der NPD konnte zum ersten Mal erfolgreich blockiert werden. Diese hatte wie andernorts vor, Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg in einen »Bombenholocaust« umzudeuten. Der Protest wurde von den Bündnissen »Cottbus bekennt Farbe« und »Cottbus nazifrei!« organisiert, die ein breites Spektrum aus Parteien, Gewerkschaften, Vereinen bis hin zu linksautonomen Gruppen repräsentieren.
Zwei Demonstrationszüge der Neonazigegner starteten am Hauptbahnhof und an der Brandenburgischen Technischen Universität. Sie vereinten sich später am Cottbuser Stadttheater zu einer Kundgebung, an der etwa 2500 Personen teilnahmen. Unterstützt wurden sie von bekannten Landes- und Kommunalpolitikern wie Sozialminister Günter Baaske, Bildungsministerin Martina Münch und dem Oberbürgermeister Frank Szymanski (alle SPD).
Die deutlichsten Worte unter den Politikern fand der stellvertretende Ministerpräsident Brandenburgs, Helmuth Markov (Die Linke). Er forderte die Demonstranten auf, jede legale Möglichkeit zu nutzen, den Straßenraum zu besetzen. Rund 800 Personen folgten dieser Aufforderung und an acht Punkten konnte die Route der Neonazis blockiert werden. Als die Demonstranten zu ihren Positionen zogen, verhandelte Markov immer wieder mit der Polizeiführung, um einen friedlichen Verlauf der Blockaden zu gewährleisten – was auch gelang. Verhaftungen habe es keine gegeben, teilte »Cottbus nazifrei!« über Twitter mit.
Rund 130 NPD-Anhänger kamen bis 22 Uhr nur wenige hundert Meter weit bis zur Friedrich-Engels-Straße. Dort wurden sie von Demonstranten gestoppt. Nach vier Stunden brach die Polizei den »Trauermarsch« ab. Auf dem Rückweg zum Bahnhof riefen die Sprecher der Neonazis zu Gewalt gegen Linke und Andersdenkende auf, wie Angelika Müller, Sprecherin des Bündnis »Cottbus nazifrei!« berichtete.
Cottbus war das letzte verbliebene Aufmarschgebiet der Neonazis in Brandenburg. In anderen Städten des Landes wurden alle Märsche durch zivilgesellschaftliches Engagement verhindert. Die Gefahr sei nach der geglückten Blockade aber noch nicht gebannt, auch wenn der faschistischen Ideologie der öffentliche Raum genommen wurde, mahnt Angelika Müller.
Tatsächlich macht die Neonaziszene in Cottbus und der Lausitz immer wieder von sich reden. Erst im Juni vorigen Jahres wurde das in Südbrandenburg und Sachsen tätige Netzwerk »Widerstand Südbrandenburg« verboten. Dieses wurde u.a. durch nächtliche Fackelumzüge in verschiedenen Städten bekannt. Unter anderem wurde die Lausitzer Rundschau wurde Opfer der Neonaziszene. Nach einem Bericht über einen geheimen Naziaufmarsch wurde die Tür zu deren Lokalredaktion in Spremberg mit Blut und Innereien beschmiert. Auch die Verbindung von mehreren Cottbuser Kickboxern zur rechtsextremen Szene wurden im vergangenen Jahr publik. So sei nach Berichten der Lausitzer Rundschau der Kickbox-Europameister Mario Schulze an einer »Adolf Hitler Memorial Tour« beteiligt gewesen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 18.02.13
1957 wurde August Baumgarte aus Hannover (1904–1980) wegen Fortsetzung der Tätigkeit der verbotenen KPD zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Verbunden damit war die Aberkennung der Ansprüche auf eine Entschädigungsrente als Opfer des Faschismus. 1933 war er am Tag nach dem Reichstagsbrand verhaftet worden. Es folgten zwölf Jahre KZ: Moringen, Esterwegen, Sachsenhausen und 1944 Deportation nach Mauthausen. »Rückkehr unerwünscht« stand auf seinen Begleitpapieren.
Die Strafverbüßung in der BRD basierte in erster Linie auf Urteilen der für Niedersachsen zuständigen Staatsschutzkammer des Landgerichts Lüneburg. »Eine stichprobenartige Sichtung dieser herausgezogenen Akten ergab eine bemerkenswerte Parallelität, ja sprachliche Übereinstimmung in Anklagen und Urteilsbegründungen zwischen Verfahren vor nationalsozialistischen Sondergerichten nach dem Heimtückegesetz von 1934 oder der Volksschädlingsverordnung von 1939 und Verfahren vor Staatsschutzkammern in den 50er Jahren«, so Wilfried Knauer, Gedenkstättenleiter Wolfenbüttel, auf einem Symposium.
Landgerichtsdirektor und Vorsitzender der für Staatsschutzsachen zuständigen Strafkammer am politischen Sondergericht Lüneburg war Dr. Konrad Lenski, vor 1945 NSDAP-Mitglied und Anklagevertreter beim Reichskriegsgericht. Unter seiner Mitwirkung wurden 1943 im Elsaß in einem einzigen Prozeß 13 Mitglieder einer Widerstandsgruppe wegen Spionage und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt.
Anklagevertreter in Staatsschutzsachen am politischen Sondergericht Lüneburg war Karl-Heinz Ottersbach, vor 1945 Anklagevertreter am Sondergericht Kattowitz. Oberstaatsanwalt in Lüneburg und Ankläger in politischen Strafsachen war Dr. Liebau. Als Richter am Sondergericht Posen, wie auch später als Sachbearbeiter für Gnadensachen im Reichsjustizministerium, war er an Todesurteilen beteiligt.
»In Niedersachsen betrug der Anteil der Richter, die einstmals NSDAP-Mitglieder gewesen waren, in jener Zeit mehr als 80 Prozent. Auch der Bundesgerichtshof (…) wurde zu etwa 80 Prozent mit ehemaligen NS-Richtern besetzt. Die letzten belasteten Juristen schieden erst Mitte der 80er Jahre altersbedingt aus dem Justizdienst aus.« (Niedersachsens Justizminister Christian Pfeiffer am 13. Februar 2003)
Quelle: www.jungewelt.de ovm 16.02.13
Die Abgeordneten des deutschen Bundestages müssen wohl außerplanmäßig tagen. Anfang September soll das Parlament zu einer Sondersitzung zusammenkommen, berichtete die Nachrichtenagentur AFP am Freitag. Beraten werden soll über den Haushalt 2014 – aber nicht nur: Auch der Untersuchungsausschuß zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) bekäme durch den Extratermin die Gelegenheit, seinen Abschlußbericht später vorzulegen. Bislang hinterläßt jede Sitzung des Gremiums mehr Fragen, als sie Antworten geben kann. Nun könnten weitere Zeugen vorgeladen werden.
Die Anklageschrift der Generalbundesanwaltschaft (GBA), die der jungen Welt vorliegt, kann nicht erklären, wie die NSU-Terroristen, die mutmaßlich zehn Menschen erschossen haben sollen, auf ihre jeweiligen Opfer stießen. Doch in allen Orten, in denen der NSU Migranten ermordet haben soll, existieren neofaschistische Strukturen. Auch in Dortmund, wo am 4. April 2006 der Kioskbetreiber Mehmet Kubasik regelrecht hingerichtet wurde: Hier treibt seit Jahren ein »Nationaler Widerstand« sein Unwesen, der sich nach einem Verbot jüngst als Partei »Die Rechte« reorganisierte. Und auch der NSU könnte gute Beziehungen ins Revier gepflegt haben. Laut einem Bericht der WAZ vom Donnerstag legen Handyprotokolle des als Terrorhelfer beschuldigten Thomas Starke nahe, daß dieser Anschlagsziele im Ruhrpott vorgeschlagen haben könnte. »Bin gestern nachmittag mal hier ein Stück gelaufen«, soll Starke, der zeitweise im Großraum Dortmund gearbeitet hat, einem Chemnitzer Kontaktmann per SMS mitgeteilt haben. »Nur Türken, da fällt dir nichts mehr ein.« Die Antwort ließ nicht auf sich warten: »Isses so schlimm mit den Kanaken? Da weiß man ja, wo nächstes Mal aufgeräumt werden muß.«
Starke, dem gute Kontakte zum neofaschistischen Netzwerk »Blood and Honour«, das wiederum auch im Ruhrpott aktiv sein soll, nachgesagt werden, gehörte zu den NSU-Helfern der ersten Stunde: Er besorgte 1998 die erste konspirative Wohnung und beschaffte mehrere Kilo des Sprengstoffes TNT – gegenüber der GBA ist er geständig. Im Jahr 2000 war Starke vom Berliner Landeskriminalamt (LKA) als »Vertrauensperson 562« angeworben worden. Was er in über zehn Jahren Spitzeltätigkeit berichtete, könnte allerdings für immer ungeklärt bleiben: So soll er dem LKA bereits im Jahr 2002 Erkenntnisse zum Verbleib der NSU-Mitglieder mitgeteilt haben, doch sein V-Mann-Führer hatte die Dokumente auf einem Laptop abgespeichert, der angeblich »wegen Korruptionsverdachts« beschlagnahmt wurde. Andere Akten wanderten in den Schredder.
Der Kiosk von Mehmet Kubasik lag zwischen zwei bekannten Neonazitreffpunkten in der Dortmunder Nordstadt. Laut WAZ-Recherchen soll eine Zeugin nach dem Mord zwei Männer auf Fahrrädern beobachtet haben, von denen einer wie ein »Junkie bzw. Nazi« ausgesehen habe. Die Polizei soll diesen Hinweis unter den Teppich gekehrt haben: So sei zunächst von einem »deutschen Junkie« als möglichem Täter die Rede gewesen sein. Ermittelt wurde allerdings vorrangig gegen Ausländer. Eine von der WAZ zitierte »Quelle aus dem Verfassungsschutz« soll angegeben haben, daß der Mord ein Fanal für die Dortmunder braunen »Kameraden« gewesen sei; ein Aufruf, weitere Migranten zu töten. Wurde den Killern ihr Opfer direkt von einem LKA-Spitzel, dessen Kommunikation zudem anscheinend lückenlos überwacht wurde, vorgegeben?
Quelle: www.jungewelt.de vom 16.02.13
Nach 35 Jahren in der Lausitzer Straße 8 in Berlin-Kreuzberg und dem gescheiterten Versuch einer Zwangsräumung im Oktober mußte Ali Gülbol am Donnerstag morgen doch die Wohnungsschlüssel seiner Familie an eine Gerichtsvollzieherin übergeben. Er leistete keinen Widerstand, bezeichnete die Räumung aber als Unrecht. »Ich wurde wie ein Krimineller behandelt.« Dabei habe er die vom Eigentümer geforderten Mietnachzahlungen inzwischen geleistet und werde nun in die Obdachlosigkeit abgeschoben. Als der 41jährige Malermeister mit seiner Frau Necmiye die heute fünfköpfige Familie gegründet hatte, waren sie 1999 in eine neue Wohnung im selben Haus gezogen, in dem er bereits mit seinen Eltern gewohnt hatte.
Nach einer Mietsteigerung um 100 Euro hatten Ali und Necmiye Gülbol zunächst nicht den erhöhten Betrag gezahlt, dann eine Nachzahlung nicht fristgemäß überwiesen. Hauseigentümer André Franell kündigte daraufhin die Wohnung. In deren Modernisierung hatte die Familie viel Arbeit und Geld gesteckt. Mit dem Vorbesitzer war vereinbart, sie später zu kaufen. Die Miete sollte bis dahin nicht steigen. Franell erwarb das Haus 2006 bei einer Zwangsversteigerung.
Hunderte Demonstranten, teils Nachbarn, protestierten am Donnerstag gegen die Vollstreckung des Räumungstitels vom August 2012. Einige versuchten, mit einer Sitzblockade die Räumung zu stoppen. 100 Polizisten waren vor dem Hauseingang in der weiträumig abgesperrten Lausitzer Straße, weitere 400 in der Umgebung im Einsatz. Sie hatten bereits um 6.00 Uhr das Haus »gesichert«, zu dem sie sich über den Hinterhof Zugang verschafften, während sich 50 bis 100 Blockierer vor dem Eingang versammelt hatten. Die Gerichtsvollzieherin traf gegen 9.00 Uhr ein – sie hatte sich eine Polizeimütze aufgesetzt und eine Polizeiweste übergezogen. Ein Polizeisprecher wollte dies auf jW-Anfrage nicht kommentieren.
Rund 1000 Menschen beteiligten sich nach der Räumung an einer Spontandemonstration, gegen die Polizisten einschritten und mehrere Personen festnahmen. Von Beamten waren Sprüche wie »Ich hab keinen Bock mehr« und »Scheiß drauf, wir nehmen jetzt einfach irgendwen fest« zu hören. Im Polizeibericht hieß es später, die Proteste seien »überwiegend friedlich« verlaufen. »Dennoch mußten Polizeibeamte kurzzeitig Pfefferspray einsetzen«. Zehn seien »leicht verletzt« worden, »konnten aber im Dienst verbleiben«. Der Berliner Linken-Abgeordnete Hakan Tas kündigte an, die aus seiner Sicht unverhältnismäßige Polizeiaktion zum Thema im Abgeordnetenhaus zu machen. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Berlin erklärte, mit der Blockade stehe die Berliner Mieterbewegung an einem Wendepunkt: »Protest schlägt um in konkreten Widerstand.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 15.02.13
Das Amtsgericht München hat am Donnerstag den Heidelberger Friedensaktivisten Hermann Theisen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 40 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft München hatte gar 90 Tagessätze à 60 Euro gefordert. Theisen hatte im Sommer des vergangenen Jahres die Mitarbeiter der Rüstungsfirma Krauss-Maffei/Wegmann (München) mit Flugblättern dazu aufgefordert, Informationen zu der bereits seit längerer Zeit in Rede stehenden Leopard-2-Panzer-Lieferung an Saudi-Arabien der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein solcher Rüstungsexport verstoße gegen die Politischen Grundsätze der Bundesregierung zu Rüstungsexporten, weshalb die Öffentlichkeit einen Anspruch auf diesbezügliche Informationen habe, so Theisen. Das Amtsgericht München sah darin aber eine Aufforderung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, weshalb mit den Flugblättern öffentlich zu Straftaten aufgefordert worden sei. (…)
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie sieht in dem Urteil eine gefährliche Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit. Der Bundessicherheitsrat, der in geheimen Sitzungen die Rüstungsexporte genehmigt, gehörte wegen seiner menschenrechtsverletzenden Rüstungsexportpraxis auf die Anklagebank.
Quelle: www.jungewelt.de vom 15.02.13
Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König war bei den Protesten gegen den Naziaufmarsch 2011 in Dresden auf dem Lautsprecherwagen des Demonstrationszuges. Er muß sich deshalb am 19. März vor Gericht verantworten
Wie in den vergangenen Jahren wollen am heutigen Mittwoch Neonazis in Dresden aufmarschieren, um die Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 reaktionär umzudeuten. Wie ist die Stimmung im Vorfeld der Proteste unter den Gegendemonstranten?
Zunächst war es in diesem Jahr schwieriger, zu den Blockaden nach Dresden zu mobilisieren. Daran hat die sächsische Justiz mit ihren Kriminalisierungsmaßnahmen gegen einzelne Demonstrationsteilnehmer einen wesentlichen Anteil. Aber jetzt ist doch noch richtig Stimmung aufgekommen. Allein aus Jena und den umliegenden Orten reisen wir mit fünf Bussen an. Es sind viel mehr Leute als vergangenes Jahr. Offenbar hat all das letztlich zur Solidarisierung geführt. Das macht Mut.
Sie persönlich müssen sich gegen Kriminalisierung wehren. Die Staatsanwaltschaft wirft Ihnen vor, bei der Gegendemo zum Nazimarsch Dresden 2011 als »Mann mit dem Lautsprecherwagen« »anreißerische und rhythmische Musik« etwa von den Rolling Stones abgespielt zu haben. Das habe zur Aufwiegelung der Massen beigetragen und sie zu Steinwürfen animiert. Wie lautet die Anklage im Detail?
Die Anklageschrift darf nicht veröffentlicht werden, ich kann nur aus dem Gedächtnis zitieren. Konkret werden mir drei Dinge vorgeworfen: Ich hätte Straftäter der Festnahme entzogen, Polizeifahrzeuge im Einsatz behindert und abgedrängt und über unseren Lautsprecherwagen ausrufen lassen: »Deckt die Bullen mit Steinen zu«. Das Problem ist dabei: Mir wird eine billigende Inkaufnahme unterstellt – also Bösartigkeit!
Wie gehen Sie damit um?
Ich sehe nicht ein, mich in die Defensive drängen zu lassen und mich abzuducken. Vielmehr stehe ich dazu, was ich in Dresden mit anderen Menschen zusammen unternommen habe. Unseren Lautsprecherwagen gibt es mittlerweile seit 15 Jahren. Wir haben viel Erfahrung bei Großdemonstrationen. Er dient dazu, Proteste gegen Naziaufmärsche zu unterstützen, die wir, von der Jugendgemeinde Jena, und ich selber als Pfarrer Lothar König, nicht für legitim und legal halten. Wir sind dabei nicht neutral, sondern parteiisch.
Was wir machen, ist im Grundgesetz vorgesehen: Wir nehmen unser Recht auf Widerstand in Anspruch. Ziel ist nicht, Polizisten zu behindern oder gar zu verletzen, sondern Neonazis zu stoppen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was mir in der Anklage vorgeworfen wird. Hinter der Anklage steckt ein perfides Muster: Mir wird die Möglichkeit genommen, mich gegen einen konkreten Vorwurf zu verteidigen. Es wird mir nämlich nicht eine konkrete Faktenlage vorgeworfen – etwa einen Stein auf einen Polizisten geworfen zu haben. Es wird vielmehr über mich und mein Handeln gemutmaßt.
Handelt es sich dabei möglicherweise um eine Abschreckungsstrategie für Gegendemonstranten?
Besonders schlimm ist in diesem Zusammenhang das Urteil gegen Tim H.. Das Dresdner Amtsgericht hat ihn am 16. Januar zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil er sich an den Blockaden des Dresdner Aufmarschs 2011 beteiligt hatte. Auch hier wieder das gleiche skandalöse Muster: Verurteilt wurde nicht wegen einer konkreten Straftat, sondern wegen Mutmaßungen. Falls es das Ziel ist, Protestierende in Gute und Böse einzuteilen, zu spalten und einzuschüchtern, ist zu sagen: Höchstwahrscheinlich wird so das Gegenteil bewirkt.
Im Zusammenhang mit dem im März anstehenden Verfahren gegen Sie beklagen Nazigegner, die Justiz sei auf einem Auge blind. Sehen Sie das auch so oder ist das eher übertrieben?
Zu dem Urteil könnte man durchaus kommen, wenn man vergleicht, wie sie mit Neonazis und wie sie mit Antifaschisten umgeht. Beispiel: Die Neonazigruppe Sturm 34, die die Bevölkerung einer ostdeutschen Region terrorisierte, wurde in erster Instanz vom Amtsgericht Dresden von dem Vorwurf freigesprochen, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein. Das Verfahren wurde lange hingeschleppt, obgleich es um Sachbeschädigung und Körperverletzung ging. Es drängt sich der Eindruck auf, als stelle die sächsische Justiz antifaschistisches Engagement auf die gleiche Stufe wie Überfälle von Neonazis auf Personen, die schwer verletzt werden.
www.dresden-nazifrei.com
Quelle: www.jungewelt.de vom 13.02.13
Koblenz. Am 21. Februar beginnt am Landgericht Koblenz ein Berufungsprozeß gegen sechs Antifaschisten, die wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch angeklagt sind. Im März 2012 wurden sie ohne konkrete Beweise zu 70 Tagessätzen in unterschiedlicher Höhe verurteilt. Die Anklage wegen Körperverletzung wurde fallengelassen. »Die Beweisaufnahme zeigte ein fragwürdiges Vorgehen der Polizei bei der Identifikation der Beschuldigten auf. Unterschiedliche Aussagen, wage Vermutungen und lückenhafte Erinnerungen waren die Grundlage, auf der die Staatsanwaltschaft ihre Anklage stützte und der sich das Gericht anschloß« erklärte die »Remagen Solidaritätsgruppe« am Wochenende. Es gebe Parallelen zum Fall Tim H. in Dresden, der bundesweite Aufmerksamkeit erlangte. Tim H. ist wegen Rädelsführerschaft zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Ohne Beweise. Die Solidaritätsgruppe ruft zur Prozeßbeobachtung auf.
(jW)
remagensoli.blogsport.de
Quelle: www.jungewelt.de vom 13.02.13