Vom 14. bis zum 19. September fand in Bonn eine Konferenz von rund 80 Trägern des Alternativen Nobelpreises »The Right Livelihood Award« statt.
Am Sonntag faßten die Veranstalter die Ergebnisse der Tagung in einer Pressemitteilung zusammen:
Alternative Nobelpreisträger erklären Atomkraft für überholt.
Laureaten fordern Reisefreiheit für Preisträger Mordechai Vanunu
Die Konferenz der »Alternativen Nobelpreisträger«, die sich anläßlich des 30. Jubiläums der ersten Preisvergabe 1980 in Bonn versammelt hatten, ging mit einem klaren Appell, die Atomkraftwerke abzuschalten und den Weg für erneuerbare Energien frei zu machen, zu Ende. Die Preisträger aus fast 40 Nationen äußerten ihre Irritationen darüber, daß Deutschland, das weltweit mit dem Gesetz für erneuerbare Energien zum Vorbild einer nachhaltigen Energiepolitik geworden ist, nun zu einer wissenschaftlich und politisch überholten Position zurückkehren wolle. In einer Grußbotschaft an die Berliner Demonstration gegen die Laufzeitverlängerung wiesen sie darauf hin, daß immer wieder Preisträger des »Right Livelihood Award« gezeigt hätten, daß die Energieversorgung ohne Atomkraft möglich, finanzierbar und auch in kurzen Zeiträumen umsetzbar sei. »Die Atomkraft«, so heißt es in der von 31 Laureaten unterschriebenen Petition »gehört ins Naturmuseum, als warnendes Beispiel für Technologien, die nicht gesellschaftsfähig sind«.
Darüber hinaus forderten die in Bonn versammelten Preisträger und Preisträgerinnen von der israelischen Regierung, endlich dem israelischen Laureaten Mordechai Vanunu seine vollen Bürgerrechte zurückzugeben und ihn nicht länger unter Hausarrest zu halten. Mordechai Vanunu, der den Alternativen Nobelpreis 1986 für die Offenlegung der geheimen atomaren Rüstung in Israel erhalten hatte, hatte seitdem achtzehn Jahre in israelischen Gefängnissen gesessen, davon elf Jahre in Einzelhaft. Nach seiner Freilassung 2004 stand er unter Hausarrest, und es wurde ihm untersagt zu reisen und Kontakte zu Ausländern oder Journalisten aufzunehmen. Da Vanunu, der diese Einschränkung für rechtswidrig hält, immer wieder die Stimme gegen die israelischen Atomwaffen erhob, wurde er wiederholt verurteilt und erst vor wenigen Wochen wieder aus einer dreimonatigen Haft entlassen. Eine Reise zum Treffen der Alternativen Preisträger in Bonn war ihm untersagt worden. (…)
Zudem verabschiedeten die Laureaten zahlreiche weitere politische Aufrufe. Dabei ging es um den Schutz der antiken türkischen Stadt Hasankeyf, die durch das Ilusu-Staudammprojekt weiterhin gefährdet ist, und um die Forderung, den Goldabbau mit Zyanid wegen der immensen Umweltgefahren zu verbieten. Die Laureaten unterstützen ihre russische Kollegin Alla Yaroshinskaya in ihrer Forderung nach Schadensersatz für die Opfer von Tschernobyl und die Errichtung eines Denkmals für die Opfer zum 25. Jahrestag des Atomunglücks. Die Preisträger forderten auch, dem Schutz der großen afrikanischen Regenwälder Priorität einzuräumen, und unterstützen damit die Arbeit des aktuellen Preisträgers René Ngongo zum Klimaschutz. Sie richteten zudem die Bitte an den UN-Generalsekretär, Babys und junge Mütter weltweit vor falscher Ernährung zu schützen und die Werbung für Trockenmilch zu beschränken. Durch falsche Ernährung sterben jährlich 1,5 Millionen Kinder, bevor sie das erste Lebensjahr erreicht haben. (…)
Quelle: www.jungewelt.de vom 20.09.10
Vier Monate nach seinem Abgang als Vorsitzender der Linkspartei hat sich Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Linksfraktion im saarländischen Landtag, am Wochenende wieder bei einer überregionalen Veranstaltung seiner Partei zu aktuellen Fragen geäußert. Niemals zuvor sei die Wahrheit »Geld regiert die Welt« so dramatisch bestätigt worden wie in den letzten Monaten, stellte Lafontaine bei einer von der Bundestagsfraktion Die Linke veranstalteten Konferenz unter dem Motto »Blasen, Crashs, Renditejagd – sind die Banken noch zu retten?« in der Finanzmetropole Frankfurt am Main fest.
Zwei Jahre nach dem Ausbruch der Krise herrsche ein »Rückfall in neoliberale Denkmuster« vor, konstatiert Lafontaine. Es sei nichts geschehen, um neuen Einbrüchen entgegenzuwirken. Als Finanzminister der früheren Bundesregierung aus SPD und Grünen habe er 1998–99 zusammen mit seinem damaligen Staatssekretär Heiner Flassbeck Wechselkursspekulationen verhindern und die Volkswirtschaften vor dem Zugriff der internationalen Finanzmärkte schützen wollen. Dies sei am Widerstand von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Vizekanzler Joseph Fischer (Grüne) gescheitert. Lafontaine verlangte ein Verbot von Wechselkursspekulationen und eine strikte Trennung des klassischen Bankgeschäfts vom »Spielbankengeschäft«. Auch müsse die Spekulation mit Nahrungsmitteln unterbunden werden, zumal viele Menschen weltweit mit Hunger Spekulationsgewinne an den Börsen finanzierten.
Ebenso verlangte Lafontaine ein Verbot aller Spenden von Banken und Versicherungen an politische Parteien. »Warum kriegen die Grünen immer noch Geld von der Allianz? Weil sie bei der Riester-Rente mitgemacht haben«, rief der Exparteichef aus. Die jüngste Distanzierung der SPD von der »Rente mit 67« sei nur »ein Schrittchen«. Eine wirkliche Reform setze die Abkehr vom durch die »Riester-Rente« eingeleiteten »Anfüttern der Spekulation und der internationalen Finanzmärkte« voraus.
Zudem müsse die Partei auch wieder die »Eigentumsfrage als die Machtfrage der Wirtschaftsordnung« auf die Tagesordnung setzen, riet Lafontaine. Nicht Großaktionäre wie Quandt, Klatten, Piëch oder Schaeffler, sondern die Beschäftigten hätten die Milliardenreichtümer geschaffen. »Sie haben die Felsbrocken herbeigeschleppt und sollten Eigentumsrechte an diesen Felsbrocken haben!«, so Lafontaine. »Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf der Enteignung der Arbeitnehmer und ist streng genommen grundgesetzwidrig.« Wirtschaftliche Macht dürfe ebensowenig vererbbar sein wie politische Macht. Wolle man den Grundsatz »Eigentum entsteht durch Arbeit« wieder einführen, müsse man die »Finanzmarkthaie zum Teufel jagen, denn die arbeiten nicht und haben viel mehr als diejenigen, die wirklich arbeiten«.
Im Zusammenhang mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse bemängelte Lafontaine, daß der Staat den Banken Geld zu einem historisch niedrigen Leitzins zur Verfügung stelle und sich das Geld von ihnen zu satten Zinssätzen zurückleihe. Diese »Verschuldungsmaschine« zur Förderung der Banken müsse endlich abgestellt werden.
Noch stärkeren Zustrom als die Konferenz fand eine Podiumsdiskussion mit Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut und dem Wormser Wirtschaftsprofessor Max Otte am Freitag abend. Dabei warnten sowohl Wagenknecht als auch Otte vor neuen Turbulenzen. »Wir steuern auf die nächste Krise zu«, erklärte Otte und bemängelte, daß sich die »Finanzoligarchie an den Schalthebeln der Macht breitgemacht« habe. Wagenknecht verglich die Geschäftspraktiken der Banken mit einem Autoproduzenten, der ein Auto auf den Markt bringe, »bei dem die Bremse nur ein Jahr hält«. Gleichzeitig betreibe er eine Wette gegen die Autoversicherung und schöpfe daraus Gewinn, daß die Versicherung pleite geht.
Auch Sinn attestierte im Zusammenhang mit der Finanzkrise ein »Systemversagen« vor allem in den USA. Mit seinem Bekenntnis zur »Selbststeuerung der Marktwirtschaft« und zur Notwendigkeit niedriger Löhne erntete der ifo-Chef allerdings Widerspruch im Publikum.
Es sei »besser, wenn deutsches Kapital hier bleibt und nicht in den griechischen Konsum von Porsche und Mercedes fließt«, erklärte Sinn, der die BRD am Beginn eines von der Bauwirtschaft ausgehenden »Super-Booms« sieht. Sahra Wagenknecht unterstrich die Forderung nach Vergesellschaftung der Großbanken. Dies müsse mehr sein als eine reine Eigentumsänderung und mit einer Demokratisierung einhergehen. Schließlich bleibe auch Vattenfall ein »kapitalistischer Konzern, auch wenn er dem schwedischen Staat gehört«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 20.09.10
Für viele Menschen an der Mosel hat es bis heute kein Erinnern an die Verbrechen im KZ Außenlager Cochem gegeben, an denen einige von ihnen direkt beteiligt waren. Jahrzehnte ohne merkliche Rückbesinnung auf geschehenes Unrecht sind vergangen. An die vorsätzliche Vernichtung überwiegend politischer Häftlinge und Kriegsgefangener durch Arbeit, Folter und Exekutionen fehlt das Gedenken.
Manche Politiker und Behörden behindern bis heute Forschungsarbeiten, vertuschen die Geschichte ihrer Region, statt eine öffentliche Auseinandersetzung und Aufarbeitung zu suchen.
Nach längerem peinlichem Gezerre im Bruttiger Gemeinderat wurde in den achtziger Jahren auf dem Friedhof der Gemeinde ein Gedenkstein errichtet. Leider trägt er eine irreführende und sachlich falsche Aufschrift. Ein Gedenkstein auf dem Treiser Friedhof erinnert seit Mitte der neunziger Jahre an die Opfer der Lager. Dass auch dieser Stein eine falsche Inschrift trägt, haben aufmerksame Bürger kurz vor seiner Fertigstellung noch eben verhindern können. In der Fremdenverkehrsstadt Cochem sucht man bis heute vergeblich nach einem Zeichen der Erinnerung.
Interessierte – insbesondere aus der Großregion Eifel, Mosel, Hunsrück – bitte ich zwecks Bildung einer Arbeitsgruppe alsbald mit mir Kontakt aufzunehmen:
Quellen: http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Bruttig-Treis
Das Establishment ist in der Bredouille. Auf Biegen oder Brechen wollte die ganz große Koalition aus CDU, SPD, FDP und Wirtschaftsverbänden – im Schlepptau sogar noch die Gewerkschaftsspitzen – das Prestigeprojekt »Stuttgart 21« durchziehen. Der als obrigkeitshörig geltende Schwabe werde es schon mit sich machen lassen, so das Kalkül. Es ist nicht aufgegangen. Seit Wochen protestieren die Menschen im Südwesten massenhaft gegen die Tieferlegung ihres Bahnhofs, ketten sich Jugendliche an Bagger und Kräne, demonstrieren Rentner lautstark vor dem mit etlichen selbstgemalten Plakaten behängten Bauzaun.
Ignorieren kann den Protest niemand mehr. Die SPD reagiert wie üblich: Sie eiert rum. Wie schon bei der »Agenda 2010« halten die Sozialdemokraten – unter deren Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee das Wahnsinnsprojekt gestartet wurde – das Ganze für ein »Kommunikationsproblem« und versuchen, zugleich Opposition und Regierung zu spielen. Den Bau des Tiefbahnhofs und einer ICE-Strecke von Stuttgart nach Ulm befürworten sie weiterhin. Dennoch sollen die Arbeiten bis zur Durchführung einer Volksabstimmung eingestellt werden.
Union und FDP handeln hingegen nach dem Motto: Augen zu und durch. Es könne nicht hingenommen werden, daß die Demonstranten »ein vermeintlich höheres Recht« in Anspruch nähmen, um das Vorhaben zu stoppen, erklärte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am Freitag im Bundestag. Schließlich sei »Stuttgart 21 nach allen Regeln rechtsstaatlicher Kunst« zustande gekommen. In der Tat haben Bahn-Bürokraten und Politiker versucht, die Bevölkerung nach allen Regeln der Kunst zu verschaukeln. Erkenntnisse über die tatsächlichen Kosten und verkehrspolitischen Auswirkungen des Projekts wurden unter Verschluß gehalten oder ignoriert. Ein Bürgerentscheid wurde trotz 67000 Unterstützern mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Freien Wählern abgelehnt.
Und das Lügen geht weiter. »Ein Ausstieg aus dem Projekt würde sich auf die Verkehrsinfrastruktur in Baden-Württemberg fatal auswirken«, so Ramsauer am Freitag. Das Gegenteil ist der Fall: Mit nur noch acht statt 17 Gleisen im tiefergelegten Bahnhof würden sich Störungen stärker auswirken. Die Neubaustrecke ist bei einer Steigung von 3,1 Prozent für Güterzüge ab 1500 Tonnen unbrauchbar. Vor allem aber würden die Milliarden, die für »Stuttgart 21« verbuddelt werden, anderswo fehlen. Schon beim Fahrplanwechsel 2007 wurden gut ausgelastete Pendlerzüge gestrichen, um Geld dafür freizusetzen. Insgesamt könnten zehn bis elf Milliarden Euro mit »Stuttgart 21« in den Sand gesetzt werden – zu mehr als drei Vierteln finanziert aus Steuern.
Der Widerstand hat schon gewirkt. Aber der Kampf ist noch nicht gewonnen. Ein Erfolg würde zeigen, daß Massenproteste auch bereits getroffene Entscheidungen kippen können. Die Schwabenbewegung würde zum bundesweiten Vorbild werden. Auch das ist ein Grund für die Unnachgiebigkeit des Establishments.
Quelle: www.jungewelt.de vom 18.09.10
Presseerklärung des Linke-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm vom 14. September zu einer Auseinandersetzung mit dem Spiegel:
Wegen eines der zahlreichen Beiträge des Spiegel aus dem Bundestagswahlkampf, in denen er gegen Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und deren nähere Mitstreiter bei der Linken besondere Geschütze aufgefahren hatte, mußte sich der Spiegel nun ein zweites Mal einem gerichtlichen Verfahren unterwerfen.
In einer seitenlangen Spalte war unter anderem behauptet worden, Dehms Mitarbeiter Klaus Höpcke habe Peter Sodann ins Gefängnis gebracht. Die Anerkenntnis dieser Aussage als Falschbehauptung und die Erklärung, sie in Zukunft zu unterlassen, unterzeichnete der Spiegel dann postwendend und noch vor dem Bundestagswahltermin.
Anders verhielt es sich mit einem weiteren Verfahren, das Diether Dehm anstrengte und das jetzt erst seinen Abschluß fand: Hier hatte der Spiegel in seiner Nr. 9/2009 behauptet, Dehm habe versucht, den Beifall für Gregor Gysi auf dem Bundeswahlparteitag der Partei Die Linke am 20. Juni 2009 zu verkürzen.
Am 13. September mußte der Spiegel vor dem Kammergericht in zweiter Instanz nun die Unterlassungserklärung unterzeichnen und die mehrheitliche Kostenübernahme akzeptieren. Der Spiegel hatte sich in seiner Bildunterschrift gegen Diether Dehm abfällige Bemerkungen von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit (»destruktive Kraft«) über den Spitzenkandidaten der niedersächsischen Linken zu eigen gemacht und mit den beiden Falschbehauptungen zu unterstützen versucht.
Die Falschbehauptung, Dehm habe den Beifall für Gysi verkürzen wollen, entpuppte sich nun als freie Erfindung des Spiegel.
Quelle: Junge Welt, 17. 10. 2010
Nach fast zwei Jahren Präsidentschaft steht fest: Unter Barack Obama hat sich die Politik der USA nicht geändert, das Staatsoberhaupt verschärfte sogar den menschenrechtsfeindlichen Kurs
Von Philipp Schläger
Nachdem die »Yes we can!«-Rufe aus dem Wahlkampf verhallt sind, sehen auch Republikaner keinen Unterschied zwischen der Obama-Administration und der Politik von George W. Bush. In diesen Tagen erscheint im Berliner Verlag Rotbuch eine Einschätzung der Politik des US-Präsidenten Barack Obama. Geschrieben wurde sie von unserem Auslandskorrespondenten in New York, Philipp Schläger. jW veröffentlicht leicht gekürzt und mit Zwischenüberschriften versehen das Kapitel über den Umgang des Präsidenten mit Guantánamo sowie mit Folter und gezielter Tötung von politisch Unliebsamen.
Mehr Willen zeigte Präsident Obama (…) bei der Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo. Dessen Fortbestehen schade dem Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt und gefährde die Sicherheit Amerikas, sagte er. Die Verbringung der Gefangenen in amerikanische Hochsicherheitsgefängnisse stelle dagegen keine Gefahr dar und stünde im Einklang mit amerikanischen Idealen. Es war mehr ein symbolischer Schritt als ein fundamentaler Kurswechsel. Das Gefangenenlager war zum Inbegriff der Exzesse der Regierung Bush geworden, ein Symbol unbegrenzter präsidialer Macht im Kampf der USA gegen die ganze Welt.
Mit 500 Gefangenen wurde ein Großteil der Inhaftierten bereits von Präsident Bush in die Freiheit entlassen oder in Länder überstellt, in denen sie heute unter Auflagen in Freiheit leben oder aufgrund von strafrechtlichen Ermittlungen inhaftiert bleiben. Der Wandel, den Barack Obama versprochen hatte, war daher eher symbolischer Natur. Mit der Schließung des Lagers und dem Transfer oder der Entlassung der restlichen 240 Gefangenen betraute er Daniel Fried, den ehemaligen Vizeaußenminister der Bush-Regierung.
Doch wie sich bald herausstellen sollte, gestaltete sich die Schließung des Lagers schwieriger als erwartet. Zunächst war unklar, wohin die im Lager verbliebenen Gefangenen gebracht werden sollten. Im Kongreß wehrten sich Republikaner wie Demokraten gegen eine Aufnahme der Häftlinge in Gefängnisse in ihren Bundesstaaten und blockierten die Schließung. Im Mai votierte der Senat nahezu geschlossen gegen die Finanzierung einer »Verlegung, Entlassung oder Inhaftierung« der Guantánamo-Insassen auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten. Die Abgeordneten waren nicht bereit, die vermeintlichen und im allgemeinen Sprachgebrauch längst verurteilten »Terroristen« aufzunehmen, um anschließend einen rechtsstaatlichen Prozeß zu organisieren, geschweige denn, sie auf amerikanischem Territorium freizulassen. (…)
Nun machte Obama sich die Sache zu eigen. Der Plan für einen Prozeß in New York kam ohnehin nicht recht voran, Bürgermeister Michael Bloomberg, der das Verfahren anfangs befürwortet hatte, sprach sich schließlich in Anbetracht der hohen Kosten und des Sicherheitsaufwands dagegen aus. Die Attentatsversuche des »Unterhosenbombers« Umar Farouk Abdulmutallab im Dezember 2009 und von Faisal Shahzad mit einer Autobombe auf dem New Yorker Times Square im Mai 2010 verschärften die Debatte. Präsident Obama erklärte sich unter dem Druck der Konservativen und angesichts einer neuen Dimension von Terrorversuchen durch amerikanische Staatsbürger bereit, das sogenannte Miranda-Recht für Terrorverdächtige zu modifizieren. Nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Institut müssen Beschuldigte vor der Vernehmung über ihre Rechte aufgeklärt werden. Dazu gehört etwa das Aussageverweigerungsrecht oder das Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts. Im März 2010 erschienen Berichte, nach denen die Obama-Administration (dem mutmaßlichen Hintermann der Anschläge vom 11. September, Khalid Scheikh – d. Red.) Mohammed, und seine Komplizen abweichend von den Verlautbarungen des Justizministeriums vor Militärtribunalen anzuklagen plane.
Für rund 50 Gefangene gibt es weder eine Aussicht auf eine Entlassung noch auf irgendeine Art von Verfahren. Die US-Regierung will sie unbefristet festhalten. Im Mai 2009 hatte Barack Obama in seiner Rede zur Nationalen Sicherheitspolitik noch davon gesprochen, daß die Entscheidung über eine lang andauernde Inhaftierung nicht von einem einzelnen Menschen getroffen werden dürfe, und die Idee einer gesetzlichen Regelung ins Spiel gebracht, die bei Menschenrechtlern auf heftigen Widerstand gestoßen war. Im September 2009 berichtete die New York Times, daß die Obama-Administration im Kongreß nicht mehr auf die Verabschiedung einer speziellen Ermächtigungsgrundlage für die Inhaftierung der 50 Häftlinge drängen würde. Die US-Regierung beruft sich nunmehr auf die Autorisierung des Präsidenten zur Anwendung militärischer Gewalt gegen die Taliban und Al-Qaida durch den Kongreß 2001. George W. Bush hatte diese Autorität noch aus seiner Exekutivgewalt abgeleitet. Das Ergebnis bleibt dasselbe. (…)
Schutz für folternde Soldaten
Barack Obama versprach auch eine »bislang nicht dagewesene Offenheit« der US-Regierung. Transparenz stärke die Demokratie und mache die Arbeit der Regierung effizienter. Anfragen nach Dokumenten der Regierung auf der Grundlage des Freedom of Information Act sollten im Zweifel Folge geleistet werden – eine 180-Grad-Wende gegenüber der nach dem Justizminister George W. Bushs benannten »Ashcroft-Regel«. Doch schon bald zeigten sich die Grenzen der neuen Offenheit. Erst auf Druck der ACLU (die Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union – d. Red.), die auf der Grundlage des Freedom of Information Act auf die Freigabe der Dokument klagte, veröffentlichte die Obama-Administration im April 2009 die sogenannten Folter-Memos. Angesichts einer aussichtsreich erscheinenden Klage würde es besser aussehen, die Dokumente vorher »freiwillig« zu veröffentlichen, als aufgrund eines Gerichtsurteils dazu »gezwungen zu erscheinen«, sagten Mitarbeiter des Weißen Hauses.
Im April befürwortete seine Administration zudem die Veröffentlichung von neuen Fotos, die Mißhandlungen von Gefangenen in Afghanistan und im Irak durch US-Soldaten dokumentieren. Nur einen Monat später erfolgte der Kurswechsel. Auf Anraten des Pentagon untersagte Präsident Obama die Veröffentlichung, weil Kommandeure negative Auswirkungen auf ihre Truppen in den Kriegsgebieten befürchteten. Hinter den Kulissen setzte das Weiße Haus eine Änderung des Freedom of Information Act durch, nach der das Verteidigungsministerium in Zukunft jedwede Bilder von der Behandlung von Gefangenen unter der Bush-Administration zurückhalten darf. Im August veröffentlichte das Justizministerium zudem den Bericht des Generalinspekteurs der CIA, der unter George W. Bush 2004 die Umsetzung von Folter-Memos untersucht hatte. Viele Stellen in dem Bericht blieben weiterhin geschwärzt. Andere waren nun freigegeben und lassen darauf schließen, daß es bei ihrer Schwärzung nicht um die Sicherheit der Vereinigten Staaten gegangen war, auf die Präsident Bush regelmäßig verwiesen hatte, sondern um die Vertuschung von Straftaten. Der Bericht machte deutlich, daß die CIA-Folterer in zahlreichen Fällen selbst über die weiten Vorgaben der Folter-Memos hinausgegangen waren. Justizminister Eric Holder kündigte daraufhin eine »vorläufige Prüfung« dieser Exzesse an, die sich jedoch nicht gegen die Architekten des Folterprogramms richten sollte. Ein Ergebnis lag auch knapp ein Jahr später noch nicht vor.
Inzwischen verhindert die Obama-Administration die Veröffentlichung zahlreicher Dokumente, die mit Verbrechen der Bush-Administration in Zusammenhang stehen, wie etwa mit dem Programm für Geheimgefängnisse der CIA oder Dokumente über die Zerstörung von Verhörvideos. Sie habe auch weniger Informationen über Gefangene im afghanischen Bagram veröffentlicht als die Bush-Administration über Häftlinge in Guantánamo, kritisierte die Bürgerrechtsorganisation ACLU.
Obamas Nationale Sicherheitsstrategie vom Mai 2010 beinhaltet zudem das sogenannte State Secrets Privilege. Danach kann die Regierung in zivilgerichtlichen Verfahren den Ausschluß bestimmter Beweismittel verlangen, deren Veröffentlichung die nationale Sicherheit gefährden würde. Die Gerichte überprüfen in der Regel nicht, ob die Behauptung der Regierung zutreffend und die Gefährdung real sind. Die Bush-Administration hatte sich beispielsweise in Schadensersatzverfahren ehemaliger Gefangener und Folteropfer regelmäßig auf dieses von der Rechtsprechung entwickelte Instrument berufen. Auch unter der Administration Barack Obamas haben Opfer von Folter keine Möglichkeit, Schadensersatz und Schmerzensgeld vor amerikanischen Gerichten geltend zu machen. Rechtswissenschaftler hatten vorangegangene Administrationen einschließlich der von George W. Bush für ihren regelmäßigen Rückgriff auf diesen Grundsatz kritisiert, da sie diesen lediglich im eigenen Interesse und zum Schutz vor einer juristischen Aufarbeitung nutzten.
Präsident Obama änderte daran nichts. Im Gegensatz zur Vorgängerregierung versprach er lediglich, dieses Mittel nur begrenzt einzusetzen und nicht als Instrument zur Verschleierung von Straftaten zu benutzen. Doch die Realität sieht anders aus: In einer aufsehenerregenden Klage des Äthiopiers Binyam Mohamed und vier weiterer Kläger gegen eine Tochterfirma von Boeing berief sich der Anwalt der Regierung noch im Februar 2009 weiter auf das State Secrets Privilege. Die beklagte Firma soll im Rahmen des geheimen Auslieferungsprogramms der Bush-Administration an der Überstellung der Kläger an folternde Verbündete der USA beteiligt gewesen sein. Als nun das Berufungsgericht aufgrund des inzwischen erfolgten Wechsels der Administration fragte, ob sich an der Auffassung der Regierung hinsichtlich der Berufung auf das State Secret Privilege in diesem Verfahren irgendetwas geändert habe, antwortete der Anwalt schlicht: »Nein, Euer Ehren.« Eine Richterin des Berufungsgerichts hakte überrascht nach: »Der Wechsel der Administration hat keine Auswirkungen?« Der Anwalt blieb dabei: »Nein, Euer Ehren.« Doch die Richter in dem Verfahren votierten dieses Mal gegen die US-Regierung. Im April 2009 lehnte das Gericht eine umfassende Wirkung des State Secret Privilege ab und entschied, daß das Verfahren fortgesetzt werden könne. Es könne nicht zur pauschalen Blockade aller Beweise – darunter auch die Aussagen der Kläger – führen.
Härte gegen Whistleblower
Alles beim alten: US-Präsident Barack Obama hält weite
Alles beim alten: US-Präsident Barack Obama hält weiterhin Menschen ohne Anklage gefangen, bedient sich der Praxis der Militärtribunale und autorisiert die gezielte Tötung (Guantánamo, 29.3.2010)
Ein weiteres Problem der Geheimhaltungsmanie ist strukturell bedingt. Nach einem Bericht des Information Security Oversight Office (ISOO) der Regierung wurden 2009 rund 54 Millionen Dokumente als »geheim« eingestuft, viele davon sogenannte Derivate. Sobald sich ein Dokument auf einen geheimen Bericht bezieht oder eine Information aus einem solchen übernimmt, wird auch dieses Dokument als geheim eingestuft. Zu viele Mitarbeiter der Exekutive hätten die Befugnis, Dokumente als geheim zu klassifizieren, führte der Verfassungsrechtler Christopher H. Pyle aus. Sie könnten zwar für die Veröffentlichung der Dokumente bestraft werden, für den Fall einer falschen Klassifizierung gebe es jedoch keine juristische Handhabe, so Pyle weiter. Anstatt vor einem Feind zu schützen, führe diese exzessive Geheimhaltungspraxis die demokratischen Institutionen der USA ad absurdum.
Im Widerspruch zu seinem Bekenntnis für mehr Transparenz steht auch der Umgang des 44.US-Präsidenten mit Regierungsmitarbeitern, die im Bemühen, Mißstände aufzudecken, Informationen an die Presse weitergaben. Schon in seiner ersten Kabinettssitzung erklärte »No-Drama Obama«, daß er über interne Diskussionen seiner Regierung nichts in der New York Times oder Washington Post lesen wolle. Es war eines der wenigen Themen, die seine Coolness schwinden ließen. Tatsächlich ist Barack Obama im Umgang mit »Verrätern« weitaus aggressiver als sein Vorgänger. Während etwa die Vernichtung von Folterbeweisen mit dem Einverständnis von George W. Bushs CIA-Direktor Peter Goss 2005 auch nach dem Wechsel der Administration ohne juristische Folgen blieb, ging Obama schon in den ersten 17 Monaten seiner Amtszeit gegen mehr Whistleblower (Beamte, die auf Regelwidrigkeiten des Staates hinweisen – d.Red.) vor, als Bush in acht Jahren. Ein trauriger Rekord für einen Präsidenten, der sich noch als Staatssenator für einen besseren Schutz von Insidern eingesetzt und ihre Taten im Wahlkampf 2008 als »Akte der Tapferkeit und des Patriotismus«, die »ermutigt und nicht unterdrückt« werden sollten, bezeichnet hatte.
Trotz zahlreicher Einschüchterungsversuche gegen Journalisten und Regierungsmitarbeiter kam es unter Bush zu keiner einzigen Verurteilung wegen der Weitergabe von Informationen an die Presse. Der berühmteste Fall war die Anklage gegen Lewis »Scooter« Libby, nicht gerade ein Paradebeispiel für Whistleblower. Der damalige Vizestabschef von Vizepräsident Dick Cheney war an der Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame beteiligt, eine Racheaktion des Weißen Hauses gegen den Ehemann Plames. Der Diplomat Joseph Wilson IV. hatte vor Beginn des Irakkrieges die Berichte der Bush-Administration über vermeintliche Ankäufe von Uran im Niger durch das Regime Saddam Husseins öffentlich angezweifelt. Die Preisgabe der Identität von Geheimagenten ist eine der wenigen strafrechtlich sanktionierten Vergehen, für die Whistleblower verurteilt werden können. Doch Libby wurde aufgrund seiner Aussagen im Ermittlungsverfahren wegen Meineids und nicht wegen der Offenlegung der Identität der Agentin verurteilt.
Im Mai 2010 wurde Shamai Leibowitz zu 20 Monaten Haft verurteilt. Der Übersetzer im Dienst des FBI hatte 2009 einem Blogger geheime Dokumente der Behörde zukommen lassen, aus denen sich nach Auffassung des sozial engagierten Linguisten Rechtsverstöße der Bundespolizei schlußfolgern ließen. Der Inhalt der Dokumente ist weiterhin geheim.
Im Juni 2010 bestätigte das Pentagon die Verhaftung des Gefreiten Brad Manning. Ihm wird vorgeworfen, unter anderem ein als geheim eingestuftes Video des US-Militärs weitergegeben zu haben, das die Erschießung von zwölf Zivilisten im Irak dokumentiert – darunter auch zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters. Nachdem die Website WikiLeaks zudem 92000 geheime Dokumente über den Krieg in Afghanistan und Pakistan veröffentlichte, weitete das Verteidigungsministerium das Verfahren gegen Manning aus und schaltete auch das FBI in die Ermittlungen ein.
Bereits im April 2009 hatte die Regierung den Exmitarbeiter des Spionagedienstes NSA Thomas Drake wegen der Weitergabe von Informationen über Mißstände und die Verschwendung von Steuergeldern der Behörde angeklagt. Obwohl in diesem Fall schon unter George W. Bush ermittelt worden war, oblag die Entscheidung für eine Fortführung des Verfahrens der Obama-Administration. Sie entschied sich »ohne zu zögern« für die Anklage. Im selben Monat erneuerte Obamas Justizminister Eric Holder eine Vorladung unter Strafandrohung des New-York-Times-Reporters James Risen. Die Regierung will den Autor des CIA-Enthüllungsbuches »State of War« dazu zwingen, seine Quellen offenzulegen. Eine solche Vorladung der Bush-Regierung hatte Risen ignoriert, und sie war verfallen.
Im August 2009 wurde zudem Brad Birkenfeld zu 40 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Exbanker hatte einen Steuerhinterziehungsskandal bei der Schweizer Bank UBS enthüllt. Seine Informationen führten zu einer Strafzahlung von 780 Millionen Dollar von UBS an die US-Behörden und der Preisgabe der Identität von 250 Kunden der Bank.
Spionage gegen US-Bürger
Auch auf einem anderen Gebiet geht Barack Obama neue Wege. Der US-Präsident hat nach Medienberichten die Tötung von US-Bürgern ohne ein Gerichtsverfahren und weitab von Schlachtfeldern autorisiert. Der Rahmen des Programms ist weiterhin geheim.
Noch im August 2009 erklärte die Obama-Administration zudem, daß sie die Praxis der Vorgängerregierung, Menschen in Drittstaaten zu bringen, um sie dort verhören zu lassen, fortsetzen werde. Man werde jedoch sicherstellen, daß die Betroffenen nicht gefoltert würden und deren Haftbedingungen beaufsichtigen, so das Weiße Haus. Details dieses Programms sind ebenso wenig bekannt.
Auch der Patriot Act bleibt unter Präsident Obama weiterhin in Kraft. Erst im Februar 2010 verlängerte der Kongreß auslaufende Regelungen des Gesetzes, das Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten weitreichende Befugnisse zur Spionage gegen US-Bürger überträgt.
Dies ist angesichts eines unkontrolliert wachsenden Geheimdienstapparats besorgniserregend. Im Juli 2010 berichtete die Washington Post über ein außer Kontrolle geratenes riesiges Netz von 1271 Regierungsorganisationen und 1931 privaten Unternehmen, die im Auftrag der Regierung an 10000 Orten innerhalb des Landes zunehmend auch die eigene Bevölkerung überwachen. Zwei Drittel dieser Kapazitäten unterstehen dem Verteidigungsministerium. Seit 9/11 hat sich das Budget für Geheimdienste mehr als verdoppelt und ist auf 75 Milliarden Dollar gewachsen. Der Geheimdienst NSA fängt täglich beispielsweise 1,7 Milliarden Telefongespräche und E-Mails ab. Der nationale Geheimdienstdirektor sei in diesem System allmächtig, erklärte der von Obama für den Posten nominierte Kandidat: »Das ist Gott.«
Zahl der Kritiker wächst
Für diejenigen, die von Barack Obama die Wiederherstellung der Herrschaft des Rechts erwarteten, waren seine ersten beiden Jahre im Amt enttäuschend. Auch wenn die öffentlichen Auseinandersetzungen das Gegenteil suggerieren, sind die Methoden, derer sich die Obama-Administration bedient, denen von George W. Bush sehr ähnlich. Es spricht Bände, daß mehrere hochrangige Mitarbeiter der Bush-Regierung im Gespräch mit der New York Times erklärten, daß sie mit den aktuellen Antiterrormaßnahmen zufrieden seien. Hayden sagte: »Es ist ein Kontinuum der Bush-Politik, insbesondere nachdem sie sich in der zweiten Amtszeit geändert hatte.« Noch weiter ging James Jay Carafano von der konservativen Heritage Foundation. »Ich denke nicht, daß es fair wäre, sie Bush light zu nennen«, sagte er über die Politik Obamas. »Sie ist Bush. Es ist sehr, sehr schwer, einen bedeutenden Unterschied zu finden, der nicht nur atmosphärisch ist.« Die Tonlage ist ohne Zweifel eine andere. Doch sie beschränkt sich auf die symbolische Verdammung einzelner Maßnahmen George W. Bushs aus der Vergangenheit.
Die Foltermethoden Bushs, die Barack Obama mit einer feierlichen Geste bei seiner Amtseinführung offiziell verboten hatte, hatte sein Vorgänger Jahre vorher aufgegeben. Die Geheimgefängnisse, deren Auflösung Obama kurz nach der Amtseinführung verfügte, gab es bereits seit 2006 nicht mehr. Indem der Präsident andererseits einen Großteil der Antiterrormaßnahmen seines republikanischen Vorgängers weiterhin praktiziert oder gar reaktiviert, bestätigt er eine Politik, die ehedem extrem kontrovers diskutiert worden war.
Der Präsident hält Menschen ohne Anklage gefangen. Er bedient sich unfairer Militärtribunale. Er autorisiert gezielte Tötungen. Er beruft sich auf Staatsgeheimnisse, um die Durchsetzung von Ansprüchen der Opfer zu blockieren. Daß er dennoch für sich beansprucht, Träger des »Wandels« zu sein, ist erstaunlich. Dabei kommen ihm sicherlich die Attacken des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney sowie weiterer Republikaner zupaß, die ihm immer wieder vorwerfen, er sei zu »weich« gegenüber Terroristen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat Barack Obama allerdings die »Angriffe auf die Verfassung« eines George W. Bush fortgesetzt, die damit im gesellschaftlichen Mainstream innerhalb beider Parteien etabliert sind oder stillschweigend geduldet werden. Kritik ist nur noch am Rande zu vernehmen.
Der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth, faßte seine Kritik an Obamas Umgang mit Menschenrechten knapp ein Jahr nach dessen Wahl ins höchste Amt des Staates in einem Artikel für das Magazin Foreign Affairs zusammen, der mit »Leere Versprechungen?« überschrieben war. Darin führt er aus, daß Barack Obama aufgrund seiner Rhetorik »besser als die Bush-Administration« sei, legt anschließend jedoch dar, daß es an der Umsetzung mangele. Den »poetischen« Reden müßten »nüchterne« Taten folgen, die den von Obama selbst artikulierten Prinzipien gerecht würden, mahnte Roth.
Nicht nur Human Rights Watch gehört inzwischen zu den Kritikern des US-Präsidenten. Nachdem im März 2010 Berichte über eine anstehende Entscheidung Obamas an die Öffentlichkeit kamen, nach denen er plane, hochrangige Al-Qaida-Mitglieder entgegen den Äußerungen seines Justizministers nun doch vor Militärtribunalen anzuklagen, ließ die Bürgerrechtsvereinigung ACLU eine ganzseitige Anzeige in der New York Times drucken. Unter dem Titel »Was wird es sein, Herr Präsident? Wechsel oder mehr Gewohntes?« verwandelte sich das Gesicht Barack Obamas in einer Folge von Schwarz-Weiß-Aufnahmen in ein Porträt von George W. Bush. Die ACLU nannte die mögliche Entscheidung für Militärkommissionen einen »Todesstoß« für das Justizministerium und die amerikanischen Werte. Obama habe die Wahl. Er könne die amerikanische Verfassung und die Prinzipien rechtsstaatlicher Verfahren wiederherstellen oder seine eigenen Versprechen ignorieren und die »Bush-Cheney-Politik« fortsetzen. Barack Obama hat sich indes, so scheint es, längst entschieden.
Philipp Schläger: Der entzauberte Präsident. Barack Obama und seine Politik, Berlin, Rotbuch, 192 Seiten (mit Fotos), 9,95 Euro
Quelle: Junge Welt vom 17.09.10
Von Gesine Lötzsch, haushaltpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Der Haushaltsentwurf hätte auch von Herrn Sarrazin stammen können. Herr Schäuble und Frau Merkel setzen ohne große Worte um, was der Populist Sarrazin über die Bild-Zeitung diktiert. Die Abschaffung des Elterngeldes für Arbeitslose ist eine klare Ansage: Kinder aus armen Familien sollen erst gar nicht auf die Welt kommen. So stellt sich die Bundesregierung die Beseitigung der Kinderarmut vor. Die Krisenkosten sollen arbeitslose Schwangere zahlen. Ihnen wird das Einkommen um bis zu 32 Prozent gekürzt. Wir werden in den Haushaltsberatungen die Rücknahme dieser unverschämten Kürzung fordern.
Die Krisenverursacher und –gewinnler müssen keinen Cent aus ihrer eigenen Tasche zahlen. Man stelle sich vor, DIE LINKE würde von Ackermann und seinen Spekulanten eine 32-prozentige Einkommenskürzung verlangen. Das würde als Untergang des Abendlandes interpretiert werden. Doch wir fordern von den Superreichen in unserem Steuerkonzept nur 5 Prozent in Form einer Millionärsteuer. Doch selbst diese Forderung lehnt der Finanzminister ab.
Die Arbeitsmaxime der Bundesregierung lautet: Nach unten treten und nach oben kuschen. Es gibt unzählige Beispiele, wie diese Regierung ihre Lobbyisten bedient. Das jüngste Beispiel ist der Atomkompromiss. Es ist schon jetzt klar, dass der Finanzminister von den Atomkonzernen nicht die 2,3 Milliarden Euro pro Jahr bekommt, die er im Haushalt eingeplant hat, dass er von den stromfressenden Industrien nicht die 1,34 Milliarden Euro aus der geplanten Energiesteuer bekommt und dass die Finanzmarkttransaktionssteuer von jährlich 2 Milliarden Euro wohl ganz abgeschrieben ist.
Die Lobbyisten haben wieder ganze Arbeit geleistet. Was bleibt, sind die Kürzungen im Sozialbereich: Wegfall des Elterngeldes für schwangere Arbeitslose, Wegfall des befristeten Zuschlages für ALG-II-Empfänger, Wegfall der Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose, Wegfall des Heizkostenzuschusses für Wohngeldempfänger.
Trotz all dieser Kürzungen im Sozialbereich behauptet der Finanzminister, dass dieser Haushaltsentwurf sozial ausgeglichen sei. Das ist zynisch. DIE LINKE fordert die Rücknahme aller Sozialkürzungen und die Aufstockung des ALG-II-Satzes zu allererst für Kinder. Die absurde Idee, arme Kinder mit Gutscheinen abzuspeisen, muss auf viele Eltern, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern, aber bei denen das Geld hinten und vorne nicht reicht, wie Spott und Hohn wirken.
Tatsache ist, dass die Kosten der Wirtschafts-und Finanzkrise die bezahlen sollen, die sie nicht verursacht haben. Das lehnen wir ab. Wir wollen eine Bankenabgabe und eine Finanztransaktionssteuer. Das ist auch national umsetzbar, so wie die Bankenrettung ja auch national machbar war. Der Finanzminister will diese Abgaben nicht. Deshalb kommt er immer mit der Ausrede, dass solche Steuern global erhoben werden müssen. Das ist Unsinn. Die Banken und Spekulanten können – dank dieser Bundesregierung – weiter machen wie bisher. Damit ist die nächste Krise vorprogrammiert.
Die Bundeswehrreform bringt bekanntlich auch keine Einsparungen. Die FDP hat immer wieder versprochen, dass sie sinnlose Rüstungsprojekte streichen will. Doch nichts ist passiert. Die Bundeswehr selbst schätzt ein, dass viele milliardenschwere Rüstungsvorhaben unnütz sind. Sie sind ausschließlich ein Geschäft für die Rüstungsfirmen. DIE LINKE sieht große Einsparpotentiale bei der Bundeswehr. Nicht nur viele Rüstungsprojekte, die noch aus dem Kalten Krieg stammen, sind überflüssig, auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist ein Fass ohne Boden. Das Geld wäre in der Entwicklungshilfe besser aufgehoben, doch genau da will die Bundesregierung Geld zur Bekämpfung von AIDS und Malaria streichen.
Fazit: Diese Regierung wird von mächtigen Lobbyisten aus der Atom-, Rüstungs- und Pharmaindustrie gesteuert. Sie hat jedes Gefühl für die Bürgerinnen und Bürgern verloren. Diese Regierung grenzt Millionen arbeitende und arbeitslose Menschen aus und privilegiert eine Hand voll von Superreichen. DIE LINKE wird sich nicht damit abfinden, dass diese Regierung die Mehrheit der Bevölkerung enteignet.
linksfraktion.de, 12. September 2010
Hamburg, 03. 09. 2010 (ots) – Selbst eine sogenannte moderate Laufzeitverlängerung von 10 Jahren könnte dazu führen, dass der letzte Atommeiler erst im Jahre 2053 abgeschaltet würde. Das Atomkraftwerk wäre dann 67 Jahre in Betrieb. Bis jetzt gehen die Atomkraftwerke weltweit mit einem durchschnittlichen Alter von 22 Jahren vom Netz. Auch die bis dahin anfallende Menge an Atommüll würde sich im Vergleich zum Rot-Grünen Atomausstieg verdreifachen. Das geht aus einer Berechnung hervor, die Greenpeace heute veröffentlicht.
Die Umweltschutzorganisation hat ausgewertet, wie sich Laufzeitverlängerungen von 10 oder 15 Jahren auf das Jahr der Abschaltung, die Gesamtlaufzeit der einzelnen AKWs und die anfallenden Müllmengen auswirken würden. Greenpeace fordert eine Laufzeitverkürzung.
„10 oder 15 Jahre Laufzeitverlängerung – das klingt harmlos, ist es aber nicht. Das moderat zu nennen, ist Betrug“, sagt Tobias Riedl, Atomexperte von Greenpeace. „Noch unsere Urenkel werden mit den Risiken uralter Atommeiler leben müssen, vom ungeklärten Problem mit den enormen Atommüllbergen ganz zu schweigen. Bundeskanzlerin Merkel hat bei ihrer Vereidigung geschworen, Schaden von Deutschen Volke abzuwehren. Mit der Laufzeitverlängerung bricht sie ihren Schwur und schadet Deutschland. Eine Laufzeitverlängerung ist ein reines Geldgeschenk an die Konzerne.“
650 Castoren mit über 6000 Tonnen hochradioaktivem Müll
Greenpeace berechnet, dass bei einer Laufzeitverlängerung von 10 Jahren ab jetzt noch über 6000 Tonnen hochradioaktiver Atommüll anfallen würden, das entspräche 650 Castoren. Beim jetzt gültigen Atomausstieg würden noch 2000 Tonnen Atommüll anfallen, zwei Drittel weniger. Eine Laufzeitverlängerung von 15 Jahren würde zu mehr als 8000 Tonnen Atommüll führen. Der letzte Atommeiler würde dann erst im Jahr 2064 vom Netz gehen, er wäre dann 78 Jahre alt. Damit würde er doppelt so lange laufen, wie nach dem jetzigen Atomausstieg vorgesehen. Eigentlich sollte voraussichtlich 2027 der letzte Meiler abgeschaltet werden, im Alter von 39 Jahren.
Der Berechnung hat Greenpeace ein Szenario zu Grunde gelegt, demnach die sieben ältesten Atomkraftwerke plus dem Pannenmeiler Krümmel schnell vom Netz genommen werden, weil sie nicht rentabel gegen einen möglichen Flugzeugabsturz abgesichert werden können. Ihre entsprechend größeren Reststrommengen könnten dann auf andere AKWs übertragen werden.
„Anhand dieser Zahlen kann man wohl kaum behaupten, dass es sich hierbei um eine moderate Laufzeitverlängerung handelt, bei der die Bundesländer nicht zustimmungspflichtig wären“, so Riedl. Greenpeace fordert, schon bis 2015 aus der riskanten Atomkraft auszusteigen. „Wir brauchen einen gemeinsamen Kraftakt von Industrie, Politik und Bevölkerung, damit Deutschland so schnell wie möglich ins regenerative Zeitalter gelangen kann. Das würde dem weltweiten Klima und der deutschen Wirtschaft helfen, und damit uns allen zu Gute kommen.“
Achtung Redaktionen: Rückfragen bitte an Tobias Riedl, Tel. 0171 – 8891 096 oder Pressesprecher Jan Haase, 0171-87 00 675. Die Tabelle mit den Greenpeace- Berechnungen finden Sie im Internet unter www.greenpeace.de
Es schlug wie eine Bombe ein: Die Hypo Real Estate (HRE) benötigt weitere Staatsgarantien von 40 Milliarden Euro, sonst drohe die Pleite. Eigentlich ist sie das schon seit Ende 2008. Die Bank hat nur überlebt weil die Regierung sie mit rund 100 Milliarden Euro Garantien aufpäppelte und verstaatlichte. Außerdem wurden bislang acht Milliarden Euro an echtem Geld hineingesteckt; weitere zwei sollen in Kürze folgen. – Von Michael Schlecht, MdB – Chefvolkswirt Fraktion DIE LINKE und Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE
Mit dem Geld hätte man eine perfekte Kinderbetreuung aufbauen können! Es ist zu befürchten, dass es in Zukunft weitere „Hilferufe“ geben wird. Ein Fass ohne Boden!
Steinbrück und Merkel erklärten Ende 2008 die Rettung der HRE als zwingend und malten düstere Schreckensbilder an die Wand. Längst ist klar: In die HRE wurden Steuergelder gesteckt um andere Zockerbanken vor Ausfällen in Höhe von 36 Milliarden Euro zu schützen.
Am Mittwoch vergangener Woche malte die Vorstandschefin der HRE noch ein rosiges Bild. Man wolle 2011 wieder schwarze Zahlen schreiben. Am Donnerstag wurden Notverhandlungen mit dem Lenkungsausschuss der staatlichen Agentur für die Bankenrettung, der Soffin aufgenommen. In diesem Gremium sitzen nur zwei Vertreter der Regierung. Und die haben mal eben 40 Milliarden Garantien durch gewunken. Ohne parlamentarische Kontrolle! So kommt die Demokratie weiter auf den Hund. Und: 40 Milliarden entspricht der Hälfte des Kürzungspaketes, dass die Bundesregierung diese Woche ins Parlament einbringt.
Die HRE benötigt weitere Garantien weil sie Giftpapiere, die einmal 180 Milliarden Euro wert waren, in eine „Bad Bank“ auslagern will. Und weil Staatsanleihen der Euro-Krisenländer weniger wert sind. Die HRE hat 40 Milliarden davon in den Büchern stehen. So schlägt die Krise der Staatsfinanzen zu. Und die Bank hat sich mit weiteren „Finanzprodukten“ verzockt.
Das deutsche Mitglied im EZB-Vorstand Jürgen Stark erklärte jüngst die deutschen Banken als „unterkapitalisiert“. Im Klartext: Alle sind Wackelkandidaten, spätestens wenn es wieder turbulenter zugeht. Deshalb sollen mit einer internationalen Vereinbarung – Basel III nennen das die Experten – die Eigenkapitalvorschriften deutlich verschärft werden. Die zehn größten deutschen Banken müssten 105 Milliarden Euro zusätzliches Kapital aufnehmen. Woher das kommen soll steht in den Sternen.
Die Deutsche Bank prescht jetzt mit einer massiven Kapitalerhöhung vor. Zum Unmut der Aktionäre. Zehn Milliarden Euro sollen eingesammelt werden bei einem Börsenwert von rund 30 Milliarden Euro. Ackermann will die Kriegskasse auffüllen.
Der Schrecken ohne Ende droht weiterzugehen. Private Banken und die Zockerei im Casino sind historisch überlebt. Die Verwerfungen des Finanzmarktes bedrohen die Realwirtschaft, bedrohen Arbeitsplätze. Deshalb muss der gesamte Banksektor demokratisch kontrolliert und reguliert werden. Am besten so wie die Sparkassen, die in öffentlicher Trägerschaft sind. Und die Rekapitalisierung muss durch staatliche kontrollierte Umverteilung von oben nach unten organisiert werden. Unter anderem durch die Millionärsteuer. Und es müssen Wege gesucht werden die Forderungen der reichen Gläubiger gegenüber Euro-Staaten zu beschneiden.
Quelle: DIE LINKE vom 18.09.2010
Sollte noch irgendjemand Zweifel daran gehabt haben, worauf die aktuelle Stimmungsmache hinausläuft, so dürften diese nun endgültig ausgeräumt sein. Als Kanzler Angela Merkel das rassistische Buch des herkunftstraumatisierten Sarrazenen „Deutschland schafft sich ab“, der damit dem Berufszyniker Henryk M. Broder den Rang ablief, als „nicht hilfreich“ bezeichnete, hätte jeder sprachsensible Mensch schon aufhorchen müssen. „Hilfreich“ bei was? Einer Krankheit, einem Problem?
Auf jeden Fall gibt es anscheinend etwas zu reparieren und nicht etwa zu konstatieren, dass die aktuelle rassistische Hetze gegen Muslime, Ossis, Hartz-IV-ler und wen’s halt gerade trifft, vor allem ein Ziel verfolgt: zu spalten – die Verlierer der neoliberalen „Reformen“ und damit jeglichen möglichen gemeinsamen Widerstand. Das Establishment schlägt zu(-rück) und darum sind die beobachtbaren Entwicklungen auch vorhersehbar: Gehuldigt wird der Meinungsfreiheit nur für Hetzer gegen Minderheiten, nicht aber für jene Publizisten, die Missstände beim Establishment anprangern…
Angela Merkel ehrt nun mit dem dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard einen Mann der auch im „Stürmer“ eines Julius Streicher Karriere gemacht hätte. Für dieses endgültig entlarvende Ereignis müssen wir ebenso dankbar sein – man braucht seine Zeit nicht mehr mit Illusionen angesichts falscher Versprechungen zu verschwenden. Auf der M100-Tagung, an der ich im letzten Jahr noch teilnahm, wurden schon damals die Themen Meinungsfreiheit und Muslime gegeneinander ausgespielt. Geehrt – aber ohne mediales Brimborium – wurde 2009 der Balkanspalter Hans-Dietrich Genscher und die nur in Großprojekten investierende Vodafone-Stiftung mitsamt Initiator des „Journalistenkongresses“ Lord Weidenfeld inszenierten sich vor allem selbst. Nun aber ist die Katze aus dem Sack, hätte es noch Zweifel an der damals schon absehbaren Ausrichtung solcher Zusammenkünfte gegeben: Auch die konnte man vor einem Jahr durchaus schon erkennen, etwa wenn in der Pressekonferenz eine Einladungsagenda abgearbeitet wird und die Ergebnisse der Gespräche überhaupt nicht in die Außendarstellung einfließen. Das erinnert an die sog. Islamkonferenz unter Schäuble.
Die bereits als konformistisch entdeckten Mainstream-Medien tragen ihren Teil zum Spaltungskampf bei – wie eh und je, und nicht nur durch eine „sorgfältige“ Selektion bestimmter Themen, sondern auch durch deren Art der Aufbereitung. Ganz aktuell lässt sich dies an der dpa-Meldung zur geplanten Koran-Verbrennung in den USA ersehen, die am 8. September in verschiedenen Varianten in sämtlichen Tageszeitungen erschien. Die Komposition der Meldung ging ungefähr so:
– Der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan, Petraeus, ist
besorgt „wegen einer
geplanten öffentlichen Koranverbrennung“ am 11. September
– Aktion einer „kleinen fundamentalistischen Kirchengemeinde“ in
Florida
– „Die Muslime verlangen“, dass ihr heiliges Buch mit großem Respekt
behandelt werde – Verstöße haben immer wieder Gewalt ausgelöst.
– Die Taliban würden „die Protestaktion“ in Florida für Propaganda
ausnutzen
– Pastor Terry Jones räumt ein, dass die „Sorgen von Petraeus
berechtigt“ seien.
– „Dennoch müssen wir eine klare Botschaft an den radikalen Islam
senden, dass wir „seine Drohungen“ und die Verbreitung von Angst
bei uns nicht tolerieren.“
Sehen Sie es auch so, dass man diesem Fazit im Endfokus des kurzen Textes einfach zustimmen muss? Die Wortwahl im Text ist bezeichnend: der durchgeknallte Fundamentalist in Florida ist nicht etwa ein „Hassprediger“ oder wenigstens ein „Provokateur“ – die Dramaturgie des Beitrags suggeriert eine gewisse Berechtigung für seine Brandstiftung. Denn eine bilderreiche Reaktion auf die Provokation ist ja ganz offensichtlich fest eingeplant! Hingegen fehlt in der Betrachtung das sich mehr als aufdrängende Heine-Zitat, das sich übrigens in seinem historischen Bezug bereits auf den Koran bezog: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Letzteres findet jedoch schon statt, wie man u.a. am 4. September 2009 in Kunduz erleben konnte.
Vielleicht ist der unlautere Pastor, der einst als eine Art Inquisitor in Köln residierte, ja eine willkommene Ablenkung von den offenen Fragen um die Ereignisse des 11. Septembers 2001. Man hätte ihn und seine 50-Personen-Gemeinde ja medial nicht vergrößern müssen, wie auch Sarrazin und seine Fans nicht. Nachdem der offizielle Untersuchungsbericht zu 9/11 durch die wissenschaftliche Prüfung gefallen ist und bereits Anhörungen zum Thema im japanischen Parlament stattfanden (s. www.911video.de), werden die Ungeklärtheiten von Jahr zu Jahr bedrängender. Aber auch ohne deren Klärung scheint die Fortführung der aktuellen Geopolitik mit all ihren Kriegen bedroht, wenn – ja wenn – man die friedliebenden Menschen, also die Mehrheit, nicht spalten könnte.
(1) Laut wikipedia gründete Terry Jones, ein ehemaliger Hotelmanager, 1981 die Christliche Gemeinde Köln. 2002 wurde er vom Amtsgericht Köln wegen Führens eines in Deutschland nicht zulässigen Doktortitels zu einer Geldbuße von 3000 Euro verurteilt. Die Gemeinde trennte sich nach eigenen Angaben Anfang 2008 von ihm. Bereits 2004 wurde Jones, parallel zu seiner Kölner Gemeinde, Pastor der etwa 50 Mitglieder umfassenden Dove World Freikirche in Gainesville, Florida. In Köln wurde Jones mit finanziellen Unregelmäßigkeiten in Verbindung gebracht. Die Gemeinde entband ihn 2008 „wegen unhaltbarer theologischer Aussagen und Geltungssucht von der Leitung“. Er habe nicht „die biblischen Maßstäbe und Werte“ nach außen getragen, sondern vielmehr sich selbst als Persönlichkeit. Mehr unter http://de.wikipedia.org/wiki/Terry_Jones_%28Prediger%29
Online-Flyer Nr. 267 vom 15.09.2010
Quelle: Neue – Rheinische – Zeitung