Wolfgang Huste Polit- Blog

Linke-Politikerin festgenommen. Von Nick Brauns

Freitag, 16. November 2012 von Huste

Istanbul. Die frühere Europaabgeordnete der Partei Die Linke, Feleknas Uca aus Celle, ist am Mittwoch abend auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul festgenommen worden. Die Polizei wirft ihr vor, 248 Dosen mit Vitamin-B-Präparaten geschmuggelt zu haben. Die beschlagnahmten Vitamintabletten waren für kurdische politische Gefangene bestimmt, die seit mehr als zwei Monaten im Hungerstreik sind. Im Polizeiverhör äußerte sich Uca in ihrer kurdischen Muttersprache. Die Möglichkeit, sich vor Gericht auf kurdisch zu verteidigen, ist eine zentrale Forderung der Hungerstreikenden.

Quelle: www.jungewelt.de vom 16.11.121

Skandalurteil gegen Antifaschisten. Deniz K. zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Richter läßt Gerichtssaal mit Polizeigewalt räumen. Von Markus Bernhardt

Freitag, 16. November 2012 von Huste

Der erst 19jährige Antifaschist Deniz K. ist am Mittwoch nachmittag vom Landgericht Nürnberg-Fürth zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er soll während einer Demonstration gegen den Naziterror des NSU am 31. März in Nürnberg mit einer zwei Zentimeter starken Fahnenstange auf Polizeibeamte eingestochen haben (jW berichtete). Die Staatsanwaltschaft warf ihm »versuchten Totschlag« vor. Allerdings soll Augenzeugenberichten zufolge die Polizei, die Demonstration ohne Grund angegriffen haben. Auch nachdem bekannt wurde, daß sich nach der Protestaktion keiner der mit Brustpanzern und Helmen ausgestatteten Beamten verletzt gemeldet hatte, hielten die Behörden an dem Vorwurf fest.

Der Vorsitzende Richter Dieter Weidlich verurteilte K. wegen »versuchter Körperverletzung«. Er blieb unter dem von der Oberstaatsanwältin Ulrike Pauckstadt-Maihold geforderten dreieinhalb Jahren Strafmaß. K. sitzt bereits seit April diesen Jahres in Untersuchungshaft und hat deshalb seinen Ausbildungsplatz verloren.

Das Urteil löste erwartungsgemäß Tumulte bei den mehreren Dutzend Unterstützern des jungen Mannes aus, die den Prozeß verfolgten. Die Zuschauer forderten lautstark die sofortige »Freiheit für Deniz« und skandierten antifaschistische Parolen. Richter Weidlich ließ daraufhin den Saal mit Hilfe der Polizei räumen. Augenzeugenberichten zufolge sollen die Beamten mit gezielten Faustschlägen gegen die Zuschauer vorgegangen sein, um sie aus dem Saal zu drängen.

Das Solidaritätskomitee »Freiheit für Deniz K.« übte am Donnerstag scharfe Kritik am Vorgehen des Gerichts. Zwar zeigte sich Sprecher Benedikt Kratscher gegenüber jW erleichtert, daß der Antifaschist nicht wegen »versuchtem Totschlag« verurteilt wurde. Er protestierte jedoch gegen die Feststellung des Richters, es habe sich um kein politisches Verfahren gehandelt: »Daß der Prozeß gegen Deniz kein politischer sei, sehen wir als schlechten Witz. Die gesamte Verhandlung hindurch war der Belastungseifer der Beamten beinahe greifbar«, so Kratscher. Die Polizei habe gar »massive Verstöße und Rechtsbrüche« billigend in Kauf genommen, um »Deniz zu einer Polizisten mordenden Bestie zu stilisieren«.

Entsetzt zeigte sich auch Heinrich Fink, ehemaliger Rektor der Berliner Humboldt-Universität und Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). »Polizei und Gericht sollten lieber gegen den ausufernden Naziterror in diesem Land vorgehen und ihre eigenen Verstrickungen in diesem Bereich aufarbeiten, anstatt Vorwürfe gegen engagierte Antifaschisten zu konstruieren und diese ohne mit der Wimper zu zucken über Jahre wegzusperren«, so Fink am Mittwoch im Gespräch mit jW. Neben diversen Antifagruppen schloß sich der Theologe der Forderung nach Freilassung von Deniz K. an.

denizk.blogsport.de

Spendenkonto: Rote Hilfe, GLS, Kto.: 4007238359, BLZ: 43060967, Verwendungszweck: »Freiheit für Deniz«

Quelle: www.jungewelt.de vomn 16.11.12

Eingeschleuster Aufsteiger. NSU-Skandal: V-Mann in Bayerns Neonaziszene soll 150000 Mark vom Geheimdienst erhalten haben

Freitag, 16. November 2012 von Huste

Der V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, Kai Dalek, hat nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in den 1990er Jahren monatlich rund 800 D-Mark für seine Mitwirkung am Aufbau des »Thule-Netzes« erhalten – eines bundesweiten Mailbox-Systems, mit dem Neonazis »Anti-Antifa«-Informationen über politische Gegner austauschten und Aktionen planten. Der Untersuchungsausschuß des Landtags zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) befaßt sich mit der Rolle des Kronacher Computerfachmanns unter anderem, weil er späteren Gründungsmitgliedern der Terrorgruppe zumindest bei Stammtischen begegnet sein soll. Die SZ berichtete am Donnerstag, Dalek habe auf VS-Anweisung gehandelt, als er sich »Zugang« zum Thule-Netz verschaffte. Er sei kein überzeugter Rechtsextremist gewesen, sondern in die Szene eingeschleust worden. Als Quellen wurden in dem Bericht »Sicherheitskreise« und »mit dem Sachverhalt vertraute Personen« genannt. Letztere gehen laut SZ davon aus, daß in den Jahren 1987 bis 1998 nach vorsichtiger Schätzung rund 150000 D-Mark vom bayerischen VS an Dalek geflossen sein könnten – neben den V-Mann-Honoraren seien in Auslagen für die Technik und den Betrieb seines Knotenpunktes erstattet worden. Der zum wichtigen Kader aufgestiegene Mann mit dem Thule-Pseudonym »Undertaker« (»Leichenbestatter«) soll sich dem Nachrichtendienst selbst angeboten haben, nachdem er in den 80er Jahren von Berlin nach Bayern gezogen war. Er sei ein »Mietmaul« gewesen und habe in Berlin zuvor die linke Szene ausspioniert, schrieb die SZ ohne Quellenangabe. Nun stehe die Frage im Raum, ob der Mann gezielt zu einem führenden Neonazi aufgebaut worden oder »schlicht aus dem Ruder« gelaufen sei. Das Innenministerium wollte dazu keine Stellungnahme abgeben. Der frühere bayerische Verfassungsschutzpräsident Gerhard Forster hatte am Dienstag zum zweiten Mal im Untersuchungsausschuß des Landtags aussagen müssen – und in öffentlicher Sitzung so gut wie nichts gesagt. (jW)

Quelle: www.jungewelt.de vom 16.11.12

Stadt trotz ­NPD-Drohung

Freitag, 16. November 2012 von Huste

Frankfurt (Oder). Die neofaschistische NPD hat der Stadt Frankfurt (Oder) eine Klage vor dem Verwaltungsgericht angedroht. Hintergrund sei ein auf der Internetseite der Stadt veröffentlichter Aufruf von Stadtverordnetenvorsteher Peter Fritsch, sagte ein Rathaussprecher am Donnerstag und bestätigte damit einen Bericht der Märkischen Oderzeitung. Darin hatte Fritsch im Zusammenhang mit einem NPD-Aufzug am vergangenen Wochenende dazu aufgerufen, »gegen die demokratiefeindliche und menschenverachtende NPD« zu protestieren. Die Partei forderte die Stadt über einen Anwalt auf, die Mitteilung »wegen rechtswidriger Hetze gegen die NPD« aus dem Netz zu nehmen. Die Stadt sollte eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Die Frist lief inzwischen ab. Der Aufruf stand am Donnerstag weiter auf der Stadtseite. »Wir stehen dazu«, sagte der Rathaussprecher. (dapd/jW)

Quelle: www.jungewelt.de vom 16.11.12

»Für die Völker des Südens hat der dritte Weltkrieg längst begonnen« Der deutsche Faschismus brauchte sechs Jahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen. Der Neoliberalismus schafft das locker in gut einem Jahr. Ein Gespräch mit Jean Ziegler Interview: Peter Wolter

Freitag, 16. November 2012 von Huste

Der Schweizer Jean Ziegler war der erste UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und ist heute Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates.

Wir lassen sie verhungern« heißt Ihr neues Buch – Untertitel: »Massenvernichtung in der Dritten Welt.« Wer ist verantwortlich dafür, daß Millionen Menschen jedes Jahr verhungern?
Der »World Food Report« der UN sagt: Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, 57000 Menschen jeden Tag. Von den sieben Milliarden Menschen, die es heute auf der Welt gibt, ist ein Siebtel permanent schwerstens unterernährt. Zugleich stellt der Report aber fest, daß die Weltlandwirtschaft nach dem heutigen Stand der Produktivkräfte problemlos zwölf Milliarden Menschen ernähren kann. Anders als noch vor wenigen Jahrzehnten gibt es heute keinen objektiven Mangel mehr – das Problem ist nicht die Produktion, sondern der Zugang zur Nahrung. Und der hängt von der Kaufkraft ab – jedes Kind wird ermordet, das während unseres Gesprächs verhungert.

Wer also sind die Herren dieser kannibalischen Weltordnung? Da möchte ich zunächst die zehn größten multinationalen Konzerne nennen, die 85 Prozent der weltweit gehandelten Lebensmittel kontrollieren – sie entscheiden jeden Tag, wer ißt und lebt, wer hungert und stirbt. Ihre Strategie ist die Profitmaximierung.

Können Sie Namen nennen?

Die US-Firma Cargill Incorporated hat vergangenes Jahr 31,8 Prozent des weltweit gehandelten Getreides kontrolliert, die Dreyfus Brothers 31,2 Prozent des Reises. Ich will kurz die vier wichtigsten Mechanismen identifizieren, die den Hunger verursachen.

Zunächst wäre da die Börsenspekulation mit Grundnahrungsmitteln. Der internationale Banken-Banditismus hatte 2007/2008 an den Finanzbörsen rund 85000 Milliarden Dollar Vermögenswerte vernichtet. Seitdem sind die meisten Hedgefonds und Großbanken auf die Rohstoffbörsen umgestiegen, vor allem auf Agrarprodukte. Wie gehabt wird auch auf diesem Sektor weiter mit Derivaten, »Short Selling« und anderen legalen Finanzinstrumenten gehandelt, um mit Reis, Mais und anderem Getreide astronomische Profite einzufahren. Mais z. B. ist auf dem Weltmarkt in den vergangenen zwölf Monaten um 63 Prozent teurer geworden, die Tonne Weizen hat sich auf 272 Euro verdoppelt, der Preis für philippinischen Reis ist regelrecht explodiert: von 110 auf 1 200 Dollar.

Das können in der Dritten Welt aber nur wenige bezahlen …
Laut Weltbank müssen 1,2 Milliarden Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag leben – sie hausen in den Slums der Welt: in Manila, Karatschi, Mexiko-Stadt, Sao Paulo usw. Von dieser winzigen Summe müssen Mütter ihre Kinder ernähren – wenn die Lebensmittelpreise explodieren, verhungern sie.

Ein zweiter mörderischer Mechanismus ist der zunehmende Einsatz von Agrar-Treibstoffen. Alleine in den USA wurden 2011 aus 138 Millionen Tonnen Mais und Hunderten Millionen Tonnen Getreide Biomethanol und Biodiesel hergestellt. Das Land verbraucht jeden Tag das Äquivalent von 20 Millionen Barrel (158 Liter) Erdöl – zwischen Alaska und Texas werden aber nur acht gefördert. Zwölf müssen eingeführt werden, aus Irak, Nigeria, Zentralasien, Saudi-Arabien und anderen gefährlichen Ländern.

Das bedeutet, daß die USA unglaubliche Summen für ihr Militär ausgeben müssen, Obama will daher fossile durch vegetale Energie ersetzen. Aber Hunderte von Millionen Tonnen Nahrungsmitteln auf einem Planeten zu verbrennen, wo alle fünf Sekunden ein Kind verhungert, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Und der dritte Mechanismus?

Das ist die Überschuldung der ärmsten Länder. Von den 54 Staaten Afrikas sind 37 reine Agrarstaaten mit meist geringer Produktivität. Sie haben kein Geld, um in Bewässerung, Agrartechnik oder Dünger zu investieren. Nur 3,8 Prozent der Fläche Schwarzafrikas ist bewässert – auf dem Rest wird Regenlandwirtschaft wie vor 5000 Jahren betrieben.

In einem normalen Jahr – ohne Krieg, Dürre oder Heuschrecken – wird in der Niger/Sahel-Zone durchschnittlich 600 bis 700 Kilogramm Getreide pro Hektar geerntet. In Baden-Württemberg hingegen sind es 10000 Kilogramm. Der deutsche Bauer ist nicht fleißiger oder klüger als sein afrikanischer Kollege – im Unterschied zu ihm hat er aber Mineraldünger, selektiertes Saatgut, Bewässerung, Traktoren etc. Dem afrikanischen Bauern kann auch sein Staat nicht helfen – der hat nämlich nur Schulden.

An diesem Punkt kommen öffentliche Finanzinstitute wie die Weltbank oder die Europäische Entwicklungsbank ins Spiel. Die sagen diesen Staaten: Baut Eure Schulden dadurch ab, daß Ihr das Ackerland Hedgefonds und Investoren überschreibt. »Landgrabbing« nennt sich das, alleine in Afrika waren es im vergangenen Jahr 41 Millionen Hektar. Diese Investoren haben Kapital, Technik, Transportmittel und Handelsbeziehungen. Sie pflanzen auf diesem Land dann Produkte an wie Avocados, Südfrüchte, Kaffee etc – für den Export nach Europa oder Nordamerika. Für die Versorgung der einheimischen Bevölkerung bleibt nichts übrig.

Einen vierter Mordmechanismus ist das Agrardumping. Auf jedem afrikanischen Markt können sie heute frisches Gemüse, Geflügel und Früchte aus Italien, Frankreich oder Deutschland kaufen, je nach Saison um die Hälfte oder ein Drittel billiger als gleichwertige einheimische Erzeugnisse. Ein paar Kilometer weiter rackert sich der afrikanische Bauer mit Frau und Kindern in brüllender Hitze ab und hat nicht die geringste Chance, auch nur das Existenzminimum für seine Familie zu erwirtschaften.

Das, was die Kommissare in Brüssel anrichten, ist abgrundtief verlogen: Durch ihre Dumpingpolitik fabrizieren sie den Hunger in Afrika – und wenn die Hungerflüchtlinge sich nach Europa retten wollen, werden sie mit militärischen Mitteln brutal ins Meer zurückgeworfen, wo jedes Jahr Tausende ertrinken.

Gibt es eine Schätzung, wie viele Menschen durch die Wirtschaftspolitik der entwickelten kapitalistischen Staaten ums Leben gekommen sind?

Laut ECOSOC-Statistik sind vergangenes Jahr 52 Millionen Menschen Epidemien, verseuchtem Wasser, Hunger und Mangelkrankheiten zum Opfer gefallen. Der deutsche Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen – die neoliberale Wirtschaftsordnung schafft das locker in wenig mehr als einem Jahr.

Haben Sie mit Ihrer Arbeit in den UN etwas bewegen können?

Wohl eher mit meinen Veröffentlichungen. Mein Buch basiert nicht nur auf Statistik, es ist auch ein Erlebnisbericht, ich habe die Lage in vielen Ländern an Ort und Stelle studiert. Ich kann jetzt genau sagen, wer die Halunken sind – kann aber auch darauf hinweisen, welche Hoffnungen es gibt.

Für die Völker des Südens hat der dritte Weltkrieg längst begonnen. Solange wir schweigen, sind wir Komplizen der Mörder. Che Guevara hat gesagt: »Auch die stärksten Mauern fallen durch Risse« – und diese Risse werden zunehmend sichtbar!

Immer mehr Menschen wird es klar, daß diese kannibalische Weltordnung von Menschen gemacht wurde und auch von ihnen gestürzt werden kann. Mit der Mobilisierung der Zivilgesellschaft – ATTAC, Greenpeace, Via Campesina usw. – ist ein neues historisches Subjekt entstanden. Ihr einziger Motor ist der moralische Imperativ – Immanuel Kant hat gesagt: »Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.«

Da möchte ich Deutschland hervorheben: Dieses Land ist die wohl lebendigste Demokratie Europas und immerhin die drittgröße Wirtschaftsmacht der Welt. Das Grundgesetz gibt alle Waffen in die Hand, um die mörderischen Mechanismen, die Millionen Menschen durch Hunger töten, auf demokratischem und friedlichem Wege zu brechen. Karl Marx sagt: »Der Revolutionär muß imstande sein, das Gras wachsen zu hören« – der Aufstand des Gewissens in Europa steht bevor

Jean Ziegler: Wir lassen sie verhungern – Die Massenvernichtung in der Dritten Welt (Originaltitel: Destruction Massive, Paris 2011). Bertelsmann, München 2012, 320 Seiten, 19,99 Euro * (kann auch über den junge Welt-Shop bestellt werden)

Quelle: www.jungewelt.de vom 16.11.12

Europäische Streikunion

Donnerstag, 15. November 2012 von Huste

Als »historischen Moment in der europäischen Gewerkschaftsbewegung« hat der Europäi­sche Gewerkschaftsbund (EGB) die Proteste vom Mittwoch gegen die von EU und Internationalem Währungsfonds verordnete sozialfeindliche Kürzungspolitik bezeichnet. Millionen Beschäftigte in etlichen Ländern traten in den Streik oder beteiligten sich an großen Demonstrationen. Zur Arbeitsniederlegung hatten Gewerkschaften in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Belgien aufgerufen. Beschäftigte des belgischen Bahnbetreibers SNCB hatten schon am Dienstag abend einen 24stündigen Streik begonnen. Der Hochgeschwindigkeitszug Thalys zwischen Deutschland und Belgien verkehrte nicht. Auch in Frankreich gingen mehr als zehntausend Menschen gegen die Kürzungsmaßnahmen auf die Straße.
Portugal: Verarmung stoppen

»Streikt! Für uns und für euch!« Die Parole des Tages wurde am Montag überall in Portugal befolgt. Das iberische Land erlebte eine der größten landesweiten Arbeitsniederlegungen seiner Geschichte. Dem Aufruf der größten Gewerkschaftszentrale, der kommunistisch beeinflußten CGTP-Intersindical, hatten sich neben unabhängigen auch Dutzende Einzelgewerkschaften der den Sozialisten nahestehenden UGT angeschlossen. Der Nah- und Fernverkehr mit Bussen, Bahnen oder Fähren kam fast vollständig zum Erliegen. In den großen Städten fiel die Müllabfuhr komplett aus. In den Krankenhäusern blieben lediglich die Notaufnahmen in Betrieb. CGTP-Generalsekretär Arménio Carlos hob den länderübergreifenden Charakter des Streiks hervor, der sich »gegen eine Politik der Zerstörung von Ökonomie und Beschäftigung, gegen Verarmung und Vertiefung der Ungleichheit« richte. Seit Beginn der Krise hat sich Portugals Arbeitslosenrate mehr als verdoppelt. Mit offiziell 15,8 Prozent hat sie einen absoluten Rekordstand erreicht. Premierminister Pedro Passos Coelho erklärte zum Streik, seine Regierung lasse sich davon nicht nervös machen und lobte alle Portugiesen, die am Montag ihrer Arbeit nachgingen
Peter Steiniger
Spanien: Prügelnde Polizei

Der zweite Generalstreik in diesem Jahr hatte seit den frühen Morgenstunden weite Teile des öffentlichen Lebens in Spanien lahmgelegt. Während die Regierung eine geringe Beteiligung unterstellte, sprachen die Gewerkschaften von einer Streikteilnahme um die 80 Prozent. Seit den frühen Morgenstunden wurden in vielen Städten die Zufahrten zu Fabriken blockiert.
Fast alle Beschäftigten der Automobilfabriken von Seat und Nissan waren dem Streikaufruf gefolgt. Auch in der Schwerindustrie gab es eine breite Beteiligung. Der öffentliche Verkehr war nahezu lahmgelegt. Im Gesundheitswesen wurden nur Notfälle behandelt. Eine breite Beteiligung am Generalstreik gab es auch in Asturien. An der Demonstration am Mittag in Gijon nahmen laut Gewerkschaftsangaben 12000 Personen teil.

In ganz Spanien wurden am Mittwoch über 80 Demonstranten festgenommen, über 30 Menschen wurden bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften verletzt. In Valencia und Tarragona kam es am Vormittag zu brutalen Prügeleinsätzen der Polizei gegen Demonstrierende, ein zehnjähriger Junge wurde dabei am Kopf verletzt. Auch in Madrid ging die Polizei brutal gegen Streikende vor.

Carles Solà und Mela Theurer, Barcelona
Italien: Politik des Niedergangs
Mit Streiks, Protestaktionen und Großkundgebungen haben Gewerkschaften, Arbeitslose und Studenten in Italien massiv gegen die Kürzungspolitik der EU und der Regierung in Rom demonstriert. Zehntausende Menschen gingen in allen italienischen Großstädten auf die Straße. Die größte Gewerkschaft CGIL hatte zu einem vierstündigen Generalstreik aufgerufen. In Schulen und Verwaltungen wurde die Arbeit niedergelegt.

Die größte Protestkundgebung fand in Rom statt. Premierminister Mario Monti bekam zwei Tage vor dem ersten Jahrestag seines Amtsantritts schärfsten Widerstand zu spüren. Zehntausende Schüler, Studenten, Arbeitslose und Anhänger linksorientierter Parteien versammelten sich auf der zentralen Piazza della Repubblica. Sicherheitskräfte hinderten die Demonstranten, bis zum Regierungssitz zu gelangen. Die Chefin des stärksten italienischen Gewerkschaftsverbands CGIL, Susanna Camusso, beteiligte sich an einer Demonstration vor dem Stahlwerk des deutschen ThyssenKrupp-Konzerns in der Stadt Terni. »Ein Europa der Kürzungen führt zum Niedergang. Die gegenwärtige sogenannte Sanierungspolitik verarmt die EU-Länder und sorgt für eine riesige Welle der Arbeitslosigkeit. Italien stürzt immer tiefer in die Rezession«, so Camusso.

»Die Italiener haben bereits einen hohen Preis für die Krise gezahlt. Jetzt verlangen wir Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit«, betonten Anhänger der linken Gewerkschaft Cobas.

Zu Protesten kam es auch in Mailand, Florenz und Turin. Die Polizei setzte gegen die Demonstranten Tränengas ein.
Micaela Taroni, Rom
Griechenland: Vernetzen
Nach drei Generalstreiks in drei Monaten beteiligten sich die Gewerkschaften in Griechenland am gestrigen, vom Europäischen Gewerkschaftsbund initiierten »europäischen Aktionstag« nur mit einer dreistündigen Arbeitsniederlegung über Mittag. Gleichzeitig fanden in verschiedenen Städten Kundgebungen und Demonstrationen statt. Die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME hatte diesmal gänzlich auf einen eigenen Aufmarsch verzichtet. Sie rief ihre Mitgliedsorganisationen vielmehr dazu auf, den Ausstand »zu Versammlungen an so vielen Arbeitsstätten wie möglich« zu nutzen, um »die Erfahrungen aus den Kämpfen und die Zuspitzung des Kampfes gegen die arbeiterfeindlichen Maßnahmen und die Politik, die diese hervorbringt, zu diskutieren«.

Die der Linksallianz SYRIZA nahestehende Gewerkschaftsorganisation »Avtonomi Paremvasi« (Autonome Intervention) betonte die Wichtigkeit einer internationalen Vernetzung des Widerstands. Dem europäischen Aktionstag hätte ein entsprechendes politisches Gewicht verliehen werden müssen, kritisierte die linke Gewerkschaftsorganisation die Entscheidung zum Kurzstreik. »Die Beschränkung der Mobilisierung auf eine dreistündige Arbeitsniederlegung, das Fehlen politischer und organisatorischer Vorbereitung zeigen, daß die Führungen der Gewerkschaftsdachverbände nicht einmal jetzt begreifen, daß über den Wert der Entwicklung der gesellschaftlichen Kämpfe auf nationaler Ebene hinaus der Vereinigung der Kämpfe auf europäischer Ebene ein besonderes politisches Gewicht zukommt.«
Heike Schrader, Athen

Quelle: www.jungewelt.de vom 15.11.12

Rettung des Sozialstaats. Der Studentenverband Die Linke.SDS solidarisiert sich mit europäischen Protesten am heutigen Mittwoch:

Mittwoch, 14. November 2012 von Huste

Am 14. November streiken und protestieren Menschen in mehreren europäischen Ländern gegen die Krisenpolitik der Regierungen. Sarah Nagel, Mitglied im Bundesvorstand von Die Linke.SDS erklärt dazu: »In Südeu­ropa hat sich eine ›Generation Widerstand‹ entwickelt, die um ihre Zukunft kämpft. In Griechenland will die Regierung zum Beispiel 500 Millionen Euro bei der Bildung sparen, die spanische Regierung kürzt drei Milliarden weg. Die Jugendarbeitslosigkeit ist rasant gestiegen. Studierende, Schüler und Arbeiter wollen aber nicht für eine Krise zahlen, die sie nicht verursacht haben. Griechenland. Spanien und Portugal sind die Teststrecke für kommenden Sozialabbau auch in Deutschland. Vom Erfolg der Proteste in diesen Ländern hängt die Rettung des Sozialstaats in ganz Europa ab.«

Max Manzey, ebenfalls Mitglied des Bundesvorstands von Die Linke.SDS, betont: »Deshalb solidarisiert sich Die Linke.SDS mit den Protesten in Südeuropa und fordert die Umverteilung des Reichtums für Bildung und Soziales auch in Deutschland. An mehreren Unis werden Aktionen stattfinden, zum Beispiel in Berlin, Köln, Bochum, Göttingen und Freiburg. Es ist ein Trugschluß, daß uns die Krise hier nichts angeht und wir nicht davon betroffen sind: Die deutsche Regierung trägt durch den Spardruck erheblich zu den Problemen in anderen Ländern bei. Und auch das Bildungssystem hierzulande ist unterfinanziert. Die Situation in Südeuropa zeigt uns dabei, was uns morgen erwarten könnte. Der Kampf um ausfinanzierte Bildungs- und Sozialsysteme ist international.«

Quelle: www.jungewelt.de vom 14.11.12

Es geht uns alle an! Gastkommentar. Streik für ein anderes Europa. Von Sahra Wagenknecht

Mittwoch, 14. November 2012 von Huste

In ganz Europa gibt es heute Streiks und Demonstrationen. Die Menschen protestieren gegen eine Politik, die Billionen Euro für die Rettung von Banken mobilisieren konnte und dieses Geld nun über brutale Kürzungen bei den Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnern wieder eintreiben will. Sie streiken für Arbeitsplätze, für Demokratie und die Verteidigung des Sozialstaats.

Was derzeit in Südeuropa passiert, geht uns alle an. Insbesondere Griechenland wird als Versuchskaninchen benutzt, um auszutesten, wie weit man bei der Zerstörung sozialer und demokratischer Rechte gehen kann. Und was dort gemacht wird, geht brutal weit: Kürzung der Renten und Löhne um ein Drittel und mehr, Sechstagewoche und Rente erst mit 67, Vernichtung von Hunderttausenden Arbeitsplätzen bei Halbierung der Abfindungszahlungen, Reduzierung der Gesundheitsausgaben um zwölf Prozent jährlich, Entmachtung der Gewerkschaften durch Vorrang betrieblicher Tarifvereinbarungen, Schleifung des Kündigungsschutzes und Förderung prekärer Beschäftigung, Anhebung der Mehrwertsteuer um vier Prozentpunkte und Erhöhung weiterer Verbrauchssteuern um 33 Prozent – diese und weitere Maßnahmen haben der griechischen Wirtschaft das Rückgrat gebrochen und zu einer humanitären Katastrophe geführt. Es glaubt niemand mehr ernsthaft, daß Griechenland seine Verschuldungsquote aus eigener Kraft bis zum Jahr 2020 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung drücken kann. Doch Schäuble und Merkel wollen die Öffentlichkeit für dumm verkaufen. Dabei ist auch ihnen klar, daß Athen weitere Schuldenerlasse braucht und auf die deutschen Steuerzahler Milliardenverluste zukommen. Doch das will man erst nach der nächsten Wahl zugeben.

Die als Euro-Rettung getarnte Bankenrettungspolitik kostet die Allgemeinheit zig Milliarden Euro – und sie kostet die Zukunft der jungen Generation in Südeuropa. Der Schaden, der Ländern wie Griechenland oder Portugal derzeit zugefügt wird, läßt sich kaum beheben. Der Verlust für die öffentlichen Haushalte kann nur noch begrenzt werden, wenn Banken, Hedgefonds und sonstige private Gläubiger sofort zum Verzicht auf jeden Cent ihrer restlichen Forderungen gezwungen werden.

Die Politik, die zur Krise geführt hat, muß radikal geändert werden. Notwendig ist ein sofortiger Stopp des Sozialkahlschlags und die Einführung einer europaweiten Vermögensabgabe zur Senkung der Staatsschulden. Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte muß von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden. Die privaten Großbanken müssen vergesellschaftet und die gesamte Finanzbranche muß strengstens reguliert werden. Die Agenda 2010 muß zurückgenommen und das Lohn- und Steuerdumping beendet werden. Natürlich werden diese Ziele ohne Druck von unten nicht erreichbar sein. Ein soziales Europa kann es nur geben, wenn es von einer starken Protest- und Streikbewegung erkämpft wird.

Unsere Autorin ist Erste Stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag

Quelle: www.jungewelt.de vom 14.11.12

Wieder ein »Versehen«. Von Claudia Wangerin

Mittwoch, 14. November 2012 von Huste

Eine weitere rechtswidrige Aktenvernichtung beim Berliner Verfassungsschutz ist am Dienstag bekannt geworden. Den Vorgang »Blood&Honour« im Bereich Rechtsextremismus zu schreddern, sei bereits im Juli 2010 angeordnet worden, sagte Behördenchefin Claudia Schmid am Dienstag in Berlin. Die Akten seien von einer oder zwei Mitarbeiterinnen vernichtet worden, ohne vorher dem Landesarchiv vorgelegt zu werden. Wann genau sie geschreddert wurden, sei unklar. Sie selbst habe bereits im August 2012 von diesem »bedauerlichen Versehen« erfahren, sagte Schmid. Innensenator Frank Henkel (CDU) sei von ihr erst am Montag dieser Woche informiert worden. Zuvor habe sie die Brisanz nicht erkannt, weil der Vorgang weit vor der Aufdeckung der rechtsextremen Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) lag, begründete die Verfassungsschutzchefin ihr langes Schweigen. Anhaltspunkte für einen NSU-Bezug in den vernichteten Akten gibt es nach ihren Worten zur Zeit nicht – obwohl personelle Verstrickungen zwischen »Blood&Honour« und der NSU-Helferszene bereits bekannt sind. Daß der V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes, Thomas Starke, der das mutmaßliche Kerntrio des NSU kannte, ein ehemaliger »Blood&Honour«-Funktionär war, ist nach Schmids Logik kein Anhaltspunkt. Auch nicht, daß der bewaffnete Arm des 2000 in Deutschland verbotenen »Blood&Honour«-Netzwerks, Combat 18, schon vor Jahren ein »Feldhandbuch« verbreitete und für bewaffnete Aktionen kleiner Zellen warb – Anleitungen, die wie eine Blaupause für den NSU wirken.

Schmid kündigte am Dienstag an, der von Henkel eingesetzte Sonder­ermittler Dirk Feuerberg werde jetzt klären, wer wann was getan habe und warum die Akten nicht dem Archiv vorgelegt wurden. Außerdem werde versucht, sie zu rekonstruieren.

Laut Landesarchivgesetz sind alle Berliner Behörden verpflichtet, sämtliche Unterlagen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigt werden, in der Regel spätestens 30 Jahre nach ihrer Entstehung auszusondern und unverändert dem Archiv anzubieten, soweit nicht Rechtsvorschriften andere Fristen bestimmen. Erst Anfang November war bekannt geworden, daß in der Behörde im Juni Akten im Bereich Rechtsextremismus geschreddert wurden, die zur Aufbewahrung im Landesarchiv vorgesehen waren – auch dies angeblich aus Versehen. Zu möglichen personellen Konsequenzen wollte sich Schmid am Dienstag nicht äußern.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, hält vergleichbare Taten wie die Mordserie des NSU auch in Zukunft für möglich. »Ausschließen dürfen wir nach den Erfahrungen mit dem NSU nichts mehr«, sagte Ziercke am Dienstag in Wiesbaden. Nach Darstellung von Ziercke sind »erhebliche handwerkliche Fehler« der Grund, warum die Terrorgruppe knapp 14 Jahre unbehelligt agieren konnte. Die Polizei sei nicht auf dem rechten Auge blind, betonte Ziercke. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) ist dagegen sicher: Einige, womöglich alle Morde des NSU hätten verhindert werden können – »mit der nötigen Sensibilität und Professionalität bei Polizei und Justiz«, sagte Stahlknecht der Mitteldeutschen Zeitung (Dienstagausgabe). Er bezog sich dabei auf Berichte über das untergetauchte Trio in der vertraulichen Zeitschrift des Bundesamtes für Verfassungsschutz, BfV aktuell, von 1998 und 2000.

Quelle: www.jungewelt.de vom 14.11.12

Millionen Wohnungen. Venezuelas Regierung betreibt ehrgeiziges Bauprogramm und verbietet Zwangsräumungen. Besonders Opfer von Unwettern sowie Bewohner von Elendsquartieren profitieren. Von André Scheer

Dienstag, 13. November 2012 von Huste

Auf einer Homepage der venezolanischen Regierung prangt ein Bild von Friedrich Engels und daneben dessen Satz aus einem 1872 erschienenen Artikel: »Erst die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise macht die Lösung der Wohnungsfrage möglich.« Informiert wird auf der Internetseite über das ehrgeizige Programm der Administration von Präsident Hugo Chávez, innerhalb von sieben Jahren zwei Millionen Apartments zu bauen, um damit die in dem südamerikanischen Land bestehende Wohnungsknappheit zu beseitigen. Derzeit befinden sich 400000 dieser Wohnungen im Bau, berichtete Chávez am vergangenen Donnerstag während einer Sitzung seines Kabinetts. Von diesen sollen noch vor Jahresende 80000 an die neuen Bewohner übergeben werden.

Wohnungsbauminister Ricardo Molina berichtete bei der Sitzung, seit dem Beginn der »Gran Misión Vivienda Venezuela« im April 2011 seien bis jetzt knapp 290000 Wohnungen übergeben worden. Auf der Homepage des Programms wird als Ziel angegeben, bis Ende 2012 mindestens 350000 Wohnungen fertigzustellen. Bis vor wenigen Tagen hatte es jedoch noch so ausgesehen, als würde diese Vorgabe nicht erreicht werden. Grund dafür waren offenbar Verzögerungen, für die die beauftragten Bauunternehmen verantwortlich waren. Offenbar hatte es die Regierung im Präsidentschaftswahlkampf vermeiden wollen, sich mit den privaten Firmen anzulegen. Unmittelbar nach seiner Bestätigung im Amt am 7. Oktober zog Chávez jedoch die Schrauben an. Wie eine für die Kontrolle der verschiedenen Bauvorhaben zuständige Ingenieurin gegenüber junge Welt berichtete, wurde sie zusammen mit ihren Kollegen beauftragt, die Einhaltung der Termine schärfer zu überwachen. Es bestehe der Verdacht, daß einige Unternehmen im Vorfeld der Wahlen die Fertigstellung neuer Wohnungen bewußt verzögert hätten, um dadurch indirekt die Opposition zu unterstützen.

Von den neuen Wohnungen profitieren zunächst die Opfer der Unwetter, die Venezuela in den vergangenen zwei Jahren heimgesucht haben und bei denen mehrere Tausend Unterkünfte zerstört worden waren. Ihnen werden die Wohnungen kostenlos zur Verfügung gestellt, bei der Einrichtung werden die Empfänger zudem durch ein anderes Regierungsprogramm, »Mi Casa Bien Equipada« (Mein gut eingerichtetes Haus), unterstützt. Die zweite große Gruppe, die von dem Wohnungsbauprogramm profitiert, sind die bisherigen Bewohner der Elendsquartiere in den Armenvierteln der Hauptstadt Caracas und anderer Metropolen. Ihnen werden die Wohnungen für einen monatlichen Mietpreis von 100 Bolívares angeboten, was nach dem offiziellen Wechselkurs etwa 18 Euro entspricht. In einer dritten Stufe sollen dann auch neue Unterkünfte für Angehörige der unteren Mittelschicht geschaffen werden, die ebenfalls unter der bisherigen Wohnungsknappheit und den dadurch steigenden Preisen leidet.

Parallel zu dem Wohnungsbauprogramm wurden in Venezuela vor allem im vergangenen Jahr mehrere Gesetze und Dekrete verabschiedet, die sich direkt gegen die Spekulation mit Wohnraum richten. So verbietet ein von Hugo Chávez am 5. Mai 2011 erlassenes Dekret Zwangsräumungen von »natürlichen Personen und deren Familiengruppen, die als Mieter in als Wohnraum ausgewiesenen Immobilien wohnen, sowie jenen Personen, die solche Immobilien rechtmäßig als Hauptwohnung besetzt halten«. Begründet wurde dieser Erlaß, der praktisch jede Wohnungsräumung untersagt, von Chávez damit, daß die Mieten auf der Basis von »Immobilienspekulation und den kapitalistischen Interessen der Eigentümer und Vermieter und nicht aufgrund der realen Kosten oder einem nachvollziehbaren Wert der Mietwohnungen festgelegt« würden. Dadurch jedoch seien vor allem Angehörige der unteren Mittelschicht und der ärmeren Bevölkerungsgruppen vom Verlust ihres Heimes bedroht. Das habe für die betroffenen Familien nicht nur unmittelbare wirtschaftliche und soziale Folgen, sondern bedrohe auch deren psychische und körperliche Gesundheit, so der Staatschef.

Die Opposition sieht in solchen Bestimmungen und im Wohnungsbauprogramm der Regierung die »für den Sieg von Chávez am 7. Oktober lebenswichtige Speerspitze«, wie es die rechte Tageszeitung El Universal Ende Oktober kommentierte. Ihr Kolumnist Dámaso Jiménez kritisiert die Maßnahmen als »emotionale Show«, die ohne Strategie und Konzept vorangetrieben werden. Und wieder einmal spielt das Blatt die Castro-Karte: Grund für die Wohnungsnot in Venezuela sei, daß die Regierung in Kuba systematisch »mit den Mitteln der Venezolaner« Häuser baue, während im eigenen Land Zement und Baumaterialien fehlten.

Quelle: www.jungewelt.de vom 13.11.12

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