Im Januar 2012 verhandelt das Verwaltungsgericht Chemnitz den Fall eines Asylbewerbers, der zum Opfer neofaschistischer Gewalttäter wurde. Die Richter ordnen die Abschiebung des Mannes an. Begründung: Deutschland sei offenkundig für den Asylsuchenden zu unsicher. Eine Provinzgroteske, nur ein besonders bizarres Beispiel für eine bürokratisierte Justiz? Nein: Deutsche Normalität, vielerorts. Diese und etliche weitere wahre Geschichten aus dem Alltag derjenigen, die zur Zielscheibe von Neonazis werden, hat die Amadeu-Antonio-Stiftung in ihrem neuen Report »Das Kartell der Verharmloser« gesammelt, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Erfahrungen eines Gastronomen, der – nur zufällig ebenfalls in Chemnitz – ein koscheres Restaurant namens »Schalom« betreibt, sind ebenso bezeichnend für die übliche Umkehr der Täter-Opfer-Rolle wie der Asylbewerber, der zu seinem eigenen Schutz abgeschoben wurde: Mehr als 40000 Euro Schaden hat der Wirt des »Schalom« bisher zu verbuchen; dazu zählen eingeschmissene Scheiben, regelmäßige Hakenkreuzschmierereien und Schweinsköpfe vor seinem Geschäft – und die Attacken nehmen kein Ende. Mittlerweile weigert sich die Versicherung, für weitere Sachschäden aufzukommen. Die Polizei konnte keinen einzigen Täter fassen. »Wenn Sie ein Unternehmen mit so einem Logo führen, müssen Sie sich über so eine Aufmerksamkeit nicht wundern«, beschied ein Beamter dem Restaurantbetreiber lapidar. Schuld sind also nicht die alten und neuen Nazis, die durch alltäglichen Terror ganze Regionen zu »national befreiten Zonen«, zu »No-Go-Areas« für Andersdenkende und -aussehende machen. Schuld sind diejenigen, die sich der rechten Hegemonie nicht unterordnen können oder wollen, die das »falsche« Aussehen, die »falsche« Religion haben. Die staatliche Ordnungsmacht, überfordert oder blind gegenüber der Gefahr von rechts, rät in solchen Situationen immer wieder zur Flucht: Eine Familie ist zur Zielscheibe neofaschistischer Gewalttäter geworden? »Dann ziehen Sie doch einfach weg!« Gelegentlich sind es auch die Polizisten selbst, die – nach einem Notruf bedrängter Menschen – einen »Türkenwitz« reißen. Oder die Neonazibande, die sich vor einem alternativen Wohnprojekt zusammengerottet hat, per Handschlag begrüßen.
Das Eingeständnis des Scheiterns der Freizügigkeit, die jedem Menschen in Deutschland durch das Grundgesetz zugesichert wird, als Konsequenz aus Neonaziterror? Über ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU), der eine Blutspur des Terrors durch Deutschland zog, ist von den großen Vorhaben der Regierung nicht mehr viel zu spüren. »Wir alle sind gefordert zu handeln – überall dort, wo Rechtsextremisten versuchen, gesellschaftlichen Boden zu gewinnen«, hieß es in einem gemeinsamen Entschließungsantrag sämtlicher Bundestagsfraktionen vom 22. November 2011, wenige Wochen nach Auffliegen des NSU. Doch das Muster, das auf öffentliches Entsetzen über neofaschistische Straftaten folgt, gleicht sich seit vielen Jahren, und auch der Fall der NSU-Zelle scheint diesen Bahnen zu gehorchen: Als 1992 und 1993 die Asylbewerberheime brannten, in Rostock, Solingen und Mölln Menschen in den Flammen starben, zogen sich Lichterketten gegen rechte Gewalt durch das Land. Gleichzeitig nutzte die Politik die rassistischen Anschläge, um das Asylrecht de facto abzuschaffen. Als im Jahr 2000 ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübt wurde, rief der damalige Kanzler Gerhard Schröder zum »Aufstand der Anständigen« auf; die Bundesregierung strengte ein NPD-Verbotsverfahren an. Ohne Erfolg: Wegen des Verdachts auf Fremdsteuerung der Nazipartei durch staatlich gedungene Einflußagenten stellte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren im Jahr 2003 ein. Die NPD ist durch die V-Mann-Praxis der deutschen Behörden praktisch unverbietbar geworden.
Was sind die Lehren aus dem Terrorfeldzug des NSU? Initiativen gegen rechts werden mit Distanzierungserklärungen »gegen jede Form von Extremismus« schikaniert, ohne deren Unterzeichnung sie keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten. Die Reform der Sicherheitsapparate ist drauf und dran, das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten durch die Hintertür aufheben – und damit den Sumpf, aus dem der NSU entstand, geradewegs zu stärken. Zwanzig Jahre nach den Brandanschlägen von Rostock ist Deutschlands Osten heute »weiß«, beinahe migrantenfrei. Wie wird dieses Land zwanzig Jahre nach Ende des NSU aussehen?
Quelle: www.jungewelt.de vom 15.August 2012
„Wer Nazigewalt verharmlost und Antifaschisten diskriminiert, gefährdet faktisch die Sicherheit der Bürger“, so die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, mit Blick auf die heute vorgestellte Studie der Amadeu Antonio Stiftung. Jelpke weiter:
„Die deutschen Sicherheitsbehörden sind offenkundig nicht in der Lage, mit ganzer Kraft gegen Nazis vorzugehen. Lokale Behördenvertreter, die Nazigewalt als angeblich unpolitische Jugendstreiche verharmlosen, tun damit weder ihren Gemeinden noch deren Einwohnern einen Gefallen.
Der Fisch stinkt aber vom Kopf her: Auch die Bundesregierung liefert beim Kampf gegen Rechts ein schlechtes Vorbild. Mit der ‚Extremismusklausel‘ hat sie antifaschistischen Initiativen ein pauschales Misstrauensvotum ausgesprochen, das sie unter Generalverdacht stellt. Bei der Zählung neofaschistischer Gewalttaten führt sie die Riege der Verharmloser und Abwiegler an, indem sie immer noch rund 100 von Nazis und Rassisten verursachte Todesfälle als ‚unpolitisch‘ einstuft.
Die Bundesregierung versagte in der Vergangenheit, und sie versagt in der Gegenwart beim Kampf gegen Nazis – und diesem Versagen schließen sich allzu viele Länder und Kommunen an. DIE LINKE fordert deshalb, endlich eine materiell gut ausgestattete und politisch unabhängige Dokumentationsstelle zur Beobachtung rechter Gewalt und zur Förderung antifaschistischer Projekte einzurichten.“
Quelle: Homepage von Ulla Jelpke, MdB, vom 14.08.12
Bundeswehr-Oberst Georg Klein soll (…) im neuen Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr werden, was später die Ernennung zum General nach sich zieht. Der Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden (BAK AuF) von Linksjugend [’solid] und Die Linke.SDS kritisieren die Beförderung Kleins aufs Schärfste. Klein trägt eine besondere Verantwortung für den imperialistischen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. In der Nähe der Stadt Kundus hat er am 4. September 2009 den Befehl zur Bombardierung von zwei Tanklastwagen und einer großen Gruppe von Menschen gegeben. Bei diesem Angriff starben bis zu 142 Menschen, darunter zahlreiche Zivilisten und auch etliche Kinder.
Der zukünftige General hat sich zudem in der Vergangenheit durch Versuche hervorgetan, seine Verantwortung für den Tod und das Elend vieler Menschen zu vertuschen. Er hat eine sogar nach ISAF-Einsatzregeln vorgeschriebene Untersuchung der Auswirkung seines Bombardementbefehls durch falsche Direktiven unterbunden und verhinderte somit, daß eine genaue Zahl der Todesopfer festgestellt werden konnte. Klein hatte außerdem mehrfach falsche Angaben bei der Anforderung der Bombenabwürfe gemacht. Er gab z. B. an, daß deutsche Soldaten einer unmittelbaren Gefährdung durch Personen ausgesetzt waren, die sich nahe der Tanklaster aufhielten. Dies hat sich in den Nachuntersuchungen nicht bestätigt.
Trotz seiner Vertuschungsversuche wurde festgestellt, daß der Befehl Oberst Kleins weder rechtmäßig noch »angemessen« war – sein Verhalten zog dennoch keinerlei juristische Konsequenzen nach sich. Es wurde von vornherein verunmöglicht: Auf Grundlage der juristischen Bewertung des Krieges in Afghanistan als einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt kommt im Fall Klein nicht das Strafrecht zur Anwendung, sondern das humanitäre Völkerrecht. Aber auch dort sind sogenannte »unterschiedslose Angriffe« (unter die z.B. Bombardierungen fallen) verboten, also Angriffe bei denen damit zu rechnen ist, eine hohe Anzahl von Zivilisten zu töten. Der Luftangriff verstieß somit gegen das humanitäre Völkerrecht und dadurch auch gegen mehrere offizielle NATO-Einsatzregeln. (…)
Daß Recht immer das Recht des Stärkeren, der herrschenden Elite ist, zeigt sich in der aktuellen Debatte um die Beförderung Kleins. Denn da sowohl das Strafverfahren als auch ein Disziplinarverfahren gegen Klein eingestellt wurden, gibt es nach offiziellen Verlautbarungen keinen Grund, der gegen eine Beförderung sprechen würde. Die Verantwortung für den Tod von über hundert Menschen spielt für die Bundeswehr dabei anscheinend keine Rolle. In Bundeswehrkreisen gilt Klein sogar als »besonnener militärischer Führer«. Für den Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Stefan Paris, ist Klein sogar für seine neue Aufgabe »gut geeignet«.
Es kommt einer Verhöhnung der Opfer gleich, daß der Mann, der den Befehl zum Bombenmassaker gab, nun auch noch mit einer Beförderung belohnt wird. (…) Es geht in den Einsätzen der Bundeswehr nicht um Menschenrechte, sondern um geostrategische, machtpolitische und wirtschaftliche Interessen. (…)
Quelle: www.jungewelt.de vom 14.08.12
Hörde ist dran! Hier sollen die Nazis am Antikriegstag marschieren! »Nach derzeitigem Stand können wir das nicht verbieten« – sagt Polizeipräsident Norbert Wesseler (SPD) und ruft die Dortmunder zu »zahlreichem, vielfältigem, kreativem und friedlichem Protest« in Hörde auf (zit. nach ruhrnachrichten.de).
Die Dortmunder Nordstadt, in denen die Neofaschisten in den vergangenen Jahren aufziehen durften, ist für diesmal raus! Politik und Polizei brauchten diesen »Erfolg« – die unvergessenen Vollsperrungen, Freiheitsberaubungen und Zwangsmaßnahmen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern mußten hier mal ein Ende haben. Ein schöner Einstieg für den neuen Polizeipräsidenten, der den legendären Ausspruch getätigt hat, er werde »den Nazis überall auf die Füße treten«. (…) (W)o Nazis marschieren wollen, können wir kein Volksfest mit »zahlreichem, vielfältigem, kreativem und friedlichem Protest« sehen – da ist Widerstand Pflicht der Demokratinnen und Demokraten, nicht symbolisch und fotogen, sondern erfolgreich.
Seine altgedienten Mitarbeiter hätten ihm als dem neuen Chef das Archiv öffnen sollen – auch Hörde hatte bereits mehrfach unter angemeldeten und erlaubten Aufzügen von Nazis zu leiden und ist gezeichnet vom Rassismus, Antiislamismus und Antisemitismus der neuen Neonazis. (…) Uns würde es nicht erstaunen, wenn es der Anmelder war, der im geheimen »Kooperationsgespräch« Hörde vorgeschlagen hat – die Nazis verfolgen hier langfristige Ziele.
Es ist keine kluge Taktik, den Stadtteil zu wechseln. Eine kluge Strategie ist es, den Provokationen der Demokratiefeinde keinen Stadtteil zu opfern, sondern ihnen politischen Kampf anzusagen, wie es die Antifaschisten und Demokraten der Stadt tun: Keinen Platz, keine Straße, keinen Raum den Faschisten! Dortmund gegen rechts, Dortmund stellt sich quer – auch in Hörde!
www.linkes-buendnis-dortmund.de
Quelle: www.jungewelt.de vom 13.08.12
»Kein Volk wird eine Überfremdung ohne Konflikt hinnehmen, es kann sie gar nicht hinnehmen.« Es war kein Neonaziführer, der mit diesen Worten eine Rechtfertigung für rassistische Gewalttaten lieferte. Es war Norbert Geis, damaliger Vorsitzender der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der abschließenden Beratung über den »Asylkompromiß«, also die von Union, SPD und FDP verabredete faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl in Artikel 16 Grundgesetz am 26. Mai 1993. Noch deutlicher war sein Parteifreund Edmund Stoiber mit seiner Warnung vor einer »durchmischten und durchraßten Gesellschaft« bereits 1988 geworden. Das Plakat mit dem Slogan »Das Boot ist voll – Schluß mit Asylbetrug« der Partei »Die Republikaner« aus dem Bundestagswahlkampf 1990 hätte genau so gut von der CDU stammen können. Auch vermeintlich kritische Medien wie der Spiegel – die Schlagzeile »Asyl – Die Politiker versagen« prangte auf dem Titel einer April-Ausgabe 1992 – beteiligten sich nach Kräften an der Debatte über den vermeintlichen massenhaften »Mißbrauch« des Asylrechts durch »Scheinasylanten« und »Wirtschaftsflüchtlinge«.
Dieser medialen und politischen Zuspitzung der »Asyldebatte« entsprach eine zunehmende rassistische Mobilisierung der Bevölkerung durch neofaschistische Kräfte. Die Pogrome gegen Roma und Vietnamesen vom 22. bis 26. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen waren nach den Ausschreitungen von Hoyerswerda im September 1991 ein weiterer Höhepunkt rassistischer Gewalt. Insgesamt fielen im Jahr 1992 diesen Attacken 17 Menschen zum Opfer. Täglich gab es fünf bis sechs gewalttätige Übergriffe, zahlreiche Asylbewerber-Wohnheime quer durch die Republik brannten. Verläßliche Angaben sind nicht möglich, weil eine bundeseinheitliche Erfassung der Zahlen zu rechter Gewalt zu dieser Zeit noch nicht stattfand und von der Bundesregierung verweigert wurde. Anstatt der zunehmenden Gewalt gegenüber Asylsuchenden und »Ausländern« entschieden entgegenzutreten, rechtfertigten Politiker bis hinein in die SPD sie als Reaktion auf die tatsächlich einmalig hohen Asylbewerberzahlen. Der Rostocker SPD-Innensenator Peter Magdanz ließ sich angesichts zunehmender rassistischer Übergriffe im Umfeld der »Zentralen Aufnahmestelle« (ZASt) in Lichtenhagen am 8. August 1992 in der Ostsee-Zeitung mit den Worten zitieren: »Bonn ignoriert einfach den Druck der Menschen.« Und wenige Wochen nach dem Pogrom äußerte der SPD-Oberbürgermeister von München, Georg Kronawitter: »Der Unmut bei den Menschen ist riesig. Glauben Sie denn, daß die ruhig hinnehmen werden, wenn Millionen Ausländer ungeordnet in unser Land fluten?«
Die Antwort auf diesen »Unmut« war der »Asylkompromiß« vom Dezember 1992, dem nach langem Widerstand gegen eine Grundgesetzänderung dann auch die SPD zustimmte. Ein reguläres Asylverfahren erhält seitdem nur noch, wer nicht über einen »sicheren Drittstaat«, also alle anderen EG- bzw. EU-Staaten, eingereist ist. Die CDU/CSU hatte diese Grundgesetzänderung schon lange gefordert und auf vielfältigen Wegen das bestehende Asylrecht ausgehöhlt. Wie es Wolfgang Schäuble als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion in jener Debatte am 26. Mai 1993 auf den Punkt brachte: »Wir wissen aus den anderthalb Jahrzehnten, in denen wir um dieses Problem und mit diesem Problem ringen, daß es ohne eine Änderung des Grundgesetzes eine zureichende Steuerung nicht gibt. (…) Wir haben die Asylgesetze, die Asylverfahrensgesetze, ein Dutzend Mal geändert, Verfahren beschleunigt, Arbeitsverbote eingeführt und wieder abgeschafft – es hat am Ende alles nichts genützt.« Um den »inneren Frieden in unserem Land« zu wahren, so Schäuble, ginge nun kein Weg mehr an einer Änderung des Grundgesetzes vorbei. Teil des Gesetzespaketes waren zahlreiche Einschränkungen im Asylverfahren (verkürzte Rechtsschutzfristen etc.), die Reduzierung der Sozialleistungen für Asylbewerber und die krasse Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die »Residenzpflicht«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 13.08.12
Nicht einmal ein Jahr nach den letzten Wahlen und trotz einer komfortablen Parlamentsmehrheit erscheint ein Sturz der spanischen Regierung um Ministerpräsident Mariano Rajoy nicht mehr ausgeschlossen. Für den 15. September rufen die spanischen Gewerkschaften zusammen mit unzähligen sozialen Organisationen zu einem »Marsch auf Madrid« auf, zu dem Hunderttausende Menschen erwartet werden. Zehn Tage später will ein breites Bündnis in Madrid das Parlamentsgebäude umstellen. Die Blockade soll erst dann beendet werden, wenn die Regierung ihren Rücktritt erklärt, so die Ankündigung. Und für den folgenden Tag haben zumindest die baskischen Gewerkschaften bereits zu einem Generalstreik aufgerufen.
Hintergrund der Proteste ist die dramatische Wirtschaftskrise. Wie das Nationale Institut für Statistik (INE) in dieser Woche mitteilte, brach die Industrieproduktion des Landes im Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,9 Prozent ein. Zugleich wurde am Freitag bekannt, daß rund 200000 Erwerbslose im Juli und August die ihnen zustehenden staatlichen Beihilfen nicht erhalten haben.
Auf die zunehmenden Unruhe reagiert die von der postfranquistischen Volkspartei (PP) geführte Regierung mit Repression. Mehrere Mitglieder der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) wurden festgenommen, weil sie am vergangenen Dienstag an der Aktion ihrer Vereinigung in einem Supermarkt der Handelskette Mercadona im südspanischen Écija teilgenommen haben sollen. Dort hatten die Aktivisten neun Einkaufswagen voller Grundnahrungsmittel aus dem Geschäft geholt, um sie an die Armen zu verteilen (jW berichtete). Am Freitag morgen räumte die Guardia Civil zudem das seit gut zwei Wochen von Aktivisten besetzte Landgut »Las Turquillas«. Die Landarbeiter kündigten bereits an, umgehend auf die Finca, die dem spanischen Verteidigungsministerium gehört, zurückkehren zu wollen. In der Region mehren sich jedoch auch Stimmen, die eine Zugehörigkeit Andalusiens zum Staatsverbund ganz in Frage stellen. Auf Plakaten heißt es »Unsere Krise ist Spanien – brechen wir mit ihr«.
Für Madrid gefährlicher könnten solche Tendenzen in Katalonien werden. Dort geht die Regionalregierung, die Generalitat, zunehmend auf Konfrontationskurs zur Zentralregierung und fordert einen Fiskalpakt, durch den Katalonien sämtliche Einnahmen zunächst selbst verwalten soll, bevor es einen Teil an die anderen Landesteile abgibt. Bislang fließen alle Steuern zunächst nach Madrid, das sie dann an die autonomen Regionen verteilt. Katalonien fühlt sich dabei schon seit Jahrzehnten benachteiligt, doch nun spitzt sich der Unmut zu. Kulturminister Ferran Mascarell sprach sich erst vor wenigen Tagen dafür aus, Katalonien als unabhängigen Staat zu konstituieren, und Innenminister Felip Puig wollte am Freitag nicht ausschließen, über das Steuerproblem eine Volksabstimmung durchzuführen und die angestrebte Änderung auch ohne Abkommen mit Madrid umzusetzen. Das hat die Regierungskoalition in Barcelona, die bislang aus der bürgerlich-nationalistischen CiU und der auch in Madrid regierenden PP besteht, vor eine Zerreißprobe gestellt. Spekuliert wird über einen Koalitionsbruch noch im September. Dann könnte die CiU die Republikanische Linke (ERC) ins Boot holen. Deren Parteichef Oriol Junqueras propagiert ganz offen eine unabhängige Republik Katalonien.
Quelle: www.jungewelt.de vom 11.08.12
Ürzig/Zeltingen-Rachtig, 9.8.2012
Nachweislich ungeeigneter geologischer Untergrund für die Brücke, Rutschgefahr am Graacher Hang und weiterhin Unsicherheit für
weltberühmte Weinbergslagen kennzeichnen das Bauvorhaben
‚Hochmoselübergang‘. Nach der Insolvenz am Nürburgring droht Kurt Beck der nächste Skandal für eines seiner ‚Prestigeprojakte‘, nur dass dieses Mal die Verantwortung bei der Bundesregierung liegt und ganz Deutschland die Kosten tragen soll.
Stabilität der Hochbrücke
Entgegen der offiziellen Darstellung stocken die Arbeiten an der
Hochbrücke weiterhin. Eine Einsichtnahme in die Unterlagen, welche den Sachverhalt hätte aufklären können, wird bislang verwehrt mit dem Hinweis auf ‚Betriebsgeheimnisse‘ und angeblich neu angemeldete Patente. Hiergegen hat die Bürgerinitiative Pro-Mosel bereits Widerspruch eingelegt.
Bisher vorliegende Dokumente zur Hanguntersuchung belegen, dass eine
Standsicherheit des Untergrundes nicht bzw. nur sehr knapp gewährleistet ist. Bis in 40 Meter Tiefe gibt es kein tragfähiges Gestein, darunter gibt es mehrere Gleitfugen, was den Ürziger Westhang zu einem hohen Risiko für jede größere Baumaßnahme macht. „In einen Rutschhang baut man normalerweise keine Brücken“, bemerkte der Geologe Dr. Feuerbach anlässlich einer Veranstaltung zum Welterbe Mosel im April dieses Jahres. Wenn man es dennoch mache, sei dies mit enormem Aufwand und deutlich höheren Kosten verbunden.
Bei Bohrlochmessungen trat 2006 eine Auffälligkeit zutage, die von
Feuerbach als typisches Zeichen einer Hangbewegung bewertet wird. Die rheinland-pfälzischen Landesbehörden versuchen dies jedoch als
‚Messfehler‘ herunterzuspielen. In einem Dokument zur Standsicherheit der Firma Arcadis (2007) heißt es: „Bei der 6. Folgemessung am 25.06.2006 wurde festgestellt, dass der Inklinometer 8 (Achse 2) in ca. 18 – 20 m Tiefe eine Auslenkung von ca. 1 cm in Fallrichtung des Hanges aufweist, die in der Abschlussmessung am 01.11.2006 bestätigt wurde. Die restlichen Inklinometer wiesen keine Verformungen auf, bzw. waren zwischenzeitlich zerstört.“ Eine Stellungnahme von Geo-International, 2011, gibt hierzu genaueren Aufschluss: „Von den zehn ursprünglich eingebauten Inklinometermesspegeln wurde 2007 lediglich noch ein Pegel
(Ink 8) vermessen. Die restlichen Messpegel waren entweder
zwischenzeitlich zerstört (Ink 2, 3, 5, 6, 9, 10), oder es wurden keine Folgemessungen mehr durchgeführt (Ink 1, 4, 7).“
Das standhafte Schweigen der rheinland-pfälzischen Landesregierung zu den aktuell vorliegenden Problemen lässt größere Schwierigkeiten
vermuten, welche zwangsläufig zu deutlich höheren Kosten führen, doch auch hierzu gibt es keinerlei Auskunft. Es ist wahrscheinlich, dass die bisherige Ausführungsplanung nicht zu halten ist. Unter den bis zu 160 Meter hohen Pfeilern sind jeweils maximal 12 bis zu 47 Meter lange Großbohrpfähle geplant, die durch weiches Gesteinsmaterial hindurch auf festeren Grund stoßen sollen. Die genaue Beschaffenheit des Untergrundes soll erst während des Baus festgestellt werden, so dass dann erst der tatsächlich Bau-Aufwand ermittelt werden kann.
„Aus diesem Grund sind die tatsächlichen Baukosten noch gar nicht
ermittelbar und jede bisher vorgelegte Kostenschätzung reine Makulatur“, so Georg Laska von der Bürgerinitiative Pro-Mosel. Heide Weidemann vom BUND sieht es so: „Wie bei vielen Großprojekten gilt auch beim Hochmoselübergang das Prinzip ‚Fakten schaffen – Probleme verschweigen‘ Wenn jetzt nicht die Reißleine gezogen wird, muss sich die Bundesregierung den Vorwurf sinnloser Steuergeldverschwendung gefallen lassen.“
Rutschproblematik am Graacher Hang
Die Tatsache, dass der Graacher Hang zu den instabilsten der ganzen
Mosel gehört, ist unbestritten. Dennoch soll die im Autobahnmaßstab
geplante Strecke der B 50 neu nur 50 Meter an der Abrisskante
vorbeiführen mit dem Risiko einer zusätzlichen Destabilisierung. Eine Handvoll installierter Geo-Messpunkte soll im Falle auftretender Rutschereignisse warnen, doch ist es dann im Grunde schon zu spät.
Gefährdung weltberühmter Weinlagen
Um die Gefahr einer möglichen Störung des Wasserhaushaltes weltberühmter Spitzenweinlagen zwischen Zeltingen und Bernkastel zu überprüfen, wurde den Winzern ein Monitoring versprochen. Der Landesbetrieb Mobilität und die rheinland-pfälzische Umweltministerin Höfken (Die Grünen) gaben vor
zwei Monaten ihre Zusage, doch seitdem geschieht nichts mehr. Wertvolle Zeit vergeht, während der Bau fortgesetzt wird und Gegenmaßnahmen und mögliche Entschädigungszahlungen verhindert werden.
*Links:*
Beurteilung der geologischen Untersuchungen durch Geo-International
http://material.pro-mosel.de/geologie/Stellungnahme%20Hochmoseluebergang_%20110819.pdf
Internetseite der Bürgerinitiative Pro-Mosel
http://www.pro-mosel.de/
Artikel im Trierischen Volksfreund zum Baustopp
http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/rheinlandpfalz/rheinlandpfalz/Heute-im-Trierischen-Volksfreund-Hochmoselbruecke-Rheinland-Pfalz-streitet-mit-Firmen-um-Weiterbau;art806,3135077
Minister Lewentz (September 2011): Pfeilergründung mit Bohrpfählen soll 2011 abgeschlossen sein.
http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/mosel/aktuell/Heute-in-der-Mosel-Zeitung-Umstrittener-Bau-der-Hochmoselbruecke-startet;art671,2912428
Der Planfeststellungsbeschluss
http://daten.pro-mosel.de/beschlus.pdf
Materialien
http://material.pro-mosel.de/
Quelle: Bürgerinitiative „Pro Mosel“
Am Dienstag vormittag standen plötzlich 200 Demonstranten mit Fahnen der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) in dem großen Supermarkt im südspanischen Arcos de la Frontera. Seelenruhig schoben sie rund 20 Einkaufswagen durch die Gänge und füllten sie mit den in den Regalen liegenden Grundnahrungsmitteln: Nudeln, Reis, Milch, Zucker, Eier. Doch als sie an der Kasse vorbei und ohne zu bezahlen die Filiale der Einzelhandelskette Carrefour verlassen wollten, versperrten ihnen Beamte der Guardia Civil den Weg. Angestellte hatten die paramilitärische Polizeitruppe alarmiert. Es folgten zähe Verhandlungen zwischen einem herbeigeeilten Vertreter des Unternehmens und den Aktivisten, bis sich die Supermarktkette schließlich bereiterklärte, zwölf Einkaufswagen voller Lebensmittel an die Ortsverwaltungen von Bornos, Puerto Serrano und Espera zu spenden, damit diese das Essen an notleidende Einwohner weitergeben können. In der Region im Süden Andalusiens liegt die Erwerbslosigkeit bei 40 Prozent, die Armut hat extreme Ausmaße angenommen, wie der an der Aktion beteiligte Generalsekretär der SAT, Diego Cañamero, der Nachrichtenagentur Europa Press sagte.
Nahezu zeitgleich betraten im gut 100 Kilometer entfernten Écija andere Aktivisten der Gewerkschaft eine Filiale der Supermarktkette Mercadona. Von der Polizei wurden sie hier nicht behelligt, denn diese wurde »von einer Gruppe Compañeros unterhalten, die wir eingesetzt haben, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken«, berichtete Juan Manuel Sánchez Gordillo der Agentur. Der Bürgermeister von Marinaleda und Abgeordnete der Vereinigten Linken (IULV-CA) im andalusischen Regionalparlament wirkte vor Ort als Sprecher der Aktivisten, ohne selbst den Laden betreten zu haben, während seine Genossen neun Wagen voller Essen aus dem Geschäft holten. »In dieser Krisenzeit, in der sie das Volk enteignen, wollen wir die Enteigner enteignen – die Gutsherren, Banken und Großgrundbesitzer, die inmitten der Wirtschaftskrise große Gewinne machen.« Es könne nicht sein, daß das Volk die Verluste der Banken bezahlen müsse, »wenn es zugleich Menschen gibt, die nichts zu essen haben«. Deshalb habe man sich entschlossen, die Grundnahrungsmittel zu »enteignen« und an die – mit den deutschen »Tafeln« vergleichbaren – Lebensmittelbanken zu spenden. Diese seien kaum noch in der Lage, die aufgrund der im stärkeren Verarmung breiter Teile der Bevölkerung gewachsene Nachfrage zu befriedigen, kritisierte Sánchez Gordillo.
Unternehmenssprecher von Mercadona kündigten an, Strafanzeige erstatten zu wollen. Man sei sich »bewußt, daß die gegenwärtige Wirtschaftslage besorgniserregend« sei, so die größte Supermarktkette Spaniens gegenüber Europa Press. Der beste Ausweg sei jedoch, »weiter zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen«. Unterstützung erhielt der Multi von Andalusiens sozialdemokratischem Regierungschef José Antonio Griñán, der es über den Internetdienst Twitter eine »Barbarei« nannte, daß mit Sánchez Gordillo ein Abgeordneter seines Koalitionspartners Vereinigte Linke »Supermärkte überfällt«.
Die 2007 als Zusammenschluß mehrerer Landarbeiterorganisationen gegründete SAT weist solche Vorwürfe auf ihrer Homepage zurück: »Es ist beschämend, wie einige wohlgenährte Hierarchen zur Verteidigung eines Großunternehmens wie Mercadona herumzetern, gegen das unzählige Beschwerden wegen arbeitsrechtlicher Vergehen vorliegen. In diesen Krisenzeiten muß die Rettung der Menschen oberste Priorität haben: verhindern, daß Familien ihre Häuser verlieren und denen, die sie verloren haben, sofort Unterkünfte zur Verfügung stellen, den Verlust weiterer Arbeitsplätze verhindern (…) und natürlich all denen kostenlos Grundnahrungsmittel zur Verfügung stellen, die nichts mehr haben. Das, Herr Griñan, ist keine Barbarei. Barbarei ist, was Sie tun. Barbarei ist das kapitalistische System, das Sie verteidigen.«
Die Vereinigte Linke und ihr Parlamentsabgeordneter Sánchez Gordillo streiten sich seit Monaten um die richtige politische Linie. Der Gewerkschafter hatte die Koalition von IULV-CA und sozialdemokratischer PSOE abgelehnt und sich bei der Wahl Griñáns zum neuen Präsidenten der Junta de Andalucía der Stimme enthalten. Daraufhin war er vom Linksbündnis gemaßregelt worden und mußte sich verpflichten, künftig die Fraktionsdisziplin zu wahren. Während Andalusiens Vizepräsident und Linkenchef Diego Valderas Sosa Ende Juni in einem »Brief an die Mitglieder« dafür warb, trotz der schwierigen Bedingungen in der Koalition zu bleiben, um eine Rückkehr der Rechten an die Regionalregierung zu verhindern, fordert der Gewerkschafter eine »Radikalisierung unserer Positionen durch gewaltfreie Aktionen«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 09.08.12
Halle. Bei den Protesten gegen die NPD ist in Halle am Dienstag ein Mann schwer verletzt worden, wie der MDR am Mittwoch berichtete. Ein Polizeisprecher teilte demnach mit, der 24jährige sei bei der Räumung einer Straßenblockade verletzt und noch am Abend notoperiert worden. Der Mann hatte gemeinsam mit etwa 40 Demonstranten eine Kreuzung in der Innenstadt besetzt, um einen Lastwagen der NPD am Weiterfahren zu hindern. Bei der Räumung hätten die Beamten »unmittelbaren Zwang« ausgeübt. Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt laut Bericht nach einer Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt.
Quelle: www.jungewelt.de vom 09.08.12
In mehr als 70 Veranstaltungen bundesweit erinnern Friedensgruppen in diesen Tagen an die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor nunmehr 67 Jahren. Sie fordern den Abzug der als Relikte des Kalten Krieges in der Bundesrepublik, der Türkei, Italien, Niederlande und Belgien verbliebenen US-Atombomben und die weltweite Ächtung der Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention. Vielerorts wird bei den Aktionen auch an Tschernobyl und Fukushima erinnert und der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie gefordert. junge Welt dokumentiert auszugsweise Reden vom gestrigen Hiroshima-Gedenktag.
Ursula Haun-Jünger, Ärztin und aktiv bei der IPPNW Regionalgruppe Bremen:
Wir gedenken heute der Menschen, die 1945 durch den Abwurf von US-Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki getötet wurden oder an den Spätfolgen der radioaktiven Verstrahlung, überwiegend Krebserkrankungen, verstarben. 150000 bis 220000 Menschen überlebten die folgenden Monate nicht. Noch heute erkranken Menschen aus diesen Regionen an Krebs, der der Spätfolge der Verstrahlung zugerechnet wird. Genetische Defekte, also Veränderungen am Erbgut traten schon bei der ersten nachfolgenden Generation auf (zehn Prozent); der größte Anteil (zirka 90 Prozent), die sogenannten rezessiven genetischen Schäden der radioaktiven Verstrahlung werden sich noch bei den kommenden Generationen zeigen.
Wir vergessen auch nicht die Menschen von und um Tschernobyl: Die Krankheitsfolgen des Atomunfalls sind wegen Geheimhaltungsvorschriften in den ersten Jahren nicht exakt erfaßt. Russische Forscher und internationale Wissenschaftler haben dann 2006 und 2009 eine gemeinsame Untersuchung veröffentlicht. Darin werden nicht nur Krebserkrankungen, sondern ein sprunghaftes Ansteigen von Schwächung des Immunsystems, Herzkreislauferkrankungen mit Todesfolge bei jungen Menschen, chronische Erkrankungen von Schilddrüse und Bauchspeicheldrüse sowie neurologisch-psychiatrische Erkrankungen als Reaktionen auf Niedrigstrahlung gesehen. Ähnliches wird nun nach dem Fukushima-Unfall auch aus Japan berichtet.
Allen politischen Kräften ist bekannt: Wer sich in der zivilen Atomtechnologie auskennt, kann sie auch für militärische Zwecke, den Bau von Atomwaffen, mißbrauchen. Aus den abgebrannten Brennelementen der Atomkraftwerke bei ziviler Nutzung wird Plutonium gewonnen. Wer Plutonium aus Brennstäben separieren kann, dem steht technisch der Weg offen, auch Bombenmaterial herzustellen. Ein Teil der Wiederaufarbeitungsanlagen wurde deshalb ausschließlich für militärische Zwecken gebaut.
Nicht zu vergessen ist das massenhaft anfallendende »abgereicherte Uran« (Depleted Uranium – DU), das bei der Verarbeitung für die Brennstäbe anfällt. Dieser Stoff wird massenhaft über die bremischen Häfen umgeschlagen und in alle Welt transportiert. Er wird zu Uranmunition verarbeitet. 21 Armeen der Welt haben diese bevorratet. DU-Munition wurde benutzt bei der sowjetischen Besetzung Afghanistans und später dort von der NATO, im zweiten Golfkrieg 1991 , im Kosovo 1999 und im Irak-Krieg 2003.
Während des Kalten Krieges lagerten die USA und Großbritannien in fünf europäischen Ländern (der Türkei, Italien, Deutschland, Niederlande und Belgien) Nuklearwaffen ein, davon sind noch 20 B61-Bomben auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel an der Mosel. Dort trainiert die deutsche Luftwaffe ihren Einsatz mit Tornado-Jagdbombern.
Die Vereinigung IPPNW, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, hat sich die Abschaffung der Atomwaffen zur Hauptaufgabe gemacht. Wenn das Gedenken an die Toten der Atomunfälle nicht nur in Appellen enden soll, laßt uns vor der eigenen Tür kehren: Die in Deutschland stationierten Atomwaffen müssen endlich demontiert und verschrottet werden, nicht modernisiert! Wir in Bremen sollten die Transporte von Waffen und radioaktiven Materialien über bremische Häfen nicht zulassen, sie müssen verboten werden!
Corinna Haaß, Gemeindepfarrerin der Ev.-luth. Christus-Kirchengemeinde Schulau in Wedel bei Hamburg:
Nachdem es deutschen Wissenschaftlern glücklicherweise vor Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gelungen ist, einsetzbare Atombomben zu produzieren, führten die USA am 16. Juli 1945 den ersten Test ihrer neu entwickelten Atombombe in New Mexico durch, ohne übrigens die Bevölkerung zu evakuieren oder über Gefahren zu informieren. Ernst zu nehmende Wissenschaftler warnten damals massiv vor dieser ersten Atombombenexplosion, weil sie befürchteten, eine nicht mehr zu stoppende Kettenreaktion auszulösen, die unsere gesamte Atmosphäre vernichten würde. Dieses Risiko für alles Leben gingen die damals verantwortlichen Wissenschaftler und Politiker ohne Skrupel ein. »Es wird schon nicht zu schlimm kommen.« Drei Wochen später warfen sie am 6. August 1945 die erste Atombombe auf Hiroshima, drei Tage danach die zweite auf Nagasaki. Ausprobieren, das war immer noch ein wichtiges Ziel. Eine Bombe funktionierte mit Uran, die andere mit Plutonium und beide wurden so gezündet, daß ein möglichst großer Verlust an Menschenleben eintreten würde. Offiziell als humane Aktion ausgegeben, um den Zweiten Weltkrieg möglichst schnell zu beenden. Viele Gründe spielten damals sicher eine Rolle: der Sowjetunion gegenüber militärische Überlegenheit zu demonstrieren (das war damit praktisch der Auftakt zum Kalten Krieg), gleichzeitig die Rache für Pearl Harbor an Japan und eben das wissenschaftliche Interesse, das ohne Mitgefühl über Leichen geht.
Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerungen wach zu halten. Der Weg zum Frieden führt nicht über atomare Bewaffnung und Bedrohung, über Aufrüstung und Abschreckung, denn die Mittel, die dafür verschlungen werden, könnten mühelos dafür sorgen, daß Menschen satt werden, daß Kinder zur Schule gehen können und Kranke geheilt werden. Frieden ist nur durch Gerechtigkeit und gerechtere Wirtschaftsverhältnisse und über menschliche Fürsorge und Akzeptanz, in der Bibel Nächstenliebe genannt, zu haben.
Heinz Josef Algermissen, Bischof der Diözese Fulda und Präsident von Pax Christi in Deutschland:
Der Hiroshima-Gedenktag erinnert uns an die Aktualität unserer Verantwortung für eine Politik der nuklearen Abrüstung. Eine Welt ohne Atomwaffen kann erreicht werden, wenn die Weltgemeinschaft sie wirklich will. Fast scheint es aber, als habe sich die Gesellschaft so sehr an Atomwaffen als Bestandteil unserer Sicherheitspolitik im NATO-Bündnis gewöhnt, daß die damit verbundene Gefahr völlig aus dem Blick gerät. Politik und Militärstrategien tragen dazu bei, indem sie uns Atomwaffen heute als reine Abschreckungsmaßnahme präsentieren, deren Einsatz eigentlich gar nicht geplant sei. Denn ihre bloße Existenz erziele bereits die erstrebte abschreckende Wirkung
Die humanitären Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki jedoch können sich wiederholen. Die 20000 existierenden Atomwaffen werden zu einem großen Teil in sofortiger Einsatzbereitschaft gehalten und sind vor unbeabsichtigter Auslösung durch technische Pannen oder menschliche Fehler nicht gefeit. Jeder Einsatz von Atomwaffen, ob politisch gewollt oder unbeabsichtigt, wird Weltklima, Umwelt und Nahrungsgrundlagen massiv und auf Dauer verändern. Hilfsorganisationen könnten im Angesicht der Zerstörungen, die Atomwaffen an Mensch und Natur anrichten, nichts bewirken.
Der Vatikan wies auf der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Mai 2012 in Wien gemeinsam mit 15 anderen Staaten sehr deutlich auf diese Gefahr hin und forderte die Atommächte dazu auf, die Vereinbarkeit der Atomwaffen mit internationalem Recht und dem humanitären Völkerrecht zu überprüfen. Dies konfrontiert die Atommächte mit der Frage, ob nicht bereits Besitz und strategische Drohung mit Atomwaffen eine Verletzung des Kriegsrechtes bedeuten.
In den letzten Jahren sind wichtige Abrüstungsverträge geschlossen worden. Jetzt ist es an der Zeit, auch den letzten Schritt hin zu einer Welt ohne Atomwaffen zu tun. Ich möchte ermutigen, immer wieder gegen die nukleare Rüstung anzugehen. Deshalb engagiert sich pax christi in der Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt«, um der Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen gemeinsam mit vielen anderen Menschen Nachdruck zu verleihen. Die Opfer von Hiroshima und Nagasaki bleiben eine Mahnung an die Menschheit, die todbringenden Waffen für immer zu ächten.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.August 2012