Sonntagsarbeit ist eigentlich verboten. Für die Deutsche Post AG gelten im Tarifkonflikt aber keine Gesetze, nicht einmal die biblischen. Weil sich durch den inzwischen drei Wochen andauernden Ausstand in den Depots Briefe und Pakete türmen, hatte das Unternehmen am vergangenen Sonntag bundesweit 11.000 »freiwillige« Aushilfskräfte losgeschickt, um die liegengebliebenen Sendungen auszutragen. Was der Konzern als »vollen Erfolg« verbuchte, ist für die Gewerkschaft ver.di ein rechtswidriger Einsatz von Streikbrechern. Missmut regt sich auch auf seiten der Politik. Das Arbeitsministerium in Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie das in Thüringen wollen die Angelegenheit prüfen und drohen mit Bußgeldern.
Die Post beruft sich bei der Maßnahme auf eine Regelung des Arbeitszeitgesetzes, nach der in Verkehrsbetrieben und beim Transport von verderblichen Waren vom allgemeinen Sonntagsarbeitsverbot abgewichen werden kann. In Paketen und Großbriefen würden jeden Tag nicht nur Lebensmittel, sondern auch medizinische Güter und Labormaterial befördert, ließ ein Post-Sprecher verlauten. Für NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) hat diese Konstruktion »keine Substanz«, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte: »Das Unternehmen ist zu einem beträchtlichen Teil in öffentlichem Eigentum, und dies beinhaltet den Auftrag, sich an bestehende Gesetze zu halten.« Er habe Arbeitsschützer angewiesen, die Fälle zu untersuchen, gegebenenfalls würden Strafzahlungen verhängt.
Wie in NRW hatte die Post auch in Thüringen für die Sonntagsarbeit keine Ausnahmegenehmigungen bei der Gewerbeaufsicht beantragt, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist. So oder so hätte die Thüringer Sozialministerin Heike Werner (Die Linke) kein grünes Licht gegeben. Es gibt »keinen zwingenden Grund, warum gewöhnliche Briefe und Pakete am Sonntag zugestellt werden müssen«, erklärte sie am Donnerstag. Zudem sei die Politik »zur Neutralität in Arbeitskämpfen verpflichtet«. Kritik kam auch von Werners Amtskollegen in Hamburg und Baden-Württemberg.
Streikbruch wird bei der Post gut bezahlt. Nach Angaben von ver.di Hamburg wurden die fraglichen Kräfte mit einer steuerfreien Prämie von 100 Euro in bar, einem Sonntagszuschlag von 30 Prozent und einer Extravergütung für die Wegzeit zur Arbeitsstätte gelockt. Zum Einsatz gekommen seien Stammkräfte aus nicht bestreikten Betriebsteilen, befristet Beschäftigte sowie Betriebsfremde. So wurden zum Beispiel Studierende angeworben (siehe jW vom 25.6.). Nach Einschätzung der stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden und Verhandlungsführerin Andrea Kocsis unterläuft der Konzern damit das grundgesetzlich garantierte Streikrecht. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) dagegen befand, die Post habe die Notwendigkeit des Einsatzes »vorerst plausibel« dargelegt.
Die Post bedient sich noch anderer zweifelhafter Methoden. Das Arbeitsgericht Bonn muss sich seit Mittwoch erneut mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung wegen des unzulässigen Einsatzes von Beamten befassen. Und wie ver.di mitteilte, werden entgegen einem Urteil des Arbeitsgerichtes vom 26. Mai 2015 Staatsbedienstete weiterhin gegen ihren Willen auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt. Von ver.di Hamburg kommt der Vorwurf, der gelbe Riese lasse leere Postwagen von Beamten durch die Gegend kutschieren, um Betrieb zu simulieren. Und die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtete am Freitag von slowakischen Saisonarbeitern, die in einem Paketzentrum in Greven nahe Münster als Aushilfen beschäftigt werden. Sie müssen in beengten Containern hausen, laut Betroffenen gegen täglich zehn Euro Miete und ohne Mittagessen.
Am Freitag wurde der Arbeitskampf bei der Post abermals ausgeweitet. In NRW hätten mittlerweile insgesamt 7.500 Mitarbeiter die Arbeit niedergelegt, gab ver.di bekannt, 500 mehr als zu Wochenanfang. Bundesweit liege die Zahl der Streikenden damit bei 32.500. Immerhin will der Konzern künftig vielleicht von Sonntagsarbeit absehen. Für das kommende Wochenende gebe es dafür keine Pläne, erklärte ein Post-Sprecher am Donnerstag in Stuttgart.
Quelle. www.jungewelt.de vom 27.06.12015
„Die Bundesregierung inszeniert einen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, weigert sich aber, eine Politik einzuleiten, die Konsequenzen aus dem Elend heutiger Flüchtlinge und Vertriebener zieht“, kritisieren die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, und die kulturpolitische Sprecherin, Sigrid Hupach, anlässlich des morgigen Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung.
Ulla Jelpke erklärt dazu weiter: „Während die Bundesregierung über Jahrzehnte hinweg die sogenannten Heimatvertriebenen der deutschen Ostgebiete verhätschelt hat, begegnet sie Flüchtlingen der Gegenwart mit kalter Ablehnung. Die Zahl der Flüchtlinge, die ihr Leben lassen, weil ihnen die politisch Verantwortlichen Europas die legale Einreise nach Europa verwehren, ist erschreckend und beschämend. In Köln werden heute in 230 Kirchen die Totenglocken jeweils 100 Mal läuten. Sie läuten für die 23.000 Flüchtlinge, die seit dem Jahr 2000 im Mittelmeer den Tod gefunden haben. Es ist ein Gebot der Humanität, diesen Flüchtlingen eine Stimme zu verleihen und sie aus der Anonymität herauszuholen, so wie es dieser Tage eine Künstlerinitiative in Berlin versucht. Solange wir nicht Verantwortung übernehmen und eine Flüchtlingspolitik schaffen, die Schutzbedürftige als Individuen behandelt und auf Integration statt auf Abschottung baut, ist jeder Tag Weltflüchtlingstag.“
Sigrid Hupach erklärt dazu weiter: „Gedenktage sagen viel über den Umgang eines Staates mit seiner Geschichte aus. Das Gedenken an die Flüchtlingstragödien in der Welt um das Gedenken an die deutschen ‚Heimatvertriebenen‘ zu erweitern, weckt zwangsläufig die Befürchtung, dass hier Relativierung und Revisionismus Vorschub geleistet werden soll. Dabei ist es völlig unangemessen, am Weltflüchtlingstag ausgerechnet die Interessen des Bundes der Vertriebenen in den Vordergrund zu stellen. Die Bundesregierung sollte den neuen Gedenktag dazu nutzen, ihren aktuellen Umgang mit Flüchtlingen und Vertriebenen zu hinterfragen und eine Flüchtlingspolitik einzuleiten, die dazu beiträgt, dass es einen solchen Gedenktag künftig nicht mehr braucht!“
Samstag, 20. Juni, 13 Uhr, Oranienplatz, Berlin-Kreuzberg
Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, soll in Berlin eine Großdemonstration für die Rechte von Asylsuchenden stattfinden. Das erklärten am Mittwoch Vertreter der Linkspartei sowie des »Bündnisses für bedingungsloses Bleiberecht« und der Initiative »Europa. Anders. Machen.« in der Hauptstadt. Sie kritisierten den unmenschlichen Umgang der Bundesrepublik mit den Schutzsuchenden. Zweiter Themenschwerpunkt des Umzuges soll die Solidarität mit Griechenland werden. Welche Rolle man der Europäischen Union dabei zuschreibt, ist unter den drei Organisationen allerdings umstritten.
»Wir haben eine Verpflichtung, eine andere Stimmung gegenüber Flüchtlingen zu organisieren«, sagte Gregor Gysi, Vorsitzender der Linksfraktion. Die Situation in der Bundesrepublik spitze sich zu, meinte das Bundestagsmitglied, es herrsche eine »unerträgliche Haltung«. Die bestehe auch deshalb, weil sich zu viele Menschen von abstrakten Ängsten leiten ließen. Anders sei es nicht zu erklären, dass die Fremdenfeindlichkeit dort am stärksten ist, wo die wenigsten Migranten und Flüchtlinge leben. »Die Politik, und da nehme ich uns nicht aus, hat nicht genügend aufgeklärt«, erklärte Gysi.
Doch es sei nicht nur eine andere Haltung in Flüchtlingsfragen nötig. »Wir brauchen auch eine Änderung des Rechts in diesem Land.« Weit verbreitet sei etwa das Bild der arbeitsscheuen Asylsuchenden. »Es ist aber das Gesetz, das Flüchtlingen verbietet, zu arbeiten«, sagte Gysi.
Gegen eine weitere Verschärfung dieser Rechtslage kämpft das »Bündnis für ein bedingungsloses Bleiberecht« an. Der im Februar entstandene Zusammenschluss verschiedener linker Organisationen wendet sich gegen das sogenannte Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung. Dessen Entwurf sieht eine Ausweitung jener Kriterien vor, nach denen Asylsuchende abgeschoben werden können.
»Dieses Gesetz gehört zu den schäbigsten Bestrebungen der Regierung gegen Flüchtlinge«, sagte Marcus Staiger, Sprecher des Bündnisses. Es entspreche genau den Forderungen von Pegida. Bis zu 18 Monate könnten der neuen Regelung zufolge Schutzsuchende weggesperrt werden, die aus einem anderen EU-Land in die Bundesrepublik kommen, um hier Asyl zu beantragen. »Aber Flucht ist kein Verbrechen«, so Staiger.
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.05.15
Die Aktivisten für ein bedingungsloses Bleiberecht wollen die Flüchtlingsfrage grundsätzlicher stellen. »Es geht um die Abschaffung dieses Gesellschaftssystems, denn das findet keine Antworten für die Menschen«, sagte Staiger. Die Asylsuchenden würden oft in ihren Herkunftsländern als überflüssig betrachtet. In Europa angekommen, behandele man sie abermals als Problem. »Die freie Marktwirtschaft reitet in jedem Land der Welt ein, aber ausreichend Jobs bringt sie nicht mit«, sagte Staiger. Eine Unterscheidung zwischen Kriegs- und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen sei deshalb unsinnig.
Namensgebend für den Protestzug am 20. Juni ist die Initiative »Europa. Anders. Machen.« In deren Aufruf heißt es, man habe »heute allen Grund, entsetzt zu sein«. Europas – gemeint ist die EU – »demokratisches und soziales Versprechen« sei zu einer Farce verkommen. Statt die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen zu verstärken, würden Grenzschutzorganisationen wie Frontex aufgebaut. Das Schreiben wurde mittlerweile von zahlreichen Hilfsorganisationen sowie Mitgliedern und Abgeordneten von Linkspartei und Grünen unterzeichnet.
Man sei für ein »Europa der Solidarität und der Menschenwürde«, sagte Theresa Kalmer von der Initiative. Nutzen wolle man den Demonstrationszug zudem, um die Verbundenheit mit der griechischen Bevölkerung zu zeigen. »Wir stellen uns klar gegen einen Grexit, der zur Zeit überall gefordert wird«, sagte Kalmer.
Ähnlich formulierte es auch Gregor Gysi. Es sei kurzsichtig, Griechenland weitere Spardiktate aufzuerlegen. »Viel klüger war der Marshallplan der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, also die Entscheidung für den Aufbau.« Ein solches Vorgehen sollte die deutsche Regierung anstreben. Dann, sagte Gysi, stünde auch die Bundesrepublik »besser mit den Exporten da«. Ansonsten mache das Kabinett »Europa kaputt«.
Nicht alle halten das für eine Katastrophe. Auf Nachfrage von junge Welt erklärte Marcus Staiger, dass es nicht genüge, »im Bestehenden Kleinigkeiten besser zu machen«. Um eine solidarischere Gesellschaftsform zu erreichen, müssten zunächst die gesamten EU-Strukturen weg. Unterschreiben würde Staiger den Aufruf von »Europa. Anders. Machen.« entsprechend nicht. Auch einem Aufbauprogramm für Südeuropa steht Staiger skeptisch gegenüber. »Was Griechenland braucht, ist die Enteignung der Gläubiger!«
Aus Protest gegen weitere Kürzungspläne der griechischen Regierung haben rund 200 Mitglieder der griechischen Gewerkschaftsfront PAME, die der Kommunistischen Partei nahesteht, am Donnerstag morgen das Finanzministerium in Athen besetzt. Wie das Fernsehen zeigte, hängten die Besetzer ein Transparent an die Fassade des Gebäudes. »Wir haben genug geblutet! Wir haben genug gezahlt!«, hieß es auf dem Riesentransparent. Die Polizei griff zunächst nicht ein. Für den heutigen Donnerstag hat die PAME zu einem landesweiten Aktionstag aufgerufen, um gegen neue Kürzungen durch die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras zu demonstrieren. 650 Betriebsgewerkschaften und Basisorganisationen haben sich dem Aufruf angeschlossen.
Unterdessen hat der Verwaltungsgerichtshof in Athen die im Rahmen des Kürzungsprogramms vor drei Jahren verhängten Rentenkürzungen in Griechenland für verfassungswidrig erklärt und ihre Rücknahme angeordnet. Nach Schätzungen der griechischen Finanzpresse muss der Staat nun pro Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro mehr aufbringen. Wie es aus Kreisen der Regierung am Donnerstag hieß, will das Finanzministerium zunächst das schriftliche Urteil abwarten. Die Regierung werde auf alle Fälle die Vorgaben der Verfassung einhalten.
Am Donnerstag morgen nahm auch der vor zwei Jahren geschlossene öffentlich-rechtliche Rundfunk ERT seinen Sendebetrieb wieder auf. Das Programm startete um 6.00 Uhr Ortszeit (5.00 Uhr MESZ) mit der Nationalhymne. In der folgenden Informationssendung versprachen zwei Moderatoren »Fernsehen für die Griechen, das von keiner Regierung kontrolliert werden wird«.
Die Schließung des Senders hatte vor zwei Jahren für einen Aufschrei gesorgt und monatelange Proteste ausgelöst. Vor dem Fernsehgebäude fanden zahlreiche Großkundgebungen statt. Ehemalige ERT-Beschäftigte hielten den Sender fünf Monate lang besetzt und strahlten ein Notprogramm über das Internet aus. Ende April beschloss das Parlament vor allem mit den Stimmen der neuen Regierungsmehrheit seine Wiedereröffnung. Für den Sender wurde ein Jahresetat von 60 Millionen Euro festgelegt, der durch eine Rundfunkgebühr von drei Euro pro Monat erbracht werden soll. Laut dem Parlamentsbeschluss sollten 1.550 frühere ERT-Mitarbeiter wieder eingestellt werden. Mit der Wiedereröffnung des Senders löste die Linkspartei Syriza eines ihrer Wahlkampfversprechen ein.(dpa/AFP/jW)
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.06.15