Wolfgang Huste Polit- Blog

Zeichen setzen. Ukraine-Konflikt, Syrien-Krieg, US-Atomwaffen in der BRD: Friedensbewegung mobilisiert zu über 80 Ostermarschaktivitäten im gesamten Bundesgebiet. Von Markus Bernhardt

Dienstag, 15. April 2014 von Huste

Mit einer Demonstration am Sonnabend in Potsdam hat die Friedensbewegung die diesjährige Ostermarschsaison eingeläutet. Knapp 130 Menschen waren dem Aufruf des örtlichen Friedensbündnisses gefolgt und hatten ein Zeichen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gesetzt. Die Manifestation, bei der Uwe Hiksch von den Naturfreunden und Tobias Pflüger von der Linkspartei als Redner auftraten, stand unter dem Motto »Für eine Welt ohne Krieg und Militarismus«.

Rund um das Osterwochenende sind mehr als 80 Kundgebungen und Demonstrationen geplant. Zwar unterscheiden sich die politischen Schwerpunkte der traditionellen Märsche je nach Region, einigendes Moment dürfte jedoch allerorts die Ablehnung der in den hiesigen Medien betriebenen Stimmungsmache gegen Rußland und die Solidarität mit verfolgten Kommunisten und Antifaschisten in der Ukraine darstellen.

Das Netzwerk Friedenskooperative zeigt sich in einer Erklärung »besorgt über die eklatante Zunahme nationalistischer Gesinnung und gegenseitiger Feindschaft zwischen den bisherigen ›Brudervölkern‹ in der Ukraine wie in Rußland«. Netzwerk-Geschäftsführer Manfred Stenner konstatiert: »Seit der sukzessiven Erweiterung der EU und besonders der NATO auf den vormaligen Einflußbereich Rußlands wurde mutwillig versäumt, diese massiven Machtverschiebungen halbwegs fair mit russischen Interessen abzugleichen.« Bei den Verhandlungen mit dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch über das EU-Assoziierungsabkommen sei dies fortgesetzt worden. Außerdem kritisiert Stenner, daß »NATO und EU mit Sanktionen, G8-Ausschluß, Verstärkung militärischer Präsenz in Polen und dem Baltikum sowie der Vorbereitung von Ostsee-Manövern an einer Eskalationsspirale arbeiten«.

Rußland sehe »massive Gefahren für sich, aber auch für die mehrheitlich russische Bevölkerung auf der Krim«, stellt auch das Münchner Friedensbündnis klar. »In dieser Situation wäre Deeskalation das Gebot der Stunde. EU und NATO dagegen setzen auf Sanktionen. Ein schlimmes Signal – schließlich bereiteten die NATO-Staaten in den letzten Jahrzehnten ihre Kriegsdrohungen und tatsächlichen Kriege regelmäßig mit Sanktionen vor«, warnt das Bündnis.

Neben dem Ukraine-Konflikt will die Friedensbewegung zwischen Gründonnerstag und Ostermontag vor allem auch der Rüstungs- und Interventionspolitik der großen Koalition entgegentreten. Unter dem Motto »Krieg wird gemacht – Wir stellen uns dagegen!« ruft die Berliner Friedenskoordination für Karsamstag zum Ostermarsch auf – Start ist 12 Uhr an der Weidendammer Brücke am Bahnhof Friedrichstraße. Unterstützt wird der Aufruf von mehr als 30 Initiativen. Zu ihren Forderungen zählt unter anderem der Rückzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen, das Verbot von Rüstungsexporten und die Schließung von US-Basen in Deutschland.

Im südbadischen Müllheim wollen Friedensgruppen am Ostermontag auf den in ihrer Stadt beheimateten Stab der Deutsch-Französischen Brigade aufmerksam machen. Der militärische Großverband ist Interventionstruppe für EU und NATO und ausgebildet und ausgerüstet zur Führung von Kriegen auf der ganzen Welt, informieren der dortige DGB und der Friedensrat Markgräfler Land.

Der Ostermarsch im Rheinland und im Ruhrgebiet soll die Öffentlichkeit über die Rolle der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn informieren. Dort werden vom »Zentralen Führungskommando der Streitkräftebasis« Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie der NATO organisiert und gesteuert. Gleiches gilt für die Kommandozentrale in Kalkar/Uedem. Die Organisatoren des Ostermarsches in Bremen machen mobil gegen die Rüstungsproduktion in der Hansestadt und die Verschiffung von Kriegsmaterialien über die dortigen Häfen.Weitere Themen werden die Abschaffung der Nuklearwaffen, der Abzug der noch in der Eifel stationierten US-Atombomben sowie die Stillegung aller Atomanlagen sein. Am Karfreitag wollen Kriegs- und Atomkraftgegner gemeinsam vor der Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau demonstrieren. Dort steht die Eröffnung eines neuen Uranmüll-Langzeitlagers für insgesamt 60000 Tonnen Uranoxid mit zeitlich unbefristeter Lagergenehmigung bevor. Anti-Atomkraft-Initiativen befürchten deshalb die Entstehung einer oberirdischen Endlagerstätte in Gronau.

Termine und Aufrufe:
www.friedenskooperative.de
www.ag-friedensforschung.de

Quelle: www.jungewelt.de vom 15.04.14

Milliarden für Kiew. Ukraine: EU, USA, IWF und Berlin päppeln Machthaber hoch und machen Rußland für Krise im Osten verantwortlich. Beweise bleiben sie schuldig. Von André Scheer

Dienstag, 15. April 2014 von Huste

Wortgewaltig, aber ohne konkrete Belege haben die EU und die Bundesregierung erneut Rußland für die Eskalation der Lage in der Ukraine verantwortlich gemacht. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans zeigte sich beim Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg am Montag überzeugt, daß sich im Osten des Landes die Vorgänge auf der Krim vom März wiederholten: »Wenn etwas wie ein Pferd aussieht und wie ein Pferd herumläuft, dann ist es normalerweise ein Pferd und kein Zebra.« Die Krim hatte sich nach einem Referendum der Russischen Föderation angeschlossen. Die EU-Minister beschlossen, dem Ende Februar an die Macht geputschten Regime in Kiew Finanzhilfen in Höhe von einer Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen. Zudem sollen fast alle Zölle auf Waren aus dem osteuropäischen Staat gestrichen werden. Hinzu kommen weitere Milliardenhilfen von IWF und aus den USA. »Es ist unverantwortlich, daß die EU der illegitimen Regierung in der Ukraine, an der Faschisten beteiligt sind und die die Situation in der Ostukraine eskaliert und dort auf Gewalt setzt, jetzt großzügig mit Finanzhilfen unter die Arme greift«, kommentierte das die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen gegenüber jW.

Tatsächlich fühlt sich die russischstämmige Bevölkerung im Osten der Ukraine vom Kiewer Regime bedroht. Wie der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Montag mitteilte, gingen sehr viele an den Staatschef adressierte Hilfsersuchen aus der Region ein. Der Präsident verfolge die Entwicklung mit großer Sorge, zitierte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte, Moskau wolle keine Destabilisierung: »Es ist in Rußlands Interesse, daß die Ukraine vereint ist und sich alle nationalen, ethnischen Gruppen und alle Regionen ohne Ausnahme als gleichberechtigte Bürger der Ukraine fühlen.« Es könne aber nicht sein, daß Neonazis als Teil der in Kiew regierenden Koalition Teile der Bevölkerung täglich als Untermenschen beschimpften und demütigten, so Lawrow.

Trotzdem beharrt auch Berlin auf Schuldzuweisungen an die Adresse Moskaus. »Vieles deutet darauf hin, daß die in der Ostukraine bewaffneten Gruppen Unterstützung aus Rußland erhalten«, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag in Berlin. Auf die Bitte von Journalisten um konkrete Belege dafür, beschied die Sprecherin des Auswärtigen Amts, Sawsan Chebli: »Letztendlich müssen Sie jetzt erstmal damit leben, daß wir Ihnen sagen: Es gibt Anhaltspunkte, daß es prorussische Kräfte sind, die da unterwegs sind, von Rußland mit unterstützt.«

Unterdessen sandten die Machthaber in Kiew widersprüchliche Signale aus. »Präsident« Olexander Turtschinow unterzeichnete am Montag nachmittag den Einsatzbefehl für die Sondereinheiten, die schon vor Tagen aus dem Westen des Landes in Marsch gesetzt worden waren. Am Vormittag hatte er noch mit Äußerungen, man könne parallel zur Präsidentschaftswahl am 25. Mai ein Referendum über die Staatsform der Ukraine abhalten, Hoffnungen auf Entspannung geweckt. Eine Föderalisierung hatte er dabei jedoch erneut abgelehnt.

Unterdessen wurden Medienberichten zufolge am Montag unter anderem in Schdanowka nahe Donezk weitere Gebäude besetzt, um Druck für größere Selbstbestimmung der Regionen zu machen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 15.04.14

Bundesregierung muss Faschisten ächten, nicht hofieren. Von Ulla Jelpke, MdB

Dienstag, 15. April 2014 von Huste

„Die Bundesregierung hat mitgeholfen, die ukrainischen Faschisten salonfähig zu machen, und drückt nun beide Augen zu, um die seit Monaten virulenten rechtsextremen Umtriebe in der Ukraine nicht erkennen zu müssen“, kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE Ulla Jelpke die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion über Rechtsextremisten in der Ukraine (18/1105). Jelpke weiter:

Die Bundesregierung gibt an, „keine Kenntnis“ von politischer Verfolgung von Antifaschisten, Aktivisten des LGBTI-Spektrums, von Borotba oder KPU-Mitgliedern zu haben.
Sie will auch nichts über drohende Straflosigkeit für solche Verbrechen wissen, genauso wenig wie über Tätigkeiten der rechtsextremen Swoboda-Partei in Deutschland.
Dabei würde zum Teil schon eine einfache Internetrecherche ausreichen, um zu erfahren, dass Swoboda zumindest in München aktiv ist, dass in der Westukraine die Polizei faktisch aufgelöst ist, selbsternannte Bürgerwehren durch Lwiw patrouillieren und Staatsanwälte, die dem Rechten Sektor nicht passen, körperlich angegriffen werden.
Anstatt ihre Erkenntnisse über diese Vorgänge zu vertiefen, trägt die Bundesregierung dazu bei, die Swoboda-Partei salonfähig zu machen. Ausdrücklich bestätigt sie, dass die deutsche Botschaft in Kiew „auch populistische oder nationalistische Parteien unterschiedlicher Ausrichtungen und Zielsetzung, so auch die jetzt an der Regierung beteiligte Partei ‚Swoboda‘“, zu Gesprächen einlädt. Das geschehe „in Wahrnehmung ihrer Aufgaben“. Ich kann allerdings nicht einsehen, warum es die Aufgabe einer deutschen Botschaft sein sollte, freundliche Kontakte zu einer Partei aufzubauen, die regelmäßig Paraden zu Ehren der Waffen-SS veranstaltet. Die Lehre aus der deutschen Geschichte wäre vielmehr, zur Ächtung einer solchen Partei beizutragen.

Aktivitäten deutscher Nazis hinsichtlich der Ukraine sind der Bundesregierung ebenfalls nicht bekannt. Allerdings verweist sie darauf, dass sich Ende März das Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus (GAR) mit möglichen Kontakten deutscher Rechtsextremisten nach Russland und in die Ukraine befasst habe. Ein abschließendes Fazit lasse sich noch nicht ziehen.

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Quelle: Homepage von Ulla Jelpke, 14.04.14

Pulverfaß Ukraine. Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Von Uli Schwemin

Montag, 14. April 2014 von Huste

Die in Kiew regierenden Putschisten sind offenbar entschlossen, die Ukraine in den Untergang zu treiben, bevor bevor noch Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden können. Was in deutschen Mainstream-Medien als »Antiterroraktion« von Slawjansk bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit der Beginn eines Krieges gegen Teile der eigenen Bevölkerung und eine ebenso gezielte wie gefährliche Provokation gegen Moskau.

Die Ukraine ist seit dem Zerfall der Sowjetunion von sich abwechselnden Vereinigungen von Wirtschaftskriminellen ausgeplündert, regiert und ruiniert worden. Zuletzt unter der Regie von Wiktor Janukowitsch. Außenpolitisch hat der den Ausgleich sowohl mit dem Westen als auch mit dem großen russischen Nachbarn gesucht. Daran ist er gescheitert.

Als immer mehr Menschen die Luft zum Atmen immer knapper wurde, begannen die Antiregierungsproteste in Kiew. Die Hegemonie über den Maidan übernahmen jedoch bald die Faschisten der »Swoboda«-Partei und solcher Trupps wie des »Rechten Sektors«. Janukowitsch ging nicht dagegen vor. Statt dessen versuchte er zu taktieren und mit dem Westen Kompromisse auszuhandeln. Das brach ihm schließlich das Genick. Keine 24 Stunden nach der u.a. gemeinsam mit BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und dem ukrainischen Faschistenführer Oleg Tjagnibok erfolgten Unterzeichnung einer Agenta von Zugeständnissen, die zum Austausch der Regierung führen sollten, wurde er in einem Putsch hinweggefegt.

Der Umsturz erfolgte von Beginn an mit der großzügigsten Unterstützung der USA und der Europäischen Union. Der gemeinsame Nenner zwischen den westlichen Mächten und den ukrainischen Putschisten ist die Russenfeindlichkeit. Moskau ist dem Westen auch nach dem Untergang der Sowjetunion immer noch zu mächtig. Deshalb wird Putins Reich seit Jahrzehnten provoziert, ausgegrenzt, eingekreist, bedroht. Dazu ist jedes Mittel recht. Vertragsbruch, wie die Rücknahme der Zusicherung der Nichtausdehnung der NATO Richtung Osten oder Raketenstationierung in Osteuropa. Die Hilfe für russophobe ukrainische Putschisten stellt nur das neueste Glied in der Kette dar. So konnten diese eine neue Regierung einsetzen, die bis zum stellvertretenden Ministerpräsidenten hinauf durchsetzt ist mit Faschisten. Chef der »Nationalen Sicherheit« wurde der Mitbegründer des Vorläufers der »Swoboda«-Partei«, Andreij Parubi, sein Stellvertreter Dmitro Jarosch vom »Rechten Sektor«. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen kündigte die Putschistenregierung an, ein Gesetz zu verabschieden, das Russisch als zweite Amtssprache abschaffen soll. Die Folgen, Unruhen und massive Proteste in der Ost- und Südukraine, wo viele Menschen russischer Nationalität sind, dürften kalkuliert gewesen sein. Die Lunte wurde in Kiew gelegt und mit dem bewaffneten Angriff auf Besetzer staatlicher Gebäude am Sonntag gezündet. Das Pulverfaß steht vor der Explosion.

Quelle: www.jungewelt.de vom 14.04.14

Gemeine Verschwörung. Milliardengrab Flughafen BER. Von Klaus Fischer

Samstag, 12. April 2014 von Huste

Auf der Großbaustelle im märkischen Sand südlich von Berlin droht wieder Stillstand. Weil Geld fehlt. 1,1 Millarden Euro brauchen Planer, Ingenieure, Bauarbeiter und der Leitungskader angeblich, um aus dem Phantom Flughafen Berlin-Brandenburg International »Willy Brandt« etwas zu machen, das eröffnet und erfolgreich betrieben werden kann. Irgendwann. Am Freitag konferierten die Fachkräfte des Aufsichtsgremiums mit den Fachkräften des Managements. Vermutlich wird es weitergehen, am Geld ist bei Deutschlands Eliten noch nie etwas gescheitert. Am Können schon, aber darüber wollen wir hier nicht reden.

Da gibt es nichts zu lachen. Auch ist im Grunde schon alles gesagt. »Niemand hat die Absicht einen Flughafen zu bauen« könnte man ein Zitat von Walter Ulbricht abwandeln. Dummerweise stimmt das im Falle BER sogar. Wer auf Verschwörungstheorien steht, wird hier fündig: Zwei Milliarden sollte der Airport nahe der Gemeinde Schönefeld kosten. Eine Menge Geld, besonders für die eher ungeliebte Hauptstadt und das verzweifelt nach größerer Beachtung heischende Bundesland drumherum. Warum dem nicht zustimmen und die Deppen scheitern lassen, mag man sich im Politbüro der Berlin-Gegner gesagt haben.

Wenn es richtig kracht, machen wir einfach wieder Bonn zum einzigen Regierungssitz und »Spree-Athen« wird seinem Zweitnahmen endlich auch in der Realität gerecht. Natürlich brauchte es ein paar tragende Stützen, damit der Coup gelingen konnte. Die wurden gefunden: Mit den Herren Wowereit und Platzeck als politischem Führungsgremium im Aufsichtsrat. Der Bund stellte einen mäandernden Staatsekretär zum Gucken bereit, den Rest würden »Bärlin« und »Bandenburg« von alleine erledigen.

Das funktionierte bislang ganz gut. Die Kosten stiegen auf vorläufig 5,4 Milliarden Euro. Die geplante – und mit Getöse angekündigte – Eröffnung fiel ins Wasser. Irgendwie schien zudem jemand dafür gesorgt zu haben, daß auf der Baustelle der komplette Wahnsinn grassierte. In dieser Phase war es von den Berlin-Gegnern ein leichtes, Benzin ins Feuer zu gießen: Sie lancierten Hartmut Mehdorn als »Retter« in die Funktion des Chefs. Seitdem geht es zügig abwärts, wie einst bei der von Mehdorn geführten Bahn und der Air Berlin.

Jetzt braucht nur noch eine ernstzunehmende gewichtige Persönlichkeit »anzuregen«, den Bau einzustellen. Die könnte sich bald vor »Freunden« und »Followern« nicht mehr retten. Ende gut, alles gut: Bonn wird wieder Hauptstadt, alle Beamten sind froh. Aus der unvollendeten Baustelle macht man einen Abenteuerspielplatz für die Bundeswehr. Auch die Berliner dürften sich freuen: Wohnen würde wieder erschwinglich, Dachgeschosse stünden zur Neuvermietung an. Ach ja, und Klaus Wowereit könnte Regierender Bürgermeister auf Lebenszeit werden. Dumm nur, daß Verschwörungstheorien nicht immer zur Wahrheit führen.

Quelle: www.jungewelt.de vom 12.04.14

Der übersehene Klassiker. Vor 30 Jahren erschien die Studie »Faschismus und Neofaschismus« des Sozialwissenschaftlers Reinhard Opitz. Von Phillip Becher und Jürgen Lloyd

Samstag, 12. April 2014 von Huste

Mit unbeirrter Beharrlichkeit bemüht sich ein Teil der bürgerlichen Wissenschaftler seit dem Aufkommen des Faschismus als politischer Erscheinung um das Auffinden von dessen antikapitalistischem Kern. Was dem Faschismus an der Macht niemals gelingen konnte und was er stets durch seine Politik praktisch eindrucksvoll widerlegte, genau das wollen sie – darunter auch Vertreter, die sich als progressiv verstehen – im Faschismus erkannt haben. Sie wollen zeigen, daß insbesondere dem deutschen Faschismus ein völkischer Antikapitalismus zugrunde gelegen habe. Begründet wird dies mit Verweis auf die soziale Demagogie der Nazis und vor allem mit dem angeblich rational nicht erklärbaren Völkermord an den europäischen Juden. Dieser wäre nicht aus dem Kapitalismus zu erklären, sondern sei im Gegenteil selbst Ergebnis eines im Antisemitismus enthaltenen Antikapitalismus.

Bereits 1931 veröffentlichte die Satirezeitschrift Der Wahre Jacob eine Karikatur zum »Firmenschild« des Nationalsozialismus, die auf den erlogenen Charakter des »Sozialismus« der »Arbeiter«partei hinwies. Doch die nicht oft genug zu wiederholende Binsenweisheit, wonach die deutsche faschistische Partei trotz ihres Etiketts weder national noch sozialistisch war, gilt den Adepten des »nationalsozialistischen Antikapitalismus« als ökonomistischer Reduktionismus. Dieser vorgeblichen Einschränkung der Ursachen und Bedingungen des Faschismus auf die Ökonomie mache sich die marxistische Faschismusforschung schuldig. Statt das imperialistische Wesen des modernen Antisemitismus offenzulegen, beschäftigt man sich lieber mit der angeblich verkürzten Kapitalismuskritik der historischen KPD und wirft dieser bisweilen auch noch Judenfeindschaft vor.

Die Europäische Union gibt hierbei die Marsch­richtung vor: Der 2008 vom EU-Parlament beschlossene »Europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus« am 23. August, dem Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags im Jahr 1939, ist der großangelegte geschichtspolitische Versuch, die Erinnerung an folgende Tatsache endgültig zu tilgen: Die Hauptlast des Widerstandes gegen den Faschismus wurde von organisierten Kommunisten gemeinsam mit Sozialdemokraten, fortschrittlichen Demokraten und anderen getragen.

Der Forschungsansatz

Für den westdeutschen Sozialwissenschaftler Reinhard Opitz (1934–1986) waren die Frontlinien klar: »Es gilt, mein Leben als den Versuch darzustellen, aus dem Kindheitserlebnis des Zweiten Weltkrieges politische Konsequenzen zu ziehen und damit die Trauer in eine Aufforderung zu antiimperialistischem Kampf zu verwandeln.«1 Diese Haltung führte ihn in die nach dem Verbot von 1956 in der BRD illegale KPD und machte ihn zu einem konsequenten Antimilitaristen.

Für Opitz hatte die Faschismusanalyse einen »praktisch-politischen Wert«. Er legte seiner Forschung einen theoretischen Ansatz zugrunde: Denn »nur, wenn erklärt ist, wie Faschismus entsteht, läßt sich auch die Frage beantworten, wie er am besten bekämpft bzw. verhindert werden kann«.2 Seine theoretische Grundlage war also von keinen kurzfristigen politischen Taktiken abhängig, sie ordnete sich vielmehr in eine Generallinie ein. Dementsprechend formulierte er sein Forschungsprogramm im Vorwort zu seiner 1973 veröffentlichten Dissertationsschrift, die er zuvor an der Universität Marburg verteidigt hatte: »Demokratische Politikwissenschaft – oder einfach, was dasselbe ist, exakte – unterscheidet sich von bürgerlich-apologetischer durch eben [das] inhaltliche Begreifen der politischen Erscheinungen, d.h. durch das Wahrnehmen der in ihnen sich zur Geltung bringenden Klasseninteressen, die entsprechend der vom ökonomisch-technischen Fortschritt jeweils bewirkten realen Gesellschaftsdifferenzierung geschichtsbewegende Kraft gewinnen und in Gestalt politischer Interessenrichtungen den Kampf um das Recht der Gesellschaftsgestaltung aufnehmen.«3 Marx’ und Engels’ Bestimmung der Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen wird hier gleichermaßen als Grundlage wissenschaftlicher Politik und politischer Wissenschaft genutzt.

Opitz’ Faschismusanalyse findet ihren Ausgangspunkt in der klassischen Definition der Kommunistischen Internationale: »Der Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.« Es ist dieser Kernsatz der marxistischen Faschismustheorie, seitens der politischen Kontrahenten in polemischer Form als »Dimitroff-Formel« bezeichnet, auf den sich der Bannstrahl des Reduktionismus und Ökonomismus konzentriert. Eine Definition soll aber – um Klarheit zu schaffen –, aus den Erscheinungen und bestimmten Teilaspekten der gesellschaftlichen Wirklichkeit das wesentliche Verhältnis, in dem sich Erscheinungen und Teilaspekte ausprägen, auf den Begriff bringen. Dieser grundlegende Charakter einer Definition wird von den Kritikern übersehen. Weiterhin sehen die Gegner nicht den zeitlichen Kontext und die Tatsache, daß die Komintern kein akademisches Forschungsinstitut einer Hochschule war, sondern eine internationale politische Organisation, die 1935 dringend angehalten war, ihren nationalen Sektionen eine den Zweckmäßigkeiten der Auseinandersetzung angemessene Leitlinie an die Hand zu geben. Diese sollte sie in die Lage versetzen, den Faschismus zu begreifen und dadurch bekämpfen und gegebenenfalls stürzen zu können.

Unter anderen Bedingungen und über vier Jahrzehnte später präzisierte Opitz in sozialwissenschaftlicher Weise den Gehalt der klassischen Wesensbestimmung: »Faschismus ist diejenige terroristische Form der politischen Herrschaft des Monopolkapitals, die alle politischen Organisationen, in denen sich objektive Interessen der nichtmonopolistischen Schichten artikulieren – also vor allem und in erster Linie die genuinen Organisationen der Arbeiterklasse – der Illegalisierung und Verfolgung aussetzt.«4 Dieses Verständnis liegt auch Opitz’ Hauptwerk »Faschismus und Neofaschismus« zurgrunde. Es erschien 1984 beim Frankfurter Verlag Marxistische Blätter.5 Weitere Ausgaben folgten als zweibändiges Taschenbuch 1988 und 1991 im Pahl-Rugenstein Verlag und 1996 wieder einbändig in dessen Nachfolgeunternehmen. Bereits im Jahr der Ersterscheinung brachte der Akademie-Verlag Berlin eine Lizenzausgabe für die DDR heraus, und 1988 wurde eine russische Übersetzung im Moskauer Progress-Verlag publiziert.

Der erste Teil dieser Publikation trägt nicht den Charakter eines Geschichtsbuches, sondern den einer sozialwissenschaftlichen Studie. Opitz greift die Fragen auf, die der marxistischen Faschismustheorie als ihre vermeintlich »blinden Flecke« vorgeworfen werden. Vorwürfe, die als Begründung herhalten, warum es eines anderen Ansatzes zum richtigen Verständnis des Faschismus bedürfe. Er antwortet darauf, indem er auf marxistischer Grundlage Erklärungen zu diesen Themen herleitet. Im Unterschied zu anderen seiner Texte arbeitet er sich dabei weder an den Vorhaltungen seiner Kritiker ab, noch weist er die Schwächen von deren divergierenden Ansätzen auf. Statt dessen belegt er am Beispiel des deutschen Faschismus die – von ihren Gegnern unterschätzte – Leistungsfähigkeit marxistischer Analyse.

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Er zeigt, wie gerade das, was als Ideologie des (deutschen) Faschismus gilt, aus dem Kapitalismus zu verstehen ist. So begegnet er all jenen, die der Erklärung des Faschismus aus dem Kapitalismus entgegenhalten, es würde dabei die Bedeutung der Ideologie für die Entstehung, Wirksamkeit und spezifische Ausprägung des Faschismus vernachlässigt. Als Marxist erliegt Opitz dabei nicht dem bürgerlichen Mißverständnis, unter Kapitalismus sei die Herrschaft des Geldes zu verstehen. Er weiß, daß es sich dabei um das Verhältnis von Kapitalisten- und Arbeiterklasse handelt, welches diese Gesellschaftsform prägt, und diese in der jeweiligen Entwicklung und den jeweiligen Bedingungen zu analysieren ist.

Entstehung faschistischer Ideologie

Dem expandierenden deutschen Kapital paßte sein altes Mott

Dem expandierenden deutschen Kapital paßte sein altes Motto »Jedem Volk seine Nation« nicht mehr. Um auf Beutezug im Ausland zu gehen, wurde die Theorie vom Recht der eigenen Nation, über andere Nationen zu herrschen, propagiert (j&
Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-138-1083-30 / Kessler, Rudolf / CC-BY-SA

Die konkreten Bedingungen, unter denen die vor dem Faschismus wirksamen Ideologien Sozialdarwinismus, Rassismus und Antisemitismus zur Weltanschauung der Nazis verschmolzen wurden, sind die von Lenin beschriebenen Bedingungen für das imperialistisch gewordene deutsche Großkapital: Das sich rasch entwickelnde deutsche Finanzkapital fand für seinen Expansionsdrang kein Feld mehr, das nicht bereits vom konkurrierenden Kapital anderer Nationen besetzt war. »So war es vom Ende des Jahrhunderts an zunehmend elementar an einer solchen Erdneuverteilung – und damit an der Vorbereitung auf einen dazu dienenden Erdumverteilungskrieg – interessiert« (S. 7). Um auch die eigene Bevölkerung auf einen derartigen Krieg einzuschwören, bedurfte es daher keines Nationalismus, der das Recht auf den je eigenen Staat verkündete – wie es der frühere liberale Begriff der Nation als Bereich der freien Entwicklung der am Markt handelnden Individuen leistete. Es wurde ein neuer, nun imperialistisch geformter Nationalismus benötigt, der das Recht der eigenen Nation auf Herrschaft über andere Nationen propagiert.

Opitz legt dar, wie für diesen, sich den neuen Bedingungen bürgerlicher Herrschaftsinteressen anpassenden Nationalismus, der Sozialdarwinismus und ein sich ebenso von früheren Erscheinungen unterschiedener Rassismus zu konstituierenden Grundlage wurden. Er untersucht konträr zum Vorwurf, die Bedeutung von Ideologie zu mißachten, die sonst oft übersehenen Differenzierungen ideologischer Erscheinungen. Dabei erklärt er die ideologischen Prozesse auf Grundlage der sozioökonomischen Entwicklung.

Für den Antisemitismus zeichnet er dessen erst im Imperialismus neugewonnene Funktion nach. Mit der um den Rassismus ergänzten Variante kann nun der innen- und außenpolitische Gegner des Imperialismus in einem geschlossenen Feindbild – dem »internationalen Judentum« – zusammengefaßt werden. Dies ist möglich, indem der eigenen, sozialdarwinistisch nach Durchsetzung strebenden, rassistisch verstandenen Nation die »jüdische Rasse« als ärgster und gefährlichster Feind gegenübergestellt wird. Denn die Juden würden ihren Kampf gegen die Germanen nicht nur von außen führen, sondern auch mit Hilfe des Internationalismus und des Klassenkampfgedankens von innen an der Zersetzung des deutschen Volks und seines Durchsetzungswillens arbeiten. Daß gerade Sozialdemokraten und Kommunisten Vertreter dieser vermeintlich »jüdischen« Ideen seien, zeige nur, daß der von ihnen angestrebte Sozialismus eben nicht der wahre, dem deutschen Volk angemessene, sondern ein jüdisch verfälschter und der Marxismus lediglich ein Zersetzungswerkzeug der Juden sei. Berechtigt sei am Sozialismus das Gefühl der Arbeiter, benachteiligt zu sein. Dies deswegen, weil es den Juden gelungen sei, auch in das deutsche Kapital vorzudringen und dort neben dem »guten«, dem schaffenden Kapital ein schädliches, lediglich vom Zins lebendes, raffendes Kapital gebildet zu haben.

Mit der Verknüpfung von Sozialdarwinismus, Nationalismus und Rassismus entstand ein ideologisches Konstrukt, das geeignet war, dem deutschen Imperialismus eine zur Durchsetzung seiner Herrschaftsinteressen brauchbare Unterstützung auf allen unter den konkreten Bedingungen entstehenden ideologischen Kampffeldern zu liefern. Es diente sowohl zur Rechtfertigung des imperialistischen Expansionsstrebens als auch zur Mobilisierung der eigenen Bevölkerung für einen Krieg als auch zum innenpolitischen Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung. Eben weil sie für diesen politischen Bedarf des deutschen Großkapitals geeignet war, wurde jene Ideologie nun propagiert und ihre Verbreitung organisiert. Zum Beleg bringt Opitz neben den Aktivitäten des Alldeutschen Verbandes zahlreiche Beispiele.

Eine andere Mär wird widerlegt: die der autonom vom Kapital entstandenen NSDAP, welche erst später vom Kapital als Hilfstruppe übernommen wurde bzw. von ihren Führern an dieses verraten wurde. Gestützt insbesondere auf die Forschung von DDR-Geschichtswissenschaftlern zeigt Opitz die von Beginn an engstens mit den Herrschaftsinteressen des Monopolkapitals verknüpfte faschistische Bewegung. Diese Verbindung reicht in die Zeit zurück, bevor Adolf Hitler als V-Mann der bayerischen Reichswehr in die neu gegründete Partei delegiert wurde.

Strukturell verwandt mit dem Versuch, eine vom Kapital unabhängige Frühphase der faschistischen Partei aufzuzeigen, sind Versuche, Aussagen von einzelnen Vertretern oder Strömungen der faschistischen Bewegung einen antikapitalistischen Gehalt zuzuschreiben. Opitz zeigt für typische Kandidaten eines »linken« Flügels, für die Brüder Gregor und Otto Strasser, für die SA als Organisation mit ihrem Führer Ernst Röhm und für den »Nationalrevolutionär« Ernst Niekisch, daß sie statt Repräsentanten eines Antikapitalismus stets Vertreter unterschiedlich ausgeprägter Varianten der völkischen Demagogie des »deutschen Sozialismus« waren. Ihre Kämpfe – bis hin zum »Röhm-Putsch« – mit der sich schließlich im deutschen Faschismus durchsetzenden Linie erklären sich nicht als Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern eines faschistischen »Antikapitalismus« und dessen Verrätern, sondern als Kampf unterschiedlicher Kapitalgruppierungen um die Durchsetzung ihrer jeweiligen spezifischen strategischen Konzeption.

Im letzten Kapitel des ersten Buchteils wendet sich Opitz schließlich der Behauptung zu, wonach der Antisemitismus der Nazis spätestens mit der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung in der Endphase des Zweiten Weltkrieges eine solche »Irrationalität« an den Tag gelegt hätte, daß dies wohl nicht mehr durch Interessen des doch stets rational agierenden Kapitals zu erklären sei. Die Verwendung der Transportkapazitäten für die Verschleppung in die Vernichtungslager statt für die Führung des Krieges beweise, daß sich hier die Naziideologie bzw. die von ihr bestimmte Politik der Naziführung gegen die Interessen des Kapitals verselbständigt habe. Ausgehend von der Darstellung der bereits vom Alldeutschen Verband vertretenen Forderung nach einem »feindfreien Herrschaftsraum« zeigt Opitz demgegenüber, wie sich auch dieser Teil der faschistischen Ausübung bürgerlicher Herrschaft aus den Interessen des imperialistischen Kapitals und den Bedingungen ihrer Durchsetzung erklären läßt. Die Massenvernichtungen bei Kriegsende dienten nicht mehr dem Wunsch der faschistischen Partei und seiner Führer nach Fortsetzung ihrer Regierungsmacht, sondern – wie es am Schluß des ersten Bandes heißt – sie entsprangen »der imperialistischen Rationalität – schon des nächsten Krieges« (237).

Neofaschismus und neue Rechte

Mit dem Ziel, die von der marxistischen Theorie behauptete historische Funktion des Faschismus, namentlich die Sicherung der Errichtung einer terroristischen Diktatur in der monopolkapitalistischen Gesellschaft, für die Auseinandersetzung mit aktuellen faschistischen Bewegungen nutzbar zu machen, erarbeitet Opitz im zweiten Teil eine Funktionsbestimmung des nicht (mehr) an der Macht befindlichen Faschismus, des Neofaschismus. Dieser müsse weiterhin zur Macht streben, um das Problem der kapitalistischen Integration auf gewaltsame Art und Weise zu lösen: Der Neofaschismus dient mit der Ableitung und Umfunktionierung von Protestpotentialen letztendlich als Stoßtrupp gegen die originäre Artikulation von progressivem Widerstand. Er vermittelt zugleich durch seine Stärke (oder Schwäche) einen Eindruck darüber, welchen Zuspruch antidemokratische Positionen in der Bevölkerung haben. Er setzt zudem die regierenden bürgerlichen Parteien von rechts unter Druck, sorgt langfristig für ideologische Umorientierungen, dient aber auch zugleich als Alibi für rückwärtsgewandte Maßnahmen seitens der Regierung, wie der Zusammenhang von rechter Gewalt und dem »Asylkompromiß« 1992/1993 in brutaler Form verdeutlichte. Von ausschlaggebender Bedeutung sind schließlich die im Neofaschismus zur Anwendung gebrachten terroristischen Maßnahmen, mit denen er die demokratischen Kräfte bekämpft. Diese Mittel reichen von der Einschüchterung aktiver Gewerkschafter bis zur Aufstellung faschistischer Bürgerkriegstruppen wie zur Zeit in der Ukraine.

Vor diesem Hintergrund wird die zeitgeschichtliche Entwicklung des Neofaschismus durch Opitz skizziert, der von ihm nicht als ausschließlich an Parteien gebunden, sondern als Kräftefeld begriffen wird. Er zeigt, daß die internationalen und nationalen Verbindungen von Altnazis (z. B. SS-Netzwerke) keineswegs nur als Flucht-, Versorgungs- und Traditionspflegeeinrichtungen konzipiert waren. Von Beginn an verfolgten sie vielmehr die Interessen des deutschen Kapitals nach Sicherung von Optionen für den eigenen (Wieder-)Aufstieg. Deswegen nimmt er diese Netzwerke genauso unter die Lupe wie das Wirken von Faschisten in der westdeutschen FDP (»Naumann-Kreis«) und die Europa-Konzeptionen des Neofaschismus »als Vollendung der im Zweiten Weltkrieg mißratenen ›antikommunistischen Befreiung‹ Europas und seiner dann folgenden Vereinigung zu einem machtvollen Großraum aus dessen wieder aufzurichtender ›starker Mitte‹« (264).

Der Mißerfolg der Sammlungspartei NPD bei der Bundestagswahl 1969 markiert den Zeitpunkt einer ideologischen und organisatorischen Redynamisierung des Neofaschismus, die zur Geburt der neuen Rechten mit beitrug. Als ein Bestandteil dieses analysierten ideologischen Updates sticht bis heute der Ethnopluralismus hervor. Statt des klassischen Wertunterscheidungsrassismus mit seinen Stammbäumen und Schädelvermessungen wird nun die Vorstellung einer unveränderlichen nationalen bzw. kulturellen Identität verbreitet. Daß hierbei nichtsdestotrotz völkische Ganzheitsideale zum Zuge kommen, zeigt die im Konzept enthaltene Prämisse, die die Identität von Individuum, Volk, Kultur und Raum wechselseitig aufeinander bezieht. Die heute gängige Agitation gegen Muslime fußt auf ethnopluralistischen Vorstellungen, die – obschon angeblich die kulturelle Eigenart gerade auch »des Ausländers« oder »des Moslems« respektiert wird – realiter zur Abwertung der »Anderen« und zur ideologischen Formierung des »eigenen Volks« beitragen.

Nützliches Kompendium

Obwohl inzwischen drei Jahrzehnte alt, bleibt Reinhard Opitz’ »Faschismus und Neofaschismus« ein nützliches Kompendium. Und zwar für diejenigen, die die sozialen Wurzeln von Antidemokratismus in der bürgerlichen Gesellschaft zum Zwecke seiner Bekämpfung verstehen wollen und sich deswegen nicht mit der Erklärung zufriedengeben, Ideologie lasse sich aus sich selbst heraus begreifen.

Die Aktualität des Buches ergibt sich aus der darin angewandten Forschungsmethode und seiner inhaltlichen Konzeption. Ein weiterer Vorteil ist die Verallgemeinerbarkeit der Analyse: Die Beispiele sind keine Einzelfälle, sondern Symptome des Versuchs, die Krise der bürgerlichen Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer sozioökonomischen Grundlagen auf extreme Weise zu lösen. Denn, so Bertolt Brecht: »Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern brauchen.«

Anmerkungen
1 Zitiert nach Georg Biemann: Kinderbilder für einen Weggefährten. Zur Biographie des Publizisten und Politikwissenschaftlers Reinhard Opitz, in: Forum Wissenschaft, 15. Jg., Nr. 1/1998, S. 50
2 Reinhard Opitz: Über die Entstehung und Verhinderung von Faschismus, in: Das Argument, 16. Jg., Heft 87/1974, S. 543
3 Reinhard Opitz: Der deutsche Sozialliberalismus 1917–1933, Köln 1973, S. 8
4 Reinhard Opitz: Über die Entstehung und Verhinderung …, siehe Anmerkung 2, S. 601
5 Auf diese Ausgabe beziehen sich alle folgenden Seitenangaben im Fließtext.
Das Buch »Faschismus und Neofaschismus« ist im Buchhandel leider vergriffen. Der Neue Impulse Verlag in Essen hat das Buch im Rahmen seines Digitalarchivs »113 Bücher aus (fast) 50 Jahren« digitalisiert und neu veröffentlicht. Das Archiv kann als USB-Stick per Mail an info@neue-impulse-verlag.de bestellt werden. Er kostet 76 Euro – jW-Leser erhalten ihn für 38 Euro

Quelle: www.jungewelt.de vom 12.04.14

Phillip Becher arbeitet als Sozialwissenschaftler an der Universität Siegen. Jürgen Lloyd ist Leiter der Karl-Liebknecht-Schule der DKP und Mitglied im Vorstand der Marx-Engels-Stiftung

 

Freibrief für Ausbeutung. Arbeiten für 1,60 Euro pro Stunde? Kein Problem: Arbeitsgericht Cottbus erlaubte sittenwidrige Löhne, weil Beschäftigte eingewilligt haben. Von Susan Bonath

Freitag, 11. April 2014 von Huste

Ein Rechtsanwalt im südbrandenburgischen Großräschen hatte zwei Angestellte neun beziehungsweise zwölf Monate lang mit Stundenlöhnen von 1,65 und 1,54 Euro abgespeist. Gerade 100 Euro monatlich erhielten die Betroffenen für rund 15 Stunden Wochenarbeitszeit, der Rest kam vom Amt. Das ist der Freibetrag, den Hartz-IV-Bezieher ungekürzt zum Regelsatz dazu verdienen können. Das Arbeitsgericht Cottbus sah darin kein Problem und wies die Klage des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz auf Rückzahlung von Sozialleistungen zurück (Meldung in jW vom Donnerstag). Die Behörde kündigte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa an, in Berufung zu gehen.

Zwar war das Gericht, wie es in einer Mitteilung informiert, ebenso wie das Jobcenter der Auffassung, daß derart niedrige Löhne auch in der strukturschwachen Lausitz »ein Mißverhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung« darstellten. Ausbeuterisch gehandelt habe der Anwalt dennoch nicht. So hätten die Betroffenen schließlich auf eigenen Wunsch zu diesen Konditionen angefangen, und zwar »um wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen«. Deshalb »konnte die Kammer wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls keine verwerfliche Absicht zum Ausnutzen einer Zwangslage der Mitarbeiter erkennen«. Auch habe der Anwalt keinerlei wirtschaftlichen Vorteil durch die Beschäftigung erzielt, meinte der Richter zudem laut dpa. Es sei vielmehr »eher eine Gefälligkeit«, eine »gut gemeinte Leistung« gewesen.

Nun ist es kein Geheimnis, daß die Behörden Hartz-IV-Bezieher, wenn überhaupt, vorzugsweise mit Billigjobs, etwa bei Leiharbeitsfirmen, versorgen. Die Gründe des Gerichts für das Abweisen der Klage in diesem Extremfall brachte aber selbst die Geschäftsführerin des Jobcenters, Brigitta Kose, in Rage. »Das hat uns völlig unerwartet getroffen, es ist in keiner Weise nachvollziehbar«, kommentierte sie das Urteil. Damit habe der Richter einen »völlig neuen Rechtsgedanken, nämlich den der nicht vorhandenen verwerflichen Gesinnung« eingeführt. »Wenn das bestätigt wird, befürchten wir einen ordnungspolitischen Dammbruch«, so Kose. Auch der Anwalt des Jobcenters, Stefan Pleße, gab gegenüber dem Rundfunksender RBB zu Bedenken: »Mit dieser Entscheidung wurde Rechtsgeschichte geschrieben.« Er wolle nun auf die schriftliche Begründung warten und prüfen, ob diese Bestand haben könne, sagte er.

Christian Hoßbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Berlin-Brandenburg findet das Urteil »unverständlich«. Es könne Unternehmer dazu anregen, diese Art Lohndumping als Geschäftsmodell zu betreiben. Es sei fraglich, wie freiwillig die Betroffenen in einer Region mit hoher Erwerbslosigkeit diese Stelle tatsächlich angenommen haben. »Andererseits kann Freiwilligkeit nicht funktionieren, wenn sie die Interessen der Gemeinschaft untergräbt«, sagte Hoßbach zu jW. Diese seien hier berührt, da der Steuerzahler die Löhne habe mitfinanzieren müssen. Ferner, so der Gewerkschafter, »gibt es Gesetze, und die sind zu beachten«. Der DGB hatte Anfang April in seinem neuen Positionspapier »Für eine sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik« die Höhe der Hartz-IV-Sätze scharf kritisiert und gefordert, sie neu zu berechnen. Die Bundesregierung habe sie »offensichtlich nicht verfassungsmäßig kalkuliert«. Ein vom DGB unterstütztes Musterverfahren liegt derzeit dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.

»Mit diesem Urteil treibt die Judikative sittenwidriges Lohndumping voran«, konstatierte auch die Hartz-IV-Kritikerin und frühere Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann gegenüber dieser Zeitung. Ganz klar stehe ein Erwerbsloser unter Druck, etwas zu seinem niedrigen Hartz-IV-Regelsatz hinzuzuverdienen, so Hannemann. Die Entscheidung sei ein Freibrief für Ausbeutung. »Da kann ja nun jeder Arbeitgeber mit dem Argument punkten, die Stelle zusätzlich geschaffen zu haben, weil er einfach nett sein wollte«, sagte sie. Daran werde vermutlich auch der Mindestlohn von 8,50 Euro, der ab 2015 gelten soll, kaum etwas ändern. So einigte sich die CDU-SPD-Koalition vergangene Woche darauf, daß Langzeitarbeitlose für ein halbes Jahr von der Regelung ausgenommen werden sollen.

Inge Hannemann lobte aber, daß das Jobcenter überhaupt geklagt hat und jetzt Berufung einlegen will. Das müsse viel häufiger passieren, so die 45jährige. Sie ist überzeugt, daß viele Unternehmer auf eine Hartz-IV-Aufstockung spekulierten. Auch ihr sei so etwas untergekommen. Sachbearbeiter müßten regelmäßig den Stundenlohn auf vorgelegten Arbeitsverträgen prüfen. »Leider passiert das viel zu selten«, weiß Hannemann. Die Jobcenter und Arbeitsagenturen in Berlin und Brandenburg wollen das ändern. Sie gründeten im vorigen Jahr eine Arbeitsgruppe, um »konzentriert gegen Lohndumping vorzugehen«. So landeten 2013 in Brandenburg mehrere Fälle vor Gericht. Dabei ging es um Stundenlöhne zwischen 1,59 und 2,84 Euro.

Quelle: www.jungewelt.de vom 11.04.14
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Venezuela selektiv. Molotowcocktails gegen Wohnungsbauprogramme: Deutsche Medien arbeiten bei Berichterstattung über »Sozialproteste« mit Auslassungen und werfen Linken Blindheit vor. Von Katrin Küfer

Donnerstag, 10. April 2014 von Huste

Wer aktuellen Meldungen über Gewalt in Venezuela auf den Grund gehen will, stößt in den allermeisten westlichen und bundesdeutschen Medien auf ein einfaches Muster. Vielfach wird der Eindruck vermittelt, das »Regime« der »Machthaber« in Caracas ordne Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle an und liege aufgrund der »sozialen Proteste« in seinen letzten Zügen. »Die Sozialisten regieren immer noch autoritär«, meinte Reporter Martin Polanski am Mittwoch morgen im Deutschlandfunk. In sozialen Netzwerken machen Bilder von Polizeigewalt und Massenprotesten die Runde, die in Wirklichkeit aus Brasilien, Katalonien, Honduras, Griechenland, Ägypten und anderswo stammen.

Wie selektiv die Wahrnehmung vieler Medien ist, zeigt ein aktueller Vorfall. So kam es am 1. April 2014 in Caracas zu einem Brandanschlag mit Molotowcocktails gegen das Gebäude des Wohnungsbauministeriums, der hohen Sachschaden anrichtete. 1200 Mitarbeiter sowie 89 Kinder einer Vorschuleinrichtung waren nach Angaben des Portals www.amerika21.de zunächst im brennenden Gebäude gefangen. Drei hätten Erstickungsanfälle bekommen, berichtet die Zeitung La Verdad: »Während Teile des ersten Stocks brannten, sollen die Angreifer Drohungen geschrien und im Gebäude weiterhin randaliert haben.« Der Anschlag blieb in fast allen bundesdeutschen Medien unerwähnt. An diesem Beispiel lassen sich Widersprüche in der Berichterstattung aufzeigen. Hinter den Ausschreitungen rechter Gruppen werden soziale Fragen vermutet. Würde es tatsächlich darum gehen, dann machte es keinen Sinn, ausgerechnet das Wohnungsbauministerium in Brand zu stecken, schreibt etwa Jorge Martin auf dem Portalwww.handsoffvenezuela.org. Schließlich stehe dieses Haus für ein ehrgeiziges Programm, mit dem bisher 750000 neue Wohneinheiten für Familien geschaffen wurden, die zuvor in menschenunwürdigen Unterkünften hausten. Viele Sozialwohnungen seien in Kooperation mit Kommunalräten entstanden, die auch an der Prioritätenliste für Bedürftige mitwirkten. Das Wohnungsbauministerium stehe für mehr Mieterschutz und Kampf gegen Immobilienspekulation, so Jorge Martin: »Der Anschlag enthüllt das wahre Gesicht der Opposition und ihren Haß auf die Politik, die darauf abzielt, die Erlöse aus dem Erdölverkauf auch den ärmsten Menschen in der Gesellschaft zukommen zu lassen.« Ähnliche Brandanschläge auf eine Universität der Streitkräfte in San Cristobal und ein Gesundheitszentrum in Barquisimeto stünden für den Haß der Opposition auf die Errungenschaften der bolivarischen Revolution in der Bildung und bei der Gesundheitsfürsorge. Auch diese Übergriffe fanden medial kaum Erwähnung. Die in Medien dargestellte Warenverknappung und Inflation sei Folge des Versuchs der Oligarchie, durch wirtschaftliche Destabilisierung die Regierung zu schwächen, so Martin.

Im Bestreben, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nahm das Fernsehmagazin »kontrovers« im Bayerischen Rundfunk (BR) am vergangenen Mittwoch neben der Regierung Maduro gleichermaßen die bundesdeutsche Partei Die Linke ins Visier. »Ideologie macht blind«, lautete das Motto, zu dem ein BR-Kamerateam Bilder einer linken Venezuela-Veranstaltung in Wiesbaden liefern sollte. Die in einer sachlichen und kontroversen Diskussion vorgetragenen Argumente wurden im Filmbericht ausgeblendet. Statt dessen wurde der Eindruck vermittelt, drei mit der venezolanischen Opposition sympathisierende Damen seien von den Veranstaltern »rausgeworfen« worden. Wie mehrere Teilnehmer auf jW-Anfrage sagten, hat ein solcher »Rauswurf« nicht stattgefunden. »Sie konnten ausgiebig ihre Meinung äußern. Ihre Behauptungen wurden durch die Wortbeiträge anderer Teilnehmer, darunter auch venezolanische Staatsbürger, mit Zahlen und Fakten eindrucksvoll widerlegt«, erinnert sich eine Augenzeugin. Die Damen erhoben sich mitten in der Diskussion von ihren Plätzen und eilten auf das in einer Ecke wartende BR-Team zu, das ihre Version aufgriff und im Filmbericht den Veranstaltern einen »fragwürdigen Umgang mit Kritikern« und »Rauswurf« unterstellte. »Eine bewußte Falschdarstellung«, bemängelt eine Teilnehmerin: »Solche Methoden entsprechen nicht den Programmgrundsätzen der öffentlich-rechtlichen Sender, Informationen zu liefern und der Wahrheit verpflichtet zu sein.« Anstatt kontroverse Standpunkte gleichberechtigt darzustellen, bleibe der Filmbericht einseitig und liefere Emotionen ohne Zahlen und Fakten.

Als Kronzeuge für angebliche Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung in Caracas kommt im Filmbericht Martin Lessenthin von der »Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte« (IGFM) zu Wort. Die IGFM gilt als stramm rechtes und antikommunistisches Geschöpf des Kalten Krieges. Sie unterstützte über Jahrzehnte das frühere südafrikanische Apartheidregime und sprach sich noch 1990 gegen eine Freilassung Nelson Mandelas aus. Daß selbst Ex-US-Präsident Jimmy Carter als Wahlbeobachter jüngst die Wahlen in Venezuela als die demokratischsten der Welt bezeichnet hatte, ist für die IGFM ein Buch mit sieben Siegeln.

Quelle: www.jungewelt.de vom 10.04.14
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Kritische Anmerkungen zur Bürgerinitiative „Pro Ahr-Therme“ in Bad Neuenahr. Von Winfried Heinzel und Wolfgang Huste

Mittwoch, 09. April 2014 von Huste

Eigentlich sollte es sich längst überall herumgesprochen haben, dass bei der Privatisierung des öffentlichen Eigentums wie auch bei ÖPP (= Öffentliche Private Partnerschaft) fast ausschließlich nur einer profitiert: der private Käufer oder Betreiber. Bewertungen der Rechnungshöfe belegen, dass die öffentliche Hand ein schlechtes Geschäft gemacht hat und nach dem Verkauf ehemaligen Tafelsilbers tatenlos zusehen muss, wie Kliniken, Verkehrsbetriebe, Schwimmbäder oder Versorgungsunternehmen nach Gesetzen des Marktes, im Interesse der Anteilseigner oder Aktionäre und zulasten der Beschäftigten und der Qualität, umgebaut werden.

Bei den vordergründig so praktischen ÖPP -Modellen können sich die öffentlichen Vertreter zwar dafür feiern lassen, dass trotz leerer Kassen eine neue Schule oder ein prima saniertes Rathaus wieder in Betrieb geht. Dafür haben sie sich aber auf Jahrzehnte über Geheimverträge oder überhöhte laufende Kosten jegliche Entscheidungs- oder Gestaltungsmöglichkeit nehmen lassen. Dennoch gehen Privatisierungen mittels ÖPP wider alle Vernunft weiter. Die Erklärung ist ganz einfach: Dank rigoroser Plünderung öffentlicher Kassen, permanenten Kürzungen auf der Einnahmeseite und wachsender Verschuldung gibt es für die Länder und insbesondere die Kommunen kaum noch Möglichkeiten, marode Schulen und zugige öffentliche Gebäude zu sanieren, Straßen oder Infrastruktur zu reparieren. Bevor es in Klassenräume hineinregnet, Bäder geschlossen werden müssen oder Hauptstraßen nur noch mit Tempo 20 befahren werden können, erliegen die Vertreter der Kommunen den Lockrufen der finanziell üppig ausgestatteten Konzerne oder Investoren. So werden weiter Sozialwohnungen verscherbelt, lukrative kommunale Unternehmen verschleudert und gut wirtschaftende Eigenbetriebe zum Ausverkauf fit gemacht. Zusätzlicher Druck auf die öffentlichen Kassen droht zum einen durch die in die Verfassung einbetonierte Schuldenbremse, zum anderen durch den von der deutschen Bundeskanzlerin durchgedrückten Fiskalpakt in der EU. (siehe link: http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Fiskalpakt)

Dieser für uns alle schädliche Fiskalpakt hat auch noch eine weitere Schattenseite, denn seit seiner Umsetzung kann die Politik auf nationaler Ebene wie auch in den Ländern und Kommunen ihre Arbeit einstellen, denn durch diesen Fiskalpakt ist der Schuldenabbau und die systematische Kürzung der Öffentlichen Haushalte oberstes Gebot. Seitdem sind noch stärker paradiesische Zeiten für die Privatisierer angebrochen.

Deshalb ist es wichtig, wie durch den unten aufgeführten Beitrag von Wolfgang Huste dargestellt, dass wir eine Plattform anbieten, um anstehende, laufende, verhinderte wie umgesetzte Privatisierungen vorzustellen, sie kritisch zu untersuchen und um Gegenwehr zu organisieren bzw. zu vernetzen, wie z.B. hier. Ich könnte mir auch weitere Beispiele wie z.B. für das „Brohltal – Freitzeitbad Weibern“ (ebenfalls im Kreis Ahrweiler) u.a. vorstellen, und zwar unter der Überschrift „Privatisierung scheibchenweise – Leipziger Allerlei auch im Kreis Ahrweiler“. Danke, Wolfgang, für Deine kritischen Worte, die Du hier zur Diskussion stellst- zu einem Thema, das uns Bürgerinnen und Bürger im gesamten Kreis Ahrweiler angeht:

Problemfall „Ahr-Thermen“. Ein Diskussionsbeitrag von Wolfgang Huste

Vorweg: Nicht nur bei politischen Entscheidungen lasse ich mich immer von folgender Fragestellung leiten, aber besonders da:
„Wem nützt dieses und jenes für was? Nützt es einer Minderheit auf Kosten der Allgemeinheit und der Natur, oder nützt es allen?“. Fällt nach sorgfältiger Abwägung aller Pro und Contras die Antwort positiv aus, also zugunsten der Bürgerinnen und Bürger, der Natur, dann stimme ich diesem oder jenem Projekt zu, ansonsten nicht. Wenn dieses und jenes nur für eine Minderheit nützlich ist, ohne Schaden für die Öffentlichkeit respektive der Natur anzurichten, dann ist das auch noch tragbar.

Meine Prämisse, nicht nur innerhalb der Kommunalpolitik, lautet:
„Keine öffentlichen Gelder für private Projekte, wenn sie nachweisbar (!) nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, der Allgemeinheit, eingesetzt werden, oder wenn sie nachweisbar der Umwelt Schaden zufügen“.
Eine gigantische Umverteilung von öffentlichen Geldern in private Taschen, wie sie auf der gesellschaftichen Makroebene, also auf der Bundesebene, täglich passiert (Stichworte hier: Berliner Flughafen, Kasseler Flughafen, Elbphilharmonie Hamburg, Weltkongresszentrum Bonn, Stuttgart 21) findet sich auch auf der Länder- respektive Regionalebene (Stichworte hier: Nürburgringprojekt, Hochmoselübergangsbrücke, Mittelrheinbrücke, A1 – Lückenschluss, der Bau von Windrädern auch in Naturschutzgebieten und jetzt: Ahr-Therme Bad Neuenahr).
Wir sollten nicht vergessen: Die Ahr-Therme hat in ihren „guten“ Zeiten schwarze Zahlen geschrieben. Finanzielle Rücklagen wurden kaum bis gar nicht gebildet; ein grober Fehler, der sich nun bitter rächt. Stattdessen wurden die Gewinne an die Anteilseigner nahezu voll ausgezahlt. Zwischenzeitlich hat der allgemeine Renovierungsstau bei den Ahr-Thermen drastisch zugenommen.
Die Ahr-Therme ist ein privates Unternehmen, was Gewinn orientiert arbeitet. Eine Kommune dagegen sollte im Idealfall kostendeckend arbeiten, zumindest aber nicht Gewinn orientiert, denn letzteres ist nicht die Aufgabe einer Kommune! Falls wider erwarten in Einzelbereichen dennoch ein Gewinn anfällt, dann sollte der jeweilige Gewinn direkt oder indirekt, zum Beispiel in Form einer gewissen Preisstabilität bei den öffentlichen Gebühren, den Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen. Es ist auch allgemein bekannt, dass öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken, Krankenhäuser und Kitas fast immer „Zuschussgeschäfte“ sind, dazu gehört auch die Sanierung respektive Instandhaltung von Straßen und öffentlichen Gebäuden; auch hier entstehen Kosten, statt Gewinne.

Für öffentliche Projekte und Einrichtungen sollten die öffentlichen Gelder, also unsere Steuergelder, gerne verwendet werden – nicht aber für die Sanierung bzw. Erhaltung eines privaten Unternehmens, was nicht der Allgemeinheit verpflichtet ist, sondern laut Aktiengesetz einer Minderheit von Aktienbesitzern und Aufsichtsräten.
Bekanntlich ist der Slogan „Privat vor Staat“ ein Slogan der neoliberalen Marktradikalen, der privaten Unternehmen und ihren Lobbyparteien. Geht aber dieses oder jenes privat geführte und auf Profit ausgelegte Unternehmen Pleite, bzw. droht eine Pleite, dann kommt recht schnell der Ruf nach staatlicher oder kommunaler Hilfe, in Form von öffentlichen Geldern oder entsprechenden (meistens steuerlichen) Vergünstigungen. Auch hier gilt das altbekannte Prinzip: „Gewinne werden privatisiert, Verluste werden sozialisiert!“.

Die meisten Kommunen arbeiten defizitär, haben also Schulden. In ihrer Not verkaufen sie teilweise ihr kommunales „Tafelsilber“, zum Beispiel in Form kommunaler Grundstücke, Gebäude, um (kurzfristig) „frisches Geld“ in die öffentlichen Kassen zu bekommen. Oftmals zu Lasten nach uns folgender Generationen. Langfristig betrachtet ist die Privatisierung des öffentlichen Eigentums eine freiwillige Enteignung der Kommunen und damit auch der Bürgerinnen und Bürger.
Welche konkreten Auswirkungen sind mit einer Privatisierung des öffentlichen Eigentums verbunden?
1. Der allgemeine Service wird schlechter
2. Der Renovierungsstau nimmt zu (denn alles, was den Profit schmälert, wird möglichst vermieden – dazu gehören auch Renovierungsarbeiten)
3. Personal wird entlassen oder zu schlechteren Bedingungen eingestellt.
4. Die (Eintritts-) Preise steigen auf Dauer
5. Die Kommune hat keinen Einfluss mehr auf die Preisgestaltung oder die jeweiligen Arbeitsbedingungen.

Andere Kommunen versuchen, durch PPP – Modelle (= Public Private Partnership- Modelle) an Geld zu kommen, oder verkaufen sogar sofort ihr „Tafelsilber“. Nur: Auch hier zahlt die Kommune letztendlich drauf, und zwar in der Regel mehr als das Doppelte von dem, was sie zuvor (angeblich!) gespart hat. Nebenbei: Bei einem PPP-Modell ist nichts öffentlich, und da gibt es keineswegs eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen einer Kommune und den privaten Investoren. Wer tiefer in die Materie „Privatisierung des öffentlichen Eigentums und PPP- Modelle“ einsteigen möchte, sollte in die Google-Suche folgende Begriffe eingeben: „Werner Rügemer Wolfgang Huste Privatisierung öffentliches Eigentum PPP-Modell“.
Da möchte ich lieber unser Kommune eigenes TWIN erhalten! Und die Lärm geplagten Lohrsdorfer würden sich freuen, wenn man endlich, nach Jahrzehnten der Stagnation, die Umgehungsstraße zuende baut (um nur mal zwei Beispiele zu nennen, wohin das Geld „auch“ fließen kann und sollte)!

Nun wird der Renovierungsbedarf der Ahr-Thermen auf 11 Millionen veranschlagt. Das ist also noch nicht einmal der Kaufpreis, denn der liegt weit über den 11 Millionen. Dazu kommen die laufenden Kosten, die pro Jahr auf eine Million Euro geschätzt werden. Wer sich kundig macht, wird schnell erfahren, dass man ein komplett eingerichtetes, kommunales Hallenbad, das auf dem neuesten technischen Stand ist, für rund sieben Millionen neu (!) bauen kann.
Ist also die Privatisierung der Ahr-Thermen komplett abzulehnen? Die Antwort lautet „Ja“, wenn die Privatisierung nachweisbar (!) zum Nachteil der Kommune, der Bürgerinnen und Bürger, erfolgt. Die Antwort lautet „Nein“, wenn der Vorteil für die öffentliche Hand größer als der Nachteil ist. Allgemein wird argumentiert, dass die Stadt, insbesondere der Einzelhandel im Allgemeinen und die Gastronomie und Hotellerie im Besonderen, direkt oder indirekt von den Thermen profitieren. Da frage ich mich: Auf welchen öffentlich einsehbaren Fakten beruht diese Annahme? Was fehlt ist eine wissenschaftliche Studie, die diese kühne These belegt. Um eine nachprüfbare Antwort zu erhalten, benötigen wir keineswegs teure Gutachten bzw. Gutachter. Das können auch Studierende an einer Universität durchführen, innerhalb eines Seminars (zum Beispiel). Viele Besucherinnen und Besucher der Thermen sind Tagestouristen. Sie kommen aus dem näheren Umfeld der Region, übernachten in der Regel nicht in Bad Neuenahr.
Wie ich schon zuvor anmerkte, bin ich durchaus nicht gegen einen privaten Investor, wenn man (sinngemäß) folgende Punkte vertraglich festhält:

1. Personal darf nicht entlassen werden oder zu schlechteren Arbeitsbedingungen eingestellt werden
2. Die Preise dürfen nicht steigen. Steigen sie jedoch so stark, dass nur „gut Betuchte“ sich den Besuch der Ahr-Thermen leisten können, dann muss der jeweilige Investor ein vorher genau definiertes „Sozial-Kontingent an Eintrittskarten“ bereitstellen, und zwar für finanziell schlecht gestellte Bürgerinnen und Bürger, also für „finanziell Bedürftige“.
3. Es muss garantiert werden, dass die Ahr-Therme so gepflegt wird, dass kein Renovierungsstau anfällt
4. Falls dieser oder jener Vertragspunkt durch den privaten Investor nicht eingehalten wird (zum Beispiel eine entsprechende Sozialklausel), dann hat die Kommune wahlweise ein Rücktrittsrecht vom Vertrag oder ein Sanktionsrecht. Nur unter solchen Prämissen kann ich ein „Ja“ zu einem privaten Investor befürworten.

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Die braune Vergangenheit der FDP. 09.04.14

Montag, 07. April 2014 von Huste

Nächstes Treffen des Jenny Marx Clubs am Mittwoch den 09. April um 19 Uhr in Ahrweiler, im Gewölbekeller des Lokals „Kleinertz“, Ahrweiler Markt. Thema: “ Die braune Vergangenheit der FDP“. Gäste sind wie immer herzlich willkommen. Der Eintritt ist frei. Eine Voranmeldung ist nicht nötig. Referent: Wolfgang Huste. Nach einem kurzen Impulsreferat wird ein Kurzfilm zum Thema gezeigt, mit anschließender Diskussion.

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