Dass Tageszeitungen nicht notwendigerweise vom Niedergang bedroht sind, beweist ausgerechnet die kleinste der überregionalen Tageszeitungen im Lande: Das Interesse an der jungen Welt wächst. Damit das aber so weitergehen kann, müssen immer mehr Menschen wissen, dass es sie und ihr journalistisches Angebot überhaupt gibt. Deshalb ist das Aktionsbüro, sind Helferinnen und Helfer das ganze Jahr über bei wichtigen Veranstaltungen, Demonstrationen, Versammlungen mit der jungen Welt präsent. Solche Einsätze werden nach saisonalen, regionalen und politischen Anforderungen gestartet und können daher jederzeit individuell mit dem Aktionsbüro der jungen Welt vereinbart werden. Tipps werden wir gerne entgegennehmen!
Einmal im Jahr aber sind wir alle gemeinsam im Einsatz für die junge Welt und sorgen dafür, dass die Ausgabe zum 1. Mai die höchste verbreitete Auflage von allen 305 Ausgaben hat, die wir in einem Jahr produzieren. Normalerweise stellt unsere Druckerei um die 25.000 Exemplare für jeden Erscheinungstag her. Die Ausgabe vom 30. April 2015, also vom Vortag des 1. Mai, wird aber eine Auflage von 150.000 Exemplaren haben. Das bedeutet, dass 125.000 Zeitungen verteilt werden, vorrangig auf Veranstaltungen zum oder am 1. Mai. Klar, dass wir das nicht alleine schaffen. Wir gehen davon aus, dass durch diese Aktion über 300.000 Menschen erreicht werden, die damit eine Chance haben, die junge Welt zu entdecken. Kurz- und mittelfristig führt das zu mehr Kioskverkäufen, Internetzugriffen – und vor allem zu neuen Abonnements. Vor allem durch sie wird die junge Welt finanziert, die verkaufte Auflage entscheidet wesentlich darüber, wie sich die Zeitung entwickeln kann. Denn bekanntlich bekommt die junge Welt die notwendigen Kosten nicht von Parteien, Kirchen oder Unternehmen finanziert – sondern muß diese durch Einnahmen aus Verkaufserlösen decken.
An dieser Kampagne kann sich jeder beteiligen. Mit dem Aktionsbüro werden Menge und Anlieferung besprochen. Und wo immer es möglich ist, kann vor Ort nicht nur die Zeitung verteilt, sondern auf der Demo, Kundgebung oder Veranstaltung auch – nach Absprache mit den Veranstaltern – ein Infostand aufgebaut werden. Auch dazu bietet das Aktionsbüro praktische Unterstützung, zum Beispiel ein Aktionspaket mit notwendigen Materialien. In diesem Jahr wollen wir verstärkt in der Schweiz und Österreich präsent sein, aber auch in Bundesländern, in denen wir zur Zeit noch Schwierigkeiten mit der Kioskbelieferung haben wie dem Saarland, Bayern und Baden-Württemberg. Da soll sich 2016 einiges ändern – mit der Verteilaktion können wir schon verschiedene Möglichkeiten antesten und vorbereiten.
Bisherige und neue Unterstützer, die bei der großen Aktion mitwirken wollen, nehmen bitte mit dem Aktionsbüro Kontakt auf. Denn diese Aktion wird auch viel Geld kosten. Ende April werden viele kleinere Aktionen vor Ort stattfinden – mit denen wir aber die junge Welt einen gewaltigen Schritt nach vorne bringen. Denn allein machen sie dich ein – gemeinsam sind wir stärker!Aktionsbüro
Kontakt: ihm@jungewelt.de oder Telefon 030 / 53 63 55 – 50
Quelle: www.jungewelt.de 31.03.15
Das Handy-Video stammt aus einem Dorf im Gebiet Odessa. Ein Mann im Tarnanzug steht zu Füßen des dort noch nicht gestürzten Lenin-Denkmals, einen Zettel in der Hand. Um ihn herum eine schreiende und gestikulierende Menge aus Anwohnern. Frauen in Kopftüchern, Männer in Wollmützen. Der Uniformierte will den Inhalt des Zettels – den Mobilisierungsbefehl – verlesen, bittet um »zwei Minuten«. Er versteht sich sogar dazu, Russisch zu reden. Aber die Leute wollen ihn nicht hören. Immer lauter wird die Parole »Nein zum Krieg«, gerufen vor allem von Frauen. Gäbe es nicht das Internet, hätte wahrscheinlich niemand außerhalb des Dorfes von der spontanen Aktion erfahren.
Sie ist aber offenbar kein Einzelfall. Gerade auf dem Land scheint die Einberufungswelle äußerst unbeliebt zu sein. Kolchosvorsitzende fürchten um die Arbeitskräfte für die Frühjahrsbestellung, Frauen um das Leben ihrer Männer und Söhne. Und viele Bürgermeister scheinen die Stimmung ihrer Nachbarn zu teilen. Sie warnen die Bevölkerung und ihre Kollegen in der Umgebung, wenn sich irgendwo eine Einberufungskommission zeigt. Jurij Birjukow, Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, zog vor einigen Tagen auf seiner Facebook-Seite über die »Feiglinge aus der Westukraine« her. Die Daten, die er aus der für ihre ukrainisch-nationalistische Einstellung bekannten Region anführte, sind aufschlussreich. Im nordwestlichen Bezirk Wolhynien sei der Anteil der Wehrdienstverweigerer aus religiösen Gründen von 0,7 auf 17 Prozent der Wehrpflichtigen gestiegen. Es gebe Dörfer im Bezirk Iwano-Frankiwsk, wo die Bewohner gemeinsam zwei Busse gemietet hätten, um die potentiell wehrpflichtigen Männer nach Russland zu bringen; in einem Ort an der ungarischen Grenze hätten von gut 100 Wehrpflichtigen nur drei überhaupt den Befehl, sich zur Musterung einzufinden, entgegengenommen. Der Rest sei an seinen Meldeadressen nicht anzutreffen gewesen oder ins Ausland geflohen. Im grenznahen Gebiet in Rumänien seien alle billigen Unterkünfte überfüllt mit Ukrainern, die sich vor der Einberufung über die Grenze gerettet hätten. Ähnliche Fälle werden aus Polen berichtet. Inzwischen hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko das Parlament aufgefordert, das Passgesetz so zu ändern, dass junge Männer nur noch dann ins Ausland reisen dürften, wenn sie eine Bescheinigung der Behörden vorlegten, dass sie nicht der Einberufung unterlägen.
Der wichtigste Grund für die Unlust der Landbevölkerung, ihre Männer für den Krieg herzugeben, liegt sicher in den gerade in kleinen Gemeinschaften nicht zu verbergenden hohen Verlusten der ukrainischen Streitkräfte. Wenn die Ukraine, wie neulich geschehen, für einen Tag mit Kämpfen 16 Tote auf eigener Seite einräumt und die Aufständischen von 600 Gefallenen auf der Seite des Gegners sprechen, dann ist zwar wahrscheinlich keine dieser Zahlen exakt, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Wahrheit deutlich höher liegt als die Angaben aus Kiew. Ein weiterer Punkt, warum die Begeisterung für die Beteiligung am Krieg im Donbass sich in Grenzen hält, ist die bei den vorherigen Einberufungswellen zu Tage getretene Korruption. Wer genug Geld hatte, konnte sich eine Untauglichkeitsbescheinigung kaufen. Ukrainische Medien veröffentlichten letzten Sommer sogar Angaben über die Höhe der gezahlten Schmiergelder. Sie reichten nach dem örtlichen Lohnniveau gestaffelt von 800 US-Dollar im Bezirk Ternopil bis zu gut 3.000 Dollar im reicheren Kiew. Die Reaktion der neuen Machthaber auf diese Zustände ist bezeichnend. Sie wollen die Möglichkeit, sich freizukaufen, gesetzlich regeln und auf diese Weise das bisher als Schmiergeld in private Taschen wandernde Geld der ukrainischen Mittelklasse in die Staatskasse lenken. Ein dem ukrainischen Parlament vorgelegter Gesetzentwurf sieht vor, die Freikaufsumme mindestens auf den Jahressold eines Berufssoldaten anzuheben. Damit wäre die Befreiung vom Wehrdienst endgültig ein Angebot für die Reichen, während die Armen für diese und ihr Regime den Kopf hinhalten dürfen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 31.01.15
Wie in der Vorwoche kam es auch diesmal zu Störungen im Bahnverkehr, nachdem offenbar Brandanschläge auf die Deutsche Bahn verübt worden waren. Am Nachmittag brannte es an der Strecke Leipzig-Meißen, später auch in der Nähe eines S-Bahn-Haltepunktes. Der Zugverkehr war massiv gestört. Die Bahn versuchte, Reisende per Schienenersatzverkehr ans Ziel zu bringen. Trotzdem schätzte »Leipzig nimmt Platz«, dass mindestens ein Drittel der »Legida«-Teilnehmer nicht aus der Stadt selbst stammte, sondern gezielt angereist war.
Es war der dritte Aufmarsch von »Legida« in Leipzig. In der Vorwoche hatte die Polizei von 15.000 Teilnehmern gesprochen, was von den meisten Medien unkritisch übernommen worden war. junge Welthatte von Anfang an von etwa 5.000 »Legida«-Demonstranten gesprochen. Diese Zahl wurde später von Soziologen der Universität Leipzig bestätigt. Offenbar als Reaktion darauf gab die Polizei diesmal keine Zahlen bekannt.
Die rassistische Bewegung ist nach Zerwürfnissen in der Dresdner Führungsriege gespalten und verunsichert. Die Hälfte des »Pegida«-Organisationsteams hatte zuletzt die Brocken hingeworfen. Eine Gruppe um die bisherige Sprecherin Kathrin Oertel hat angekündigt, ein neues Bündnis unter anderem Namen gründen zu wollen. (dpa/jW)
Hans-Georg Maaßen ist stolz: »Mit durchgedrücktem Kreuz, gerade stehend, können wir sagen – wir sind eine erfolgreiche Behörde.« Der Verfassungsschutz habe »keine personelle Kontinuität«, interpretierte er die Forschungsergebnisse zweier Historiker, die seit 2011 die Nazivergangenheit von Angehörigen des Inlandsgeheimdienstes untersuchten. Aus den Mündern von Constantin Goschler und Michael Wala von der Ruhr-Universität Bochum klingen die Ergebnisse deutlich differenzierter. Am Donnerstag wurden diese während eines Symposiums vorgestellt.
Mehrere deutsche Behörden haben sich bereits mehr oder weniger freiwillig der wissenschaftlichen Aufarbeitung ihrer Historie gestellt: BKA, BND, Auswärtiges Amt – und nun das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Naziseilschaften der Nachkriegszeit werden heutzutage offener angesprochen – das ist die einzige Form der Imagepolitur, die sich aus der Erforschung der braunen Vergangenheit ehemaliger Mitarbeiter für jede der Behörden bestenfalls ableitet.
»Wohl etwas enttäuschend« seien die Konklusionen des Forschungsvorhabens »Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950 bis 1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase«, sagte Constantin Goschler. Geschuldet sei das auch dem vorhandenen Quellenmaterial, das bereits »vor Jahrzehnten stark aussortiert« worden sei, von der CIA hätten die Forscher gar nichts bekommen. »Keine neuen Oberschurken« habe man ausgemacht, dafür neue Interpretationen, Kontexte und Deutungen geliefert. Eine Buchpublikation im kommenden Herbst werde sich dem Thema ausführlicher widmen.
Der Aufbau des Inlandsgeheimdienstes der Bundesrepublik wurde in den ersten Jahren seit 1950 von den Alliierten gelenkt. Mit der Trennung von Verfassungsschutz und Exekutive »sollte nicht der Eindruck entstehen, es gebe eine neue Gestapo«, so Wala. Ab etwa 1952 hätten die westlichen Besatzungsmächte allerdings stillschweigend akzeptiert, dass »Freie Mitarbeiter« wichtige Funktionen im Bundesamt und den Außenstellen übernahmen. Unter ihnen war durchaus »eine große Anzahl« ehemaliger Gestapo-, SS- und SD-Angehöriger. Dies sei von den ersten BfV-Präsidenten Otto John und Hubert Schrübbers toleriert und von Vizechef Albert Radke befördert worden. Einige »Freie Mitarbeiter« überschritten die Grenzen des Rechtsstaates, so die Forscher. Ab 1955 endete die Kontrolle der Alliierten, die Exnazis konnten offiziell als Angestellte und Beamte übernommen werden. Der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder und ähnlicher Naziorganisationen habe 25 bis 30 Prozent betragen. Auch Gestapo-Verbrecher waren beim Verfassungsschutz, wie Gustav Barschdorf, der 1942 in Oslo die norwegische Widerstandskämpferin Brynhild Strøm zu Tode folterte. Insbesondere die Abteilung IV des BfV, die Spionageabwehr, sei durchsetzt gewesen mit Nazis. Die Arbeitsatmosphäre erinnerte an die Zeit vor 1945 – »mit Stiefelknallen und so weiter«, so Goschler. »Die Leute haben sich angepasst, Rassismus war nicht mehr zustimmungsfähig, dafür aber der Antikommunismus.«
Doch nicht nur die unteren Chargen waren belastet, Hubert Schrübbers (Präsident von 1955 bis 1972), sein Vize Ernst Brückner oder der Schrübbers-Nachfolger Günther Nollau (Präsident 1972–75) waren Mitglieder der Nazipartei. Die braune Vergangenheit von Schrübbers, der als Ankläger zahlreiche Verfahren gegen rassisch und politisch Verfolgte zu verantworten hatte, habe nur offiziell zu seiner »Versetzung in den Ruhestand« geführt. Vielmehr stand sein Antikommunismus der Ostpolitik Anfang der 70er Jahre im Weg. »Ein NS-Richter ging nicht mehr, ein Parteimitglied aber schon«, so Goschler.
Das BfV sei auf dem rechten Auge nicht blind gewesen, aber »vielleicht hatte es einen Grauen Star«, ergänzte Wala und führte als Beispiel die Stay-Behind-Organisationen, rechte Paramilitärs, an, die durchaus eine Gefahr hätten werden können. »Da sollte der Verfassungsschutz im Sinne der Alliierten nicht zu genau hinschauen.«
Angesichts der veröffentlichten Forschungsergebnisse erscheint es vermessen, dass Staatssekretärin Emily Haber ableitete, aus der Organisationsgeschichte habe sich »kein prägender Einfluss von Angehörigen des ehemaligen NS-Sicherheitsapparates ergeben«. Maaßen erklärte am Donnerstag in diesem Sinne: »Das BfV ist seit seiner Gründung ein ›Dienstleister der Demokratie‹«. Das sei falsch, erwiderte der Politikwissenschaftler Hajo Funke im Gespräch mit jW, natürlich habe es einen Einfluss von Nazis gegeben. »Und das entspricht nicht meinem Bild von Demokratie.«
www.ruhr-uni-bochum.de/geschichte-bfv
Quelle: www.jungewelt.de vom 30.01.15
In den letzten Wochen ist innerhalb der Partei Die Linke und von linken Autoren wie z. B. Horst Kahrs, Gerd Wiegel und Albrecht Müller viel Richtiges über Pegida (im folgenden Sammelbezeichnung für alle »Gida«-Bewegungen) diskutiert und geschrieben worden. Auch zum Charakter dieser neuartigen Protestbewegungen wurde Stellung genommen. Es handelt sich um einen gesellschaftlichen Rechtsruck, dessen Ursachen im Bereich komplexer politischer Fehlentwicklungen zu suchen sind. Notwendig sei eine Aktualisierung linker Politik als Opposition, merkte Dietmar Bartsch in einem Interview mit dem NDvom 19. Januar 2015 an. Der Parteivorstand forderte in seinem Beschluss vom 24. Januar 2015 zu Recht als Antwort auf Pegida nicht zuletzt »eine gesellschaftliche Bewegung für soziale Gerechtigkeit«.
Übersehen können wir jedoch nicht, dass selbstkritische Überlegungen bislang kaum zu hören sind und die unterbreiteten Schlussfolgerungen für die Politik der Linkspartei zu allgemein bleiben. Pegida wird bisher zu wenig in den Kontext einer hochexplosiven internationalen Lage und einer sich vertiefenden Verfallskrise des Kapitalismus eingeordnet. Die Diskussion erfordert eine stärkere Berücksichtigung der historischen Erfahrungen, die sozialistische und kommunistische Parteien mit ähnlichen Bewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machen konnten.
Es fehlt aus unserer Sicht vor allem bisher eine entscheidende Grunderkenntnis: Pegida ist auch ein Alarmsignal für die Schwächen der Partei Die Linke und der antikapitalistischen Linken in Deutschland insgesamt. Mit den folgenden ersten Überlegungen wollen wir die in der Partei begonnene Debatte fortführen.
Anwachsende politische Unzufriedenheit und Proteste sind nur auf dem Hintergrund objektiver Bedrohungen, von äußeren und inneren Entwicklungen zu verstehen, die signalisieren, dass die Welt aus den Fugen gerät. Es geht nicht darum, die Menschen schlechthin zu beruhigen, ihnen ihre Ängste auszureden, sondern darum, den Charakter dieser Bedrohungen offenzulegen, die Schuldigen zu benennen und Wege aufzuzeigen, die Ursachen aktiv zu bekämpfen.
Die Demonstrationen finden in einer Zeit statt, in der »der Westen« direkt oder mit Hilfe seiner Gefolgschaftsarmeen an den Peripherien des imperialen Zentrums immer neue Kriege führt. Der vorgebliche Zweck von Pegida, die Islamisierung des Abendlandes zu verhindern, resultiert aus einer tatsächlichen Bedrohung. Die medial vermittelten Bilder dieser Kriege sind so unheimlich (von Abu Ghraib bis zum IS), dass sie Folgen für die eigene Unversehrtheit fürchten lassen – zu Recht. Hauptursache der anwachsenden Bedrohungsängste ist aber eben nicht der Islam, sondern die Kriegspolitik von USA und NATO sowie die Rückkehr zum allgemeinen Banditentum in den internationalen Beziehungen.
Ohne die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan und im Irak gäbe es die Toten von Charlie Hebdo nicht. Das ist eine einfache und in den Medien verschwiegene Wahrheit. Auf diesen Zusammenhang in seiner globalen Dimension hat Papst Franziskus in seiner Predigt anlässlich des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkriegs am 13. September 2014 in der militärischen Gedenkstätte Redipuglia in einer Schärfe hingewiesen, die bei vielen Linken bisher nicht zu vernehmen war: »Auch heute, nach dem zweiten Scheitern eines weiteren Weltkriegs kann man vielleicht von einem dritten Krieg reden, der ›in Abschnitten‹ ausgefochten wird, mit Verbrechen, Massakern, Zerstörungen… Es ist möglich, weil es auch heute hinter den Kulissen Interessen, geopolitische Pläne, Geldgier und Machthunger gibt, und es gibt die Waffenindustrie, die anscheinend so wichtig ist!«
Die westlichen Eliten und ihre Medien lenken die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf ein Konglomerat von vermeintlichen Gründen, in deren Mittelpunkt der religiöse Fanatismus (Islamismus) steht. Das Schüren von Islamophobie, die Furcht vor Ausländern, die Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen (Frontex) sind Teil dieser Verschleierungsstrategie, die Wirkung zeigt. Die fortgesetzte Weigerung westlicher Medien und Politiker, den Anschlag von Paris und andere terroristische Aktivitäten als Antwort auf die eigenen Aggressionskriege zu benennen, lässt weitere Eskalationen für die Zukunft befürchten. Die unverkennbare Absicht von Kiew und NATO, den Konflikt mit der Ostukraine militärisch zu lösen und dabei die Russische Föderation in einen großen Krieg in Europa zu treiben, wird neue Ängste schüren.
Hinzu kommen die Bedrohungsängste vor den Folgen ökologischer Zerstörungen, vor allem aber vor einer sozial ungewissen Gegenwart und Zukunft, die weiterhin durch die Agenda 2010 geprägt sein wird. Mit Hartz IV ist die Bundesrepublik in eine Gesellschaft des Abstiegs, der Prekarisierung und Polarisierung verwandelt worden. Der soziale Status vieler Menschen ist real bedroht; soziale Unsicherheit, gesellschaftliche Verrohung und Konkurrenz in der Arbeitswelt nehmen zu. Gleichzeitig werden die gesellschaftlichen Verhältnisse für die Mehrheit der Bevölkerung immer weniger durchschaubar.
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung überrascht es nicht, dass das politische System der Bundesrepublik mit seiner viele Jahrzehnte stabilen Parteienlandschaft seit geraumer Zeit von einer Glaubwürdigkeits- und Legitimationskrise erfasst wird. Immer mehr Menschen, oft sogar die Mehrheit, misstrauen grundsätzlich den herrschenden politischen Eliten, den Leitmedien sowie den etablierten Parteien und nehmen an den Wahlen nicht mehr teil. Mitgliederstärke und Bindungskraft der bestehenden Parteien schwinden dahin. Zu einem wesentlichen Motiv der Stimmabgabe wird der Protest. Das ist inzwischen eine europaweite Tendenz. Unter den 14 Protestparteien, die bei der Europawahl im Mai 2014 Erfolg hatten, waren nur zwei dezidiert linke Parteien: Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien. In den anderen Ländern sind zumeist rechtspopulistische, nationalistische und faschistische Parteien im Aufwind, die die Unzufriedenheit nach rechts kanalisieren. Dazu gehört auch die AfD in Deutschland, die aus dem Stand sieben Prozent erreichte. Das ist ein Alarmsignal, das von der der gesamten Linken in der EU gehört werden sollte.
Heribert Prantl, stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, nennt die große Koalition »das Finale der deutschen Nachkriegsstabilität«. Es existiert faktisch ein neoliberales »Einparteiensystem« als »rotierendes Elitenkartell«. An der Einbindung der Linkspartei in dieses Kartell wird gearbeitet.
Die Wahl rechtspopulistischer Protestparteien ist das eine. Pegida nun ist eine andere Weise, die anzeigt, inwieweit sich das enorme Misstrauen gegenüber diesem Elitenkartell rechts artikuliert. Dokumentiert ist damit ein Legitimationsverlust bestehender Herrschaft. Die deutlichste Botschaft lautet: »Ihr lasst uns im Stich«. Merkmal von Pegida ist die Mobilisierung in Demonstrationen unter Losungen, die fremdenfeindlich und deutschtümelnd sind, aber auch an berechtigte Kritik am politischen System und an den Leitmedien anknüpfen.
Selbst nach der Veröffentlichung der empirischen Umfrage unter Teilnehmern in Dresden durch ein Team unter Leitung von Hans Vorländer (Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden) sowie der Untersuchung des renommierten Protestforschers Dieter Rucht ist es allerdings schwierig, Pegida als rechtspopulistische Bewegung hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung und der Motivation der Teilnehmer seriös einzuschätzen. Gesichert scheint, dass bei einer Mehrheit der Protestierenden eine generelle Unzufriedenheit mit der Politik im Vordergrund steht. Einiges spricht auch dafür, dass die überwiegend männlichen Teilnehmer »rechtsdrehende Protestneulinge« (Dieter Rucht) sind. Die Demonstrierenden sind augenscheinlich mehrheitlich Nichtwähler mit leicht überdurchschnittlichem Einkommen. Niedriglöhner und Prekarisierte sind vermutlich in etwa entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung unter den Demonstranten vertreten. Angehörige der gewerbetreibenden Mittelschicht sind offenbar deutlich überrepräsentiert.
In den bisherigen Pegida-Analysen aus linker Sicht gibt es deutliche Unterschiede bei der Motivbewertung der Demonstrationsteilnahme. Die von »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« gespeiste Islamophobie wird entsprechend der öffentlichen Wahrnehmung oft an erster Stelle genannt und dann folgt zumeist gleich das generelle Misstrauen gegen die etablierte Politik und gegen die Medien. Der reale oder drohende Statusverlust vieler Demonstranten wird als »Wohlstandschauvinismus« oder als »irrationale Ängste« charakterisiert.¹
Wir teilen die Einschätzungen von Herbert Schui, der das wirkliche Motiv für die Demonstrationen in der »Vorstellung einer allgemeinen Bedrohung, nämlich durch Arbeitslosigkeit, niedrige Renten, Armut allgemein« sieht und von einer »großen Aggressionsverschiebung« spricht.² Die angebliche Islamisierung ist der Ersatz für den »eigentlichen, den objektiven Gegner« – den herrschenden Block. Der appellatorische Gestus der Demonstrierenden gilt ja nicht den Flüchtlingen und Fremden, sondern den deutschen Eliten, dem deutschen Staat, seiner Regierung, seinen Parteien, seinen Verlautbarungsmitteln und Herrschaftsdiskursen. Das Erkennen der tatsächlichen Verursacher für diese Entwicklung (die kapitalistische Produktionsweise, die herrschende Klasse und deren politischer Teil) setzt aber nicht nur Wissen über die gesellschaftlichen und politischen Zustände, sondern auch die Bereitschaft voraus, gegen sehr mächtige Gegner in den Kampf zu ziehen.
Diese Bereitschaft ist im autoritätsgläubigen Sachsen und speziell in Dresden besonders gering ausgeprägt. Zum einen gibt es seit 1990 mit der durchgängigen CDU-Herrschaft eine stabile rechtslastige, sehr repressive Hegemoniekonstellation in der Regierung mit den entsprechenden Folgen für das politische und das geistig-kulturelle Leben im Freistaat. Flankiert wird diese konservative Vorherrschaft in der berühmt-berüchtigten »sächsischen Demokratie« von einem stabilen Teil der Wählerschaft, der für Parteien rechts von der CDU votiert (etwa 15 Prozent für NPD und AfD). Die Anfälligkeit signifikanter Teile der Bevölkerung für rechte Parolen ist somit größer als in anderen Bundesländern.
Das neoliberale Herrschaftssystem fördert mit allen Mitteln die Orientierung auf ein schwächeres Ersatzobjekt, das es zu bekämpfen gelte. Dieses Objekt sind bei den Pegida-Demonstrationen vorwiegend Flüchtlinge, Asylsuchende und Ausländer sowie die gegenüber dieser »Gefahr« angeblich untätigen Politiker. Eine »antiaufklärerische Aggression (greift) Platz«.³ Pegida-Demonstranten werden objektiv zu »nützlichen Idioten«: »Für die regierenden Parteien sind die Pegida-Demonstranten eine bequeme Opposition – denn die eigentlichen Fragen werden von ihnen gerade nicht gestellt.« 4
Das Gefährliche ist, dass dadurch politisch zu Recht Unzufriedene, die sich aktiv betätigen wollen, gegen ihre eigenen Interessen instrumentalisiert werden. Die da oben fühlen sich dann sicher, wenn sich die Unzufriedenheit nach unten richtet und die Gesellschaft ihr soziales Korrektiv, die Solidarität, einbüßt.
Wer über Pegida spricht, muss sich klar darüber sein, dass es in der deutschen Geschichte, konkret in der Weimarer Republik, schon einmal eine Situation gab, da der gesellschaftliche und politische Protest als Massenbewegung von ganz rechts organisiert wurde. Die damalige Spaltung der Arbeiterbewegung, die Unfähigkeit von SPD und KPD, ein überzeugendes Projekt einer politischen Alternative von links zu entwickeln, trug ganz wesentlich dazu bei, dass die kleinbürgerlich denkenden Teile der abhängig Arbeitenden den Nazis folgten und so zur Manövriermasse der nazifaschistischen »Machtergreifung« wurden. Der KPO-Politiker und Theoretiker August Thalheimer hat damals in seiner Faschismusanalyse eine auch für heute gültige Handlungsorientierung des antifaschistischen Kampfes formuliert.
Der marxistische Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth fasste in dem Gesprächsband »Ein Leben in der Arbeiterbewegung« aus dem Jahr 1976 die Überlegungen von Thalheimer zur Strategie des Antifaschismus dahingehend zusammen, dass angesichts solcher Massenbewegungen von Teilen der abhängig Arbeitenden, die in ihrer Verzweiflung dazu neigen, zu den Faschisten überzugehen, alles davon abhängt, dass »die Arbeiterklasse sich zu einer wirkungsvollen Alternative gegen die monopolkapitalistische Herrschaft entwickelt«.
Aktuell heißt das: Nur eine überzeugende und tragfähige politische Kraft, die die Macht- und Systemfrage, die Verteilungs- und die Eigentumsfrage stellt und eine Massenunterstützung für eine linke politische Alternative zu mobilisieren vermag, kann rechten und faschistischen Bewegungen den Boden entziehen.
Der Wahlerfolg von Syriza am 25. Januar 2015 illustriert die Richtigkeit dieser historischen Erfahrung. Die linke Partei gewann mehr als eine halbe Million Stimmen hinzu und konnte 36,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen (2012: 26,9 Prozent). Die faschistische Partei »Goldene Morgendämmerung« verlor zirka 37.000 Stimmen und mehr als 0,6 Prozentpunkte. Der Erfolg und das Konzept der griechischen Linken ist von allgemeiner Bedeutung für die Strategie gegen neofaschistische und rassistische Parteien und Bewegungen. Kern einer erfolgreichen antifaschistischen Strategie muss eine konsequente Oppositionspolitik sein, die eine tragfähige Alternative zur neoliberalen Politik vertritt und verständlich über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse aufklärt. Vieles auch im Kampf gegen Rechtspopulismus und Faschismus nicht nur in Griechenland wird davon abhängen, ob eine derartige Alternative dort nun auch praktisch politisch durchgesetzt werden kann.
In der Bundesrepublik ist es zunächst eine wichtige Aufgabe der Partei Die Linke, den ansprechbaren Teil der Pegida-Bewegung, deren große Mehrheit die politischen Verhältnisse, wie gezeigt, nur verzerrt wahrnimmt, mit dem tatsächlichen Gegner zu konfrontieren. Notwendig ist Aufklärung über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Insofern ist auch die Forderung nach konkreter Auseinandersetzung völlig richtig. Diese aber ist nur sinnvoll, wenn Die Linke konsequent die »antiaufklärerische Aggression« von Pegida zurückweisen und zugleich ihre Vorstellungen von einer politischen und sozialen Alternative zum herrschenden Politikbetrieb vortragen. Sie haben dabei zu beachten, dass im politischen Alltagsbewusstsein auch in Ostdeutschland mittlerweile Vorstellungen deutlich an Einfluss gewonnen haben, die die Schuld für soziale und politische Fehlentwicklungen bei den Schwächsten und nicht bei den in dieser Gesellschaft Herrschenden suchen.
Die Pegida-Demonstrationen machen deutlich, dass es weder dem herrschenden Block noch den übrigen Parlamentsparteien gelungen ist, den durch Kriege und neoliberale Politik prekarisierten oder verunsicherten Teilen der Bevölkerung ein beruhigendes strategisches Angebot zu unterbreiten. Bedauerlicherweise hat auch Die Linke keine überzeugenden Antworten. Das gilt auch in besonderer Weise für den sächsischen Landesverband, dessen linkes Oppositionsprofil sich in den letzten Jahren deutlich abschwächte. Die Rolle der Linkspartei kann sich nicht darin erschöpfen, in einer übergreifenden Parteienallianz der Pegida-Gegner aufzugehen.
Selbst wenn Pegida demnächst als Bewegung verschwinden sollte, wächst vermutlich in der nächsten Etappe der neoliberalen Transformation von Staat und Gesellschaft das Potential für ähnliche Bewegungen von rechts – solange es der Linkspartei nicht gelingt, die latenten Proteststimmungen als gesellschaftliche Kraft für progressive politische und gesellschaftliche Veränderungen zu nutzen. Eine Politik, die auf sozialen Zusammenhalt, auf mehr Gleichheit und Gerechtigkeit sowie soziale Sicherheit setzt, ist die beste Prävention gegen Ausgrenzung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Im Umkehrschluss verlangt der Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung eine ausdrückliche politische Polarisierung gegen die Profiteure der neoliberalen Politik und ihre Handlanger.
Wir sind der Überzeugung, dass ohne eine politische Offensive der Linkspartei gegen die wachsenden Kriegsgefahren und gegen die neoliberale Politik ein weiteres Anschwellen reaktionärer Bewegungen zu befürchten ist, egal unter welchem Namen diese Bewegungen künftig auch auftreten werden. Es besteht die reale Gefahr, dass die politische Initiative an eine noch disparate, sich gerade neu ordnende Rechte übergeht, »weil das die einzige Kraft ist, die sich von der zwar etablierten, ideell aber stagnierenden beziehungsweise geistig im Ableben begriffenen Mitte unterscheidet«.5
Die Linken insgesamt wie auch die Linkspartei müssen sich auf klare politische Botschaften verständigen. Die Alleinstellungsmerkmale der Partei, insbesondere als Antikriegsorganisation und als Partei der sozialen Gerechtigkeit, gewinnen an Bedeutung. Es ist dabei unabdingbar, dass die Partei »klare Kante gegen Rassismus« (Beschluss Parteivorstand vom 24. Januar 2015) zeigt, aktive Willkommenskultur praktiziert und alle Bewegungen für Flüchtlingshilfe und Weltoffenheit vor Ort unterstützt. Zugleich dürfen wir keine Angst haben, mit Menschen in Kontakt zu treten und sie anzusprechen, die »bisher keine klar linken und teils widersprüchliche bis schräge Auffassungen haben«.6 Diesen gilt es vor allem zu zeigen, wo die gesellschaftlichen Ursachen und der eigentliche politische Gegner zu suchen sind. Dafür benötigen wir neue Formen der Ansprache, die unser Anliegen deutlich machen. Im Sinn einer eigenständigen Profilierung der Partei in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen könnten unsere Hauptbotschaften sein: Frieden statt NATO!; Nieder mit Krieg und Kriegspolitik!; Schluss mit dem Terror unserer Kriege!; Schluss mit Hartz IV!; Arbeit für alle!; Für sozialen Frieden in unseren Städten!; Schluss mit der Medienpropaganda!
Anmerkungen
1 Gerd Wiegel: Bürgerbewegung von rechts. Die Pegida-Proteste und ihre Ursachen. In: ZeitschriftMarxistische Erneuerung Nr. 101, März 2015, unveröffentlichtes Manuskript
2 Herbert Schui: Die große Aggressionsverschiebung. Über Pegida, diffuse Ängste und die Reaktion der Politik. In: www.hintergrund.de
3 Byung-Chul Han: Zuhören! Pegida ist kein politischer Protest, sondern ein Angstsymptom. In:Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. Januar 2015
4 Ingo Schulze: Nützliche Idioten. Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2015
5 Heino Bosselmann: Gewinnt die Rechte die Initiative? Das Blättchen, Nr. 2, 19. Januar 2015
6 Ralf Krämer: Thesen zur gesellschaftlich-politischen Lage und den Aufgaben der Linken. Manuskript vom 28. Dezember 2014, www.sozialistische-linke.de
Volker Külow ist Historiker, war zwischen 2004 und 2014 Mitglied des Sächsischen Landtages und steht dem Stadtverband Leipzig der Partei Die Linke vor. Ekkehard Lieberam ist Politik- und Rechtswissenschaftler und Vorsitzender des Marxistischen Forums Sachsen. Dietmar Pellmann, ebenfalls Historiker, war von 1999 bis 2014 Mitglied des Sächsischen Landtages und dort langjähriger sozialpolitischer Sprecher.
Quelle: www.jungewelt.de vom 30.01.15
Richters Landeszentrale in Dresden hatte in den letzten Wochen mehrere »Diskussionsveranstaltungen« mit Pegida-Vertretern organisiert. Auch in dieser Woche waren schon seit längerem zwei derartige Events, am Donnerstag und Freitag, geplant, bei denen den Ausländerfeinden ein ehrbares, halbwegs offizielles Forum geboten werden sollte. Die »Diskussion« am gestrigen Donnerstag wurde kurzfristig zu einer Selbstverteidigung Richters umgewidmet.
Für die zahlreichen Blogger, die ihrem primitiven Ausländerhass in einschlägigen Internetforen Luft zu machen pflegen, ist Richter wegen seines beharrlichen Eintretens für Bachmann&Co. schon jetzt ein Held. Sie sehen sich durch ihn zum einen in ihren Wahnvorstellungen und Aggressionen bestätigt und aufgewertet. Zugleich greifen sie in ihren Kommentaren um so schärfer die Regierung und die Medien an, die Richter zu kritisieren wagen. Die Annahme, solche Leute durch »Dialogangebote« zivilisieren zu können, ist ein gefährlicher Irrglaube.
Das übergroße Verständnis der sächsischen Landeszentrale für islamfeindliche Agitation und Propaganda ist nicht neu. Im März 2008 – Richter war damals noch nicht dort tätig – lud man Henryk M. Broder ein, um sein einige Monate vorher erschienenes Buch »Hurra, wir kapitulieren!« vorzustellen. DerSpiegel-Journalist hatte darin dümmliche Pauschalurteile und Legenden über Muslime in aller Welt aneinandergereiht und die westliche Welt beschuldigt, vor der angeblich drohenden islamischen Gefahr »einzuknicken«. Als Mitveranstalter sollte der Verein »Sächsische Israelfreunde« auftreten. Er besteht aus sogenannten Evangelikalen – religiösen Sektierern und Fanatikern, die den großen christlichen Kirchen davongelaufen sind und die neben bedingungsloser Unterstützung Israels gern mal gegen homosexuelle Pfarrer stänkern. In der Veranstaltungsankündigung wurde das »Appeasement der westlich-demokratischen Kultur gegenüber gewalttätigen Drohungen islamischer Fundamentalisten« beklagt. Broders Auftritt wurde jedoch ohne Begründung, vermutlich aufgrund einer Intervention der Bundeszentrale, kurzfristig abgesagt.
Quelle: www.jungewelt.de vom 23.01.15
Abgesehen davon hat die rechte Bewegung eine ihrer eifrigsten Propagandistinnen in der Stadt Leipzig selbst. Denn die offizielle Teilnehmerzahl entscheidet letztendlich darüber, wie weit eine Kundgebung medial wahrgenommen wird. Am Mittwoch abend um 20 Uhr konnte der Polizeisprecher Alexander Bertram noch keine Aussage zur Teilnehmerzahl der Legida-Kundgebung machen, die gegen 18:45 Uhr begonnen hatte. Die Zahl werde noch mit der Versammlungsbehörde abgestimmt, sagte er auf jW-Nachfrage. Gegen 21 Uhr wurde die wohlwollende Zahl von 10.000 Demonstranten kolportiert, die Nachrichtenagentur dpa sprach von 13.000. In der offiziellen »Pressemitteilung zum Versammlungsgeschehen« von 23:59 Uhr hieß es dann: »Insgesamt schlossen sich ca. 15.000 Menschen dem Legida-Aufzug an.« Die allermeisten Medien von MDR Info bis Spiegel online übernahmen diese Summe in ihrer Berichterstattung, offenbar ungeprüft. Leise Zweifel klangen bei der Süddeutschen, lautere in den sogenannten sozialen Netzwerken an. Tatsächlich standen sich höchstens 5.000 Legida-Teilnehmer auf dem locker-luftig gefüllten Augustusplatz die Beine in den Bauch. Wie kann es zu einer solch eklatanten Differenz kommen?
Nachfrage am nächsten Vormittag beim Pressesprecher der Leipziger Polizei, Uwe Voigt: »Mir erschien die Zahl auch ziemlich hoch«. Aber man solle nicht ihn fragen, die Stadt habe 15.000 als erstes bekanntgegeben, »das ist nicht Sache der Polizei alleine«, so Voigt. Also die nächste Nachfrage bei Matthias Hasberg, Referatsleiter Kommunikation der Stadtverwaltung: Mit welcher Zählmethode komme man denn auf 15.000? Zweifel an der veröffentlichten Anzahl der Teilnehmer kann auch Hasberg nachvollziehen, er sei selbst auf dem Augustusplatz gewesen. Aber Hasberg verweist wiederum auf die Polizei. Es scheine so, dass während des Legida-Demonstrationszuges, der zwischen den beiden Kundgebungen auf dem Augustusplatz um den halben Innenstadtring zog, weitere Demonstranten hinzugestoßen seien. Und anschließend – zum Abschluß des Aufmarsches auf demselben Platz – wieder verschwunden wären. Aber das habe er auch nur gehört. Der Demonstrationszug jedenfalls sei aus einem Polizeihubschrauber heraus gescannt und gerastert worden. Daraus habe sich die offizielle Teilnehmerzahl ergeben. Hasberg: »Da scheint es eine Unschärfe zu geben«.
Unbestritten ist jedenfalls, dass die Legida-Organisatoren ihr angepeiltes Ziel, mit 60.000 Demonstranten über den gesamten Ring zu ziehen, grob verfehlt haben. Nicht einmal annähernd gelang es, wie beabsichtigt, an die Wucht der ’89er-Demonstrationen anzuknüpfen. Die Redebeiträge der Legida-Kundgebung pendelten irgendwo zwischen Größenwahn, Opferrolle und persönlichen Angriffen. Rechtspopulist Jürgen Elsässer durfte zum ersten Mal gegen die »Islamisierung des Abendlandes« schwäbeln, der als »halber Ausländer« angekündigte Niedersachse Leif Hansen wünschte sich endlich eine Verfassung, der rechtsnationale Aktivist Götz Kubitschek verriet endlich, warum Legida auf der Straße sei (Antwort: »Wir sind das Volk«), und zum Schluss durfte sich Jörg Hoyer in der Rolle des anachronistischen Einpeitschers gefallen. Auffällig: Kein Wort gab es zum Zerwürfnis mit der Dresdner Original-Pegida, deren weichgespültes Positionspapier die Leipziger Ableger nicht unterzeichnen. Keine Rede davon, dass der Dresdner Pegida-Initiator Lutz Bachmann kurz vor der Kundgebung aufgrund seiner bei Facebook verfassten Hetzparolen zurückgetreten war. Und: Im Vergleich zum Legida-Aufmarsch vor einer Woche fielen die geschichtsrevisionistischen Töne vom »Kriegsschuldkult« diesmal unter den Tisch, die breite Masse soll wohl nicht verschreckt werden. Nichtsdestotrotz ist das Feindbild klar: Islamistischer Terror habe in Dresden am Montag den »Spaziergang« verhindert, beschwor der Moderator: »Bei uns in Leipzig kommt der Terror von links!« Er meinte OB Jung und Linke-Stadträtin Juliane Nagel, die während der Veranstaltung immer wieder als Sündenböcke herhalten mussten. »Pfui«, »Lügenpresse«, »Volksverräter«, so die Reaktionen des Publikums. Losungen wie »Schluss mit der Lügenpolitik der Synagoge Satans« waren auf Plakaten zu lesen. Das Stilmittel, jede Redepassage im unvermeidlichen »Wir sind das Volk« münden zu lassen, hatte jeder der am Mikro Stehenden sowieso verinnerlicht. Zum Schluss gab’s die Hymne, alle ließen ihre Handys leuchten, und der Spuk war vorbei. Vorerst.
Quelle: www.jungewelt.de vom 23.01.15
Die AfD ist die neoliberale Partei für wildgewordene KleinbürgerInnen, für den „Extremisten der Mitte“, für Reaktionäre, Strukturkonservative und Anhänger des Wirtschaftsliberalismus. Sie hat mit dem „kleinen Mann“, mit der „kleinen Frau“ auf der Straße nichts gemein! Sie ist spießig und miefig, teilweise auch rassistisch und ohne Frage pro kapitalistisch. Sie ist eigentlich eine verschärfte Neuauflage der FDP! Die AfD vertritt nicht nur die herrschende Elite, sie ist selbst ein Bestandteil der herrschenden Elite!
Bad Neuenahr, 13.01.15
Im Mai 2015 findet im Kreis Ahrweiler die Landratswahl statt. Seit dem Jahr 2000 (aber auch davor) wird immer ein CDU – Kandidat gewählt. Ähnlich verhält es sich bei den Bürgermeisterwahlen. Die SPD hat bisher noch niemals einen eigenen Kandidaten oder eine eigene Kandidatin zur Landratswahl benannt. Auch bei uns im Kreis Ahrweiler agiert die SPD weit unter ihren Möglichkeiten, da sie ihrer Oppositionsrolle nicht gerecht wird. Bei der letzten Bürgermeisterwahl hat sie keinen eigenen Kandidaten, keine eigene Kandidatin aufgestellt. Auch bei der kommenden Landratswahl will sie keinen eigenen Kandidaten, keine eigene Kandidatin ins Rennen schicken. Ist das die Schere im eigenen Kopf, eine Selbstzensur? Wirft die SPD vorschnell das Handtuch ob der scheinbaren Übermacht der CDU im Kreis Ahrweiler, oder hat sie etwa keinen geeigneten Kandidaten, keine geeignete Kandidatin in ihren Reihen gefunden? Sie hatte 15 (!) Jahre Zeit, jemanden aus ihrer Ratsfraktion entsprechend politisch „aufzubauen“. Symptomatisch ist auch, dass die SPD – Fraktion sowohl auf der Stadtrats-, als auch auf der Kreistagsebene nahezu alles brav abnickt, was die CDU in den Ausschüssen oder in den Ratssitzungen zur „Diskussion“ stellt. Ist das die „Große Koalition“ auf der regionalen, der lokalen Ebene? Aus Sicht der Partei DIE LINKE., aber auch aus der Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger, ist die SPD schon seit vielen Jahren zur kleineren CDU mutiert, zum Papiertiger, nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch im Kreis Ahrweiler. Demnach ist die SPD als Oppositionskraft überflüssig, da sie das politische Zepter ohne Not freiwillig aus ihren Händen gibt, da sie weder widerständig noch kämpferisch für eine politische Veränderung im Kreis Ahrweiler eintritt. Die inhaltlichen, politischen Unterschiede zwischen der neoliberalen SPD und der ebenfalls neoliberalen CDU sind nur noch minimalst zu erkennen, wenn überhaupt! Hier wird erneut die Chance vertan, durch einen Gegenkandidaten, und sei es durch einen Gemeinschaftskandidaten von SPD, den Grünen und von der Partei DIE LINKE., trotz der bestehenden Mehrheitsverhältnisse frischen Wind in die Kreispolitik zu bringen und neue Impulse zu setzen. Dies würde der SPD als auch der Kreispolitik gut tun!
Bad Neuenahr, 13. 01.15
Quelle: www.jungewelt.de vom 06.01.15