Nur wenn wir uns organisieren, können wir erfolgreich sein. Wir müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen eine linke Kraft aufbauen, die fortschrittliche Kämpfe vorantreibt und Menschen durch Bewegungen für antikapitalistische Positionen gewinnt. Es ist unsere Aufgabe, eine neue Generation junger revolutionärer Kräfte zu organisieren, die dazu in der Lage ist, den Kapitalismus zu stürzen und durch eine demokratische, sozialistische Ordnung zu ersetzen. Linksjugend [’solid] wird diesem Anspruch bei Weitem nicht gerecht. Karrierismus, sog. „antideutsche“ Positionen und mangelnder Bezug zu gesellschaftlichen Kämpfen sind in vielen Bundesländern zu beobachten. Auf bundesweiter Ebene ist der Verband zunehmend polarisiert. Vielerorts wird auf grundlegende Fragen eines antikapitalistischen Programms und seiner Praxis kein Bezug genommen. In einigen Fragen, etwa der Haltung zu Auslandseinsätzen, Antirassismus und Feminismus oder der Einschätzung von SPD und Grünen, werden sozialistische Positionen nicht vertreten bzw. massiv angegriffen. Wo das keinen Erfolg hat, wird auch zu unpolitischen Ausgrenzungsversuchen gegriffen. Aus unserer Sicht muss die Auseinandersetzung im Jugendverband demokratisch geführt werden, persönliche Angriffe sowie diskriminierende Ausgrenzungskampagnen gegen Einzelpersonen und Strukturen sind für uns kein Mittel.
Wir wollen für einen Jugendverband streiten, der mit einer kämpferischen Praxis Jugendliche anzieht, die für linke Ideen offen sind, neue Aktivist*innen ausbildet und sie mit klassenkämpferischen Positionen bewaffnet. Außerdem wollen wir uns im Jugendverband im Sinne antikapitalistischer Positionen und Praxis vernetzen. Dabei ist für uns klar, dass es nicht reicht, über etwas bessere Cliquen und nur über Einzelabsprachen Mehrheiten zu organisieren und Posten zu ergattern. Wir wollen mit inhaltlicher Klarheit und Bestimmtheit in den Debatten des Jugendverbandes auftreten, mithilfe offener Strukturen gerade Mitglieder ansprechen, die noch nicht „Politiker“ geworden sind und unsere Inhalte mit ihnen diskutieren. Gute Positionen eines Verbandes und eine kämpferische Linke in der Gesellschaft gewinnt man aus unserer Sicht nicht primär über einzelne Pöstchen, sondern nur, wenn wir kämpferische Inhalte an der Basis bekannt machen und dort aufbauen. Die Eckpfeiler linker Positionen im Jugendverband sind dabei für uns Folgende:
Widerstand leisten gegen Klassenkampf von oben!
Wir sehen uns als Teil des Widerstands gegen den Klassenkampf von oben, der mit zunehmender Polizeirepression durchgesetzt wird. Wir bekämpfen Lohnkürzungen und Privatisierungen ebenso wie Prestige-Bauprojekte und Aufrüstung. Denn hier werden Geld und Kraft der Arbeiterklasse verschwendet und gegen ihre Interessen eingesetzt. Gewerkschaften sind für uns Kampforgane der Beschäftigten und nicht Mitverwalter der Misere. Wir kämpfen für eine drastische Umverteilung gesellschaftlichen Eigentums. Das beginnt mit Forderungen wie nach einer Vermögenssteuer von mindestens 10% und der Rücknahme aller Kürzungen. Gleichzeitig stellen wir die kapitalistische Eigentumsverteilung generell in Frage. Wir fordern deshalb die Überführung der Banken und Konzerne in gesellschaftliches Eigentum. Dort müssen demokratisch Beschäftigte, Interessensgruppen und die Allgemeinheit das Sagen haben. Dafür bedarf es der Selbstorganisation der Arbeitenden und Lernenden in Betrieben, Schulen, Stadtteilen, Hochschulen usw. Nur so ist für uns die volle Demokratisierung der Gesellschaft und die Ausrichtung der Wirtschaft nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt denkbar.
Ausbeutung und Krieg weltweit stoppen!
Die Zahl der weltweiten Kriege und bewaffneten Konflikte erreicht traurige Rekorde. Im Zuge sinkender Profitraten im Inland handeln die führenden imperialistischen Nationen zunehmend aggressiv und ziehen in Stellvertreterkriegen ganze Länder in Bürgerkriege und Konflikte. Sie entziehen Menschen weltweit die Lebensgrundlage und treiben sie in die Flucht. Im Interesse der Profite einer kleinen Minderheit werden Kriege geführt, Landraub, Lebensmittelspekulationen, Privatisierungsprojekte und Kürzungen vorangetrieben. Profitiert haben davon die Banken und Konzerne in den imperialistischen Großmächten. Deutschland ist der viertgrößte Waffenexporteur weltweit – die deutsche Kriegsmaschine trägt die Namen Deutsche Bank, Daimler, DHL, ThyssenKrupp, Rheinmetall, EADS und Co. Als antikapitalistische Aktivist*innen treten wir ein für den Stopp aller Rüstungsexporte, die Enteignung der Kriegsmaschinerie, die zivile Umnutzung der Rüstungsproduktion. Weder an Schulen, in Hochschulen, im Sport noch sonst wo hat die Bundeswehr etwas zu suchen! Außerdem stellen wir uns konsequent gegen jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr und sind für den sofortigen Austritt und die Auflösung der NATO. Weder die Interventionen noch die Institutionen der herrschenden Klasse nützen den Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung. Der Hauptfeind steht im eigenen Land – unsere Solidarität kennt keine
Landesgrenzen oder Nationalfahnen, sondern nur Klassen.
Die EU ist militaristisch, undemokratisch und neoliberal!
Aktion für ein Nein im griechischen ReferendumDie EU, die Europäische Zentralbank und die Troika sind Werkzeuge zur Durchsetzung des Diktats der Banken und Konzerne der stärksten imperialistischen Nationen, allen voran Deutschlands. Am brutalsten zeigt sich ihre Politik am Vorgehen gegen Griechenland. Als Internationalist*innen stehen wir an der Seite des Widerstands der griechischen Bevölkerung. Die Ausblutung der südeuropäischen Bevölkerung folgt derselben Logik wie Kürzungen, Lohnsenkungen und Privatisierungen in Deutschland: der Maximierung kapitalistischer Profite. Zu Tausenden erheben wir die Mittelfinger gegen die Politik der Troika und setzen uns dafür ein, dass die Reichen ihre Krise bezahlen, Banken verstaatlicht und die Schulden gestrichen werden. Die Interessen der globalen Großkonzerne, die sich auch in der Politik der Troika-Institutionen ausdrücken, sind gegen uns genauso gerichtet wie gegen die Mehrheit der Bevölkerung im Ausland.
Frontex abschaffen – Fluchtursachen bekämpfen!
Die europäische Abschottungspolitik hat das Mittelmeer zum Massengrab gemacht. Zwischen den Jahren 2000 und 2014 sind nach Schätzungen 23.000 Menschen an Europas Außengrenzen ums Leben gekommen2. Mithilfe der Grenzagentur Frontex werden Flüchtlingsboote militärisch bekämpft. Wir sind in antirassistischen und Refugee-Bewegungen aktiv. Wir treten ein für den Stopp jeglicher Abschottungsmaßnahmen der Festung Europa und für gleiche Rechte für alle. Unsere konkreten Forderungen verbinden wir mit einer antikapitalistischen Position. Die Rüstungsindustrie verdient an den Kriegen, die dazu führen, dass Menschen fliehen müssen. Die ökonomische Ausbeutung armer Länder durch den Imperialismus ist die Ursache von Armut, Hunger und Elend. Unser Widerstand ist international, unsere Kämpfe sind real und notwendig für ein grenzenloses und befreites Leben für alle Menschen. Wir begreifen den Kampf gegen Rassismus sowie den um bessere Lebensbedingungen als gemeinsamen Kampf der ganzen Arbeiterklasse. In diesem Zusammenhang fordern wir die Aufnahme von Flüchtlingen in die Gewerkschaften um diese mit der Arbeiterbewegung zu verbinden.
Gegen Spaltung und Diskriminierung!
Es gibt keine Logik, nach der die kapitalistische Ausbeutungs- und Kriegspolitik einen Vorteil für die Mehrheit der Bevölkerung besitzt. Um das zu verschleiern, verlässt sich die herrschende Klasse auf das Prinzip „Teile und Herrsche“. Unsere Spaltung in Männer und Frauen, Alt und Jung, Deutsche und Ausländer usw. wird genutzt, um Lohndrückerei und Ausbeutung zu rechtfertigen und die Einheit der Arbeiterklasse im gemeinsamen Kampf zu verhindern. Der Rassismus ist eine Grundlage für Kriegs- und Ausbeutungspolitik im Ausland und macht Migrantinnen und Migranten zum Sündenbock für soziale Missstände im Inland. Eine besonders dominante Rolle spielt dabei derzeit der Rassismus gegen Flüchtlinge und Muslime. Obwohl antimuslimischer Rassismus sowie die Hetze gegen Südeuropäer gerade die dominante Tragsäule der Teile-und-Herrsche-Politik der herrschenden Klasse ist, spalten auch andere rassistische Ideologien wie Antiziganismus und Antisemitismus, die von rechten Strukturen verbreitet werden, die Mehrheit der Bevölkerung beim Kampf für gemeinsame Interessen. Auch die Unterdrückung der Frau sowie die Diskriminierung von LGBTIQ (Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexuelle, Queers) sind Stützen dieses Systems. Wir lehnen jede Spaltung aufgrund von Herkunft, Alter, Religion, Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung oder anderen Merkmalen ab und wollen die gesellschaftlichen Zustände überwinden, die Ungleichheit und Diskriminierung hervorrufen. Denn sie dienen nur dazu, dass sich die Unterdrückten gegenseitig bekämpfen anstatt sich gemeinsam gegen ihre Unterdrücker zu wenden. All das, was uns spaltet, macht uns schwach – wir bekämpfen Rassismus, Homophobie und Sexismus in den eigenen Organisationen und der Gesellschaft. Ihre Ursache sehen wir im kapitalistischen System – überwinden können wir sie nur mit der Überwindung der Klassengesellschaft. Für uns gibt es nur eine Grenze: die zwischen oben und unten!
No pasarán! – Sie werden nicht durchkommen!
Fast ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland verdient nur einen Niedriglohn. Frauen und LGBTIQ sowie Migrant*innen werden bei Arbeitssuche und Bezahlung nochmal besonders diskriminiert. Fast 15% der Bevölkerung sind selbst nach bürgerlichen Berechnungen arm. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt 0% des Vermögens – Verschuldung und Guthaben heben sich auf. Für uns alle wird deutlich: dieses System hat uns nicht mehr viel zu bieten, die Menschen suchen nach einem Gegenentwurf. Dabei besteht auch die Gefahr dass an den Orten, wo es keine glaubwürdige linke Alternative zum herrschenden System gibt, reaktionäre Kräfte Boden gewinnen können. Deshalb müssen Gewerkschaften, antifaschistische Organisationen sowie linke Organisationen wie Linksjugend [’solid] und DIE LINKE gegen Rassismus kämpfen und eine antikapitalistische Alternative zu diesem Establishment aufzeigen. Faschisten wollen die Meinungsfreiheit abschaffen und die organisierte Arbeiterbewegung zerschlagen. Ihnen gehört auf der Straße kein einziger Meter.
Profitstreben stoppen: Umweltzerstörung sozial bekämpfen!
Umweltschädliche Energiegewinnung, Fracking, Tierausbeutung usw. sind Folgen der kapitalistischen Konkurrenz und Profitlogik. Dazu werden immer mehr Ressourcen rücksichtslos eingesetzt und häufig unwiederbringlich zerstört. Die Politiker und Chefs der Konzerne und Banken, die jetzt die großen Entscheidungen über die Wirtschaft und auch Umwelt treffen, zerstören mit ihrem Verhalten die Natur, Lebensgrundlage für Mensch und Tier. Sie sind die Schuldigen für die Zerstörung der Umwelt im heutigen Maßstab. Und diese Zerstörung trifft v.a. Menschen, die sich mangels Vermögen nicht gegen die Folgen der Umweltzerstörung schützen können. Sie ist auch Flucht- und Kriegsursache, Ursache sozialer Verwerfungen und Armut. Die Zerstörung der Umwelt kann nur mit dem Sturz des Kapitalismus beendet werden. Heute kämpfen wir für jede Verbesserung für Natur und die Mehrheit der Bevölkerung, so wie den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, Investitionen in umweltschonende Technik, die Abschaffung der Tierausbeutung usw. Wir kämpfen dafür, dass die bereits entstandenen Kosten der Umweltverschmutzung ausnahmslos von der herrschenden Klasse getragen werden, beispielsweise durch Reichen- und Unternehmenssteuern. Das Eigentum an den natürlichen Ressourcen, Energie- und Großkonzerne und der Banken muss in die Hand der Arbeiterklasse übergehen und von dieser kontrolliert werden.
Nein zu R2G! Runter von der Staatsmaschine – für eine kämpferische LINKE!
Mit der Beteiligung an Landesregierungen mit bürgerlichen Parteien wurde prokapitalistischer Politik innerhalb der LINKEN Tür und Tor geöffnet: Beispielhaft stehen hierfür die Schuldenbremse, der Haushaltsvorbehalt, das Betreiben von Abschiebeknästen, Rüstungskonzernen usw. Auch andere Positionen, wie die Ablehnung von Auslandseinsätzen und Kürzungspaketen, wurden bei den Entscheidungen der Linksfraktion im Bundestag zu den Erpressungspaketen gegen Griechenland und dem Bundeswehr-Einsatz im Mittelmeer bereits massiv angegriffen oder ins Gegenteil verkehrt. Bei seiner persönlichen Erklärung beim Bielefelder Parteitag zeichnete Gregor Gysi den Weg für DIE LINKE in die Regierung vor: Zustimmung zu Rüstungsexporten, Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Mitverantwortung in der NATO, Zustimmung zur EU. Das alles müsse für die Regierungsbeteiligung geschluckt werden. Dem Parteitag wurde keine Chance gegeben das richtig zu diskutieren, sondern ein Medienspektakel veranstaltet. Bis 2017 sollen Grundsätze der Partei geschleift und Kritiker*innen rausgedrängt werden. Das hat für uns mit linker Politik nichts zu tun. Der Jugendverband muss sich in die Partei DIE LINKE einmischen und Opposition zur Anpassung leisten. Wir wollen keine SPD 2.0, wehren uns gegen Regierungsbeteiligungen der LINKEN mit pro-kapitalistischen Parteien und streiten für eine Partei, die an der Seite der Unterdrückten steht – nicht der Unterdrücker! Dazu muss sich auch in der Partei etwas ändern. Wir treten für eine jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionsträger*innen und für eine relative Trennung von Amt und Mandat mit maximal 25 Prozent Mandatsträger*innen und Hauptamtlichen ein. Wir lehnen es ab, dass Linke Politik zum Beruf machen, um dadurch ihre eigene soziale Frage zu lösen: Hauptamtliche und Abgeordnete dürfen keinerlei Privilegien annehmen und ihr Einkommen sollte auf einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn begrenzt sein.
Für eine sozialistische Welt
Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Gesellschaftsordnungen sind durch Menschen gemacht – sie können auch durch uns geändert werden. Wir treten für sozialistische Ideen ein, dafür, dass nicht für die Profite einer kleinen Minderheit, sondern nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung und nach ihrem Willen produziert wird. Das bedeutet für uns die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Ressourcen, politisch kontrolliert und geplant durch die Organisation der Arbeiterklasse von unten, sei es in Stadtteilkomitees, in Schulen und Unis, in Fabrik- oder Büroräten. In einer Gesellschaft, in der alle Güter durch die Mehrheit der Bevölkerung produziert und verteilt werden, gibt es keinen Grund für einen bürgerlichen Staat, kasernierte Polizei und Militär, Diskriminierung, Unterdrückung, Verfolgung und Repression. Eine sozialistische Gesellschaft ist etwas anderes als die stalinistischen Staaten, in denen zwar keine kapitalistische Klassengesellschaft existierte, aber eine bürokratische Elite Politik und Wirtschaft im Sinne eigener Interessen von oben bestimmte statt demokratisch geplant in Arbeiterstrukturen von unten.
Wir sind Mitglieder verschiedener Linksjugend [’solid] Gruppen aus verschiedenen Landesverbänden mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen. Wir sind als Teil des Jugendverbandes aktiv in gesellschaftlichen Bewegungen, Streiks und Initiativen. Hier wollen wir uns auch über Strategien und Methoden für erfolgreiche Kämpfe austauschen und kämpfen gemeinsam dafür, dass dieser Jugendverband wieder den Namen sozialistisch, links, demokratisch verdient hat.
Quelle: Linksjugend/solid Rheinland-Pfalz
Mit dem Hinweis, dass »die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht in der Lage« seien, für Sicherheit zu sorgen, war im sächsischen Heidenau für das Wochenende der Notstand ausgerufen worden. Damit hatten die Behörden vor dem eine Woche zuvor dort wütenden Neonazimob kapituliert und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gestrichen. Nach einigem Hin und Her setzte jedoch am Sonnabend morgen das Bundesverfassungsgericht das Versammlungsverbot für Heidenau außer Kraft. Das Verwaltungsgericht Dresden hatte zuvor die Anordnung am Freitag schon einmal aufgehoben. Die Entscheidung war anschließend aber vom Oberverwaltungsgericht Bautzen wieder kassiert worden.
Etliche Hundertschaften Bereitschaftspolizei standen sich das ganze Wochenende über in der Kleinstadt gegenseitig auf den Füßen. »Von Notstand war nichts zu sehen, der ließ sich nun wirklich nicht mit Personalmangel begründen«, erklärte der Sprecher des Bündnisses »Dresden nazifrei«, Silvio Lang, am Sonntag gegenüber jW. Wie viele Polizisten konkret im Einsatz waren, das soll ein Geheimnis bleiben. Ein Sprecher der Polizei Dresden sagte zu junge Welt: »Von der Polizeiführung gibt es keine Auskunft zu Einsatzstärken.« Es waren jedenfalls genug, um die Lage im Griff zu behalten. Am Freitag nachmittag gab es ein großes Willkommensfest für Flüchtlinge. 700 Teilnehmer wurden gezählt. Der einzige, der verbalen Unmut erregte, war Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der nach fünf Minuten Blitzbesuch wieder in seine Limousine sprang. Im Laufe des Freitagabends kesselte die Polizei rund 180 Rechte ein, die sich in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft angesammelt hatten. Sie erhielten Platzverweise und wurden erkennungsdienstlich erfasst. In Heidenau blieb es ruhig, aber im benachbarten Pirna zerstörten Unbekannte fünf Scheiben und die Eingangstür eines Büros der Linkspartei.
Ein starkes Zeichen gegen Rassismus setzten am Sonnabend nachmittag in Dresden 5.000 Demonstranten. Ein bunter Zug aus Aktivisten, Rentnern, Schülern und Studenten zog durch die Stadt. Sie prangerten den Umgang mit Flüchtlingen an und forderten von den politisch Verantwortlichen Konsequenzen. So wurden immer wieder Rufe nach dem Rücktritt des Landesinnenministers laut. Viele verurteilten auf Schildern die jüngsten Anschläge gegen Flüchtlingsheime oder schwenkten rote Fahnen. Anschließend fuhren etwa 400 Menschen weiter nach Heidenau, hier fand eine spontane Kundgebung, angemeldet vom Jenaer Pfarrer Lothar König, statt. Mit zahlreichen Flüchtlingen tanzten und feierten die Unterstützer auf der Straße vor deren Unterkunft.
Angesichts roher Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer hat der Forscher Wolfgang Frindte ein rigideres Vorgehen von Polizei und Justiz gefordert. Es sei zu beobachten, dass sich extrem Rechte und Rechtspopulisten neu sortieren. Der Experte schätzt lautdpa den Anteil derer, die rechtsmotivierte Gewalt befürworten, auf bis zu 30 Prozent der Bevölkerung. DerWelt am Sonntag zufolge ereignen sich Straftaten gegen Flüchtlinge oder deren Unterkünfte besonders häufig dort, wo die NPD im Stadt- oder Gemeinderat vertreten ist. Auch in Heidenau sitzt ein Neofaschist im Stadtparlament. Der Bürgermeister, Jürgen Opitz, wird mittlerweile bedroht und bekommt Personenschutz. »Meine Frau hat am Donnerstag einen Zettel im Briefkasten gefunden. Konkrete Gewaltandrohung«, sagte der CDU-Politiker dem Sonntag-Express. Er lasse sich aber nicht unterkriegen: »Ich werde weiter gegen Rassismus sprechen.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 31.08.15
Asyl ist ein individuelles Grundrecht. Das heißt, jeder hat das Recht auf eine genaue und persönliche Prüfung seines Antrags – egal, wo er herkommt. Die Debatte über sichere Herkunftsstaaten, Speziallager für bestimmte Flüchtlingsgruppen und repressive Maßnahmen geht aber genau in die entgegengesetzte Richtung. Asylbewerber vom Westbalkan werden nicht mehr als Individuen wahrgenommen, sondern nur noch als Massenerscheinung, auf die mit einem pauschalisierenden Ansatz reagiert wird. Was da vom Bund und den meisten Ländern betrieben wird, hat mit dem individuellen Schutzgedanken des Grundrechts auf Asyl nichts mehr zu tun.
Die Linke lehnt derartige Abschreckungsmaßnahmen ab. Vor dem Grundgesetz und dem darin enthaltenen Grundrecht auf Asyl sind alle gleich. Die Bundesregierung kann ihre Sonntagsreden über eine Willkommenskultur und ihre Empörung über Brandanschläge auf Asylunterkünfte stecken lassen, solange ihre Politik von Abschreckung, Repression und Stigmatisierung von Flüchtlingsgruppen geprägt ist.
Quelle: www.jungewelt.de vom 10.08.15
Das 2005 mit der Agenda 2010 eingeführte Sozialgesetz zwinge Hartz-IV-Bezieher dazu, sich das menschenwürdige Existenzminimum zu »verdienen«, sagte Petermann. Jobcenter könnten fast jede Arbeit für »zumutbar« erklären und Erwerbslose wie »Aufstocker« auch mit unsinnigen Pflichten belegen. Parieren sie nicht, werde ihnen »ganz legal« die Grundsicherung stufenweise weggekürzt. Dies sei »eine Art Strafrecht im Sozialgesetz«, das »Bedürftige rechtloser macht als Straftäter«. Letztere könnten nur durch Gerichte verurteilt werden. Nahrung, Obdach und Hilfe bei Krankheit dürfe selbst Schwerverbrechern nicht versagt werden. »Bei Hartz IV entscheidet dagegen eine Behörde über Gedeih und Verderb«, brachte es Petermann auf den Punkt. »Eine derartige Behandlung von Menschen ist für einen demokratischen Sozialstaat unverantwortlich«.
Petermann gehört jener Kammer des Sozialgerichts Gotha an, die im Mai das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe angerufen hat. Das soll nun erstmals die Sanktionspraxis prüfen. Entschieden hatte das BVerfG bisher nur zur Höhe der ungekürzten Regelleistung: 2010 befand es die Sätze für intransparent und fehlerhaft berechnet. Die Bundesregierung musste nachbessern. 2014 erklärte Karlsruhe die Leistungen für »gerade noch verfassungsgemäß«. Die durch Strafen geminderten Bezüge unterlägen indes gar keiner Bedarfsberechnung und wurden nie geprüft, erklärte Petermann. Er kann sich »nur schwer vorstellen, dass Karlsruhe das toleriert«. »Sanktionen gefährden nicht nur die Menschenwürde, sondern auch das Leben Betroffener«, stellte er klar. Zudem komme ihre Androhung einer Erpressung gleich, jede Arbeit anzunehmen. Das untergrabe das Grundrecht auf freie Wahl des Berufes.
Petermann sprach von einer juristischen und einer politischen Ebene, auf der die Praxis angegangen werden müsse. Letztere beschreibe die Stimmung, unter der die Agenda entstanden ist und fortgeführt wird. »Die Mehrheit ist meiner Einschätzung nach pro Sanktionen«, sagte er. Dabei spiele das Menschenbild vom »faulen Erwerbslosen« und gleichzeitiges Ausblenden wirtschaftlicher Faktoren eine tragende Rolle. Hier seien kritische Politiker gefordert. Bundestagsfraktionen könnten beispielsweise eine Normenkontrollklage in Karlsruhe erwirken. Diese würden in der Regel schneller beschieden als Richtervorlagen. Juristisch gehe es um die Auslegung von Gesetzen. Die sei sehr unterschiedlich. So deklarierte das BVerfG das physische und soziokulturelle Existenzminimum als »dem Grunde nach unverfügbar«. Aus dem Zusatz »dem Grunde nach« bastelten einige »Experten« die Einschränkung, dass Bedürftige verpflichtet werden könnten, ihr Minimum nur unter Einhalten von Auflagen zu erhalten. »Das ist schlicht falsch«, rügte Petermann. Ein weiteres Problem sieht er darin, dass Jobcenter bei Klagen von Betroffenen von der Zahlung der Gerichtskosten ausgenommen seien. Andere Behörden und Krankenkassen müssten etwa 150 Euro pro Verfahren löhnen. »Hätten Jobcenter auch diesen Druck, würde sich vielleicht etwas ändern«, vermutet Petermann.
Landrätin Sojka will auf politischer Ebene etwas bewirken. Denn als Kommunalpolitikerin kann sie nicht in ein Bundesgesetz eingreifen. Sie will »Problembewusstsein in den Jobcentern schaffen«, sagte sie bei der Diskussion am Freitag in Berlin. Sanktionen seien angesichts des Mangels an angemessen bezahlter Arbeit »absurd«. Im Kreis Altenburg lebe rund ein Viertel der Kinder unter Hartz-IV-Bedingungen. Die Armut produziere soziale Verwerfungen. Betroffene hätten oft »andere Sorgen, als den permanenten amtlichen Aufforderungen zu folgen«. »Da schlafen Jugendliche unter der Brücke, werden immer weiter sanktioniert, und ihre Sozialarbeiter betteln beim Jobcenter, damit sie etwas zu essen bekommen«, mahnte Sojka. Dies sei »eine Schande«. Die Obfrau des Landkreises versucht derzeit, ein Jugendwohnprojekt für Betroffene ins Leben zu rufen, wie sie jW berichtete. Anstatt die Verwaltung der Jobcenter fortwährend aufzustocken, um noch mehr zu sanktionieren, bedürfe es endlich echter Hilfe.
Quelle: www.jungewelt.de vom 10.08.15
Gysi: „Der Kapitalismus kann eine höchst effiziente und produktive Wirtschaft hervorbringen, es gibt so gut wie nie einen Mangel an Waren und Dienstleistungen.“. Dieser Satz, isoliert betrachtet, ist von seiner inhaltlichen Aussage her prinzipiell richtig! Auch Karl Marx und Friedrich Engels erkannten sachlich an, dass die Gesellschatsformation Kapitalismus gegenüber den vorherigen Gesellschaftsformationen (Feudalismus, Slavenhaltergesellschaft, Urgesellschaft) ungeheure Produktivkräfte entwickelte, freisetzte- und den allgemeinen Fortschritt innerhalb der technologischen, naturwissenschaftlichen und auch medizinischen Entwicklung beförderte. Wer das leugnet, ist politisch blind. Marx und Engels haben den Kapitalismus niemals auf einer moralischen Ebene kritisiert, im Sinne von „Gut oder Böse“- sondern sehr nüchtern, objektiv und analytisch. Die Quintessenz zu diesem Thema kann sinngemäß lauten: Die meisten Menschen leben innerhalb und unter dem Kapitalismus, innerhalb der komplexen Struktur des kapitalistischen Staates, also des gedachten und allgemeinen Gesamtkapitalisten, der bekanntlich weitestgehend die Interessen der Einzelkapitalisten schützt und fördert, auf Kosten der Allgemeinheit und der Natur, weit unter ihren soziokulturellen und ökonomischen Möglichkeiten! Die Errungenschaften des hoch entwickelten Kapitalismus kommt bekanntlich in erster Linie nur einer Minderheit zugute. Die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt dagegen im tiefen Schatten der Lebensmöglichkeiten, eher im tief schwarzen Keller. Sie erhalten nur die Krümel vom BIP eines Landes, vom technologischen, wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt. Allein schon deshalb ist der Kapitalismus eine völlig undemokratische Gesellschaftsformation, ganz abgesehen davon, dass der Kapitalismus nicht nur Ungleichheit, Massenelend, Massenentlassungen, die Ausbeutung der Natur und Kriege „produziert“, sondern davon lebt, dass dies sein eigentliches Wesen ausmacht. In dieser Hinsicht ist der Kapitalismus durchaus auch moralisch zu verurteilen. Deswegen lautet ja auch die Parole in ganz Europa: „Empört euch – gegen den Kapitalismus, seid eher wütend als nur empört!“. Seid wütend gegen die ausführenden Organe des kapitalistischen Staates, zu denen auch prokapitalistische Parteien, die Klassenjustiz, sein Militärapparat und seine willfährigen Intitutionen/Gruppen gehören! Aber zeigt auch konkrete Alternativen zum Status quo auf, zeigt möglichst konkrete Handlungsmöglichkeiten und Handlungsperspektiven auf, die man auch „vor Ort“ in politisch und ideologisch gut fundierte Aktionen umsetzen kann.
Gibt es im Dortmunder Polizeiapparat einen Maulwurf, der interne und sensible Informationen an Nazis weitergibt? Können Nazis deswegen eine Rollstuhlfahrerin terrorisieren? Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren soll das klären. Die Partei »Die Rechte«, Zentrum der besonders rücksichtlosen Nazi-Szene in Dortmund, macht wieder einmal von sich reden.
Vor einer Woche veröffentlichte sie über das Soziale Netzwerk Twitter ein polizeiliches Schreiben, das persönliche Daten einer Demonstrationsanmelderin enthält. Unter anderem den Namen und die Mobilfunk-Nummer. Zeitweilig war auch ein Foto online, in dem jemand den Behördenbrief, es handelt sich um einen Auflagenbescheid, in der Hand hielt.
Dorothea Moesch hatte eine Flüchtlingsunterstützerdemo im Stadtteil Mengede angemeldet. Nun wird die Rollstuhlnutzerin von anonymen Anrufern terrorisiert. Die sozialdemokratische Lokalpolitikerin, die sich seit Längerem gegen Nazis engagiert, wird nach eigenen Angaben beleidigt und mit dem Tod durch Verbrennen bedroht. Einmal behauptete ein Anrufer, ein Nazi-Kommando stünde vor der Haustüre. Ein Fehlalarm – doch seine Wirkung verfehlte er nicht.
Bedrohungen und Übergriffe auf Nazi-Gegner sind in Dortmund nichts Ungewöhnliches. Die Nazis glauben, Dortmund sei »ihre« Stadt und sie wurden und werden zum Teil noch durch das laxe Vorgehen der Behörden über Jahre in dieser Meinung bestärkt. Doch nun scheint eine neue Dimension erreicht: Wie kam der polizeiliche Auflagenbescheid in die Hände der Nazis?
Nach ersten Medienberichten schaltete Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange das Landeskriminalamt ein, das die Zuständigkeit an die Polizei Bochum übertrug. In Dortmunds Nachbarstadt wird nun ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eröffnet. Infrage kommen Straftatbestände wie Verletzung von Dienstgeheimnissen oder ein Verstoß gegen diverse Normen des Datenschutzes, so ein Behördensprecher zu »nd«. Im Klartext: Bochums Polizei soll herausfinden, ob es in Dortmunds Polizei ein Leck gibt, über das Informationen an Nazis fließen.
»Dass auch heute noch Polizisten mit Nazis sympathisieren, ist nicht auszuschließen«, meint die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke mit Blick auf die 1950er-Jahre, als der ehemalige SS-Obersturmbannführer Kriminaloberrat Dr. Josef Menke die dortige Kripo leitete und auf Betreiben des NRW-Innenministeriums gar zum Direktor des Landeskriminalamtes befördert werden sollte, was erst eine Intervention der Gewerkschaft ÖTV verhinderte. In den 1980ern seien Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos in Dortmund auf »Migrantenjagd« gegangen, erinnert die LINKE-Politikerin.
Seit 1999 kamen in Dortmund fünf Menschen durch Nazi-Attacken zu Tode. Darunter auch drei Polizisten, was heutige »Die Rechte«-Kader bejubelten. Jelpke fordert ein Verbot von »Die Rechte«: »Muss es in Dortmund erst wieder Tote geben?«, fragt sich die Innenpolitikerin
Mittlerweile wurde ein mutmaßlicher Droh-Anrufer ermittelt. Er soll Kontakte zu Dortmunder Neonazis unterhalten.
Quelle: Neues Deutschland vom 08.07.15
Sonntagsarbeit ist eigentlich verboten. Für die Deutsche Post AG gelten im Tarifkonflikt aber keine Gesetze, nicht einmal die biblischen. Weil sich durch den inzwischen drei Wochen andauernden Ausstand in den Depots Briefe und Pakete türmen, hatte das Unternehmen am vergangenen Sonntag bundesweit 11.000 »freiwillige« Aushilfskräfte losgeschickt, um die liegengebliebenen Sendungen auszutragen. Was der Konzern als »vollen Erfolg« verbuchte, ist für die Gewerkschaft ver.di ein rechtswidriger Einsatz von Streikbrechern. Missmut regt sich auch auf seiten der Politik. Das Arbeitsministerium in Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie das in Thüringen wollen die Angelegenheit prüfen und drohen mit Bußgeldern.
Die Post beruft sich bei der Maßnahme auf eine Regelung des Arbeitszeitgesetzes, nach der in Verkehrsbetrieben und beim Transport von verderblichen Waren vom allgemeinen Sonntagsarbeitsverbot abgewichen werden kann. In Paketen und Großbriefen würden jeden Tag nicht nur Lebensmittel, sondern auch medizinische Güter und Labormaterial befördert, ließ ein Post-Sprecher verlauten. Für NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) hat diese Konstruktion »keine Substanz«, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte: »Das Unternehmen ist zu einem beträchtlichen Teil in öffentlichem Eigentum, und dies beinhaltet den Auftrag, sich an bestehende Gesetze zu halten.« Er habe Arbeitsschützer angewiesen, die Fälle zu untersuchen, gegebenenfalls würden Strafzahlungen verhängt.
Wie in NRW hatte die Post auch in Thüringen für die Sonntagsarbeit keine Ausnahmegenehmigungen bei der Gewerbeaufsicht beantragt, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist. So oder so hätte die Thüringer Sozialministerin Heike Werner (Die Linke) kein grünes Licht gegeben. Es gibt »keinen zwingenden Grund, warum gewöhnliche Briefe und Pakete am Sonntag zugestellt werden müssen«, erklärte sie am Donnerstag. Zudem sei die Politik »zur Neutralität in Arbeitskämpfen verpflichtet«. Kritik kam auch von Werners Amtskollegen in Hamburg und Baden-Württemberg.
Streikbruch wird bei der Post gut bezahlt. Nach Angaben von ver.di Hamburg wurden die fraglichen Kräfte mit einer steuerfreien Prämie von 100 Euro in bar, einem Sonntagszuschlag von 30 Prozent und einer Extravergütung für die Wegzeit zur Arbeitsstätte gelockt. Zum Einsatz gekommen seien Stammkräfte aus nicht bestreikten Betriebsteilen, befristet Beschäftigte sowie Betriebsfremde. So wurden zum Beispiel Studierende angeworben (siehe jW vom 25.6.). Nach Einschätzung der stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden und Verhandlungsführerin Andrea Kocsis unterläuft der Konzern damit das grundgesetzlich garantierte Streikrecht. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) dagegen befand, die Post habe die Notwendigkeit des Einsatzes »vorerst plausibel« dargelegt.
Die Post bedient sich noch anderer zweifelhafter Methoden. Das Arbeitsgericht Bonn muss sich seit Mittwoch erneut mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung wegen des unzulässigen Einsatzes von Beamten befassen. Und wie ver.di mitteilte, werden entgegen einem Urteil des Arbeitsgerichtes vom 26. Mai 2015 Staatsbedienstete weiterhin gegen ihren Willen auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt. Von ver.di Hamburg kommt der Vorwurf, der gelbe Riese lasse leere Postwagen von Beamten durch die Gegend kutschieren, um Betrieb zu simulieren. Und die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtete am Freitag von slowakischen Saisonarbeitern, die in einem Paketzentrum in Greven nahe Münster als Aushilfen beschäftigt werden. Sie müssen in beengten Containern hausen, laut Betroffenen gegen täglich zehn Euro Miete und ohne Mittagessen.
Am Freitag wurde der Arbeitskampf bei der Post abermals ausgeweitet. In NRW hätten mittlerweile insgesamt 7.500 Mitarbeiter die Arbeit niedergelegt, gab ver.di bekannt, 500 mehr als zu Wochenanfang. Bundesweit liege die Zahl der Streikenden damit bei 32.500. Immerhin will der Konzern künftig vielleicht von Sonntagsarbeit absehen. Für das kommende Wochenende gebe es dafür keine Pläne, erklärte ein Post-Sprecher am Donnerstag in Stuttgart.
Quelle. www.jungewelt.de vom 27.06.12015
„Die Bundesregierung inszeniert einen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, weigert sich aber, eine Politik einzuleiten, die Konsequenzen aus dem Elend heutiger Flüchtlinge und Vertriebener zieht“, kritisieren die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, und die kulturpolitische Sprecherin, Sigrid Hupach, anlässlich des morgigen Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung.
Ulla Jelpke erklärt dazu weiter: „Während die Bundesregierung über Jahrzehnte hinweg die sogenannten Heimatvertriebenen der deutschen Ostgebiete verhätschelt hat, begegnet sie Flüchtlingen der Gegenwart mit kalter Ablehnung. Die Zahl der Flüchtlinge, die ihr Leben lassen, weil ihnen die politisch Verantwortlichen Europas die legale Einreise nach Europa verwehren, ist erschreckend und beschämend. In Köln werden heute in 230 Kirchen die Totenglocken jeweils 100 Mal läuten. Sie läuten für die 23.000 Flüchtlinge, die seit dem Jahr 2000 im Mittelmeer den Tod gefunden haben. Es ist ein Gebot der Humanität, diesen Flüchtlingen eine Stimme zu verleihen und sie aus der Anonymität herauszuholen, so wie es dieser Tage eine Künstlerinitiative in Berlin versucht. Solange wir nicht Verantwortung übernehmen und eine Flüchtlingspolitik schaffen, die Schutzbedürftige als Individuen behandelt und auf Integration statt auf Abschottung baut, ist jeder Tag Weltflüchtlingstag.“
Sigrid Hupach erklärt dazu weiter: „Gedenktage sagen viel über den Umgang eines Staates mit seiner Geschichte aus. Das Gedenken an die Flüchtlingstragödien in der Welt um das Gedenken an die deutschen ‚Heimatvertriebenen‘ zu erweitern, weckt zwangsläufig die Befürchtung, dass hier Relativierung und Revisionismus Vorschub geleistet werden soll. Dabei ist es völlig unangemessen, am Weltflüchtlingstag ausgerechnet die Interessen des Bundes der Vertriebenen in den Vordergrund zu stellen. Die Bundesregierung sollte den neuen Gedenktag dazu nutzen, ihren aktuellen Umgang mit Flüchtlingen und Vertriebenen zu hinterfragen und eine Flüchtlingspolitik einzuleiten, die dazu beiträgt, dass es einen solchen Gedenktag künftig nicht mehr braucht!“
Samstag, 20. Juni, 13 Uhr, Oranienplatz, Berlin-Kreuzberg
Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, soll in Berlin eine Großdemonstration für die Rechte von Asylsuchenden stattfinden. Das erklärten am Mittwoch Vertreter der Linkspartei sowie des »Bündnisses für bedingungsloses Bleiberecht« und der Initiative »Europa. Anders. Machen.« in der Hauptstadt. Sie kritisierten den unmenschlichen Umgang der Bundesrepublik mit den Schutzsuchenden. Zweiter Themenschwerpunkt des Umzuges soll die Solidarität mit Griechenland werden. Welche Rolle man der Europäischen Union dabei zuschreibt, ist unter den drei Organisationen allerdings umstritten.
»Wir haben eine Verpflichtung, eine andere Stimmung gegenüber Flüchtlingen zu organisieren«, sagte Gregor Gysi, Vorsitzender der Linksfraktion. Die Situation in der Bundesrepublik spitze sich zu, meinte das Bundestagsmitglied, es herrsche eine »unerträgliche Haltung«. Die bestehe auch deshalb, weil sich zu viele Menschen von abstrakten Ängsten leiten ließen. Anders sei es nicht zu erklären, dass die Fremdenfeindlichkeit dort am stärksten ist, wo die wenigsten Migranten und Flüchtlinge leben. »Die Politik, und da nehme ich uns nicht aus, hat nicht genügend aufgeklärt«, erklärte Gysi.
Doch es sei nicht nur eine andere Haltung in Flüchtlingsfragen nötig. »Wir brauchen auch eine Änderung des Rechts in diesem Land.« Weit verbreitet sei etwa das Bild der arbeitsscheuen Asylsuchenden. »Es ist aber das Gesetz, das Flüchtlingen verbietet, zu arbeiten«, sagte Gysi.
Gegen eine weitere Verschärfung dieser Rechtslage kämpft das »Bündnis für ein bedingungsloses Bleiberecht« an. Der im Februar entstandene Zusammenschluss verschiedener linker Organisationen wendet sich gegen das sogenannte Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung. Dessen Entwurf sieht eine Ausweitung jener Kriterien vor, nach denen Asylsuchende abgeschoben werden können.
»Dieses Gesetz gehört zu den schäbigsten Bestrebungen der Regierung gegen Flüchtlinge«, sagte Marcus Staiger, Sprecher des Bündnisses. Es entspreche genau den Forderungen von Pegida. Bis zu 18 Monate könnten der neuen Regelung zufolge Schutzsuchende weggesperrt werden, die aus einem anderen EU-Land in die Bundesrepublik kommen, um hier Asyl zu beantragen. »Aber Flucht ist kein Verbrechen«, so Staiger.
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.05.15
Die Aktivisten für ein bedingungsloses Bleiberecht wollen die Flüchtlingsfrage grundsätzlicher stellen. »Es geht um die Abschaffung dieses Gesellschaftssystems, denn das findet keine Antworten für die Menschen«, sagte Staiger. Die Asylsuchenden würden oft in ihren Herkunftsländern als überflüssig betrachtet. In Europa angekommen, behandele man sie abermals als Problem. »Die freie Marktwirtschaft reitet in jedem Land der Welt ein, aber ausreichend Jobs bringt sie nicht mit«, sagte Staiger. Eine Unterscheidung zwischen Kriegs- und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen sei deshalb unsinnig.
Namensgebend für den Protestzug am 20. Juni ist die Initiative »Europa. Anders. Machen.« In deren Aufruf heißt es, man habe »heute allen Grund, entsetzt zu sein«. Europas – gemeint ist die EU – »demokratisches und soziales Versprechen« sei zu einer Farce verkommen. Statt die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen zu verstärken, würden Grenzschutzorganisationen wie Frontex aufgebaut. Das Schreiben wurde mittlerweile von zahlreichen Hilfsorganisationen sowie Mitgliedern und Abgeordneten von Linkspartei und Grünen unterzeichnet.
Man sei für ein »Europa der Solidarität und der Menschenwürde«, sagte Theresa Kalmer von der Initiative. Nutzen wolle man den Demonstrationszug zudem, um die Verbundenheit mit der griechischen Bevölkerung zu zeigen. »Wir stellen uns klar gegen einen Grexit, der zur Zeit überall gefordert wird«, sagte Kalmer.
Ähnlich formulierte es auch Gregor Gysi. Es sei kurzsichtig, Griechenland weitere Spardiktate aufzuerlegen. »Viel klüger war der Marshallplan der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, also die Entscheidung für den Aufbau.« Ein solches Vorgehen sollte die deutsche Regierung anstreben. Dann, sagte Gysi, stünde auch die Bundesrepublik »besser mit den Exporten da«. Ansonsten mache das Kabinett »Europa kaputt«.
Nicht alle halten das für eine Katastrophe. Auf Nachfrage von junge Welt erklärte Marcus Staiger, dass es nicht genüge, »im Bestehenden Kleinigkeiten besser zu machen«. Um eine solidarischere Gesellschaftsform zu erreichen, müssten zunächst die gesamten EU-Strukturen weg. Unterschreiben würde Staiger den Aufruf von »Europa. Anders. Machen.« entsprechend nicht. Auch einem Aufbauprogramm für Südeuropa steht Staiger skeptisch gegenüber. »Was Griechenland braucht, ist die Enteignung der Gläubiger!«
Aus Protest gegen weitere Kürzungspläne der griechischen Regierung haben rund 200 Mitglieder der griechischen Gewerkschaftsfront PAME, die der Kommunistischen Partei nahesteht, am Donnerstag morgen das Finanzministerium in Athen besetzt. Wie das Fernsehen zeigte, hängten die Besetzer ein Transparent an die Fassade des Gebäudes. »Wir haben genug geblutet! Wir haben genug gezahlt!«, hieß es auf dem Riesentransparent. Die Polizei griff zunächst nicht ein. Für den heutigen Donnerstag hat die PAME zu einem landesweiten Aktionstag aufgerufen, um gegen neue Kürzungen durch die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras zu demonstrieren. 650 Betriebsgewerkschaften und Basisorganisationen haben sich dem Aufruf angeschlossen.
Unterdessen hat der Verwaltungsgerichtshof in Athen die im Rahmen des Kürzungsprogramms vor drei Jahren verhängten Rentenkürzungen in Griechenland für verfassungswidrig erklärt und ihre Rücknahme angeordnet. Nach Schätzungen der griechischen Finanzpresse muss der Staat nun pro Jahr etwa 1,5 Milliarden Euro mehr aufbringen. Wie es aus Kreisen der Regierung am Donnerstag hieß, will das Finanzministerium zunächst das schriftliche Urteil abwarten. Die Regierung werde auf alle Fälle die Vorgaben der Verfassung einhalten.
Am Donnerstag morgen nahm auch der vor zwei Jahren geschlossene öffentlich-rechtliche Rundfunk ERT seinen Sendebetrieb wieder auf. Das Programm startete um 6.00 Uhr Ortszeit (5.00 Uhr MESZ) mit der Nationalhymne. In der folgenden Informationssendung versprachen zwei Moderatoren »Fernsehen für die Griechen, das von keiner Regierung kontrolliert werden wird«.
Die Schließung des Senders hatte vor zwei Jahren für einen Aufschrei gesorgt und monatelange Proteste ausgelöst. Vor dem Fernsehgebäude fanden zahlreiche Großkundgebungen statt. Ehemalige ERT-Beschäftigte hielten den Sender fünf Monate lang besetzt und strahlten ein Notprogramm über das Internet aus. Ende April beschloss das Parlament vor allem mit den Stimmen der neuen Regierungsmehrheit seine Wiedereröffnung. Für den Sender wurde ein Jahresetat von 60 Millionen Euro festgelegt, der durch eine Rundfunkgebühr von drei Euro pro Monat erbracht werden soll. Laut dem Parlamentsbeschluss sollten 1.550 frühere ERT-Mitarbeiter wieder eingestellt werden. Mit der Wiedereröffnung des Senders löste die Linkspartei Syriza eines ihrer Wahlkampfversprechen ein.(dpa/AFP/jW)
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.06.15