Am Mittwoch abend beschloß das griechische Parlament weitere Massenentlassungen, Steuererhöhungen, drastische Kürzungen von Gehältern und Renten sowie Einschnitte im Sozial- und Gesundheitswesen. Gegen das sogenannte Sparpaket richteten sich ein 48stündiger Generalstreik und eine Kundgebung mit mehr als 70000 Menschen in Athen (siehe Seite 6). Fast zur gleichen Zeit hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor dem Europaparlament in Brüssel eine »Grundsatzrede«. In der Aussprache beantwortete sie von Abgeordneten geäußerte Kritik an ihrer Haltung zu Griechenland mit einem Ausbruch über »die Griechen«: »Man muß ihnen sagen: Es ist nicht in Ordnung, daß ich jedes Mal einen Streik mache, wenn eine Privatisierung erfolgen soll; es ist nicht in Ordnung, daß ein Eisenbahnsystem über die Fahrkartenpreise nicht mal so viel einbringt, daß man davon die Beschäftigten bezahlen kann; es ist nicht in Ordnung, wenn die Regierungsministerien nicht miteinander zusammenarbeiten; es ist nicht in Ordnung, wenn man ein Steuersystem hat, aber keine Steuern zahlt.«
Der Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten, der Österreicher Hannes Swoboda, hielt ihr vor: »Sie verlangen mit Unterstützung der Troika etwas, was sie in Deutschland nie verlangen würden: nämlich die Zerstörung von sozialen Netzen!« Die Linke-Abgeordnete Gabi Zimmer ergänzte: »Austerität tötet! Was nützt uns Wettbewerbsfähigkeit, wenn dabei Menschen zugrunde gehen?« Die Grünen-Vorsitzende Rebecca Harms sprach von der Knechtung Unschuldiger und Merkels griechischer »Schande«. Deren Replik: Wer bestreite, daß die Schuldigen für das griechische Drama in Griechenland selbst zu suchen seien, der »versündigt sich an den Gewerkschaftern und Arbeitnehmern in Europa. Ich werde da sehr leidenschaftlich!« Was den Griechen abverlangt werde, sei schmerzhaft, hart und nicht immer fair, weil die Vermögenden mit ihrem Geld »längst über alle Berge« getürmt seien. Auch Deutschland habe Hartz IV, Sozialproteste, Wutbürger, Abwahl von SPD und Grünen nach der Agenda 2010 gehabt. Aber: »Wir haben fünf Jahre abwarten müssen, dann haben sich die Wirkungen eingestellt.«
Ganz im Sinn der damit gemeinten Umverteilung von unten nach oben hatte sie sich zuvor für »Durchgriffsrechte« der EU-Kommission gegenüber dem Haushaltsrecht nationaler Parlamente eingesetzt. Wörtlich: »Ich bin dafür, daß die Kommission eines Tages so etwas wie eine europäische Regierung ist.« Sie wolle, daß eine vertiefte Währungsunion »nicht zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten führt, sondern eine Union mit doppelter Kraft schafft«.
Linksparteichef Bernd Riexinger kritisierte am Donnerstag in Berlin den Auftritt der Kanzlerin: »Noch nie hat Merkel so offen gezeigt, daß sie nichts mit den demokratischen Wurzeln der europäischen Idee am Hut hat.« Ihre Vision von Europa sei »ein Kontinent ohne Sozialstaat und Demokratie«. Unter ihrer Führung sei es ein Kontinent geworden, »in dem Politik mit Erpressungen, Drohungen und Angst gemacht wird. Das ist Europa zum Abgewöhnen.« Er forderte »einen demokratischen Neuanfang für Arbeit und soziale Gerechtigkeit« und fügte hinzu: »Europa braucht mehr Demokratie und weniger Merkel.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 09. November 2012
Über 100 Organisationen und Gruppen rufen angesichts des Skandals um die neofaschistische Terrorzelle NSU für Samstag zu einer Demonstration vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) in Köln-Chorweiler auf. Sie fordern, diese Behörde aufzulösen – mit welchen Argumenten?
Die langjährige Nichtaufklärung der Neonazimordserie und die Ausblendung ihres rassistischen Hintergrunds sind Belege dafür, daß dieser Inlandsgeheimdienst – »Verfassungsschutz« genannt –, grandios versagt hat, ebenso wie die Polizei. Unfähigkeit und Pannen haben dabei sicher eine Rolle gespielt – wir müssen aber in erster Linie von den ideologischen Scheuklappen der traditionell antikommunistisch geprägten Sicherheitsorgane ausgehen, von institutionellem Rassismus, von Ignoranz und systematischer Verharmlosung des Neonazispektrums. Aber nicht nur das: Der VS war und ist heillos in die Neonaziszene verstrickt. Er hat sie über seine bezahlten Spitzel letztlich mitfinanziert, gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt. Er hat sie gestärkt, statt zu schwächen.
In Deutschland gibt es 16 Landesämter und ein Bundesamt für Verfassungsschutz – was werfen Sie diesen Organen konkret vor?
Der VS wußte in Sachen NSU weit mehr als zunächst vermutet; er war hautnah dran an den mutmaßlichen Mördern, ihren Kontaktpersonen und Unterstützern. Die Mordserie hätte möglicherweise verhindert werden können, wenn diese angeblichen Verfassungsschützer schwerwiegende Erkenntnisse hinsichtlich verbrecherischer Straftaten und der Wohnorte der Untergetauchten und ihrer Unterstützer rechtzeitig an die Polizei weitergegeben hätten. Angesichts der Schwere des Verdachts wären sie dazu gesetzlich verpflichtet gewesen. Aber sie haben statt dessen aus Gründen des »Quellenschutzes« ihre V-Leute in der Szene geschützt und sie gegen Ermittlungen der Polizei abgeschirmt.
Ist die Forderung nach Auflösung dieser Inlandsgeheimdienste nicht unrealistisch? Aus der Politik heraus wird es dafür doch kaum Unterstützung geben.
Dieser »Verfassungsschutz« ist weder reformierbar noch kontrollierbar. Denn er trägt in Wirklichkeit einen Tarnnamen, hinter dem sich ein gemeiner Geheimdienst versteckt – mit gesetzeswidrigen Strukturen, Mitteln und Methoden und der Lizenz zu Gesinnungsschnüffelei, Infiltration und Desinformation. Gerade in seiner Ausprägung als Geheimdienst ist er ein Fremdkörper in der Demokratie: Er widerspricht demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit. Solchen letztlich demokratiewidrigen Institutionen sollten schleunigst alle nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden entzogen werden und damit auch die Lizenz zur Gesinnungskontrolle, zum Führen von V-Leuten und zum Infiltrieren. Solchen Überlegungen steht das Grundgesetz keineswegs entgegen, denn danach muß der VS nicht als Geheimdienst ausgestaltet sein.
Die offiziellen Reformvorschläge aus Bund und Ländern sind allenfalls Placebos, weil sie sich nicht an die Geheimstrukturen des VS wagen. Nur die Linkspartei ist dafür, ihn ein für alle mal aufzulösen – die Grünen hingegen plädieren für die Auflösung und einen anschließenden Neuaufbau.
Wen gilt es von ihrer Forderung zu überzeugen und mit ins Boot zu nehmen?
Wir müssen nicht nur die Öffentlichkeit von der Richtigkeit dieser Forderung überzeugen, sondern auch jene Parteien, die den VS nach den vielen Skandalen endlich kritischer einschätzen, ihn für überflüssig oder sogar schädlich halten. Es ist doch so, daß inzwischen immer weniger Menschen an das Märchen glauben, daß diese Behörden Verfassung und Demokratie schützen. Immer mehr erkennen, daß dieser ideologische Apparat durch sein reguläres Wirken der politischen Kultur in der Bundesrepublik wesentlich mehr geschadet hat, als er vorgeblich der Verfassung nützt.
Wer steht in der Mitverantwortung dafür, daß der Verfassungsschutz jahrelang auf diese Weise in neonazistische Szenen und Straftaten verwickelt war?
In letzter Konsequenz sind das die politisch verantwortlichen Innenminister und Regierungen, die es sehenden Auges über Jahrzehnte zugelassen haben, daß der VS über sein kriminelles V-Leute-Netz Teil des Neonaziproblems geworden ist.
Demo, Samstag, 14 Uhr, Pariser Platz, Köln-Chorweiler
vsaufloesen.noblogs.org
Rolf Gössner, Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates, München 2003; Akt. Neuauflage als e-book 2012 bei Knaur-Verlag, München. Download-Direktlink: bit.ly/J8XWNC
Quelle: www.jungwelt.de vom 09. November 2012
Heute vor einem Jahr flog sie auf, die Zwickauer Terrorzelle, die zehn Menschen auf dem Gewissen haben soll, neun Migranten und eine Deutsche. Am 4. November 2011 fand die Polizei zunächst zwei tote Bankräuber in einem Wohnmobil im thüringischen Eisenach, zwei Stunden später flog ein Haus im sächsischen Zwickau in die Luft.
Es brauchte einige Tage, bis sich die Erkenntnisse Bahn brachen und anschließend wie Schockwellen ausbreiteten. Mitglieder einer rechten Terrorzelle hatten 14 Banken überfallen, 2 Sprengstoffanschläge verübt, 10 Menschen getötet – bei all diesen Taten blieben sie fast 13 Jahre unentdeckt.
Und um es noch einmal klar zu sagen: Diese drei mutmaßlichen Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sie fielen nicht vom Himmel. Sie waren sowohl dem Verfassungsschutz als auch Polizei und Justiz einschlägig bekannt – als gefährliche rechtsextreme Gewalttäter, die im thüringischen Jena eine Bombenwerkstatt betrieben hatten, bis sie Anfang 1998 abtauchten. Mit internationalem Haftbefehl wurden sie bis 2003 gesucht, dann waren die ihnen vorgeworfenen Straftaten verjährt und niemand interessierte sich mehr für das Trio.
Soweit die Täter – und die Opfer? Es handelte sich um die größte unaufgeklärte Mordserie Deutschlands – ein griechischer und neun türkischstämmige Gewerbetreibende, am helllichten Tag in ihren Geschäften regelrecht exekutiert. Offensichtlich von Profikillern. Sie hinterließen keine DNA-Spuren, keine Bekennerschreiben. Allerdings war die Mordwaffe in allen Fällen dieselbe, eine Ceska 83.
Die Ermittler stellten alles Mögliche an: In erster Linie verdächtigten sie die Hinterbliebenen. Ihren Hinweisen, es könne sich vielleicht um ausländerfeindlich motivierte Taten handeln, gingen sie kaum nach. Stattdessen befragten sie eine Hellseherin. In Nürnberg betrieben Polizeibeamte ein halbes Jahr einen Dönerimbiss, um vermutete Verbindungen zur Organisierten Kriminalität aufzudecken. Nein, das ist kein Witz. Von 100 Morden in Deutschland werden 97 in absehbarer Zeit aufgeklärt – warum versagten die Ermittler in diesen Fällen?
Ein Grund ist die Herkunft der Opfer. Hätten die Mordopfer blonde Haare und blaue Augen gehabt, Namen getragen wie Müller oder Schmidt und nicht unaussprechliche wie Özüdogru oder Tasköprü, wären sie deutsche Unternehmer gewesen und nicht türkischstämmige, die Suche nach den Tätern wäre anders verlaufen. Türke gleich Drogenmafia gleich Organisierte Kriminalität, lautete die Gleichung, nach der die Polizeibeamten vorgingen.
Nicht deutsche, US-amerikanische Ermittler – zum Erfahrungsaustausch in Deutschland – gaben den Kollegen von der bayerischen Sonderkommission den Tipp, Ausschau zu halten nach Tätern, die Türken hassen. Das Gutachten wurde abgeheftet, der Ordner zugeschlagen. Jetzt fordert der Chef des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke: Wir brauchen mehr Migranten in der Polizei. Er hätte sie längst einstellen können.
Die Ausländerfeindlichkeit, der Rassismus, vielleicht auch die Angst vor dem Fremden zeigen sich bis heute, ein Jahr danach. Machen Sie einfach die Probe auf’s Exempel. Wie heißen die Täter? Klarer Fall: Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe. Und wen haben sie umgebracht? Natürlich Michele Kiesewetter, die deutsche Polizistin. Und die anderen? Mmmmhh. Türkische Namen mit vielen ös und üs. Und war da nicht auch ein Grieche dabei? Wie hieß der noch mal?
Ein Jahr danach wissen wir viel, sehr viel über die drei Mitglieder des NSU. Wir konnten Dokumentationen über sie im Fernsehen sehen, ihre Eltern kamen zu Wort. Wir können Bücher über sie lesen, fünf oder sechs sind bislang erschienen. Darin steht, welche Schuhe Beate Zschäpe trug, welche Fahrräder Böhnhardt und Mundlos fuhren. Warum wissen wir nichts über Familie Boulgarides, nichts darüber, wie es den Yozgats in Kassel geht oder den Kubasiks in Dortmund?
Weil es einfacher ist, sich drei böse Neonazis zu imaginieren, sich einen wohligen Horrorschauer über den Rücken laufen zu lassen und vermeintlich zu wissen: Damit haben wir nichts zu tun. Die Westdeutschen können sagen: Wäre bei uns nicht passiert, ist ein ostdeutsches Problem. Die Politiker können sagen: Die Polizei ist schuld. Die Polizei wiederum: Der Verfassungsschutz hat versagt. Dann macht man eine Reform, die zwar Strukturen und Zuständigkeiten verändert, aber nichts in den Köpfen. Das ist das Problem.
Warum reden wir nicht über das R-Wort, fragt der Opferanwalt Mehmet Daimagüler. Fangen wir an, reden wir über den alltäglichen Rassismus, der den Nährboden bildet für die drei Terroristen des NSU. Ohne Fremdenfeindlichkeit kein Rechtsextremismus, ohne Rechtsextremismus kein Rechtsterrorismus und kein Nationalsozialistischer Untergrund.
Fragen wir doch die Simseks, Kubasiks und Yozgats, wie es ihnen heute geht, lassen wir uns ihre Geschichte erzählen. Und Ali, bei dem wir immer den Döner kaufen, sollten wir auch fragen. Er hat schon damals gesagt: Warum schreibt ihr Dönermorde? Es wurden doch Menschen umgebracht.
Quelle: www.dradio.de , http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/1911820/ vom 04.11.2012
Unserer Einschätzung nach zeigt die Tatsache, daß hier ein Verfahren, welches offensichtlich jeglicher juristischer Grundlage entbehrt, mit aller Macht vorangetrieben werden soll, daß es der Staatsanwaltschaft nicht um die Aufklärung angeblicher Straftaten geht, sondern um die Einschüchterung der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft Dresden ist Teil des Systems, das auch als »Sächsische Demokratie« bekannt ist: Sie geht mit politischer Willkür gegen unliebsame Personen und Strukturen vor, die von weiterem zivilen Ungehorsam abgehalten werden sollen. Diesmal ist sie aber einen Schritt zu weit gegangen. Um ihr Gesicht zu wahren und dem eigentlich folgerichtigen Freispruch zu entgehen, muß sie sich nun auf eine Einstellung des Verfahrens einlassen. (…) Nach dieser großen Blamage für die Staatsanwaltschaft fordern wir daher die sächsische Justiz auf, alle noch laufenden Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den erfolgreichen Blockaden der Naziaufmärsche 2010 und 2011 umgehend einzustellen – unabhängig von der Prominenz der betroffenen Personen! Wer so vehement auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards pocht wie die Dresdner Strafverfolgungsbehörden, darf nicht so handeln, als existierten für ihn Beschuldigte erster und zweiter Klasse!
Quelle: www.jungewelt.de vom 08. November 2012
Die flämischen Ford-Arbeiter sind sauer auf den US-Automobilkonzern. Aufgebrachte Beschäftigte einer von Schließung bedrohten belgischen Produktionsstätte des Unternehmens haben am Mittwoch das Firmengelände des Ford-Werkes in Köln gestürmt und ihrem Unmut Luft gemacht. Medienangaben zufolge gingen dabei auch einige Fenster zu Bruch.
Bis zu 200 Mitarbeiter des vor dem Aus stehenden Werks in Genk hätten zunächst den Eingang zum Werksgelände blockiert und Reifen angezündet, sagte ein Polizeisprecher. Nach Darstellung der Behördenvertreter sei die Situation dann eskaliert, etwa 20 bis 40 Personen seien auf das Firmenareal vorgedrungen und hätten Fenster beschädigt und Knallkörper gezündet. Verletzt wurde nach ersten Angaben niemand. Die Polizei habe die Personalien der Demonstranten aufgenommen. Bis zum Mittag habe sich die Lage beruhigt und die Arbeiter hätten das Werksgelände wieder verlassen, sagte der Sprecher. Mehrere Beschäftigte des Kölner Betriebs solidarisierten sich mit ihren belgischen Kollegen. Ob Ford einen Strafantrag stellen wird, wollte ein Sprecher des Unternehmens nicht sagen.
Für Mittwoch und Donnerstag waren nach Angaben der Polizei internationale Betriebsratssitzungen der Ford-Mitarbeiter in Köln geplant. Die Versammlung vor dem Gelände sei als Spontandemonstration gewertet und deshalb nicht aufgelöst worden, sagte der Polizeisprecher.
Spontan kann die Wut allerdings kaum entstanden sein. Das Werk in Flandern soll Ende 2014 dichtgemacht werden. Rund 4500 Beschäftigte von Ford verlören so ihren Job. Weitere 5000 Stellen dürften dann auch bei Zulieferern wegfallen. Die enorm sinkende Kaufkraft von fast zehntausend Haushalten würde weitere Probleme für Dienstleister und Händler schaffen.
Derzeit laufen noch Gespräche zwischen Ford und belgischen Regierungs- und Gewerkschaftsvertretern, die die Unternehmensentscheidung nicht akzeptieren wollen. Bereits Ende Oktober hatten die Beschäftigten in Genk protestiert und vor dem Werk Autos angezündet.
Vorstandschef Alan Mulally schloß am Mittwoch schärfere Schritte zur Sanierung des hohe Verluste schreibenden Europageschäfts nicht aus: »Wenn man sich vor den Entscheidungen drückt, wird man weiter Geld verlieren und irgendwann vom Markt verschwinden.«
Der nordamerikanische Automobilkonzern scheint – wie fast alle großen Hersteller – Probleme mit der Profitabilität zu haben. Ford leidet seit geraumer Zeit unter Absatzeinbrüchen und rechnet im Europageschäft für das laufende Jahr mit einem Verlust von umgerechnet mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar (1,2 Milliarden Euro).
(dapd/jW)
Quelle: www.jungewelt.de vom 08. November 2012
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) ist wegen der am Dienstag bekanntgewordenen Aktenvernichtung im Bereich Rechtsextremismus beim Berliner Verfassungsschutz in Erklärungsnot geraten. Zum Zeitpunkt der Schredderaktion am 29. Juni habe es bereits »ein klares, rechtliches Aktenvernichtungsverbot« gegeben, sagte der Innenexperte der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, am Mittwoch. Er verwies auf den Beweisbeschluß, mit dem der Untersuchungsausschuß des Bundestags schon im März die Behörden angewiesen habe, alle verfügbaren Akten zur Sichtung bereitzuhalten. »Die Behörden machen es sich im Moment zu leicht. Allein mit menschlichem Versagen ist der Vorgang nicht zu erklären«, widersprach Lux der Darstellung von Innensenator Henkel am Vortag gegenüber Journalisten.
»Zu einem Zeitpunkt, an dem ganz Deutschland über die Aufklärung der NSU-Mordserie diskutiert hat, wurden in Berlin Akten geschreddert«, betonte die Grünen-Abgeordnete Clara Herrmann am Mittwoch. Daß von der Schredderaktion ausschließlich Dokumente aus dem Bereich Rechtsextremismus betroffen waren, sei »unerklärlich«. Verfassungsschutzakten, deren Aufbewahrungsfrist abgelaufen seien, würden über einen längeren Zeitraum gesammelt, erläuterte Herrmann. Das Landesarchiv könne sie dann durchsehen und historisch wertvolle Dokumente zum Erhalt aussuchen. In diesem Fall habe es auch Vorgänge aus dem Bereich Rechtsextremismus ausgewählt. Beim Landesarchiv seien aber nur entsprechend angekreuzte Akten aus den Bereichen Linksextremismus und Ausländerextremismus angekommen. Die Grünen fordern von Henkel eine Erklärung. Lux betonte, sie wollten »keine Absicht unterstellen, aber das auch noch nicht ausschließen«.
Für Freitag wollten die Fraktionen eine Sondersitzung des Verfassungsschutzausschusses einberufen. Vor dem Gremium soll die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, nach der Aufdeckung der neofaschistischen Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) vor einem Jahr den Eindruck erweckt haben, in ihrer Behörde sei »nichts zu holen«. Erst am 20. Juli erließ sie in ihrem Haus einen Aktenvernichtungsstopp. Im Oktober will sie erfahren haben, daß das Landesarchiv noch auf Dokumente aus dem Bereich Rechtsextremismus warte. Am Dienstag, den 6. November, informierten Schmid und Staatssekretär Bernd Krömer die Abgeordneten.
Nach Darstellung des Verfassungsschutzes wurden die Akten »aufgrund eines Mißverständnisses« geschreddert. Für einen NSU-Bezug in den Dokumenten aus der Zeit vor 2009 will die Behörde keine Anhaltspunkte haben – allerdings räumte eine Sprecherin ein, es neben dem Holocaustleugner Horst Mahler unter anderem die Band »Landser« betraf. In deren Umfeld war – offenbar nicht »Anhaltspunkt« genug – der frühere sächsische »Blood&Honour«-Funktionär Thomas Starke im Jahr 2000 als V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes angeworben worden. Starke kannte die drei mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe seit den 1990er Jahren und war von ihnen im Knast besucht worden. Angeblich, um Zschäpe zu imponieren, hatte er dem Trio kurz vor dessen Untertauchen Plastiksprengstoff besorgt.
Der ehemalige »Landser«-Frontmann Michael Regener ist mit seiner neuen Band »Lunikoff-Verschwörung« auf einer Solidaritäts-CD für Horst Mahler und den NSU-Beschuldigten Ralf Wohlleben, genannt »Wolle«, vertreten, dem vorgeworfen wird, Schußwaffen für den NSU besorgt zu haben. Parolen und Lieder sind beiden gewidmet, der Erlös der CD, auf der mehrere Bands aus dem Dunstkreis des 2000 in Deutschland verbotenen »Blood&Honour«-Netzwerks vertreten sind, soll angeblich vor allem Wohlleben zugute kommen.
Quelle: www.jungewelt.de vom 08. November 2012
Spremberg. Die Lokalredaktion der Lausitzer Rundschau in Spremberg (Spree-Neiße) ist erneut von mutmaßlichen Rechtsradikalen attackiert worden. Am Montag entdeckte eine Mitarbeiterin vier Aufkleber am Haus, auf denen vermummte Neonazis vor dem Bismarckturm in Spremberg zu sehen sind, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Vor einigen Monaten hatte ein Redakteur über eine dortige Feier von Neonazis berichtet. In der Vergangenheit war die Redaktion mehrfach Ziel von Rechtsradikalen, nachdem Journalisten kritisch über die Neonaziszene berichtet hatten. (dapd/jW)
Quelle: www.jungewelt.de vom 07. November 2012
Die Bundesanwaltschaft hat angeblich bereits Anklage gegen die mutmaßliche Neonaziterroristin Beate Zschäpe erhoben. Nach einem Vorabbericht des Berliner Tagesspiegels sind noch vier weitere Personen aus dem Umfeld des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) angeklagt, darunter der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Generalbundesanwalt Harald Range habe die Anklageschrift bereits unterschrieben, das Material werde seit Dienstag zusammen mit über 1000 Aktenordnern an das Oberlandesgericht München geschickt. Dort soll sich der Staatsschutzsenat mit dem Fall befassen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe war für junge Welt nicht für eine Stellungnahme zu dem »Exklusivbericht« zu erreichen. Der Nachrichtenagentur dapd sagte ein Sprecher der Behörde, die Bundesanwaltschaft werde sich erst öffentlich äußern, wenn die Anklageschrift an den Prozeßbeteiligten zugestellt worden sei.
Der NSU wird seit seiner Aufdeckung nach dem mutmaßlichen Selbstmord seiner Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im November 2011 für die Morde an neun Männern türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sowie einer Polizistin verantwortlich gemacht. Außerdem können ihm zwei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle zugeordnet werden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Vollmitglied des NSU gilt, stellte sich fast auf den Tag genau vor einem Jahr der Polizei, nachdem sie am Todestag ihrer Komplizen die gemeinsame Wohnung in Zwickau angezündet hatte und vier Tage durch die Republik gereist war. Ob sie wegen Beihilfe oder Mittäterschaft bei der Mordserie angeklagt wird, war bei Redaktionsschluß weiterhin unklar.
Als Richter wird Zschäpe nach Informationen mehrerer Medien Manfred Götzl gegenüber sitzen. In spektakulären Prozessen verurteilte Götzl unter anderem den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und Kriegsverbrecher Josef Scheungraber sowie den Mörder des Münchner »Modezaren« Rudolph Moshammer, Herisch A., zu lebenslanger Haft. Umstritten ist Götzl wegen seiner harten Urteile gegen Menschen, die in einer Notwehrsituation ihre Angreifer schwer verletzten. »Urteile gegen Zivilcourage« warf ihm etwa ein Kommentator des Online-Magazins Telepolis vor.
Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm sind nicht als rechte Szene-Anwälte bekannt. Sie haben ihrer Mandantin bisher geraten, zu allen Vorwürfen zu schweigen. Auch zu der Frage, ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt V-Frau des Verfassungsschutzes war, äußert sich das Verteidigerteam nicht.
Unter den Anwälten der Nebenklage ist auch die gewählte bayerische Verfassungsrichterin Angelika Lex, die zusammen mit Rechtsanwalt Yavuz Narin die Familie des 2005 ermordeten Theodoros Boulgarides vertritt. Die ehemalige Grünen-Stadträtin ist in München seit Jahren als Bürgerrechtsanwältin bekannt, verteidigte oft Aktivisten der Friedensbewegung sowie antifaschistischer Gruppen und gewann mehrfach Prozesse gegen staatliche Institutionen. Im Oktober erstritt sie vor Gericht, daß das bayerische Innenministerium drei Verfassungsschutzberichte ändern muß. Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a. e.V.) hatte sich mit Hilfe von Lex erfolgreich dagegen gewehrt, in den Jahresberichten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz 2009, 2010 und 2011 im Bereich »Linksextremismus« aufgeführt zu werden.
Ebenfalls am Dienstag wurde laut Tagesspiegel bekannt, daß in Berlin im Juni zahlreiche Akten des Verfassungsschutzes geschreddert worden sind. Der Berliner Landesarchivar hatte die Dokumente als historisch wertvoll eingestuft und um Aufbewahrung gebeten.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07. Novembert 2012
„Wenn ein Kommunist arm ist, dann sagen die Leute, er sei neidisch. Gehört er dem mittleren Bürgertum an, dann sagen die Leute, er sei ein Idiot, denn er handele gegen seine eignen Interessen. Ist er aber reich, dann sagen sie, seine Lebensführung stehe nicht mit seinen Prinzipien im Einklang. Worauf denn zu fragen wäre: Wann darf man eigentlich Kommunist sein ?“
Quelle: Kurt Tucholsky in: Die Weltbühne, 3.11.1931, S. 673
Ein Jahr nach Entdeckung der faschistischen Terrorzelle NSU haben parlamentarische Untersuchungsausschüsse von Bund und Ländern aufgrund der Vertuschungsversuche von Verfassungsschützern den Sumpf aus Neonazis und Geheimdiensten noch nicht einmal annähernd aufklären können. Schon jetzt zeichnet sich allerdings deutlich ab, daß Verfassungsschutzämter über ihre V-Leute eng an den drei Neonazis Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe dran waren, ohne daß es zu einem polizeilichen Zugriff auf die Gesuchten kam.
Als ein Schlag ins Gesicht der NSU-Opfer muß hier die Feststellung von Bundesverfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen wirken, wonach V-Leute unverzichtbar sind und der Geheimdienst als Konsequenz aus seinem Versagen mehr Kompetenzen erhalten soll. Während V-Leute nicht in die im September 2012 eingerichtete Verbunddatei Rechtsextremismus von Polizei und Geheimdiensten aufgenommen werden sollen, plant Maaßen ein zentrales Register aller V-Leute der Verfassungsschutzämter, die innerhalb der Naziszene eingesetzt werden. (…)
Doch nicht fehlende Koordination zwischen den Geheimdiensten von Bund und Ländern beim Spitzeleinsatz, sondern das V-Leute-Unwesen an sich ist das Problem. Denn die Verfassungsschutzämter haben die Naziszene über ihre V-Leute seit Jahrzehnten personell und finanziell gestärkt.
So erklärte etwa der fast 40 Jahre für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz tätige V-Mann Wolfgang Frenz gegenüber dem Magazin Stern, mit Zustimmung des NPD-Parteivorstandes in NRW für den Geheimdienst gearbeitet zu haben, um die Spitzelhonorare für den Parteiaufbau zu nutzen. (…)
V-Leute haben manche Naziorganisationen erst gegründet. So führte der für seine Agententätigkeit vom Thüringer Verfassungsschutz in den 90er Jahren mit rund 200000 Mark entlohnte Tilo Brandt den von ihm gegründeten Thüringer Heimatschutz. (…)
V-Leute haben auch schwere Straftaten einschließlich Brandanschlägen begangen und wurden dabei von den Verfassungsschutzämtern gedeckt. Wie einer Analyse des Bundeskriminalamtes von 1997 zu entnehmen ist, hat der Verfassungsschutz in den 90er Jahren seine Hand schützend über straffällig gewordene V-Leute aus der rechten Szene gehalten. Das BKA wirft in der dem NSU-Untersuchungsausschuß im Bundestag bislang vorenthaltenen aber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel vorliegenden Papier den Geheimdienstmitarbeiter vor, ihre V-Leute vor Durchsuchungen gewarnt zu haben. (…) Die V-Leute, von denen nach BKA-Einschätzung viele »überzeugte Rechtsextremisten« sind, würden aufgrund des Schutzes durch die Verfassungsschutzämter vielfach weder angeklagt noch verurteilt.
Auch kriminelle Aktivitäten von Neonazis wurden von V-Leuten teilweise erst angestiftet. (…)
Nicht die zentrale Erfassung der V-Leute sondern ihre sofortige Abschaltung sollte daher ein Jahr nach Aufdeckung der NSU-Terrorzelle die Konsequenz sein als erster Schritt zur Auflösung des Verfassungsschutzes selber.
Quelle: www.ulla-jelpke.de vom 05. November 2012