»Papa, hilf mir«, schrie der zwölfjährige Ahmed Siyam, als etwa 50 schwerbewaffnete israelische Soldaten und Polizisten den Jungen mitten in der Nacht in Handschellen und mit verbundenen Augen aus seinem Elternhaus abführten. Agenten des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet hatten sich um vier Uhr morgens Zutritt zu Ahmeds Haus verschafft. Sie holten den Jungen aus dem Bett und brachten ihn zu einer Polizeistation im russischen Bezirk Westjerusalems. Dort warfen sie ihm vor, israelische Sicherheitskräfte bei Zusammenstößen mit palästinensischen Jugendlichen im Ostjerusalemer Stadtteil Silwan mit Steinen beworfen zu haben.
Auslöser der Unruhen ist die Vertreibung von Hunderten Palästinensern aus ihren Häusern in Ostjerusalem. Dutzende Gebäude wurden bereits zerstört, weitere sind vom Abriß bedroht. Dahinter steckt eine gezielte, nach internationalem Recht illegale Vertreibungspolitik der israelischen Behörden zugunsten israelischer Siedler.
Bei dem nächtlichen Überfall der israelischen Soldaten und Polizei im Mai hatte Ahmeds Vater vergeblich die Vorlage eines Haftbefehls verlangt. »Als ich wissen wollte, was gegen den Jungen vorliegt, verboten sie mir den Mund und schlugen mich«, berichtete Daoud Siyam von IPS. Danach drangen sie in Ahmeds Zimmer ein, holten den Zwölfjährigen aus dem Bett und zerrten ihn in ein vor dem Haus wartendes Polizeiauto. »Sie sagten uns nicht, wohin sie unseren Sohn bringen würden und verhinderten mit Gewalt, daß ich ihn begleitete«, erzählte der Vater.
Erst mit Hilfe eines Anwalts gelang es dem Vater am nächsten Tag, mit Ahmed zu sprechen. »Er war zutiefst traumatisiert und weinte«, erinnerte sich der Vater. »Ich hatte Angst und konnte nicht sehen, wohin wir fuhren. Meine Hände waren mit Handschellen fest hinter meinem Rücken zusammengebunden, und sie traten mich«, so Ahmed gegenüber IPS. »Stundenlang wurde ich ausgefragt und beschuldigt, Steine geworfen zu haben. Das stimmt aber nicht.« Ahmed stand nach seiner Freilassung einen Monat unter Hausarrest. Er durfte nicht zur Schule gehen. Im nächsten Monat wird er sich gerichtlich wegen des Vorwurfs verantworten, Steine auf Israels Sicherheitskräfte geworfen zu haben.
Der palästinensischen Sektion des internationalen Kinderhilfswerks »Defence International for Children« (DCI) zufolge leitete die israelische Polizei zwischen November 2009 und Oktober 2010 1267 strafrechtliche Verfahren gegen palästinensische Kinder ein, die in Ostjerusalem israelische Sicherheitskräfte und Siedler mit Steinen beworfen haben sollen. Die Hälfte der Kinder wurden in Abwesenheit ihrer Eltern oder eines Anwalts verhört. »Viele wurden angeschrieen, bedroht, mißhandelt und zu fragwürdigen Aussagen genötigt«, betonte der DCI-Rechtsanwalt Gerard Horton. Die meist nachts in Handschellen und mit verbundenen Augen aus ihren Häusern abgeführten Kinder seien zum Zeitpunkt der Verhöre bereits traumatisiert und nicht mehr fähig gewesen, dem auf sie ausgeübten Druck zu widerstehen.
Noch schlimmer ergeht es palästinensischen Kindern, die im Westjordanland ins Visier der israelischen Sicherheitskräfte geraten. Hier sind sie dem israelischen Militärrecht unterworfen und können bis zu acht Tagen in Haft gehalten werden, bis sie einem Militärrichter vorgeführt werden.
»Wir hatten einen Fall, in dem drei Kinder bei einem Verhör von israelischen Soldaten über eine der Siedlungen mit hinter dem Rücken gebundenen Händen mit Elektroschocks gefoltert wurden«, berichtete Horton im IPS-Gespräch. »Anderen drohte man damit, die Häuser ihrer Familien in die Luft zu sprengen oder mit Vergewaltigung.« Im Mai erschoß der Wächter einer israelischen Siedlung den 17jährigen Milad Ayyash mit der Begründung, der Jugendliche sei in Zusammenstöße verwickelt gewesen.
Quelle: www.jungeelt.de vom 22.06.11
Am 10. Mai hielt die Bundeskanzlerin im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin vor 750 Gästen eine Rede. Sie eröffnete eine Ausstellung mit Bildern der beiden westdeutschen Fotografen Thomas Hoepker und Daniel Biskup, die unter dem Titel »Über Leben« laut Angaben des DHM »das Zeitgeschehen zwischen Mauerbau und dem Ende des Kommunismus in Osteuropa« dokumentiert. Bild veröffentlichte die Ansprache Angela Merkels und dekretierte: »Diese Ausstellung muß jeder sehen, der die Freiheit liebt.«
Der Redetext befaßt sich mit dem »Gedenkjahr 2011, in dem sich der Mauerbau zum 50. Mal jährt« und der Zeit vor 20 Jahren, als die »Ära der Sowjetunion« endete. Die CDU-Vorsitzende erinnerte sich: »Ich weiß noch genau, daß, als ich Kind war, meine Eltern an einem Sonntag – mein Vater hatte einen Gottesdienst gehalten – in Tränen ausbrachen, insbesondere meine Mutter, weil an diesem Tag etwas aus der östlichen genauso wie aus der westlichen Perspektive Unfaßbares geschehen war.«
Der 22. Juni 1941, 20 Jahre vor dem 13. August 1961, kam in dieser Rede nicht vor. Das hat bundesdeutsche Tradition. Es läßt sich leichter, vor allem oberflächlicher und verlogener von 1961 und von 1991 reden, wird jenes Datum beschwiegen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen den drei Jahren ist etwas Faßbares, wird er weggelassen, läßt sich schön über »Unfaßbares« historische Esoterik verbreiten. Die wiederum steht ganz in den Traditionen jenes Irrationalismus, der eine ideologische Hauptquelle des Vernichtungskrieges war, den Hitler und seine Generäle praktisch seit der Machtübergabe an die Faschisten vorbereiteten. Er war der zentrale Punkt des Bündnisses von imperialistischer Bourgeoisie und Nazibewegung, das lange, sehr lange noch nach dem 22. Juni 1941 hielt – Genozid an Slawen und Juden, Strategie der »Verbrannten Erde«, Kommissarbefehl und Freistellung aller deutschen Uniformträger bei Verbrechen an der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern eingeschlossen. Moskau, Stalingrad, Kursk hießen die Städte und die dort geschlagenen Schlachten, die der Bestie das Genick brachen.
Von all dem schwieg die Kanzlern, sie erinnerte an die neuesten Angriffskriege, erfolgreiche in ihren Augen: »Auch auf dem Balkan haben wir noch nicht alles, aber vieles erreicht. Der Krieg auf dem Balkan gehört der Vergangenheit ein.« Dort existieren seit 1999 nämlich NATO-Protektorate. Und die Kanzlerin wandte sich auch »Weißrußland« zu, der Republik Belarus, und dachte »an das schwere Schicksal, das viele Oppositionelle zu erleiden haben. Unser Kanzleramtsminister hat sich gerade mit weißrussischen Oppositionellen getroffen.« So ist das im »Gedenkjahr 2011«: Wo Deutsche vor wenigen Jahrzehnten die mörderischste aller Besatzungen errichteten, tritt heute ein deutscher Minister wie zu Hause auf. Faßbar, weil erklärbar, ist das wie damals.
Quelle: www.jungewelt.de vom 22.06.11
In einem offenen Brief an die Mitglieder der Bundestagsfraktion Die Linke kritisieren mehr als 100 Israelis deren Nahost-Beschluß vom 7. Juni. Unter den Unterzeichnern, die in Dutzenden verschiedenen Organisationen und Initativen aktiv sind, sind die Professoren Gadi Elgazi und Sami Shalom Chetrit, die Filmregisseure Udi Aloni und Eyal Sivan, feministische Aktivistinnen der israelischen Frauenkoalition für Frieden wie Eilat Maoz und Dalit Baum, die Begründerin der Organisation »Physicians for Human Rights« Ruchama Marton, Kriegsdienstverweigerer wie Matan Kaminer und Shimri Zameret, die zwei Jahre lang inhaftiert waren, der Mitbegründer des Alternativ Information Center in Jerusalem, Michael Warschawski, und bekannte Aktivisten des gewaltfreien Widerstands gegen die Besatzung wie Adar Grayevsky und Ezra Nawi.
Wir, Linksaktivisten von verschiedenen Organisationen und Zusammenhängen aus Israel, kritisieren euren Fraktionsbeschluß vom 7. Juni. In diesem Beschluß werden zwei grundverschiedene Themen vermischt, die dringend voneinander unterschieden werden müssen, um Antisemitismus in Deutschland und weltweit bekämpfen zu können. Darüber hinaus erhebt der Beschluß ungeheuerliche Anschuldigungen gegen die Zivilgesellschaft in Israel-Palästina und die internationale Solidaritätsbewegungen, die einen gerechten Frieden in unserer Region unterstützen.
Wir sind uns bewußt, daß Antisemitismus, ebenso wie Islamophobie und andere Formen von Rassismus, Sexismus und Homophobie, auch in der europäischen Linken verbreitet sind. Als Mitglieder der Partei Die Linke ist es dringend notwendig, daß ihr eine klare Stellung zu diesem Thema bezieht, und wir unterstützen eure eindeutige Verurteilung rassistischer und antijüdischer Aktivitäten, Ideologien und Diskurse.
Wir vertreten unterschiedliche Meinungen zu offenen Fragen und Strategien im israelisch-palästinensischen Konflikt; auch bezüglich jener Punkte, die Teil eures Beschlusses sind: die Ein-Staaten-Lösung, die Kampagne für Boykott/Desinvestitionen/Sanktionen (BDS) und die unterschiedlichen Solidaritätsaktionen zur Durchbrechung der Belagerung des Gazastreifens, darunter die »Gaza-Flottille«.
Nichtsdestotrotz sind wir überzeugt, daß keine dieser Aktionen oder Positionen grundsätzlich etwas mit Antisemitismus zu tun haben. Zu unterstellen – wie in eurem Beschluß geschehen –, daß eine offene Diskussion über diese Themen antisemitisch sei, ist ein Affront gegenüber einer globalen antirassistischen Bewegung, die sich gegen die illegale und brutale Politik des Staates Israel gegen die Palästinenser in seinen anerkannten Grenzen, in den besetzten Gebieten und in der Diaspora wendet. Wir zählen uns selbst mit Stolz zu dieser Bewegung.
Wir glauben, daß die Solidarität mit dem palästinensischen Kampf für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch im besten Interesse israelischer Staatsbürger und aller jüdischen Menschen weltweit ist. Das israelische Establishment versucht, sich weltweit als einziger legitimer Vertreter der Jüdinnen und Juden darzustellen. Dieser Anspruch wird in Deutschland und Europa leider meist unhinterfragt akzeptiert. In den letzten Jahren bezeichnete die israelische Regierung zunehmend jede Kritik an ihrer Politik als antisemitisch und instrumentalisierte diese falsche Gleichsetzung, um jegliche politische Auseinandersetzung um die Besatzung zu unterbinden.
Wir bestehen darauf, daß ihr auch zukünftig eure klare Opposition zu Antisemitismus ausdrückt, und fordern, daß ihr Solidarität mit den Palästinensern zeigt. Bekennt euch zu einer offenen Diskussion über die verschiedenen Formen des Widerstands, des Aktivismus und der Solidarität und über die Vorschläge zur möglichen Beendigung des Konflikts, die auf Menschenrechten und Demokratie basieren! Wir glauben, daß sich diese Positionen in keiner Weise widersprechen, sondern sich vielmehr zur besten und wirksamsten linken Perspektive zum Konflikt ergänzen.
Wir werden weiter unsere Opposition zu allen Formen von Rassismus und Unterdrückung ausdrücken und hoffen, daß ihr euren Beschluß überdenkt – damit wir gemeinsam für einen gerechten Frieden im Nahen Osten arbeiten können.
Quelle: www.jungewelt.de vom 22.06.11
Nach der zeitweiligen Besetzung der Baustelle des Bahnhofsprojekts »Stuttgart 21« am Montag abend bemühte sich das politische Establishment am Dienstag, die Gegner des Neubaus in schlechte »gewaltbereite Radikale« und »friedliche Demonstranten« zu spalten. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) beschuldigte das Aktionsbündnis gegen »Stuttgart 21«, durch »die aggressiven und beleidigenden Reden und Angriffe in der Vergangenheit« zu einem Klima der Gewaltbereitschaft beigetragen zu haben. »Friedliche Demonstrationen gegen das Bahn-Projekt dürfen nicht durch einzelne gewaltbereite Demonstranten mißbraucht werden«, erklärte der OB per Pressemitteilung. »Gewaltbereite Radikale nutzen die Lage und die Stimmung, um mit gewalttätigen Aktionen Zorn und Zwietracht in unserer Stadt zu säen.« Von diesen müsse sich das Aktionsbündnis öffentlich distanzieren, forderte Schuster.
Nachdem am Montagabend rund 3000 Menschen demonstriert hatten, zogen etwa 1500 Demonstranten zum Gelände des sogenannten Grundwassermanagements und rissen den Bauzaun nieder. Dabei kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Ein bewaffneter Zivilpolizist, der sich unter die Baustellenbesetzer gemischt hatte, wurde dabei Behördenangaben zufolge »an Kopf und Hals verletzt«. Zudem sei versucht worden, ihm seine Dienstwaffe wegzunehmen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf versuchten Totschlag gegen Unbekannt ein. Acht Polizisten erlitten den Angaben nach Knalltraumata, als neben ihnen ein Sprengkörper detonierte.
Die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, gab derweil der Deutschen Bahn eine Mitschuld. »Wenn die Bahn so unbeeindruckt von allem weiterbaut, glaube ich, daß uns ein heißer Sommer ins Haus steht.« Das Unternehmen müsse zu einer ergebnisoffenen und transparenten Debatte zurückkehren.
Der Chef der FDP-Landtagsfraktion, Hans-Ulrich Rülke, machte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verantwortlich. Hermann hetze die Demonstranten auf und »erfinde« täglich neue Argumente gegen das Bauprojekt. Der Generalsekretär der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl, attackierte Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne). Als Ministerpräsident müsse sich dieser von »solchen gewalttätigen und kriminellen Vorgängen klar distanzieren«.
Was dieser auch tat: »Gewalt ist in jeglicher Form – egal, ob gegen Menschen oder Sachen – unmißverständlich zu verurteilen und wird von der Landesregierung nicht toleriert«, erklärte der Grünen-Politiker. Innenminister Reinhold Gall (SPD) sagte im SWR, es sei »erschreckend und nicht hinzunehmen, daß ein 42jähriger Polizeibeamter von Störern zusammengeschlagen und erheblich verletzt wurde«.
»Protest ja, Gewalt nein« war eine gestern verbreitete Mitteilung der Partei Die Linke überschrieben. Man stehe »an der Seite der friedlichen Demonstranten«, erklärte Vorstandsmitglied Ulrich Maurer, lehne »Gewalt als Mittel« aber ab. In gestern bei Youtube veröffentlichten Videomitschnitten der Auseinandersetzung konnte man sehen, wie zwei Männer miteinander ringen und unter der Jacke eines der Beteiligten plötzlich eine Pistole herausragt. »Nimm die Knarre weg!«, schallt es aus dem Hintergrund. Andere rufen »Verpiß dich!«, »Hau ab, du Bullensau!« Auf einem anderen Video sieht man die Explosion des Böllers, die angeblich bei acht Beamten Knalltraumata verursachte. Man erkennt auch, daß der Knallkörper deutlich näher bei den Demonstranten hochging. Über Hörschäden bei letzteren wurde nichts bekannt.
Quelle: www.jungewelt.de vom 22.06.11
Am 22. Juni 1941 griff das nationalsozialistische Deutschland die Sowjetunion an. Vom ersten Tag an führte die Wehrmacht den Kampf mit großer Brutalität.
Deutschland führte zu dieser Zeit bereits zwei Jahre Krieg, doch schon in der Zeit von 1933 bis 1939 gelang es den Nationalsozialisten die Gesellschaft in Deutschland erheblich zu militarisieren, geholfen haben dabei Organisationen wie SA, SS und die Hitlerjugend.
Ideologisch und materiell wurde massiv aufgerüstet. Die 100.000 Mann starken Reichswehr wurde in eine 2,6 Millionen Männer zählende Reichwehr hochgerüstet. Nach den schnellen Kriegen im Polen, Frankreich und auf dem Balkan nahm die Kriegsführung nach dem Angriff auf die Sowjetunion extreme Gewalt an. Rotarmisten, die gleich nach dem Angriff in g roßer Zahl in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, waren dieser Gewalt besonders ausgeliefert. Von den etwa 5,5 Millionen Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft sind bis zu 3,0 Mio umgekommen.
Sie starben in Lagern der Wehrmacht, die in der Nähe der Front lagen, in hinter der Front gelegenen Zivilverwaltungsgebieten und im sognannten Generalgouvernement.
360.000 bis 400.000 Rotarmisten kamen in Lagern um, die sich im Deutschen Reich efanden. Eines dieser Lager war im heutigen Nordrhein-Westfalen, in Stukenbrock, unweit von Augustdorf, zwischen Gütersloh und Detmold.
Dieses Lager wurde schon unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion mit den ersten Kriegsgefangenen belegt. Am 7. Juli 1941 erreichten mehr als 7.000 Kriegsgefangene das Lager. Auf der eingezäunten Fläche fanden sie weder Uterkünfte noch ausreichende Verpflegung oder sanitäre Einrichtungen.
Der Militärarzt Wladimir Semjonowitsch Siltschenko erinnert sich: „Die schweren Prüfungen und Qualen begannen für die sowjetischen Gefangenen schon vor dem Eintreffen im Lager: Tage und Wochen unter freiem Himmel am Ort der Gefangennahme mit täglichen Rationen von einer Handvoll ungeschälter Buchweizengrütze und sehr wenig Trinkwasser. Dann wurden die Gefangenen in kleine Güterwagen zu 60 bis 70 Mann gepfercht. Sie konnten weder sitzen noch liegen. Die Fahrt in den Westen dauerte mindestens fünf bis sieben Tage. Für den Weg gab man ihnen insgesamt 150 bis 300 g Brot; Wasser bekamen sie nicht jeden Tag. Verwundete und Verletzte, von denen es sehr viele gab, erhielten während der Fahrt keine medizinische Hilfe. Die erschöpften Gefangenen mussten das Lager aufbauen und hatten dazu nur primitive Werkzeuge zur Verfügung. Bei schlechtem Wetter mussten sie – nass bis auf die Haut und durchgefroren und von langen Arbeitstagen erschöpft – auf der bloßen Erde schlafen. Einige Gefangene bauten sich in der Erde Höhlen, die oft zerstört wurden. In der ersten Zeit bestand die Tagesration für Menschen, die schwere, aufreibende Arbeiten verrichten mussten, aus 200 g Brot mit Stücken Sägemehl und feuchten Kohlrüben“.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen erhielten keinerlei Lohn und bis heute enthalten ihnen Staat und Wirtschaft in Deutschland jede Entschädigung vor.
300.000 Gefangene gingen durch das Lager in Stukenbrock, 65.000 Gefangenen überlebten nicht.
Von 1942 bis 1945 war es Durchgangslager, in dem die Kriegsgefangenen registriert und dann zur Zwangsarbeit abtransportiert wurden.
Am 2. April 1945 erreichten amerikanischen Soldaten das Lager. Sie fanden außer den Überlebenden die Toten, verscharrt in sechsunddreißig Massengräbern. In seinen Erinnerungen berichtet Viktor Fedorowitsch.
„Die Überlebenden beschlossen, wir können nicht so wegfahren. Wir errichten den Kameraden ein Denkmal. Möge es ewig daran erinnern, was Faschismus ist.“
Die Kriegsgefangenen selbst legten einen würdigen Friedhof an. In der Mitte errichteten sie einen 10 Meter hohen Obelisk. Am 2. Mai 1945 wurde das Denkmal feierlich, in Anwesenheit von über 10.000 Menschen, enthüllt. Die Spitze zierte eine aus Glasplastik gefertigte rote Fahne mit dem Staatssymbol der UdSSR.
Der Kalte Krieg in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist auch an Friedhof und Obelisk nicht spurlos vorübergegangen. So wurde die Glasplastik auf der Spitze des Denkmals abmontiert und bis heute nicht wieder angebracht.
Dem Arbeitskreis BLUMEN FÜR STUKENBROCK ist es zu danken, dass Lager und Friedhof in der Senne und die Leiden, die sowjetischen Kriegsgefangenen zugefügt wurden, nicht in Vergessenheit geraten sind. Seit mehr als 40 Jahren findet alljährlich am 1. Wochenende im September eine Gedenkfeier am Friedhof stattfindet und seit einigen Jahren auch ein Jugendcamp. Der Arbeitskreis BLUMEN FÜR STUKENBROCK ist seit mehr als vier Jahrzehnten für Verständigung und Versöhnung zwischen den Menschen in Nordrhein-Westfalen und in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion tätig. So hat er auch den Kontakt zu ehemaligen Gefangenen gehalten und sich für die Wiederherstelung des Obelisken in seinen ursprünglichen Zustand eingesetzt.
Erst in diesem Jahr teilte die Staatskanzlei in Düsseldorf mit, dass die „alsbaldige Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Obelisken in die Wege geleitet ist“. Wir alle sollten die Restaurierung im Auge behalten. Geeignet wäre dazu die diesjährige Gedenkfeier am 3. September in Stukenbrock.
Quellen des Artikels und weitere Informationen unter
http://www.blumen-fuer-stukenbrock.de/
und „Pardon wird nicht gegeben“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer in „Blätter für deutsche und internationale Politik 6/11, Seite 112 ff.“ Der Beitrag basiert auf dem Buch der Autoren „Soldaten, Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“
Quelle: Hannelore Tölke vom 21.06.11
Anmerkung von Wolfgang Huste: Im Jahre 1956 wurde nicht nur die Bundeswehr gegründet, sondern auch die KPD verboten (das Verbot wurde bis heute nicht aufgehoben!).
Damals kamen engagierte Kommunisten, die schon innerhalb des Nationalsozialismus im Widerstand aktiv waren und von den Alliierten aus den Gefängnissen bzw. aus den zahlreichen KZs befeit wurden, teilweise wieder ins Zuchthaus, wie es damals hieß- nur wegen ihrer politischen Gesinnung! Merke: Antisozialismus und Antikommunismus haben in Deutschland eine lange Tradition. Antifaschismus dagegen leider nicht! „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das einstmals kroch!“. Bertolt Brecht. Deshalb: „Wehret den Anfängen- nie wieder Faschismus!“.
Zum Internationalen Tag des Flüchtlings erklärt Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke:
„Das herrschende Weltwirtschaftssystem produziert täglich neue Flüchtlinge. Mehr als 43 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, die Mehrzahl davon auf den afrikanischen und asiatischen Kontinenten. Die aggressive neoliberale Handelspolitik der Industriestaaten, wie USA und EU, zerstören die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen in den Ländern des Südens: leergefischte Küsten, von EU-Produkten überschwemmte Märkte, durch Rohstoffabbau zerstörte Regionen und durch Spekulation in die Höhe getriebene Nahrungsmittelpreise sind einige der Fluchtursachen“.
„Viele Menschen fliehen zudem vor Kriegen wie z.B. in Afghanistan, Irak und Libyen und zahlreichen Bürgerkriegen. Diese Politik muss verändert werden, damit weniger Menschen gezwungen sind, ihr Land zu verlassen. Solange ist die Bundesregierung aufgefordert, endlich ihrer Verantwortung gerecht zu werden und mehr Flüchtlinge, vor allem aus Nordafrika, in Deutschland aufzunehmen, die verzweifelt versuchen, das Mittelmeer zu überqueren. Wir brauchen eine solidarische Flüchtlingspolitik statt Abschottungspolitik in der Europäischen Union!“, so Heike Hänsel anschließend.
Quelle: 20.06.2011 von Heike Hänsel. MdB, Pressemitteilung
»Zivilcourage und antifaschistisches Engagement wurden nicht nur im Vorfeld, sondern auch bei friedlichen Blockaden gegen den größten Nazi-Aufmarsch Europas am 19. Februar 2011 kriminalisiert. Offenkundig rechtswidrig fand seitens der Polizei eine flächendeckende Funkzellenauswertung statt. Mutmaßlich Tausende Mobiltelefone wurden dabei ausgespäht, deren Inhaber bespitzelt. Das ist ein Skandal. Besonders brisant ist, daß die Überwachung möglicherweise auch der Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke Sevim Dagdelen, gegolten hat, die im Vorfeld der Proteste zu den Blockaden aufgerufen hat«, so Christian Leye, Wahlkreismitarbeiter von MdB Sevim Dagdelen und Sprecher des Kreisverbandes Die Linke.Bochum anläßlich eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn wegen des angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Dresden.
»Im Zuge des Ermittlungsverfahrens kam heraus, daß die Polizei meine Handynummer gezielt ermittelt hat. Mindestens für den 19. Februar 2011 wurden alle bei mir ausgehenden und eingehenden Telefonanrufe und Kurznachrichten protokolliert, die Besitzerinnen und Besitzer der kontaktierten Mobiltelefone ermittelt sowie ein Bewegungsprofil erstellt«, erklärt Leye.
»Ich bin empört über diese massenweise und unverhältnismäßige Bespitzelung von friedlichen Demonstranten und besonders meines Mitarbeiters während seiner Arbeitszeit. Ich fordere eine dringende Aufklärung des Vorfalls durch die Staatsanwaltschaft Dresden. Meine Tätigkeit als frei gewählte Bundestagsabgeordnete ist vermutlich verletzt worden. Die Funkzellenabfrage kommt einer Rasterfahndung gleich. Bundestag sowie der Landtag müssen dazu Stellung nehmen«, erklärt die Bochumer Bundestagsabgeordnete Dagdelen.
»Juristisch wird zu klären sein, ob die Telefonüberwachung nach dem 19. Februar 2011 fortgesetzt wurde und ob sie auch das Abhören von Gesprächen und das Mitlesen von Kurznachrichten beinhaltete. Dazu soll nun die Rechtmäßigkeit der Telefonüberwachung überprüft und weitere Informationen über den Umfang der Telefonüberwachung eingefordert werden«, heißt es von Christian Leye weiter.
Abschließend fügt Dagdelen hinzu: »Die Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement in Deutschland muß gerade vor dem historischen Hintergrund dringend ein Ende haben. (…)
Quelle: www.jungeelt.de vom 21.06.11
Die Kundgebung der rechtsextremen NPD am vergangenen Freitag direkt vor den Verlagsräumen der jungen Welt stattfinden zu lassen, war eine Entscheidung der Versammlungsbehörde der Berliner Polizei. Dies teilte die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Inneres, Isabelle Kalbitzer, am Montag gegenüber junge Welt mit, nachdem Polizeikräfte am Freitag erklärt hatten, es sei »eine politische Entscheidung« gewesen. Auf Nachfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, versprach Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Montag im Innenausschuß, sich mit Polizeipräsidentin Margarete Koppers über die zukünftige Informationspolitik »zu verständigen«.
Nicht zum ersten Mal war der genaue Ort einer Neonazikundgebung von NPD und Versammlungsbehörde geheim gehalten worden. Nur wenige Meter vom Hintereingang der jW in der Linienstraße entfernt hatten am Freitag knapp 40 Neonazis eine Kundgebung durchgeführt, die zunächst vor der Zentrale der Partei Die Linke im nahegelegenen Karl-Liebknecht-Haus angemeldet worden war. Mehrere hundert Gegendemonstranten waren kurzfristig von antifaschistischen Gruppen mobilisiert worden. Mindestens drei von ihnen nahm die Polizei bei Störversuchen fest. Nach jW-Informationen wurden außerdem Hunde ohne Maulkorb in die Menge der Gegendemonstranten gehetzt. Redaktionsmitglieder und den Geschäftsführer des Verlages nahm die Polizei wegen einer Protestaktion auf der jW-Terrasse vorübergehend in Gewahrsam.
jW-Fragen beantwortete die Polizeipressestelle am Montag bis zum Redaktionsschluß nicht. Unklar blieb somit auch, warum die Versammlungsbehörde der Berliner Polizei vor der NPD-Kundgebung am Freitag keine Bedenken gegen einen Anmelder hatte, der wenige Wochen zuvor eine Demonstration angemeldet hatte, von der massive körperliche Gewalt ausging: NPD-Landesvize Sebastian Schmidtke war schon beim Aufmarschversuch von rund 110 Neonazis am 14. Mai in Berlin-Kreuzberg Anmelder, offizieller Versammlungsleiter und Ansprechpartner der Polizei. Seinerzeit konnte oder wollte er nicht verhindern, daß seine Mitstreiter auf dem Boden sitzende Gegendemonstranten mit Schlägen und Tritten attackierten. Die Polizei gab später an, sie sei von den Neonazis »überrannt« worden.
Quelle: www.jungewelt.de vom 21.06.11
Ein Atomkraftwerk säuft ab, und möglichst niemand soll es mitbekommen. So ließe sich das Szenario umschreiben, das sich derzeit im US-Bundesstaat Nebraska abzeichnet. Dort hat das Wasser des infolge tagelanger Regenfälle stark angeschwollenen Missouri das AKW Fort Calhoun schon vor mehreren Tagen völlig eingeschlossen. Die Betreiber versuchen, das Reaktorgebäude mit Pumpen und Sandsäcken vor einer Überflutung zu schützen.
Luftaufnahmen von dem von den Wassermassen umspülten Kraftwerksgelände lassen keinen Zweifel daran, daß die Lage zumindest ernst ist. Gleichwohl haben überregionale US-amerikanische und europäische Medien bislang kaum über den Vorfall berichtet. Die der Piratenpartei nahestehenden »Anti-Atom-Piraten« verwiesen am Montag auf pakistanische Quellen, wonach US-Präsident Barack Obama eine Nachrichtensperre verhängt haben soll. Gegenüber Lokalzeitungen in Nebraska versuchten der AKW-Betreiber OPPD und die Atomaufsichtsbehörde NRC den Eindruck zu erwecken, als sei die Lage unter Kontrolle. Behördensprecher Victor Dricks sagte, er gehe davon aus, daß in Fort Calhoun angemessene Schritte eingeleitet worden seien, um die Sicherheit des Kraftwerks und der Beschäftigten zu gewährleisten. OPPD-Vizepräsident Tim Burke versicherte, die Flutbarrieren würden auch weiteren Regenfällen und einem Anstieg der Flut standhalten. Es gebe keinen Anlaß zur Besorgnis.
Das sehen atomkritische Experten in den USA und Deutschland anders. Sie befürchten, daß eindringendes Wasser die Kühlung des Reaktors beschädigen könnte. Der Atomingenieur Arnold »Arnie« Gundersen beurteilt die Situation bereits jetzt als äußerst kritisch und warnt insbesondere vor einem Dammbruch. In diesem Fall könne ein Unfallablauf wie in Fukushima nicht ausgeschlossen werden. In den Abklingbecken des AKW Fort Calhoun lagert hochradioaktiver Atommüll der letzten 20 Betriebsjahre.
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW vermutet, daß das Hochwasser durch undichte Stellen längst die »Kellerräume« des Atomkraftwerks erreicht hat, in denen sich empfindliche Betriebs- und Sicherheitssysteme befinden. Es sei möglich, daß die regulären Kühlsysteme in Fort Calhoun längst nicht mehr funktionierten und die Kühlung der Brennelemente bereits über Notfallmaßnahmen erfolge, warnte IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz am gestrigen Montag. Zwar gebe es Hoffnung auf einen glimpflichen Verlauf des Unfalls, weil der Reaktor seit April für Revisionsarbeiten abgeschaltet und die Nachzerfallswärme vergleichsweise gering sei. Es stelle sich jedoch die Frage, so Paulitz, ob es Kontakt zwischen kontaminiertem Kühlwasser und dem Flußwasser gebe. »Man kann nicht ausschließen, daß es auf diese Weise zu radioaktiven Freisetzungen in den Missouri kommt.« Da der Pegel des Flusses noch weiter ansteigen solle und weitere Dammbrüche möglich seien, könne die Lage weiter eskalieren. Wetterprognosen gehen davon aus, daß das Hochwasser in den kommenden Wochen zumindest nicht zurückgeht.
Die IPPNW bemängelt weiter, daß zwei Wochen nach Beginn des Vorfalls weder die US-amerikanischen Behörden noch die deutsche Bundesregierung die Öffentlichkeit adäquat informierten. »Es ist immer wieder das gleiche Phänomen, daß Industrie und Behörden alles tun, um derartige Vorfälle zu vertuschen und herunterzuspielen«, sagte Paulitz. Staaten und Atomindustrie seien viel zu sehr ineinander verstrickt, so daß allein deswegen der erforderliche Schutz der Bevölkerung nicht in hinreichendem Maße gewährleistet sei.
Quelle: www.jungewelt.de vom 21.06.11
Bei ihrer Frühjahrskonferenz am Dienstag und Mittwoch in Frankfurt/M. wollen sich die Innenminister von Bund und Ländern wieder einmal mit einem etwaigen Verbotsverfahren gegen die NPD befassen oder zumindest Möglichkeiten prüfen, wie man die Neonazis von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließen könnte. Es ist zu befürchten, daß bei den Beratungen wie schon in der Vergangenheit wieder einmal nichts herauskommen wird. Nun rächt sich, daß im Bundestag immer wieder die von der Linken geforderte Antifaschismusklausel im Grundgesetz abgelehnt worden ist; eine solche Verfassungsbestimmung würde es den Behörden erleichtern, gegen den rechten Rand vorzugehen.
Statt dessen ist zu befürchten, daß die Innenminister das Thema Rechtsextremismus umfunktionieren und die von der Bundesregierung geführte Extremismus-Debatte fortsetzen, um sie gegen die politische Linke zu wenden. Es ist eine Zumutung der Bundesregierung, von zivilgesellschaftlichen Gruppen staatliche Zuschüsse im Rahmen des »Bundesprogramms gegen Rechtextremismus« davon abhängig zu machen, daß diese überprüfen, ob ihre Partnerorganisationen verfaßungstreu seien. Die damit vorgenommene Gleichsetzung von Linken mit Rechtsextremisten ist ahistorisch und wissenschaftlich unhaltbar. Die Themenliste der IMK läßt erahnen, daß dort in derselben undifferenzierten Weise diskutiert werden wird.
Im Vorfeld der Tagung hat der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) nämlich bereits vor einer Rückkehr des Linksterrorismus in Deutschland, vergleichbar mit der RAF gewarnt. »Wir haben bundesweit einen enormen Anstieg linksextremistischer Gewalt, im ersten Quartal um fast 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr«, erklärte der als Hardliner bekannte Schünemann in Bild am Sonntag. Autonome Linksextremisten nähmen in Kauf, daß bei ihren Anschlägen Menschen ums Leben kämen. Schünemann kündigte an: »Ich werde die Gefahr eines Linksterrorismus zu einem der Schwerpunktthemen bei der Innenministerkonferenz machen.«
Die CDU kann im Bereich der Sicherheitspolitik mit der Schützenhilfe der sozialdemokratischen Innenminister rechnen. Denn die SPD dient sich seit Monaten gerade in der Innenpolitik der CDU/CSU als zuverlässiger Partner für eine konservative Law-and-Order-Linie an. Da sich die IMK mit der Evaluierung der Sicherheitsgesetze (»Otto-Kataloge« – so genannt nach dem ehemaligen Innenminister Otto Schily) befassen wird, ist anzunehmen, daß die SPD ihr Angebot wiederholen wird, diese Pro-Geheimdienste-Regelungen zu verlängern.
In der Bundesregierung herrscht hierüber wegen des – zur Zeit noch – anhaltenden Widerstands der FDP Streit. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, mit Hilfe der SPD bei der IMK den Druck auf Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu erhöhen, so daß am Ende die Liberalen bei diesem Thema vermutlich einlenken werden. Die CDU/CSU hat der Justizministerin schon empfohlen, ihre »grundrechtlichen Phantomschmerzen« sein zu lassen; andernfalls würde Deutschland zu einem »Rückzugsraum für Terroristen«.
Ähnlich verläuft die Debatte bei einem weiteren Tagesordnungspunkt der IMK, der Vorratsdatenspeicherung. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht das diesbezügliche Gesetz von CDU/CSU und SPD am 2. März 2010 gekippt. Aber bei der IMK wird sich wieder eine informelle große Koalition bilden, die eine Neuauflage verlangen wird, damit künftig die Telekommunikationsdaten von Millionen unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger anlaßlos gespeichert werden.
Weitere Themen sind die europäische »Grenzagentur« FRONTEX, der »Nationale Cyber-Sicherheitsrat«, die Bearbeitungsdauer von Asylverfahren, die Ausweitung der Rückführungen in den Irak und die Kostenverteilung bei Resettlementverfahren (Ansiedlung von Flüchtlingen). Bereits am heutigen Montag beginnen Protestaktionen gegen die IMK unter dem Motto »Wir kommen, um zu stören«. Dabei stehen das Abschieberegime und die Abschottungspolitik der Bundesregierung im Vordergrund.
Quelle: www.jungewelt.de vom 20.06.11